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1 SPRECHENDE MASCHINEN
ОглавлениеUnsere Geschichte beginnt in Paris. All die Verästelungen, die den genealogischen Baum der späteren Musikbranche bilden – Produzenten, Label, Musiker –, lassen sich auf dieses konkrete Datum zurückführen. Wir schreiben das Jahr 1853. In einem kleinen Buchladen in der Rue Vivienne sitzt ein Mann auf seinem Stuhl und blättert in einem Manuskript. Der 36-Jährige ist der Schriftsetzer Édouard-Léon Scott de Martinville, der gerade ein neues Physikbuch Korrektur liest. Er blättert eine Seite um und ist spontan fasziniert von einem Diagramm, das das Verhalten von Klangwellen darstellt. Während er noch die seltsam gekrümmten Wellenlinien vor ihm betrachtet, reift in seinem Kopf eine Idee heran – die Idee für eine Maschine.
Nachdem er jahrelang mit der Frage nach einer adäquaten Umsetzung schwanger gegangen ist, kommt er schließlich zu einer ebenso simplen wie überzeugenden Lösung: Halte dich an die Natur! Seine Klangaufzeichnungs-Maschine soll ein Stift sein, an dem sich ein mechanisches Ohr befindet. Ein trichterförmiges Empfangsgerät würde die eingehenden Schallwellen auffangen, so wie das Außenohr den Klang zum Trommelfell leitet. Zwei elastische Membrane sollen dann die Funktion des Trommelfells übernehmen, während verschiedene Hebel die Knöchelchen des Mittelohrs nachempfinden würden, das Klangwellen in der Flüssigkeit des Innenohrs zu mechanischen Impulsen verwandelt. Eine Wildschweinborste am Ende des mechanischen Ohrs würde dann die Vibrationen auf eine mit Ruß beschichtete Glasplatte ritzen.
Am 25. März 1857 reichte er das Konzept bei der »Académie des sciences« in Paris ein und erhielt im Laufe des Jahrs das Patent für den »Phonautograph« oder Klangschreiber – das erste Instrument, mit dem sich Klänge aufzeichnen ließen. Da ihm die technischen Möglichkeiten fehlten, selbst einen Prototypen zu bauen, setzte sich Scott de Martinville mit einem Handwerksmeister namens Rudolph Koenig zusammen. Seine Werkstatt befand sich auf der Ile Saint-Louis, der kleinen Insel im Herzen von Paris, und war von Martinvilles Buchladen zu Fuß erreichbar. Die beiden trafen sich sporadisch, um die Fortschritte ihres Projekts zu besprechen – bis am 9. April 1860 zum ersten Mal eine menschliche Stimme auf der schwarzen Glasplatte verewigt wurde. Es schien ein Wink des Schicksals, dass der Erfinder nicht sprach, sondern sang – nämlich das populäre französische Wiegenlied »Au clair de la lune«: »Im Mondschein, mein Freund Pierrot, leih mir deine Feder, um ein Wort zu schreiben. Meine Kerze ist erloschen, ich habe kein Licht mehr. Öffne mir deine Tür, um der Liebe Gottes willen.«
Wissenschaftliche Journale und Ausstellungen waren damals in aller Munde, neue Ideen verbreiteten sich schneller denn je und machten auch vor unüberwindbaren Ozeanen nicht mehr halt. 1866 wurde ein Telegrafenkabel auf dem Grund des Atlantiks verlegt, um Europa und Amerika in Sekundenschnelle zu verbinden. Für junge, neugierige Köpfe mit einem Faible für wissenschaftliche Errungenschaften war es das Goldene Zeitalter.
