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VORWORT

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Es heißt, die Liebe sei wie der Wind: Man weiß nie, woher sie kommt, man erfährt nie, wohin sie weht.

Mit der Musik verhält es sich ganz ähnlich. Die Kunst, Musik zu entdecken und in Umlauf zu bringen, ist zunächst einmal nichts Anderes als ein großes Spiel, ein spielerischer Lebens­entwurf. Es sind einsame Jäger, die ihre Beute quer durch den Großstadt-Dschungel jagen, es sind Heilige und Verrückte, Sammler, Wühlmäuse und Freizeit-Archäologen, die ihr Faible für Musik zu einer lebenslänglichen Leidenschaft machen. Sicher, auch den windigen Zockern werden wir in diesem Buch begegnen, doch primär sind es die Connaisseure und Idealisten, denen wir uns hier widmen – den Goldgräbern und Geburtshelfern, den Wahnsinnigen, die das Gras wachsen hören, den Überzeugungstätern, die ihren Rohdiamanten so lange polieren, bis ihn die ganze Welt sehen will.

Beim Schreiben dieses Buches wurde ich mit diversen Hürden konfrontiert, da das dreijährige Buddeln so manchen Stolperstein ans Tageslicht förderte – beispielsweise den Terminus, den Musicbiz-Veteranen regelmäßig benutzten, wenn sie über die Legenden ihres Gewerbes sprachen: »Er war ein echter record man«, hieß es dann immer. Der Respekt, der in ihren Erzählungen mitschwang, ließ erahnen, dass es innerhalb dieses Berufsbildes subtile Nuancen geben musste. Auch wenn er eigentlich banal und nichtssagend klingt, ist record man doch ein ambivalentes Attribut – ein Ausdruck, der durchaus einen schalen Beigeschmack haben kann, in der Regel aber eine Ehrenbezeugung ist, die den echten Musikkennern vorbehalten bleibt.

In einem Spiel, das größtenteils von Schwätzern und Aufschneidern dominiert wird, zeichnet sich der record man dadurch aus, dass er nicht nur ein, zwei Glückstreffer landet, sondern regelmäßig das große Los zieht – oft genug sogar in verschiedenen musikalischen Epochen. Das Buch folgt daher der Fährte von rund 50 Pionieren, die – aus ganz unterschiedlichen Gründen – den Stammbaum des Musikgeschäfts konstituieren.

Hält man sich vor Augen, wie die musikalischen Quantensprünge der letzten 130 Jahre Myriaden von Plattenfirmen auf den Plan riefen, die ihrerseits Tausende von Schallplatten produzierten, so lässt sich die zentrale Bedeutung des record man gar nicht überschätzen. Ein kleines Nugget – oft nur ein dreiminütiger Song – reichte völlig aus, um einen kulturellen Erdrutsch loszutreten, der in seinem Gefolge womöglich einen milliardenschweren Industriezweig zu Tage förderte.

Archive, Fachzeitschriften und Briefwechsel verstorbener Größen, vor allem aber zahllose eigene Interviews wurden ausgewertet, um für dieses Buch Fakten auszugraben, die selbst Musik-Interessierten noch nicht bekannt sein sollten. Ich wollte ein Buch schreiben, das so etwas wie die Bibel des Musikgeschäfts werden sollte – ein Buch, das ich gerne selber gelesen hätte, als ich 17 Jahre alt war und mehr über das Thema erfahren wollte. Ich stellte mir ein Geschichtsbuch in Cinemascope vor, einen Streifzug durch die verflossenen Jahrzehnte, der die wichtigsten Stationen und Protagonisten plastisch auferstehen lässt.

Die Reise startet im Paris des Jahres 1860 und folgt einer eigenwilligen Route über Washington DC, New York, London, Berlin, Memphis, Detroit, Los Angeles nach Jamaika, Südafrika und all den anderen Orten, an denen ein record man plötzlich von der Muse geküsst wurde. Entlang des Weges kamen und gingen die musikalischen Genres, die sich in einem endlosen Prozess gegenseitig befruchteten: Vaudeville, Oper, Blues, Jazz, Hillbilly, R&B, Rock’n’Roll, Folk, Psychedelia, Progressive Rock, Reggae, Disco, New Wave, Post-Punk, Synth-Pop, HipHop, Electronica ...

Überflüssig zu erwähnen, dass das Buch in einer Zeit zu Papier gebracht wurde, in der die Mehrzahl der Experten ein baldiges Ende des traditionellen Geschäftsmodells prognostiziert. Die digitale Revolution, so der Konsensus, habe nun einmal die Grundlagen des herkömmlichen Musikgeschäfts komplett auf den Kopf gestellt. Man stelle sich meinen Schock vor, als ich beim Studium des frühen Musikgeschäfts feststellte, dass es sich dabei wohl um ein krasses Fehlurteil handelt: Das Musikgeschäft in den Zwanzigern und Dreißigern des letzten Jahrhunderts durchlebte einen Crash, der noch um einiges gravierender war als die jüngste, durch die Digitalisierung ausgelöste Umwälzung. Seltsamerweise war das aber den von mir interviewten Industriekapitänen in keiner Weise bewusst.

