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2 DIE ANWÄLTE HABEN DAS WORT
ОглавлениеIn einem Museum in Washington DC stand Emile Berliner vor einer Kopie des Phonautographen, den Scott de Martinville 30 Jahre zuvor in Paris entwickelt hatte. Die waagrecht geschnittenen Rillen, die so fundamental anders waren als Edisons senkrechte Zylinder, beschäftigten seine Fantasie. Weitergehende Recherchen führten ihn zu dem Design von Charles Cros und der Frage, ob die waagrechte Scheibe vielleicht sogar noch ein Patent abwerfen würde. Berliner machte sich an die Arbeit und entwickelte das »Gramophone«, das ebenfalls mit einer flachen Scheibe arbeitete. Er hatte noch immer viele offene Fragen zu lösen, doch schließlich war er nicht nur Geiger, Pianist und Komponist, sondern hatte auch – noch bevor in San Francisco die ersten Jukeboxen aufgetaucht waren – die künftige Anwendung der tönenden Maschinen vorausgesagt.
Als er am 16. Mai 1988 seinen Prototypen im Franklin Institute vorstellte, hatte er seinen Vortrag unter den Titel »Das Grammophon – Das Präparieren der menschlichen Stimme« gestellt. Er machte die Prognose, dass »künftige Generationen in der Lage sein werden, das tonale Abbild eines ganzen Lebens auf die 20 Minuten dieser Scheibe zu komprimieren«. Er ließ klingende Namen wie den der italienischen Sopranistin Adelina Patti fallen und behauptete, dass »prominente Sänger, Redner und Bühnenkünstler Tantiemen aus dem Verkauf ihrer Phonautogramme beziehen werden. Wertvolle Aufnahmen werden registriert werden, um die Aufnahme vor unrechtmäßiger Veröffentlichung zu schützen. Die Sammlungen dieser Phonautogramme werden im Wert ständig steigen – und ganze Abende werden damit verbracht werden, durch lange Listen interessanter Aufnahmen zu gehen.«
Berliner mochte ein Hellseher sein, doch glauben wollte ihm damals niemand. 1893 hatte er immerhin einen neuen Prototypen gebaut, dessen Vorzüge gegenüber dem Phonographen er nun mit Nachdruck propagierte: Dank seiner Erfindung konnte man eine Master-Aufnahme künftig unbegrenzt vervielfältigen.
Ein weiterer Geniestreich bestand darin, sich der Dienste von Fred Gaisberg zu versichern. Gaisberg war ein Aufnahme-Ingenieur mit einem immensen musikalischen Wissen – vermutlich der erste A&R-Mann, den die noch junge Industrie kannte. A&R stand für Artist und Repertoire – diejenige Abteilung einer Plattenfirma, die sich mit dem Entdecken und Betreuen neuer Talente beschäftigt.
Berliners Bemühungen, kapitalkräftige Investoren zu finden, war allerdings wenig Glück beschieden, zumal sich die wirtschaftliche Großwetterlage merklich eingetrübt hatte. Nach einem ausgewachsenen Börsencrash hatte die »Panik von 1893« die gesamte Geschäftswelt zum Erliegen gebracht. Ein Überangebot an Silber hatte dazu geführt, dass Silber-Bestände in Gold umgetauscht wurden. Doch als Amerikas Gold-Reserven das gesetzlich festgelegte Mindest-Niveau erreicht hatten und die Banken mit hochverzinslichen Anleihen dagegenzusteuern versuchten, kam es an der Börse zu massiven Verlusten. 15000 Firmen und 500 Banken meldeten Konkurs an. Die anschließende Depression löste antisemitische Sentiments aus: In den populären Cartoons der Tageszeitungen waren es die Rothschilds, die für den Crash verantwortlich gemacht wurden.