Einer dieser schlauen Köpfe war ein schottischer Teenager namens Alexander Graham Bell, von seiner Familie Aleck genannt. Sein Name verbindet sich gemeinhin mit der Erfindung des Telefons, doch er war auch dafür verantwortlich, dass die Erfindung aus Paris ihren Weg nach Amerika fand, wo das Phänomen der Telekommunikation schon bald ein explosionsartiges Wachstum verzeichnen sollte. Als Philanthrop und überzeugter Pionier akustischer Innovationen war er indirekt auch für die Gründung von Columbia Records mitverantwortlich – dem ältesten Label der Musikgeschichte. Die Fachwelt dankte es ihm, indem sie die akustische Messgröße »bel« – wie in Dezibel – nach ihm benannte.
In seinem Fall war es eine ungewöhnliche Triebfeder, die seine Neugier beflügelte. Sein Großvater war ein renommierter Sprachtherapeut für taube Kinder gewesen, sein Vater Melville hatte ein phonetisches System namens »Visible Speech« erfunden, das Gehörgeschädigten das Sprechen ermöglichen sollte: Für jeden einzelnen Laut, den die menschliche Stimme erzeugen konnte, gab es eine Schautafel, die genau die Stellung von Lippen, Zähnen und Zunge wiedergab. Aleck, der mit einer tauben Mutter aufwuchs, verstand schon in jungen Jahren, dass Gehörlose weniger unter der ständigen Stille litten, sondern mehr unter der frustrierenden Unfähigkeit, mit der Außenwelt kommunizieren zu können. Es war eine Hilflosigkeit, die mit dafür verantwortlich war, dass viele von ihnen in Gefängnissen oder geschlossenen Anstalten landeten.
Seit seinem 16. Lebensjahr arbeitete Aleck als Lehrer für Spracherziehung in London und Edinburg. Zur gleichen Zeit häuften sich bei Melville Bell die Einladungen, sein »Visible Speech«-Projekt an amerikanischen Universitäten vorzustellen. Von dem Zynismus der englischen Wissenschaftler zunehmend abgestoßen, schienen die Möglichkeiten der Neuen Welt mit jedem Tag attraktiver zu werden.
Es geschah just zu diesem Zeitpunkt, dass die Bell-Familie vom Schicksal gleich doppelt getroffen wurde. Kurz hintereinander starben die beiden Brüder von Aleck an Tuberkulose – in der damaligen Zeit, reich an Kohleöfen und feuchten Behausungen, nicht einmal ungewöhnlich. Als Aleck, von seiner Doppelbelastung durch Lehrtätigkeit und Forschung sichtlich erschöpft, ebenfalls zu kränkeln begann, trafen seine besorgten Eltern eine folgenschwere Entscheidung: Aleck waren 23 Jahre alt, als die Familie alle Besitztümer verkaufte und 1870 in die Neue Welt übersiedelte.
Von ihrer familiären Tragödie noch immer gezeichnet, ließ sich die dezimierte Familie auf einer Farm am Grand River in Ontario nieder. Aleck verbrachte seinen ersten Sommer in Kanada im Zustand der Apathie. Er legte sich ein Kissen ins Gras, las ein Buch nach dem anderen und lebte in seiner eigenen Welt. Die zögerliche Rückkehr zur Normalität begann, als seine Neugier von einem nahegelegenen Reservat geweckt wurde, in dem die hier ansässigen Mohawk-Indianer lebten. Er bat den Häuptling, ihre Sprache studieren zu dürfen – und erhielt die Erlaubnis, dem Unterricht in ihrer Schule beizuwohnen. Der spielerische Kontakt mit den Kindern trug offensichtlich dazu bei, die dunklen Wolken aus seinem Kopf zu vertreiben.
1874 nutzte Melville Bell seine Kontakte zu amerikanischen Universitäten, um seinem Sohn einen frischen Start ins Berufsleben zu ermöglichen. In Boston übernahm Aleck einen Job als Spezialist für Sprachtherapie. Kaum am Hauptbahnhof angekommen, verliebte sich Aleck in die Stadt und fand wieder zurück in seine lieb gewonnene Routine aus Forschung und Lehre. Während eines Ferienaufenthalts in Ontario bastelte Bell seine eigene Version von Martinvilles Phonautograph und beschäftigte sich zunehmend mit den akustischen Möglichkeiten der Maschinen.