Der vergessene Crash begann mit dem Siegeszug des Radios und nahm ein fast tödliches Ende, als die 40-jährige Phonogramm-Industrie auf rund fünf Prozent ihres früheren Umsatzes schrumpfte. Während die Banken und privaten Geldgeber den Patienten schon längst abgeschrieben hatten, machten die record men unbeirrt weiter und produzierten ihre Platten – ob nun mit Swing, Blues oder Folk. Es war nicht zuletzt den neuartigen Jukeboxen zu verdanken, dass sich die Lage in den späten Dreißigern langsam aufhellte. Nach einem 20-jährigen Blackout erwachte jedenfalls ein todgeweihtes Format aus dem Koma und schoss plötzlich aus allen Rohren.

Die Vermutung liegt auf der Hand, dass die gegenwärtigen Untergangsszenarien nicht zuletzt deswegen Hochkonjunktur haben, weil wir über die Musikwelt vor Elvis so erschreckend wenig wissen. Wer am Wiederaufbau einer florierenden Musikszene interessiert ist, sollte deshalb einen Schritt zurücktreten, um Gegenwart und Zukunft aus der Distanz der historischen Perspektive beurteilen zu können.

Tatsache ist nun einmal, dass der Rock’n’Roll all seine Charakteristika aus jener vergessenen Jugend bezog: das System der Majors und den Plattenvertrag, die Musikverlage und die Ausschüttung von Tantiemen, Radiostationen und Vertriebsnetze, nicht zuletzt auch das Instrumentarium und das musikspezifische Vokabular. Den Nährboden lieferte ein beispielloses Amalgam, in dem alle Stile der 20er und 30er Jahre verschmolzen waren. Die Geburt des Rock’n’Roll erinnert insofern ein wenig an einen Bonvivant, der einen riesigen Secondhand-Laden betritt, um sich dort sein eklektisches Outfit zusammenzustellen.

Es geschah in diesen tumultösen Jahren des Neubeginns, dass die großen Talentscouts der Rock’n’Roll-Ära ihr Handwerk erlernten. Sie schulten ihr Urteilsvermögen in einer blühenden Musikkultur und besaßen einen sechsten Sinn für geschichtliche Zusammenhänge, aber auch für zeitlose Musik – eine Qualität, von der die Schwarmgeister und Trittbrettfahrer dieser Branche nur träumen können.

Zudem – und auch das werden wir im Verlauf des Buches erfahren – handelt es sich beim Musikgeschäft zwangsläufig um ein zyklisches Phänomen. Auf eine Jahrhundert-Ernte folgen unweigerlich auch unfruchtbare Perioden. Mag sein, dass wir uns gerade in einer Dürre-Phase befinden, doch selbst das können wir erst mit Sicherheit wissen, wenn wir uns eine langfristige Perspektive zu eigen machen. Auch wenn es zutrifft, dass sich zur Zeit immer weniger Rock’n’Roll-Entrepreneure in die Untiefen des digitalen Zeitalters wagen, so liegt das Musikgeschäft doch keineswegs auf dem Sterbebett. Auch heute gibt es eine Gruppe von Einzelkämpfern, die sich durch die unwirtliche Wüste quälen – beflügelt nur von ihrem unerschütterlichen Glauben an die Macht der Musik. Nicht auszuschließen, dass die gegenwärtigen Veränderungen im Rückblick sogar als Ära der unbegrenzten Möglichkeiten gesehen werden. Wenn die Flüsse wieder Wasser tragen, werden die Auserwählten Viadukte und hängende Gärten bauen, werden neue Visionäre noch größere Tempel und Marktplätze konstruieren. In einem Metier, in dem die Jugend stets nach neuen Sounds und Ideen verlangt, wird es immer die record men geben, die dieses Bedürfnis befriedigen. Sie sind diejenigen, die das Lagerfeuer am Knistern halten.

Wenn mir bei meinen Begegnungen mit den Machern – vor allem im Indie-Lager – eine Eigenschaft ins Auge fiel, so war es ihr unerschütterlicher Glaube. Anders als die Mitläufer, die sich gerne mit prominenten Namen und süffigen Anekdoten brüsten, sind die echten Visionäre seriös, diskret und nüchtern, meiden das Rampenlicht und die Verlockungen des großen Geldes. Ihre Ziele folgen in der Regel einem höherem Motiv: Praktisch hinter jedem stilbildenden Label versteckt sich eine sehr spezifische Geschichte, die gewöhnlich tief im Charakter des jugendlichen Gründers verankert ist. Dies sind die Schirmherren der musikalischen Gegenwart, dies sind die Propheten, die die Geschichte des Musikgeschäfts verinnerlicht haben und sich gleichzeitig in der Rolle des Richters und Schutzengels sehen.