Da er selbst kein geborener Verkäufer war, engagierte Berliner einen methodistischen Geistlichen, um bei der Bell Telephone Company, seinem früheren Arbeitgeber, Interesse für seine neue Erfindung zu generieren. Seine früheren Kollegen wollten ihren Ohren nicht trauen, als sie sich eine schwammige Aufnahme anhören mussten, auf der Berliner mit fettem deutschen Akzent »Twinkle Twinkle Little Star« sang. Der Spott war ihm gewiss: »Ist der Berliner wirklich so weit gesunken? Wie traurig. Wenn er uns eine sprechende Puppe präsentiert hätte, wären wir ja vielleicht in der Lage gewesen, etwas Geld für ihn zu sammeln.«
Für Edward Easton sah die Welt weitaus rosiger aus. Aggressiv bewarb er Columbias Produktpalette in allen auflagestarken Zeitschriften: McClure’s, Cosmopolitan, Munsey’s, Harper’s und so weiter. Obwohl die Rezession die Konsumfreude merklich gedämpft hatte, erfreute sich Columbia derartiger Zuwachsraten, dass Easton sein Headquarter von Washington nach Manhattan verlegt hatte und Außen-Büros in Chicago, Philadelphia, St. Louis, Baltimore und Buffalo unterhielt.
1896 kehrte obendrein Edison auf den Markt zurück. Er hatte seinen Prozess gewonnen, die entsprechenden Patente zurückbekommen und konkurrierte nun mit Columbia an allen Fronten. Er baute seinen eigenen Musikkatalog auf und senkte die Preise für seinen uhrwerkbetriebenen Phonographen auf 40 Dollar. Ein Jahr später bot er sogar ein Gerät für 20 Dollar an. Zum Weihnachtsgeschäft 1897 drehte Columbia den Spieß um und bot ein Graphophone für zehn Dollar an. Der Preiskrieg ging in die vorläufig letzte Runde, als Edison ein Gerät namens »Gem« für gerade mal 7.50 Dollar in die Läden stellte. Innerhalb von fünf Jahren hatte sich der Markt für sprechende Maschinen radikal verändert und sprach nun einen völlig neuen Kundenkreis an.
Berliner war sich schmerzhaft bewusst, dass er ebenfalls einen aufziehbaren Antrieb brauchte. Im Februar 1896 meldeten sich Berliners Techniker bei einem Bastler namens Eldridge Reeves Johnson, der eine Nähmaschinen-Reparatur in Camden/ New Jersey betrieb. Es war eine Begegnung, die Johnson zu einem der reichsten Amerikaner seiner Generation machen sollte.
Auch wenn Johnson später scherzte, Berliners Prototyp habe wie »ein leidlich trainierter Papagei mit kratziger Kehle und verschnupftem Kopf« geklungen, war er von den Möglichkeiten doch fasziniert. Er war auch desillusioniert, was sein Nähmaschinengeschäft anging, das trotz jahrelanger Schufterei kaum einen Profit abgeworfen hatte. Johnson begann, sich in seiner Freizeit in die Feinheiten des Gramophones zu vertiefen. Indem er die mechanischen Abläufe straffte, schaffte er es, die Herstellungskosten drastisch zu reduzieren. Binnen kurzer Zeit wurde er der Hauptlieferant von Berliners Maschinen.
Auch bei der Suche nach einem alerten Werbe-Profi waren Berliner und seine Partner fündig geworden: Frank Seaman war selbstbewusst, überzeugend und versprühte einen natürlichen Optimismus. Seaman bot Berliner einen Deal an, den dieser nicht ablehnen konnte: Seaman verzichtete auf ein Honorar, forderte dafür aber einen 15-jährigen Exklusivvertrag für seine Werbeagentur. Innerhalb der bestehenden Firmenstruktur gründete er eine weitere Firma, bezog Büros im Musikdistrikt des Broadways und fing damit an, das Gramophone in Zeitschriften aggressiv zu bewerben.
Fred Gaisberg, Berliners Musikdirektor, stellte zu seiner Freude gleichzeitig fest, dass seine Firma zwar beim Umsatz hinterherhinkte, aber trotzdem keine Probleme hatte, namhafte Interpreten an Land zu ziehen, die sich für die Walzentechnologie und deren hochkomplizierten Aufnahmeprozess nicht erwärmen konnten. Der erste große Fisch an der Angel war der italienische Tenor Ferruccio Giannini, der verkürzte Arien aus »Rigoletto«, »Traviata«, »Trovatore« und »Cavalleria Rusticana« einsang. Berliner und Gaisberg nahmen Redner, Prediger, Freigeister und Schauspieler auf, schafften es aber auch, den damals sehr populären John Philip Sousa und seine U.S. Marine Band von Columbia loszueisen und exklusiv für Gramophone unter Vertrag zu nehmen.