Neugier mag dafür verantwortlich sein, Augen zu öffnen, doch die Zufallsbegegnungen sind es, die einem die Türe aufstoßen. Als erfolgreicher Therapeut hatte sich Bell in der Gehörlosen-Gemeinde von Boston schnell einen Namen gemacht. Eines Tages wurde er im Anschluss an einen Vortrag von dem wohlhabenden Geschäftsmann Gardiner Hubbard angesprochen, der für seine taube Tochter Mabel einen Privatlehrer suchte.
Während er Mabel Hubbard das Sprechen beibrachte, hinterließ Bell bei der gesamten Familie Hubbard einen bleibenden Eindruck. Er war der geborene Gentleman, hatte die besten Manieren, war 1 Meter 92 groß, perfekt gekleidet, besaß pechschwarze, nach hinten gekämmte Haare. Er hatte sich selbst das Klavierspielen beigebracht und unterhielt seine Gastgeber mit schottischen Balladen, viktorianischen Walzern oder ein paar Chopin-Sonaten, die er komplett auswendig gelernt hatte.
Es dauerte nicht lange, bis ihn die Hubbards praktisch in ihre Familie aufgenommen hatten. Wie der Zufall es wollte, galten Gardiner Hubbards Interessen – finanziell wie politisch – zu diesem Zeitpunkt gerade der Telegrafen-Industrie. Nach dem Eisenbahn-Boom in den 1840er Jahren war es der zukunftsträchtigste neue Industriezweig, der allerdings daran krankte, dass eine der größten US-Firmen – Western Union – den Markt kontrollierte. Gardiner Hubbard machte sich dafür stark, das Monopol zu brechen und den Markt auch für die Konkurrenz zu öffnen.
Als ihm Hubbard seine Theorien zum Telegrafen-Geschäft darlegte, ließ Bell durchblicken, dass er sich selbst schon seine Gedanken über die Möglichkeit von Klangübertragungen gemacht habe. Er sei sogar nahe daran, eine bahnbrechende Entdeckung zu machen, frage sich aber, ob er ohne Patent damit an die Öffentlichkeit gehen solle. Als Engländer, der er noch immer war, hatte er nicht einmal die Möglichkeit, ein US-Patent zu beantragen. Hubbard, der sich als Anwalt auf derartige Fragen spezialisiert hatte, hörte aufmerksam zu und bot juristische wie finanzielle Hilfe an.
Er sollte nicht der einzige Förderer bleiben. Durch die Kontakte seines Vaters hatte sich Bell mit einem Professor am Massachusetts Institute of Technology angefreundet, der ihn über den Stand der wissenschaftlichen Debatten zu diesem Thema auf dem Laufenden hielt. Eine gewisse Mrs. Sanders, Bells neue Vermieterin, hatte sogar heimlich ein Zimmer ihres Hauses ganz auf Bells Bedürfnisse einrichten lassen. Zu seinem 27. Geburtstag organisierte sie eine Überraschungsparty, zu der auch die Schüler seiner Gehörlosen-Klasse gekommen waren. Bell, den Tränen nahe, erhielt den Schlüssel zu seinem ersten eigenen Laboratorium.
