Читать книгу Einführung in die Theorie der Sozialpädagogischen Dienste - Gaby Flößer - Страница 16

3.2 Arbeiter- und Armenpolitik – die Anfänge staatlicher Fürsorge

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Folgen der Industrialisierung

Die in der Reform der spätmittelalterlichen Städte angelegten Prinzipien, die bis zum heutigen Tag Einfluss auf das Verhältnis von Armut und Hilfe haben, werden in der Epoche der Industrialisierung radikalisiert, insbesondere auch deshalb, weil das Armutsphänomen zu einem immer größeren Problem wird. Hatten die gesamten fürsorgerischen Anstrengungen der Erziehung zur Arbeitsamkeit bis zum 19. Jahrhundert einen zentralen Konstruktionsfehler – es gab einfach nicht genug Arbeit, über die die Menschen ihr Leben hätten finanzieren können –, ändert sich dies zumindest ansatzweise im 19. Jahrhundert, das gekennzeichnet ist durch Bevölkerungswachstum, zunehmende Verstädterung und Industrialisierung. Die Anpassungs- und Strukturkrisen des 19. Jahrhunderts sind allerdings vielfältig und für etliche Menschen bestehen – gerade angesichts der bedrückenden Arbeitsbedingungen und der geringen Entlohnung – immer noch wenige Chancen, ihr Leben über Lohnarbeit zu finanzieren. Trotz allem finden im 19. Jahrhundert massive Veränderungen in der Armenpolitik statt. So wird 1871 das Heimatprinzip zugunsten des Prinzips des Unterstützungswohnsitzes abgeschafft, um eine weitgehende Mobilität der Arbeiterschaft zu ermöglichen.

Elberfelder System

Maßgeblich für die Reorganisation des kommunalen Armenwesens ist das Mitte der 1850er Jahre entstehende Elberfelder System. Elberfeld – heute ein Stadtteil von Wuppertal – ist eine rasch wachsende Industriestadt, deren Einwohnerzahl sich von 1800 bis 1852 vervierfacht hat. Die damit einhergehende Verschlimmerung der Armutsproblematik drängte auf eine ökonomische Lösung. Diese bestand in einer Aufteilung der Stadt in Bezirke und einzelne Quartiere, verbunden mit konzeptionellen Überlegungen einer durch soziale Nähe gewährleisteten schnellen und effizienten Problemlösung. Das mit dem Prinzip des „visiting“ verbundene Aufsuchen der Familie in der privaten Wohnung eröffnete Möglichkeiten der Verknüpfung von pädagogischer Intervention, materieller Hilfe und Kontrolle bzw. Disziplinierung. Die Armenpfleger und Bezirksvorsteher waren ehrenamtlich tätig und wurden auf drei Jahre gewählt. In der Regel hatte ein Armenpfleger ca. drei bis vier Familien zu betreuen (vgl. KÜHN 1994, S. 6). Alle Gesuche liefen durch seine Hand und gingen an die nächste Bezirksversammlung, die auf höchstens 14 Tage eine Unterstützung gewährte und die auch, sofern das dem Armenpfleger nicht gelang, über die Arbeitsbeschaffung beriet. Das Elberfelder System war nach seiner Einführung lange Zeit erfolgreich. Erst mit der steigenden Mobilität der Arbeiterbevölkerung im Rahmen der voranschreitenden Industrialisierung, die sowohl von Stadt zu Stadt als auch innerhalb der Stadt zu mehrmals jährlichem Wohnortwechsel führte – ständig auf der Suche nach Arbeit – wurde es für die Armenverwaltungen immer schwieriger, die Anspruchsvoraussetzungen (z.B. Unterstützungswohnsitz) zu prüfen. Zusätzlich wurden nicht mehr genügend ehrenamtliche Armenpfleger gefunden, da einerseits die räumliche Nähe des Armenpflegers zu ,seinen‘ Armen aufgrund der Differenzierung der wohlhabenden und armen Stadtteile problematisch wurde, anderseits die Zahl der Unterstützungsbedürftigen enorm gestiegen war. Aus diesen Gründen nahmen die Städte immer mehr Abstand von den ursprünglichen Elberfelder Prinzipien der Quartiersaufteilung und den selbständigen Entscheidungsbefugnissen der Armenpfleger.

