Читать книгу Einführung in die Theorie der Sozialpädagogischen Dienste - Gaby Flößer - Страница 9
1.1 Sozialpädagogische Dienste im gesellschaftlichen Spannungsfeld
Оглавление„Das sozialpädagogische Jahrhundert“
Das 20. Jahrhundert wird oft als das „sozialpädagogische Jahrhundert“ (THIERSCH 1992; RAUSCHENBACH 1999) beschrieben. Als Belege für diese Zeitdiagnose werden vor allem überdurchschnittliche quantitative Wachstumsraten der sozialen Dienste, des beschäftigten Personals (jeweils verglichen mit anderen gesellschaftlichen Produktionsbereichen, vgl. z.B. RAUSCHENBACH 1992a; ZÜCHNER 2007), der von sozialpädagogischen Diensten erreichten Adressatinnen und Adressaten oder der Bedeutungszuwachs sozialpädagogischer Themen in der Öffentlichkeit herangezogen. Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts scheint sich dieser Trend erst einmal fortzusetzen, obwohl der Sozialstaat und mit ihm auch die Sozialpädagogik seit nunmehr gut einem Vierteljahrhundert in einer Art Dauerkrise verhaftet zu sein scheinen. Hierfür gibt es mehrere Gründe:
Erziehung im Wandel
Die erfolgreiche mediale Vermarktung pädagogischer und sozialpädagogischer Themen (wie z.B. durch Fernsehsendungen wie „Super Nanny“ oder „Teenager außer Kontrolle“) deuten darauf hin, dass das Geschäft mit der Erziehung und der gesellschaftlichen Integration schwieriger geworden ist. Gleichzeitig werden die Aufgabenstellungen für eine gute Erziehung aus der familialen Privatsphäre herausgehoben und nunmehr öffentlich verhandelt, wodurch die Bedingungen der Möglichkeit gelingender Sozialisation ihrer Naturwüchsigkeit beraubt und mit Standards und Mindestanforderungen konfrontiert werden. Ohne schon an dieser Stelle eine vertiefende Analyse vornehmen zu wollen, sind es vor allem modernisierungstheoretische Überlegungen, in deren Zuge die unübersichtlichen Herausforderungen an Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, aber auch Therapeutinnen und Therapeuten, Ärztinnen und Ärzte oder die Polizei betont werden. In diesem Sinne formuliert der Philosoph Dieter Thomä in einem SPIEGEL-Gespräch unter der Überschrift: „Eltern sind Extremisten“:
„Mit Bestimmtheit zu sagen, wie ,richtige Erziehung‘ heute aussehen soll, ist schwer, zu sehr hat die Modernisierung der Gesellschaft die Bedeutung von Familie und Elternhaus verändert, mischen sich Medien in die Pädagogik ein, definieren wirtschaftliche Anforderungen neu, wie lange Jugend dauert, was Reife bedeutet, welche Normen Bestand haben“ (THOMÄ 2001, S. 116).
Das Geschäft mit der Unsicherheit
Des Einen Freud‘, des Anderen Leid? Zumindest erweckt der zeitliche Zusammenfall der öffentlichen Diskurse über Werte, Normen und daraus abzuleitende (sozial)pädagogische Handlungsmuster mit der Expansion der sozialen Dienste den Eindruck, dass die Nöte von Laien und Professionellen, die mit Erziehungsprozessen befasst sind, für die Sozialpädagogik ein großes Geschäft darstellen. Je mehr Probleme, desto größer der Ruf nach sozialpädagogischen Interventionen und wenn man nicht erst warten will, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist, dann ergeben sich schon antizipatorisch vielfältige Beschäftigungsoptionen mit den Risiken der modernen Gesellschaft. Der anhaltende Boom der Sozialpädagogik, das Geschäft mit der Unsicherheit, wird zumindest gegenwärtig auch politisch unterstützt: neue sozialpädagogische Dienste werden gefordert:
Kinderschutz
Kristina Köhler: „Wir werden den Kinderschutz in Deutschland umfassend stärken“
Bundesfamilienministerin gibt den Startschuss für ein umfassendes Kinderschutzgesetz
Die Bundesregierung will den Schutz von Kindern in Deutschland umfassend und wirksam verbessern. Dazu wird die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Kristina Köhler, ein Kinderschutzgesetz auf den Weg bringen, das Prävention und Intervention gleichermaßen stärkt. Auf Einladung von Kristina Köhler treffen sich morgen (Mittwoch, 27. Januar 2010) gut 50 Kinderschutz-Experten und -Expertinnen aus Ländern, Kommunen und von Fachorganisationen zu einem ersten Fachgespräch, um die Rahmenbedingungen für das neue Kinderschutzgesetz abzustecken.