Als sich das Jahr 1898 ans Ende neigte, konnte Frank Seaman Verkäufe in Höhe von über einer Million Dollar vermelden. Nichtsdestotrotz sorgte die internationale Expansion, die Berliner vorantrieb (»Deutsche Grammophon« in Deutschland und die »Gramophone Company in England) für Irritationen – sowohl bei Columbia als auch in seinem eigenen Team. Seaman schmollte, weil er sich eine weltweite Rolle gewünscht hatte, sein Vertrag aber nur das nordamerikanische Territorium abdeckte. Edward Easton wiederum, von Berliners Wachstum aufgeschreckt, versicherte sich der Dienste eines einflussreichen Patentanwalts aus Washington. Niemand konnte die kommenden Entwicklungen vorhersehen, doch Tatsache war, dass die juristischen Schlachten der kommenden Jahre den Lauf des Musikgeschäfts im gesamten nächsten Jahrhundert beeinflussen sollten.
Philip Mauro, der ominöse Patentanwalt, stellte ein »Gramophone« auf den Tisch und beschäftigte sich eingehend mit dem mechanischen Innenleben. Anschließend nahm er die Geschäftsstrukturen des Gegners unter die Lupe – und reichte im Oktober 1898 Klage gegen Seamans Firma ein, da sie die Copyrights an der federnden Aufhängung der Gramophon-Nadel von Bell und Tainter verletze. Mit einer brillanten Doppelstrategie wollte Mauro nicht nur das wirtschaftliche Wachstum des Gramophones eindämmen, sondern auch Unfrieden zwischen den Geschäftspartnern säen. Es waren drei Firmen, die den Gewinn untereinander aufsplitteten: Eldridge Johnson verkaufte die Maschinen mit einer 25-prozentigen Gewinnmarge an Berliner, Berliner schlug 40 Prozent auf, bevor er sie an Seaman weiterverkaufte. Mauro hatte aus wohlinformierten Kreisen erfahren, dass Seaman mit seinem Deal nicht glücklich sei, da er allein aus seinem Gewinn die immensen Werbungskosten zahlen musste.
Als die Klage vor Gericht zugelassen wurde, konnte Mauro den Richter zwar von der Patent-Verletzung überzeugen, doch Seaman legte Einspruch ein und gewann erst einmal Zeit. In der Überzeugung, die gesamte Konkurrenz ausstechen zu können, ließ er heimlich das »Zonophone« produzieren, das sich nur in äußerlichen Details von Berliners »Gramophone« unterschied. Im März 1899 gründete er unter dem gleichen Namen eine neue Firma, meldete sie aber in einem anderen Gerichtsbezirk an. Im Oktober stellte er abrupt die Aufträge für das »Gramophone« ein – was die Firmen von Berliner und Johnson an den Rand des Ruins brachte.
Für Berliner und seine Partner kam Seamans Aktion aus heiterem Himmel. Da sie aber in Seamans Firma keine Mitsprachemöglichkeit hatten, blieb ihnen nur der Weg zum Kadi. Für Eldridge Johnson war die finanzielle Notlage besonders prekär: Er besaß zwar 50000 Dollar in »Gramophone«-Aktien, hatte sich aber gerade tief verschuldet, um eine vierstöckige Fabrik zu bauen.
Die Lage wurde völlig unübersichtlich, als Seamans Einspruch gegen die Columbia-Klage vor Gericht verhandelt wurde. Mit einer Drehung um 180 Grad bestätigte Seaman plötzlich Mauros Unterstellung, dass Gramophone das Patent von Bell und Tainter verletze. Der Richter erließ eine Einstweilige Verfügung, worauf Berliners Geschäftstätigkeit in den USA de facto beendet war. Zwei Wochen später unterschrieben Seaman und Mauro einen Vertrag, mit dem sie sich gegenseitigen Rechtsschutz und kommerzielle Optionen zusicherten.