Das Straßburger System

Das nachfolgende Straßburger System (1905) unterschied sich vom Elberfelder System vor allem durch die Tatsache, dass die Unterteilung in Quartiere zugunsten einer gröberen Einteilung in Stadtbezirke wegfiel. Die zweite hervorzuhebende Neuerung war die Einrichtung eines zentralen Armenamtes, in welchem nun allein männlichen, hauptamtlichen Armenpflegern die polizeilich-administrativen Aufgaben der Ermittlung, Aktenführung und Kontrolle oblag. Die Hilfebedürftigen stellten nunmehr einen Antrag an den zuständigen Berufsbeamten im Armenamt, der nach Überprüfung der Sachlage den Fall mit einer Stellungnahme an die Bezirkskommission weiterleitete. Die Bezirkskommission entschied über die Art der Unterstützung. Im Fall von kurzfristigen materiellen Hilfen blieb der beruflich tätige Armenpfleger für die Hilfebedürftigen zuständig, die längerfristigen sozialen Hilfen oblagen weiterhin den Ehrenamtlichen, welche zunehmend Frauen waren.

Armen- und Arbeiterversicherung

Während auf der einen Seite die kommunale Armenhilfe immer systematischer eine Individualisierung und Bürokratisierung der Hilfeleistung organisiert, gerät gleichzeitig gesamtgesellschaftlich die frühkapitalistische Ideologie unter Druck, da mit der Gründerkrise ab 1873 die Armut auch von arbeitsbereiten Menschen wieder deutlich zunimmt. Entsprechend radikal lehnt die aufkommende Arbeiterbewegung die etablierte Form sozialer Hilfe ab. Anstelle von Almosen fordert sie Mitbestimmungs- und Mitbesitzrechte, die ,Mildtätigkeit‘ und das ,soziale Engagement‘ sollen in eine gesellschaftspolitische Strategie überführt werden. Armut wird hier als ein dem Kapitalismus immanentes Problem gesehen, dessen Beseitigung allein mit der Veränderung der Produktionsweise einherginge. Artikulationen dieser Art können als ,Geburtshelfer‘ des modernen Sozialstaates bezeichnet werden: Die Armenfürsorge, als politisches Steuerungsinstrument dysfunktional geworden, wird durch die Arbeiterversicherung ergänzt, die ihre Entstehung ebenfalls den widersprüchlichen Tendenzen der Ausgrenzung und der Integration verdankt.

Erste Sozialversicherungen

Die Bismarcksche Sozialversicherung diente somit als ein Herrschaftsinstrument im Sinne von „Zuckerbrot und Peitsche“ (TENNSTEDT 1997). Neben der öffentlich-rechtlichen Zwangsabsicherung großer Teile der Arbeiterschaft und der gering verdienenden Angestellten als sozialpolitische Zielstellung (Zuckerbrot) sollte im gleichen Atemzug der Sozialdemokratie die rebellische Massenbasis entzogen werden (Sozialistengesetz von 1878, Peitsche). Dies dürfte ein historischer Hintergrund der sozialpolitischen Differenzierungsprozesse im deutschen Kaiserreich sein, die zur institutionellen Erfindung des Sozialstaates und der Einführung der Sozialversicherungen führten: Krankenversicherung (1883), Unfallversicherung (1884) und Rentenversicherung (1889). Die Absicherung der Lebensrisiken von Arbeitern war ein entscheidender Einschnitt, insbesondere wenn man die Einrichtung der Arbeitslosenversicherung (1927) mit einbezieht.

Strukturprinzipien der sozialen Sicherung

Mit diesen Ausdifferenzierungen gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben sich Strukturprinzipien etabliert, die trotz aller Veränderung im Detail, auch heute noch Gültigkeit besitzen:

 die Trennung zwischen versicherungsförmig organisierten Ansprüchen von Arbeitenden einerseits und kommunaler Hilfe in Form von Transferleistungen für diejenigen Armen, die aus den Versicherungssystemen herausfallen, also die Trennung von Arbeiter- und Armenpolitik,

 die Trennung zwischen materieller Sicherung und personenbezogener Betreuung, Beratung und Unterstützung im Alltag durch mittlerweile zumeist geschultes Fachpersonal.