„Der Schutz unserer Kinder vor Misshandlungen und Vernachlässigung hat für mich höchste Priorität“, sagt Bundesfamilienministerin Kristina Köhler. „Ich werde ein Kinderschutzgesetz auf den Weg bringen, das den Schutz von Kindern und Jugendlichen in Deutschland in einem umfassenden Sinne voranbringt. Das Fachgespräch ist der Auftakt für einen intensiven Austausch mit allen relevanten Akteuren. Nur gemeinsam können wir die Gesetzeslücken schließen, die unseren Kindern unendliches Leid zufügen und zum Tode führen können“, so Köhler weiter.
Das neue Kinderschutzgesetz fußt auf den zwei Säulen: Prävention und Intervention. Prävention ist der beste Weg, um Kinder effektiv vor Gefährdungen zu schützen. In den letzten Jahren haben Bund, Länder und Kommunen gerade im präventiven Bereich wichtige Schritte für einen aktiven Kinderschutz unternommen. Hierzu zählen vor allem das Aktionsprogramm „Frühe Hilfen für Eltern und Kinder und soziale Frühwarnsysteme“, die Einrichtung des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen und die vielfältigen Anstrengungen und Programme in Ländern und Kommunen. Jetzt gilt es, die Nachhaltigkeit dieser Anstrengungen bundesweit zu sichern. Schwerpunkte der Säule „Prävention“ sind:
Ein neuer Leistungstatbestand „Frühe Hilfen“ soll flächendeckend niederschwellige Unterstützungsangebote für Familien in belastenden Lebenslagen sicherstellen.
Wir werden niederschwellige und frühe Hilfsangebote für Familien in belasteten Lebenslagen schaffen, noch während der Schwangerschaft und nach der Geburt. Dazu zählt auch eine Verbesserung der Rechtsgrundlagen für Hebammen und Familienhebammen.
Wir werden die Zusammenarbeit im Kinderschutz für alle damit befassten Berufsgruppen und Institutionen stärken und die Grundlagen für verbindliche Netzwerke schaffen.
Alle kinder- und jugendnah Beschäftigten müssen in Zukunft ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen, das über alle einschlägigen Straftaten auch im Bagatellbereich informiert.
Auch die beste Prävention macht die Intervention nicht überflüssig – so wie auch bei bestem Brandschutz nicht auf die Feuerwehr verzichtet werden kann. Schwerpunkte der Säule „Intervention“ sind:
Eine bundeseinheitliche Befugnisnorm zur Weitergabe von Informationen für Berufsgeheimnisträger. Sie soll die von Ärzten wiederholt geforderte Rechtssicherheit bei der Abwägung der Schweigepflicht von Berufsgeheimnisträgern erhöhen.
Wir werden den staatlichen Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung qualifizieren. Durch klare Vorgaben zu Handlungsbefugnissen und -pflichten werden wir mehr Handlungs- und Rechtssicherheit für die mit dem Kinderschutz befassten Professionen schaffen. So sorgen wir dafür, dass die Verantwortung, die auf ihren Schultern lastet, nicht zu groß wird.