Seine 18-stündigen Arbeitstage, sieben Tage die Woche, sollten bei dem blassen, erschöpften Bell allerdings schnell ihre Spuren hunterlassen. Migräne-Anfälle standen auf der Tagesordnung. Das grundlegende Konzept eines Telefons hatte sich zwar in seinem Kopf herauskristallisiert, doch er wollte sich nicht mit anderen Forschern austauschen, da er mit Recht vermutete, dass auch andere Erfinder dem Geheimnis auf der Spur waren. Als er an einem Abend im Hubbardschen Wohnzimmer wieder einmal Klavier spielte, hielt er plötzlich inne und stand auf. Ihm war die Bedeutung eines kleinen Tricks aufgegangen, den er oft auf seinem alten Klavier in Schottland gespielt hatte: Wenn er einen beliebigen Ton in den Resonanzkörper des Klaviers sang, ließen die Klangwellen die entsprechende Saite harmonisch vibrieren. Sangen zwei Stimmen zwei verschiedene Noten, reagierten die beiden entsprechenden Saiten mit Schwingungen. Was bedeutete: Wenn mehrfache, »harmonische« Signale durch die Luft transportiert werden konnten, mussten sie auch über ein einziges Kabel übertragbar sein.
Hubbard überzeugte Bell, seine Arbeiten an diesem »harmonischen Telegrafen« weiter zu forcieren und ließ seine Verbindungen spielen, um ein Treffen mit Western Union-Boss William Orton zu arrangieren.
Zwei Jahre zuvor hatte Orton die Patente an einem telegrafischen System gekauft, das von einem jungen Erfinder namens Thomas Edison entwickelt worden war. Dank Edisons Erfindung, »Quadruplex« genannt, war es nun möglich, durch Modulation der Wellenlänge vier verschiedene Signale gleichzeitig durch ein Kabel zu jagen. Und dummerweise hatte Orton erst vor kurzem das Patent eines »harmonischen Telegrafen« gekauft, das ihm von einem gewissen Elisha Gray angeboten worden war. Der mächtige Western Union-Boss lehnte sich also lächelnd in seinem Sessel zurück und zeigte an Bells Prototypen wenig Interesse.
Auch wenn das Meeting enttäuschend verlaufen war, so wussten Bell und Hubbard doch immerhin, wo ihre Konkurrenz stand. Bell widmete sich daraufhin verstärkt dem Telefon, während sich Hubbard durch die Unterlagen des Patentamts kämpfte, um sicherzustellen, dass Bells revolutionäre Idee noch nicht von einem anderen Erfinder angemeldet worden war. Offensichtlich war das nicht der Fall, doch Hubbard begann sicherheitshalber damit, alle Briefe und Notizen von Bell zusammenzustellen, in denen er das Telefon erwähnt hatte.
Es war für Bell eine nervenaufreibende Zeit, da ihn alle Menschen in eine andere Richtung zu zerren versuchten. Sein Vater predigte ihm, sich lieber um seine regulären Jobs zu kümmern, also die tauben Kinder zu betreuen und »Visible Speech« an der Boston University zu lehren. Gardiner Hubbard, inzwischen offiziell als Investor eingestiegen, war hingegen genervt, dass Bell so wenig Zeit in seinem Labor verbrachte. Und um die Gemengelage noch zu verkomplizieren hatte sich Bell auch noch in Mabel Hubbard verliebt.
Bezeichnenderweise war es die Beschäftigung mit der Taubheit, die ihm weiter auf die Sprünge half. Mit Hilfe des Phonautographen wollte er demonstrieren, wie eine defekte Mechanik im Ohr zur Taubheit führt – und beschäftigte sich daher immer mehr mit einer künstlichen Membran. Als ihm bewusst wurde, dass er in punkto Elektrizität noch erhebliche Wissenslücken hatte, engagierte er einen versierten Tüftler namens Thomas Watson. Gemeinsam entdeckten sie schon bald, dass der Elektromagnet Eigenschaften besaß, die ihn zur Klangübertragung prädestinierten.
Bells erster wichtiger Durchbruch war der Transmitter – so etwas wie ein frühes Mikrofon, das Klangwellen in elektrische Impulse umwandelte. Es war nicht zuletzt Hubbards juristischem Know-how zu verdanken, dass es Bell war, dem 1876 das Patent für das Telefon zugesprochen wurde. Der krönende Augenblick aber kam, als ihm im gleichen Jahr auf der Weltausstellung in Philadelphia eine »Gold-Medaille« überreicht wurde. Es dauerte nicht lange, bis es in Wissenschaft und Industrie niemanden gab, der nicht über Bells Erfindung sprach.