Ausdifferenzierung öffentlicher Hilfen

Während diese ersten kollektiven Sicherungen vor allem auf Schutz und auf Sicherheit gegen die Wechselfälle des Lebens zielten (vgl. SCHMIDT 2005, S. 11), rückte zunehmend der Gedanke der Erhaltung und Förderung des Faktors Arbeit in den Vordergrund (Produktivitätsfaktor). Mit dem Anwachsen der Städte im Zuge der Industrialisierung, den dadurch hervorgerufenen Massennotständen und der Zunahme sozialer Problemlagen (schlechte Lebens-, Gesundheits- und Wohnverhältnisse) setzte eine Ausdifferenzierung der allgemeinen Armenfürsorge ein („sociale Fürsorge“). Im Gegensatz zur bisherigen nachträglichen Sicherung bzw. Risikobekämpfung wurden nunmehr (Präventions-)Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit institutionalisiert (vgl. SACHßE/TENNSTEDT 1988, S. 27ff.). Der bisherige Ordnungs- und Schutzgedanke, der bei der Ausdifferenzierung spezifischer Armutsrisiken (Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Alter und Individualität) aus der allgemeinen Armenfürsorge im Vordergrund stand, umfasste nicht mehr nur die Arbeiterschaft und die proletarische Armenbevölkerung, sondern weite Teile der deutschen Bevölkerung. Infolgedessen setzte ein Umdenken im Hinblick auf die Armutsfrage ein: Nicht mehr individuelles Fehlverhalten wurde als Verursachungsfaktor für Armut gesehen, sondern strukturelle Bedingungen von Notlagen.

Ausbau kommunaler Sozialpolitik

Vor allem im Kriegsgeschehen kam es zu einem Ausbau kommunaler Sozialpolitik, die über die traditionelle Armutspopulation und der Bismarckschen Sozialversicherungspolitik hinausging. Der Staat, der bislang von jeglichen sozialpolitischen Maßnahmen absah, übernimmt erstmalig eine soziale Gesamtverantwortung für seine Bürgerinnen und Bürger. Mit dem Zusammenbruch der Monarchie und der Konstitution der Weimarer Republik als demokratischer Staat entsteht der deutsche Wohlfahrtsstaat.

„Der Wohlfahrtsstaat bildete die zentrale Kompromiss- und Integrationsformel der Weimarer Republik, auf die die antagonistischen Kräfte der revolutionären Nachkriegsergebnisse verpflichtet werden konnten. Er verhieß eine Versöhnung der bürgerlich-kapitalistischen Wirtschaftsordnung mit dem Interesse der Arbeiterschaft an einer sozialen Ausgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft. Ihre materielle Lebenssituation sollte staatlich gesichert und ihre demokratische Partizipation staatlich gewährleistet werden. Das Reich als die staatliche Zentralinstanz hatte zunehmend Verantwortung für das Wohlergehen der Bürger übernommen und die Ansprüche einzelner Gruppen von Bedürftigen auf staatliche Unterstützung als grundsätzlich legitim anerkannt … Mit dem wohlfahrtsstaatlichen Gestaltungsauftrag der Weimarer Verfassung weitete sich der Horizont der staatlichen Sozialverantwortung. Die klassisch-liberale Vorstellung einer Trennung von Staat und Gesellschaft war in der demokratisch verfaßten Republik obsolet …“ (PANKOKE/SACHßE 1992, S. 159f.).

Drei Säulen Prinzip der Sozialpolitik

Die mit Kriegsausbruch neben der allgemeinen Armenfürsorge eingeführte „gehobene Fürsorge“ zielte auf die Versorgung der Familienangehörigen der Eingezogenen, der Kriegsbeschädigten und die Hinterbliebenen (vgl. SACHßE 1994b, S. 139ff.). Die Versorgung Weniger (Staatsdiener, Militärangehörige sowie deren Hinterbliebene) wird in der Weimarer Republik auf den Schutz breiter Bevölkerungskreise ausgedehnt. Mit den entstehenden Sicherungssystemen (Versicherung, Versorgung und Fürsorge) wird der Grundstein für das Drei-Säulen-Prinzip der Sozialpolitik in Deutschland gelegt.