Mit einer Verpflichtung des bisher zuständigen Jugendamtes zur Übermittlung notwendiger Informationen an das Jugendamt am neuen Wohnort der Familie werden wir dem sog. „Jugendamts-Hopping“ wirksam begegnen. Denn manche Eltern, die das Wohl ihres Kindes nicht im Blick haben, versuchen sich dem Zugang des Jugendamtes durch Wohnortswechsel zu entziehen. Bundesfamilienministerin Kristina Köhler will das neue Gesetz mit allem Nachdruck, aber auch mit der gebotenen Gründlichkeit, Sorgfalt und Umsicht in intensivem Austausch mit Ländern, Kommunen und der Fachwelt auf den Weg bringen. „Die SPD hat dem Kinderschutz mit ihrer Blockadehaltung in der vergangenen Legislaturperiode keinen guten Dienst erwiesen. Mit der Expertenrunde nehmen wir jetzt den Gesprächsfaden wieder auf. Gemeinsam mit Ländern und Kommunen, aber auch den Kinderschutz-Experten möchte ich einen Entwicklungsprozess in Gang setzen, an dessen Ende ein Gesetz steht, das uns hilft, die vorhandenen Lücken beim Kinderschutz zu schließen“, so Kristina Köhler.
(Pressemitteilung von Bundesfamilienministerin Christiane Köhler zum Kinderschutz am 26. 1. 2010)
Indikatoren des wachsenden Bedarf an sozialpädagogischen Diensten
Als Indikatoren für den wachsenden Bedarf an sozialpädagogischen Diensten und Dienstleistungen werden in diesem Zusammenhang vor allem hervorgehoben:
gestiegene berufliche und regionale Mobilität, Beseitigung existentieller Risiken der Lohnarbeit infolge der Schaffung sozialstaatlicher Sicherungs- und Steuerungssysteme,
gestiegener Bildungsstand bei gleichzeitiger Entkoppelung der Bildungsorganisationen von der ihnen gesellschaftlich zugemessenen Bedeutung von Ausbildung,
eine Ausweitung von Konkurrenzbeziehungen nicht nur auf dem Arbeitsmarkt,
die gestiegene Erwerbstätigenquote, insbesondere ein Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit,
Zuwachsraten im Dienstleistungssektor,
das Entstehen einer „breiten Mittellage“ von Arbeitskräften, die sowohl qualifizierte Arbeiter als auch hochqualifizierte Angestellte und Beamte umfasst,
der Bedeutungsverlust nachbarschaftlicher und verwandtschaftlicher Beziehungen,
die Entwicklung von Kleinhaushalten als vorherrschende Lebensweise und damit verbunden die wachsende Isolation der (weiblichen) Hausarbeit,
die gestiegene Relevanz der Freizeit infolge von Arbeitszeitverkürzungen,
der gestiegene Lebensstandard und erweiterte Konsummöglichkeiten (vgl. PLUM 1990, S. 486).
Indem sich die sozialpädagogischen Dienste durch vielfältige Aktivitäten diesen Folgen des gesellschaftlichen Wandels stellen, profitieren sie von den ansonsten allseits beklagten Risiken der modernen Gesellschaften.
Demographischer Wandel
Ein zweiter Faktor, der das Gesicht der modernen westlich kapitalistischen Gesellschaften nachhaltig prägt, ist der demographische Wandel.
„Nach der mittleren Variante der aktuellen 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes wird die Gesamtbevölkerung bis 2050 um etwa 9 Prozent zurückgehen und die Bevölkerung im Erwerbsalter voraussichtlich überproportional um 20 Prozent schrumpfen, während die Anzahl der über 65-Jährigen und der über 80-Jährigen um 54 Prozent bzw. 174 Prozent zunehmen wird. Deren Bevölkerungsanteil wird dann 29,6 Prozent bzw. 12 Prozent betragen“ (BMFSFJ 2005, S. 36).
Hier kumulieren Effekte, die aus der anhaltend niedrigen Geburtenzahl in Deutschland und der steigenden Lebenserwartung von Frauen und Männern resultieren. Aus den Prognosen der Bevölkerungsentwicklung bis 2050 wird ersichtlich, dass der demographische Wandel vor allem Konsequenzen für die familien- und arbeitsmarktpolitische Steuerung haben wird. Hierzu zählen z.B. Anreize zur Familiengründung und präventive Angebote zur Erhöhung der Anzahl der erwerbstätigen Personen (s. Abb.2).