Das Spektrum der Akteure ist dabei gewaltig – und das altbekannte Klischee von »Majors contra Indies« bringt uns nicht weiter: Viele legendäre record men haben für Major-Label gearbeitet. Unbestritten aber ist, dass sich für alle Protagonisten irgendwann einmal die gleiche Frage stellt: Musik oder Geld? Genau aus diesem Grund haben wir – in Anspielung auf die Cowboys und Indianer unserer Sandkasten-Jahre – das vorliegende Buch auch »Cowboys & Indies« genannt. Wie die alten Indianer-Häuptlinge sind die neuen Helden der Musikwelt von einer Mission erfüllt: Sie wollen nicht nur ihr Dorf retten, sondern eine ganze Kultur. Die Cowboys hingegen sind die Opportunisten, die nur planlos um sich schießen. In ihrer unangenehmsten Inkarnation sind es Zocker, Bauernfänger oder Kopfgeldjäger, für die es am Ende nur um die Zahlung des Lösegelds geht. Dazwischen gibt es natürlich auch noch die halbblütigen Grenzgänger – oft genug komplizierte und komplexe Charaktere, die ständig die Seiten wechseln, weil sie sich zwischen Idealismus und Zockerei nicht entscheiden können.

Im Filmgeschäft heißt es oft, dass Regisseure die besseren Interviewpartner sind. Ich denke, dass diese Faustregel auch aufs Musikgeschäft zutrifft: Die record men sind ergiebigere Gesprächspartner als die Stars, die sie aufgebaut haben. Sie sind gleichzeitig Zeitzeugen und Katalysatoren, sie kennen die wahren Geschichten, sie wissen, wer diese Stars wirklich sind und wem sie ihren Durchbruch zu verdanken haben. Sie sahen in ihnen den ungeschliffenen Diamanten, handelten ihre Verträge aus, überwiesen ihre Tantiemen und warfen die große Hype-Maschine an. Macht man sich ihre Perspektive zu eigen, stellt sich das große Spiel in einem gänzlich neuen Licht dar.

Denn seltsamerweise sind es fast nie die Stars, die über ihren Tellerrand hinausschauen können. Wer das Kreieren und Aufführen von Musik zu seinem Lebensinhalt macht, geht gewöhnlich in dieser Tätigkeit völlig auf. Oft genug stehen Musiker unter dem Druck, ihre einmal erreichte Position verbissen zu verteidigen und sich gegenseitig zu bekämpfen. Anders der große Impresario hinter den Kulissen: Er kann die Achterbahnfahrt entspannt und belustigt verfolgen, er steht hinter der Bühne, zieht die Fäden, zählt die Einnahmen – und verfolgt die Ereignisse aus sicherer Distanz.

Einen Kitzel gibt es allerdings, mit dem jeder Pop-Dompteur klarkommen muss: das Gefühl, ein unberechenbares Monster an seiner Leine zu haben. Es gibt in diesem Buch horrende Anekdoten von Manipulation und Größenwahn, und doch scheinen selbst derartige Exzesse der Musik nie etwas anhaben zu können: Wann immer es in der populären Musik einen neuen Thrill zu entdecken gibt, tanzt die Welt bereitwillig mit. (Wobei die Finanzierung von Musikaufnahmen wohl immer ein Risiko bleiben wird. Wie jeder Zirkusdirektor bestätigen kann, gibt es mit Sicherheit gefahrlosere Wege, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.)

Auf unserer Panorama-Reise durchs 20. Jahrhundert können wir auch verfolgen, wie die beginnende Globalisierung zu gegenseitigen Befruchtungen führt. Der traditionelle Austausch, der auf beiden Seiten des Atlantiks gepflegt wurde, hat das Musikgeschäft seit den Anfängen am Laufen gehalten. Es ist kein Zufall, dass viele der großen record men aus Amerika und England gleichzeitig auch Abenteurer waren, die die Welt bereisten und ihre Zukunft in einer der aufstrebenden neuen Metropolen suchten. Im Verlauf des Buches werden sich diesbezüglich einige biografische Parallelen herauskristallisieren. Im letzten Kapitel, »Prophezeiungen« betitelt, werden sich vielleicht auch einige ewige Wahrheiten über dieses eigentümliche Phänomen eröffnen, das wir gemeinhin Popmusik nennen.

Indem ich die Geschichte des Musikgeschäfts an ihren Pionieren festmachte, wollte ich die Geheimnisse lüften, die sich hinter dem großen Vorhang verbergen. Machen wir uns also auf den Weg und beginnen unsere Odyssee durch die musikalischen Universen, die unsere Väter und Vorväter begeisterten. Es ist kein Zufall, dass am Anfang unserer Reise eine technologische Revolution steht.

Cowboys & Indies

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