Zweck- und Kausalprogrammierung

Die Leistungen des deutschen Sicherungssystems unterscheiden sich in ihren Ordnungsprinzipien, Finanzierungs- und Leistungsformen. Bei der ersten Säule der Versicherung handelt es sich um eine Absicherung gegen die Risiken des männlich codierten Erwerbsarbeitslebens (Alter, Krankheit, Invalidität, später Pflege). Bei einem vorab definierten Risikoeintritt kommt es durch zuvor eingezahlte Beiträge (erworbene Ansprüche) zu einer individuell zurechenbaren Auszahlung (Äquivalenzprinzip). Ebenso einer kausalen Logik folgt die zweite Säule der Versorgung. Bei dem Solidaritätsprinzip handelt es sich um ein Organisationsmodell für diejenigen Sozialleistungen, die den Ausgleich zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft regeln. Die Versorgungssäule basiert nicht auf einem finanziellen Gegenseitigkeitsverhältnis, sondern ihre Finanzierung erfolgt ausschließlich über steuerliche Mittel. Das hat seinen Grund darin, dass Versorgungsleistungen für Dienste entschädigen sollen, die dem Staat erbracht wurden oder für die der Staat die – zumindest politische –Verantwortung übernommen hat. Eine Besonderheit in der Orientierung weist die dritte Säule der Fürsorge auf. Leistungen dieser Säule werden ebenfalls aus allgemeinen Steuermitteln, also im Wege gesamtgesellschaftlicher Solidarität, finanziert. Somit gleicht sie der zweiten Säule, jedoch folgt sie dem Final- oder Bedürftigkeitsprinzip (Um-Zu-Prinzip). Der Unterschied zur den Säulen der Versicherung und Versorgung besteht darin, dass es hierbei keine definierte Zweckbindung gibt, sondern dass der Bedarf an (Sozial-)Leistungen sich nach der konkreten, individuellen Lebenssituation der Betroffenen richtet. Die Leistungen der Sozial- und Jugendhilfe treten zudem nur subsidiär ein. Sie bieten eine Reproduktionsmöglichkeit für diejenigen Personenkreise, die aus eigener Kraft oder unter zumutbarer Zuhilfenahme fremder Mittel auf Dauer oder vorübergehend nicht in der Lage sind, einen angemessenen Lebensunterhalt zu bestreiten (vgl. BÄCKER u.a. 2008).


Abb. 3 Klassisches Drei-Säulen-Prinzip der Sozialpolitik

Erste rechtliche Regelung auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendhilfe

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die erste Institutionalisierung organisierter Hilfen zunächst auf religiösen Weltanschauungen sowie auf den individuellen Bestrebungen einzelner Personen, die sich der Fürsorge von armen und hilfebedürftigen Menschen sowie verlassenen, verwaisten und verwahrlosten Kindern und Jugendlichen annahmen, basierte. Jedoch gab es bereits auch seit Mitte des 19. Jahrhundert erste gesetzliche Regelungen der öffentlichen Kinder- und Jugendfürsorge. Hier war es der Staat Preußen, der mit seinen erlassenen Regulativen versuchte, eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Kinder und Jugendlichen herbeizuführen. Bereits im Jahr 1839 gab es die erste landesrechtliche Grundlage („Preußische Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter“) der Kinderfürsorge, wodurch die Fabrikarbeit für Kinder unter neun Jahren gänzlich verboten wurde, da bei militärischen Musterungen gesundheitliche Beeinträchtigungen, ausgelöst durch die frühe Kinderarbeit, festgestellt worden waren. Zwar wurde bereits mit der „Entdeckung der Kindheit“ (Rousseau) auf die Besonderheiten der kindlichen Entwicklung sowie den damit gesonderten Fürsorgebedarf und den Schutz, den Kinder bedurften, aufmerksam gemacht, nichtsdestotrotz war Kinderarbeit bis dato vollkommen normal. Neben den Schutzvorschriften finden sich die Wurzeln der erzieherischen Tätigkeiten der Gemeinden in der öffentlichen Fürsorge für Zieh- und Haltekinder (so der zeitgenössische Begriff für Pflegekinder), also für Kinder, die in fremden Familien zur Pflege untergebracht waren. Das Pflege- und Haltekinderwesen entstand einerseits aufgrund der finanziellen Notlage der Eltern bzw. alleinstehender Mütter, die, um für den Lebensunterhalt arbeiten zu können, ihre Kinder gegen Entgelt in fremden Familien unterbrachten. Aber auch die Kritik an den bestehenden Waisenhäusern führte dazu, dass die Pflegestellen eine Alternative zur Anstaltserziehung wurden (vgl. SAUER 1979; HECKES/ SCHRAPPER 1988). Da aber auch die Pflegeverhältnisse zum Teil in katastrophalen Zuständen waren (schlechte hygienische Verhältnisse, Unterernährung der Kinder sowie hohe Sterbeziffern (vgl. JORDAN 2005, S. 30), wurden Pflegeverhältnisse von einer polizeilichen Erlaubnis abhängig gemacht. Erst mit der Reform des Vormundschaftswesen (1900) ging man von dem polizeilichen Konzessionssystem zu einer fürsorgerischen Beaufsichtigung über. Den Anfang bildete bereits die Reform der Zwangserziehung, wie sie in den Zucht- und Arbeitshäusern des ausgehenden 19. Jahrhunderts noch zu finden war. Infolge der Erhebungen über die Ursachen von Jugendkriminalität setzte sich die Erkenntnis durch, dass straffällige Kinder und Jugendliche, wenn sie nicht in der Lage waren, das Strafbare ihres Handelns einzusehen, aus der allgemeinen Strafrechtspflege ausgegliedert und einer Erziehung nach dem Grundsatz „Erziehung statt Strafe“ zugeführt werden müssen (vgl. MÜLLER 2001). Als Anstalten für die daraus entstehende Fürsorgeerziehung dienten die Waisenhäuser.