Da Berliner in den USA nicht mehr tätig werden konnte, blieb Johnson nur die Alternative, seine Aktien zu verkaufen oder die Insolvenz anzumelden. Obwohl er keine eigenen Patente besaß, hatte er aber noch ein As im Ärmel: Drei Jahre lang hatte er nun Berliners Schallplatten intensiv studiert. Ihm war aufgefallen, dass die unsauber geschnittenen Rillen eine raue, metallische Klangfarbe nach sich zogen. Indem er mit wachshaltigen Mischungen experimentierte, gelang es Johnson, ein besseres, wärmeres Klangbild zu entwickeln. Seine Anwälte rieten ihm allerdings vom Gang zum Patentamt ab, da sie befürchteten, seine neue Mischung verletzte Bell & Turners Patent auf wachshaltige Walzen.
Um seine Schulden abzubezahlen, engagierte Johnson ein Verkaufsgenie namens Leon Douglass, der mit einem aberwitzigen Plan aufwartete: Im Herbst 1900 investierte Douglass die Hälfte von Johnsons letzten 5000 Dollar in eine riskante Kampagne: »Gramophone records FREE!« Die Anzeigen forderten Gramophone-Besitzer dazu auf, sich ein kostenloses Muster von Johnsons verbesserter Schallplatte zuschicken zu lassen. Die Idee war zündend genug, um die Lawine zum Rollen zu bringen.
Seaman reagierte umgehend und behauptete in einer Anzeigenkampagne, das »Zonophone« sei der einzig legitime Plattenspieler. »Gramophone«-Besitzern drohte er sogar mit strafrechtlichen Konsequenzen und schickte Briefe an Händler, um Johnsons Reputation auch auf dieser Ebene zu unterminieren. Emile Berliner, der drei Prozesse gegen Seaman angestrengt hatte, musste obendrein auch noch private Tiefschläge verdauen. Die neugeborene Tochter Alice rang nach einer mysteriösen Darminfektion mit dem Tod. Ende 1900 war sie acht Monate alt, wog aber nicht einmal acht Pfund.
Als Berliner an ihrem Krankenbett saß, muss das Dickicht von Klagen und Gegenklagen auf ihn wie ein Albtraum gewirkt haben. Mit dem Strippenzieher Mauro im Hintergrund argumentierte Seaman inzwischen, dass »Zonophone« nur eine Fassade für Berliners alte Firma sei. Doch als er am 1. März 1901 vor Gericht erschien, sprach Eldridge Johnson den Richter direkt an und lieferte einen flammenden Appell. Es gelang ihm, einen überzeugendem Einblick in die dunklen Machenschaften seiner Widersacher zu geben. Als er den Gerichtssaal verließ, war jedenfalls seine juristische Position so stark wie nie. Ihm blieb zwar verboten, das »Gramophone«-Trademark in den USA zu benutzen, doch er konnte all seine Produkte ohne Beschränkungen verkaufen.
Johnsons nächster Schritt bestand darin, mit Berliner eine neue, dauerhafte Vereinbarung zu treffen. Ein komplexer, aber doch fairer Vertrag wurde geschlossen, durch den Berliners Patente auf die »Consolidated Talking Machine Company« überschrieben wurden, die sich im Anschluss in »Victor Talking Machine« umbenannte. Johnsons neue Fabrik arbeitete rund um die Uhr und lieferte bereits im ersten Jahr 7570 Grammophone aus.
Doch dann kam Philip Mauros nächster Paukenschlag. Jahre zuvor hatte ein Laufbursche namens Joseph Jones einen Sommer lang in Berliners geheimem Labor gearbeitet. Nachdem er beobachtet hatte, welche Probleme Berliner mit seinen Master-Scheiben aus Zink hatte, glaubte der junge Mann, in Wachs das bessere Trägermaterial gefunden zu haben. Im November 1897 hatte er einen Patentantrag gestellt, der dann aber unbearbeitet im Patentamt vor sich hinschlummerte. Bis Philip Mauro auf der Bildfläche erschien.
Joseph Jones hatte sich in der Zwischenzeit mit einem zwielichtigen Entrepreneur namens Albert Armstrong zusammengetan und die kleine Firma »Standard Talking Machine« gegründet, die Abspielgeräte mit zwei Lautsprechern produzierte und waagerecht abspielende Tonträger benutzte, obwohl sie dafür keine Lizenz hatte. Natürlich hatte Berliner geklagt, doch mit Mauros juristischer Hilfestellung hatten Jones und Armstrong ihre Firma abgemeldet, um gleich eine neue zu gründen. Mauro hatte sich derweil um Jones’ Patentanmeldung gekümmert. Um an dem explosionsartig wachsenden Markt für Schallplatten partizipieren zu können, hatten sie ein kompliziertes Firmengeflecht aufgebaut, über das Columbia nun ebenfalls die waagrechten Tonträger verkaufte. Die Platten zierte ein Logo mit dem Namen »Climax«, um pro forma zu demonstrieren, dass Columbia diese Platten nicht produzierte, sondern nur vertrieb.