Zufall oder Schicksal? Einer der Zuschauer, die sich auf der Weltausstellung das Telefon anschauten, war Emile Berliner, der wenig später das Konzept der Schallplatte entwickeln sollte. Auch wenn er damals nur einer der anonymen Besucher war, so entdeckte Berliner doch gleich die Achillesferse von Bells Apparatur: Es mangelte an der notwendigen Verstärkung der Klangwellen – anders gesagt: Der Sprecher musste schon schreien, um am anderen Ende gehört zu werden.
Emile Berliner schien allerdings keineswegs prädestiniert, Bells Modell zu verbessern. Sechs Jahre zuvor hatte der junge Deutsche mit jüdischen Wurzeln seine Heimat verlassen, um der Einberufung zum Deutsch-Französischen Krieg zu entgehen. Er hatte keinerlei wissenschaftliche Vorbildung, arbeitete inzwischen aber immerhin als Hausmeister in einem Chemielabor, nachdem er sich zuvor mit allen möglichen Jobs über Wasser gehalten hatte. Seit seiner Ankunft in Amerika war Berliner aber wild entschlossen, seine berufliche Situation zu verbessern. Er hatte nicht nur die Abendschule besucht, sondern hielt auch im Labor die Augen auf, wenn die Chemiker ihre Versuche machten.
In seinem gemieteten Zimmer begann er selbst mit Experimenten. Er bastelte einen Transmitter, den Vorläufer des heutigen Mikrofons, mit dem sich die Lautstärke des Inputs erhöhen. Bell kaufte umgehend das Patent und engagierte Berliner für sein Entwicklungsteam.
Es gab aber noch einen dritten Mann, der die technische Entwicklung genau verfolgte: Thomas Edison. Da Bells Telefon die von Edison dominierte Telegrafen-Industrie revolutionieren würde, fragte sich Edison, ob das geschriebene Telegram vielleicht von einem gesprochenen Telegramm abgelöst werden würde. Er beschäftigte sich bereits mit einer Schreibmaschinenähnlichen Tastatur, die dem Abspielen von Sprachaufnahmen dienen sollte.
Wie Berliner hatte auch Edison keine akademische Ausbildung erhalten, sondern war in einer Kleinstadt in Ohio von seiner Mutter zu Hause unterrichtet worden. Mit zwölf Jahren verkaufte er Süßigkeiten und Zeitungen an den Haltestellen der örtlichen Eisenbahnlinie. Seinen Eintritt in die Welt der Wissenschaft verdankte er einem bizarren Zufall: Nachdem er dem Sohn eines Stationsvorstehers das Leben gerettet hatte, indem er ihn vor einem führerlosen Zug wegzog, gab man ihm zum Dank einen Job in der Telegrafenabteilung von Western Union. Er nützte die Nachtschicht, um eigene Experimente zu machen, wurde aber gefeuert, nachdem er Säure verschüttet hatte, die sich durch den Fußboden fraß und den Schreibtisch seines Vorgesetzten verätzte. Immerhin konnte er 1874, noch vor seinem 30. Geburtstag, sein Quadruplex-System an Western Union verkaufen und erhielt dafür die stolze Summe von 10000 Dollar. Mit dem Geld eröffnete er sein eigenes Labor in Menlo Park/New Jersey, wo er sich gleichzeitig mit Klang, Licht und kabelloser Telegrafie beschäftigte.