Anfänge der Kinder- und Jugendhilfe

Neben dem Kinderarbeitsschutz, der Fürsorge für Waisenkinder und hilfebedürftige arme Kinder und der Fürsorgeerziehung für verwahrloste Kinder und Jugendliche setzte eine staatliche Regulierung Anfang des 20. Jahrhunderts auch in einem Bereich ein, der im letzten Jahrhundert überwiegend den konfessionellen Vereinigungen überlassen worden war – der Fürsorge für die „normalen“, d.h. nicht auffällig geworden Kinder und Jugendlichen (vgl. UHLENDORFF 2003). Mit der Gründung der Gemeindewaisenräte (Vorläufer der heutigen Jugendämter) zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden erste Organisationen geschaffen, die sich gezielt mit den Belangen von Kindern und Jugendlichen beschäftigten und insbesondere die verschiedenen Bereiche der sich langsam ausdifferenzierenden Kinder- und Jugendfürsorge bündelten.

Da immer nur einzelne Notstände behoben wurden, indem sie entweder einer behördlichen Institution oder einer sich neu bildenden Organisation übertrugen wurden, wies das Fürsorgewesen bei Gründung der Weimarer Republik sowohl in seiner verwaltungsmäßigen Organisation als auch in seinen gesetzlichen Grundlagen ein höchst uneinheitliches Bild. Die Weimarer Verfassung war die erste Rechtsfassung, die einen Grundrechtskatalog enthielt und dem Reich die Verantwortung für die sozialen Probleme der Bevölkerung zusprach (vgl. SACHßE/TENNSTEDT 1988, S. 77). Mit der Gesetzgebungskompetenz des Reiches werden verschiedene für die sozialpädagogischen Dienste maßgebliche Gesetzeswerke verabschiedet.

Diese Fragen sollten Sie beantworten können, wenn Sie Kapitel 3 gelesen haben:

 Mit welchen Prinzipien wurde auf die Überlastung des Almosenwesens reagiert?

 Was ist mit der „Ökonomisierung der Armut“ gemeint, und welche Bewandtnis hat es damit auf sich?

 Welche Gründe gab es für die Einführung des Straßburger Systems?

 Was meint das „Drei-Säulen-Prinzip“ der Sozialpolitik und worin unterscheiden sich die Säulen?

 Welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen prägen die Anfänge der Kinder- und Jugendhilfe?

 Wie hießen die Modernisierungsprinzipien des Mittelalters, die bis heute noch Gültigkeit haben?

Weiterführende Literatur zu Kapitel 3:

Einführende Literatur zur Geschichte der Sozialen Arbeit:

HERING, SABINE/MÜNCHMEIER, Richard (20032): Geschichte der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. Weinheim/München.

SACHßE, CHRISTOPH/TENNSTEDT, FLORIAN (1980): Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland. Vom Spätmittelalter bis zum Ersten Weltkrieg. Bd. 2, Stuttgart u.a.

Zur Geschichte der Kinder- und Jugendfürsorge:

HASENCLEVER, CHRISTA (1978): Jugendhilfe und Jugendgesetzgebung seit 1900. Göttingen.

SCHERPNER, HANS (1966): Geschichte der Jugendfürsorge. Göttingen.

UHLENDORFF, UWE (2003): Geschichte des Jugendamtes. Entwicklungslinien öffentlicher Jugendhilfe. Weinheim/Basel/Berlin.

Zur Sozialdisziplinierung der Sozialen Arbeit:

PEUKERT, DETLEV (1986): Grenzen der Sozialdisziplinierung. Aufstieg und Krise der deutschen Jugendfürsorge von 1878 bis 1932. Köln.

Einführung in die Theorie der Sozialpädagogischen Dienste

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