Dank Mauros juristischer Finesse wurde Jones am 10. Dezember 1901 das Patent tatsächlich erteilt. Easton und Mauro jubilierten: Mit Hilfe von Jones’ Patent konnte nun auch Columbia ganz legal waagrechte Tonträger mit ihrem Logo verkaufen. Johnson und Douglass reagierten mit einer nicht minder zündenden Idee: Nachdem sie gehört hatten, dass sich die Hersteller der getürkten Tonträger ausgenutzt fühlten, kaufte Johnson sie auf und produzierte nun Platten mit seinem »Viktor Talking Machine«-Logo. Als Easton eine dieser Platten in die Hand bekam, ging er durch die Decke und bestellte umgehend Mauro ein – genau wie es sich Johnson und Douglass vorgestellt hatten. In langwierigen Verhandlungen kam man zu einem Kompromiss: Victor verkaufte die Fabrik für die ursprünglichen 10000 Dollar an Columbia, während Columbia samt aller Tochterfirmen zustimmte, sämtliche Verfahren gegen Viktor einzustellen.
Am 8. Dezember 1903 endete das vierjährige Drama mit einem gegenseitigen Lizenzabkommen: Victor und Columbia warfen ihre Patente in einen Topf und etablierten damit in punkto waagrecht spielender Platte praktisch ein Monopol. Edward Easton war besonders glücklich mit dem Resultat: Sein Erzfeind Thomas Edison würde sich an dem neuen Format nicht beteiligen können. Eldridge Johnson hatte ebenfalls Grund zur Freude: Er, der früher defekte Nähmaschinen repariert hatte, war nun in einer beneidenswerten Situation, da ihm letztlich die Früchte von Berliners Erfindung in den Schoß fielen.
Selbst Emile Berliner, der große Verlierer der Saga, konnte mit dem Ausgang durchaus zufrieden sein. Angesichts der schlitzohrigen Geschäftsleute, mit denen er sich plötzlich konfrontiert sah, konnte er fast schon froh sein, nicht alles verspielt zu haben. Eldridge Johnson würde das Gramophone bauen, das sich Berliner ausgedacht hatte, dafür aber dem Erfinder bis an sein Lebensende Tantiemen zahlen. Um auch noch diesen Stein aus dem Weg zu räumen, kaufte Berliner Frank Seamans US-Firma für 135000 Dollar, um sie dann endgültig zu schließen.
Auch in seinem Privatleben war der sensible Berliner an einer Tragödie vorbeigeschrammt. Nachdem er den Verdacht geschöpft hatte, dass Bakterien in der unpasteurisierten Milch für die Darmprobleme seiner Tochter verantwortlich waren, hatte er sich von den beratenden Ärzten getrennt und kochte die Milch für seine Tochter nun zunächst ab. Langsam aber sicher erholte sich das Kind und legte an Gewicht zu. An ihrem ersten Geburtstag im April 1901 wog sie fast 20 Pfund.
Das persönliche Fegefeuer hatte Berliners Prioritäten grundlegend verändert. Fortan verwendete er einen Großteil seiner Tantiemen für Flugblätter zur Milch-Hygiene, die er in amerikanischen Schulen verteilen ließ. Der Mann, der die Schallplatte erfunden hatte, sprach nun bei Gesundheitsverbänden und Politikern vor und wurde das Sprachrohr für die Sicherheit der Schulmilch.
Das Goldene Zeitalter der Erfinder war an ein Ende gekommen. Thomas Edison und Emile Berliner waren von schnelleren, smarteren Akteuren abgehängt worden, doch die noch junge Schallplattenindustrie war gesund und begann nun selbstbewusst auf ihren Beinen zu stehen. Es waren Anwälte und Vertriebsleute, verstärkt aber auch Musiker, die fortan das Kommando übernehmen sollten.