In den hektischen Monaten nach Bells Erfindung stieß Edison auf eine neue Idee, um Klänge auf einen Tonträger zu bannen. Da er selbst teilweise taub war, befestigte er eine Nadel an der Membran. Brachten Klangwellen die Membran zum Vibrieren, konnte er die Veränderung der Lautstärke als Nadelstiche spüren. Während er noch mit seiner Apparatur herumspielte, kam ihm eine weitere Erleuchtung: Wenn Klangwellen eine Nadel zum Vibrieren brachten, musste es doch auch möglich sein, dass die Klangwellen Spuren auf einem Papier hinterlassen, ja vielleicht sogar Informationen speichern – ganz so, wie sein Telegraph Löcher in das Laufband stanzte. Er entwarf eine neue Apparatur, bei der die Nadel die Klangwellen auf eine rotierende Walze mit Stanniolpapier gravierte.
Und er hatte einen weiteren Genieblitz: Wenn man einen Klang »schreiben« konnte, musste es im Umkehrschluss doch auch möglich sein, diesen Klang zu reproduzieren. Niemand, auch nicht der brillante Kopf von Alexander Bell, war bislang auf den Gedanken gekommen, dass das riesige Ohr des Phonautographen auch als Lautsprecher benutzt werden konnte. Ende 1877 sang Edison ein Wiegenlied in den Prototypen seines Phonographen. Er wollte seinen Ohren nicht glauben, als bereits beim ersten Mal die Wiedergabe einwandfrei funktionierte.
Sechs Monate zuvor, am 30. April, hatte ein französischer Schriftsteller und Erfinder namens Charles Cros den Entwurf einer vergleichbaren Maschine bei der »Académie des sciences« in Paris eingereicht. Die Idee der Klangwiedergabe lag in der Luft. Das Konzept des Franzosen (das mit einem vertikalen Zylinder arbeitete) lag allerdings ungeöffnet im Archiv, während Edison weiter an seiner Maschine arbeitete. Nachdem die Nachricht von Edisons Erfindung auch in Paris die Runde gemacht hatte, bestand Cros darauf, dass sein versiegelter Brief geöffnet und öffentlich vorgelesen werde.
In den kommenden Wochen berichteten amerikanische Zeitungen über Edisons Erfindung der »Talking Machine« (wie von nun an alle Aufnahmegeräte genannt wurden). US-Präsident Rutherford B. Hayes lud ihn sogar in Weiße Haus ein, um seine Erfindung vorzustellen – was aber die kursierenden Gerüchte nicht zum Verstummen brachte, dass es sich bei der Maschine um einen ausgemachten Schwindel handele. Eines Tages bekam Edison einen Überraschungsbesuch von dem einflussreichen Bischof John Heyl Vincent, der eine Flut von obskuren biblischen Versen in den Trichter schmetterte. Als der Phonograph den zusammenhanglosen Sermon wortgetreu wiedergab, sagte der Bischof: »Ich bin nun überzeugt. Es gibt keine Menschenseele in den Vereinigten Staaten, die all diese Namen im gleichen Tempo aufsagen könnte.«
Der öffentlichen Aufmerksamkeit zum Trotz fand Edisons Erfindung keine Investoren. Mit der Erfindung der Glühlampe einige Monate später hatte er mehr Glück: Mit Unterstützung von J. P. Morgan und der Vanderbilt-Familie gründete er die Edison Electric Light Company und prophezeite: »Wir werden Elektrizität so billig machen, dass nur noch die Reichen Kerzen anzünden werden.«
Nachdem er bemerkt hatte, dass sich Edison fortan auf das elektrische Licht konzentrierte, kletterte Graham Bell erneut in den Ring und finanzierte geheime Forschungen, mit denen er Edisons vielversprechende Entdeckung verbessern wollte. Bells Leben hatte sich radikal verändert, nachdem das Telefon die industrielle Erfolgsgeschichte jener Jahre geworden war. 1880 verlieh ihm die französische Regierung den mit 10000 Dollar dotierten »Volta-Preis«. Da er das Geld nicht anderweitig benötigte, gründete er das »Volta-Labor« und engagierte seinen Neffen Chichester Bell sowie Charles Sumner Tainter, einen weiteren talentierten Wissenschaftler.