Ausbau der Altenhilfe
Die beiden zentralen sozialstatistischen Indikatoren, dass die Gesellschaft immer älter wird und zugleich schrumpft, produzieren ambivalente Stimmungen. Auch wenn gegenüber dem letzteren Indikator durchaus Vorbehalte angemeldet werden, da z.B. Migrationseffekte unterbelichtet bleiben, liegt auf der Hand, dass die Zunahme älterer Menschen in Deutschland auch ein Mehr an personenbezogenen Hilfe- und Unterstützungsleistungen bedingen. Während für den Indikator „Schrumpfung“ der Bevölkerung familienpolitische Maßnahmen gefordert werden, hängt die Art von sozialen Dienstleistungen (materielle, sach- oder personenbezogene), die künftig im Zentrum von Aus- und Umbaumaßnahmen in der Altenhilfe stehen, primär von den zugrunde liegenden Altersbildern ab: Wenn das Alter in erster Linie mit einer Abnahme der Lern-, Leistungs- und Adaptionsfähigkeit assoziiert wird, werden älteren Menschen kompensatorische Angebote gemacht werden müssen, die die Defizite der biografischen Phase des Alterns ausgleichen. Geht man dagegen von positiv besetzten Altersbildern aus, die die „Potenziale“ des Alterns betonen, so wird die zukünftige Generation älterer Menschen aufgrund einer voraussichtlich höheren Lebenserwartung, besseren Gesundheitszuständen, eines höheren Bildungsniveaus und einer materiell besser gestellten Situation vermehrten potenziellen Bedarf an Bildungs- und Freizeitangeboten haben. Angesichts des Wissens um und der Nutzung von Lern- und Bildungsarrangements wird durch selbständige und selbstverantwortliche Inanspruchnahme dieser Angebote einerseits die individuelle Lebensführung beeinflusst, andererseits wird ein aktiver Beitrag zum gesellschaftlichen Wohl dadurch geleistet, dass sich der wachsende Anteil älterer Menschen bürgerschaftlich engagiert. Auch wenn in der Öffentlichkeit gegenwärtig der Blick noch stark auf die Konsequenzen des demographischen Wandels für die Sozialversicherungssysteme, insbesondere die Renten- und Krankenversicherung, verengt ist, stehen wachsende Bedürfnisse nach begleitenden, motivierenden und unterstützenden Dienstleistungen auf der Tagesordnung. So fordert z.B. schon der Vierte Altenbericht der Bundesregierung:
„Möglichkeiten der sozialen Partizipation und Integration sind im Alter von besonderer Bedeutung, wobei die jüngeren Alten noch stärker das Bedürfnis nach aktiver Partizipation haben, für die Hochaltrigen jedoch die Kompensation natürlicherweise reduzierter sozialer Kontakte und altersbedingten Rückzugs aus aktiver sozialer Partizipation im Vordergrund stehen muss. Dies schließt die Unterstützung familiärer, nachbarschaftlicher, wohlfahrtlicher und kultureller Angebote ein. Soziale Integration ist für die Lebenszufriedenheit alter Menschen mindestens so wichtig, wie die subjektive Gesundheit und der Einkommensstatus. Sie fördert kognitive Funktionen und die Kreativität der Hochaltrigen. Hochaltrige Menschen, die intensive Kontakte zu ihrer beruflichen Umwelt erhalten haben, können noch wertvolle wissenschaftliche und kulturelle Leistungen vollbringen“ (BMFSFJ 2002, S. 351f.).
Drittens zeitigt die Strukturkrise des Arbeitsmarktes und die Erosion der Leitidee von einer „Arbeitsgesellschaft“ weitreichende Folgen für die sozialpädagogischen Dienste.
Krise der Erwerbsarbeitsgesellschaft
„Mit dem Begriff ,Arbeitsgesellschaft‘ sollte zunächst auf die Zentralität von Erwerbsarbeit in zeitgenössischen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften aufmerksam gemacht werden (…). In Arbeitsgesellschaften formt die Art der Erwerbsarbeit bzw. des Berufs die Welt- und Selbstbilder der Menschen und beeinflusst so auch ihre soziale und personale Identität. Berufliche Leistungen gehen als zentrale Bezugspunkte in die Selbst- und Fremdeinschätzung ein und dienen gemäß dem Leistungsprinzip zugleich dazu, die ungleiche Verteilung von Macht, Reichtum, Wissen und Ansehen zu rechtfertigen. Arbeitsgesellschaften zeichnen sich demzufolge dadurch aus, dass sowohl die Lebens- und Konsumchancen, wie auch die Werthaltungen und Mentalitäten eines großen Teils der Bevölkerung direkt oder indirekt durch die Stellung im und zum Erwerbssystem bestimmt werden“ (BERGER 2001, S. 73; Hervorhebungen im Original).
Insbesondere die Konsequenzen für die Individualbiografie, die aus einem vorübergehenden oder dauerhaften Ausschluss vom Arbeitsmarkt resultieren, bilden in diesem Kontext neue Herausforderungen für sozialpädagogische Dienste. Die durch die Freisetzung vom Arbeitsmarkt bedingte materielle Deprivation kann psychologische, gesundheitliche sowie soziale Probleme sowohl für die direkt Betroffenen als auch für das familiäre Umfeld nach sich ziehen. Für die nachfolgenden Generationen, für Kinder arbeitsloser Eltern, stehen weniger konsumanregende Slogans, wie z.B. „Geiz ist geil“, sondern vielmehr bedingungsloses Zwangssparen auf dem Programm. Damit ergeben sich Aufgaben für die sozialpädagogischen Dienste, indem sie den direkt von Arbeitslosigkeit betroffenen Personenkreis bei der Bewältigung von Arbeitslosigkeit und deren Folgeproblemen unterstützen. An dieser Stelle gilt es, mit personenbezogenen sozialen Dienstleistungen anstelle ausschließlich materieller Leistungen anzusetzen, um somit Chancen zur gesellschaftlichen Teilhabe und Teilnahme sowie auf ein eigenständiges und selbstverantwortliches Leben zu ermöglichen.
Umbau des Sozialstaates
Darüber hinaus weisen auch andere Felder, die sich mit Humandienstleistungen beschäftigen, auf die Notwendigkeit des quantitativen und qualitativen Umbaus des Sozialstaates hin: Die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen z.B. reklamiert neue und auch zusätzliche sozialpädagogische Dienste, wenn den Betroffenen – als Konsequenz eines veränderten Verständnisses des Lebens mit Behinderungen – zukünftig lebensweltorientierte Hilfen und Unterstützungen, die eine (teil)autonome Lebensbewältigung ermöglichen, angeboten werden sollen (vgl. WACKER/WANSING/SCHÄFERS 2005). Der Bedarf an sozialpädagogischen Diensten, so scheint es uni sono, nimmt in modernen Gesellschaften, die ihre Bürgerinnen und Bürger als Akteure ernst nehmen, nicht ab, sondern zu.
Grenzen der Expansion der sozialen Dienste
Die Limitierungen dieses Trends liegen aber gleichermaßen auf der Hand. Anders als in der öffentlich geführten Debatte sind es nicht die Ausgaben für die sozialpädagogischen Dienste, die die Grenzen sozialstaatlicher Aktivitäten markieren, sondern erst einmal die Einnahmen. Da die sozialpädagogischen Dienste steuer- und abgabenfinanzierte Dienstleistungen produzieren, stellt sich die prinzipielle Frage nach der Zumutbarkeit der Kosten für die individuelle Daseinsvorsorge. Wie viele Steuern und Abgaben sind die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen und andere kollektive Akteure bereit zu zahlen, um das gewünschte Maß an wohlfahrtsstaatlich miterzeugter Lebensqualität zu erhalten oder zu schaffen? An dieser Diskussion können sich die sozialpädagogischen Dienste nur mittelbar beteiligen. Antworten auf das „gewünschte Maß an Lebensqualität“ zu finden, obliegt dem politischen System, während der Entwurf entsprechender Szenarien von Kostenberechnungen den Wirtschaftswissenschaften zuzuweisen ist. Die Einflusssphären der in den sozialpädagogischen Diensten handelnden Akteure sind hier begrenzt, obwohl sie sich als beteiligte Akteure, vor allem aber im Interesse ihrer Adressatinnen und Adressaten, nicht auf eine passive Position zurückziehen dürfen. Die „Krise des Sozialstaats“, die Frage nach der individuellen Bereitschaft zur Übernahme von Kosten, der gewünschten Qualität sozialpädagogischer Dienste und Dienstleistungen sowie von dem gesamtgesellschaftlich angemessenen Ausgabenvolumen tangiert die sozialpädagogischen Dienste existenziell.