Nach vierjährigen Forschungen präsentierte Bells Team das »Graphophone«, eine deutlich verbesserte Version von Edisons sprechender Maschine. Sie hatte eine Walze aus Wachs, eine frei pendelnde Abtastnadel sowie einen stethoskopischen Trichter, mit dem die Klangqualität erhöht werden sollte. Als sie mit ihren Patenten die Runde machten, führte sie ihr erster Gang zu Thomas Edison, der aber – mit seinem florierenden Glühlampen-Geschäft voll beschäftigt – dankend ablehnte.
Der junge Mann, der die »Graphophone«-Patente schließlich kaufte, hörte auf den Namen Edward Easton und sollte als Gründungsvater von Columbia in die Geschichte eingehen. Der einstige Gerichtsstenograf, von Natur aus aufgeweckt und ambitioniert, hatte für 25000 Dollar die aufsehenerregende Geschichte des Prozesses verkauft, in dem der Mörder von US-Präsident James A. Garfield vor Gericht stand. Er war danach wieder aufs College gegangen, hatte Jura studiert und war mit 29 Jahren ein betuchter Mann, der nach geschäftlichen Möglichkeiten Ausschau hielt. Sein Partner bei seinem ersten Projekt war Colonel James Payne, ein Veteran des amerikanischen Bürgerkriegs.
1887 überschrieb das »Volta Laboratory« die Patente an Eastons und Paynes neue Firma »American Graphophone Company«. Ihr Plan bestand darin, mit dem Graphophone ein Diktiergerät anzubieten, das in allen Regierungsbehörden in Washington stehen sollte. Um die Maschinen herzustellen, mieteten sie sich einen Teil einer darbenden Nähmaschinen-Fabrik in Bridgeport/Connecticut an.
Es war zu diesem Zeitpunkt, dass sich endlich auch ein etablierter Industriemagnat für das Thema zu erwärmen begann. Jesse Lippincott, ebenfalls Bürgerkriegsveteran, hatte ein Vermögen mit Glaswaren gemacht, sollte aber auch als erster Verlierer in die Annalen des Musikgeschäfts eingehen. Nach dem Tod seiner Frau war er 1884 ins Waldorf Astoria gezogen und ein vertrautes Gesicht in Manhattans High Society geworden. Die New Yorker Zeitungen nannten ihn nur »the Pittsburgh Millionaire«. Von Bells Telefon fasziniert, war sich Lippincott sicher, mit einer Investition in die sprechenden Maschinen ein Vermögen machen zu können.
Er verkaufte die Aktien seiner Glas-Manufaktur für eine Million Dollar und überzeugte Edison, ihm für 500000 Dollar das Phonograph-Patent sowie die Mehrheit der Edison Phonograph Company zu verkaufen. Danach trat Lippincott in Verhandlungen mit Easton und Payne ein. Es sollte sich als cleverer Schachzug erweisen, dass Easton ihm sein Patent nicht verkaufte, sondern stattdessen anregte, Lippincott könne für 200000 Dollar die Lizenz an den US-Rechten erwerben. Ausgenommen davon sollte allerdings Washington DC sein, wo Easton Columbia Phonograph gegründet hatte, um den Regierungsbehörden seine Diktiergeräte zu verkaufen.
Lippincott unterschrieb die entsprechenden Verträge und machte sich daran, das erste und einzige Monopol für eine Industrie aufzubauen, die sich mit der Aufnahme von Sprache und Musik beschäftigte. Er übernahm das erfolgreiche Geschäftsmodell von Bells Telefon-Unternehmen und unterteilte die USA in verschiedene Vertriebsregionen. Lizenzierte Händler konnten für jährlich 40 Dollar ein Gerät mieten, um es dann interessierten Konsumenten zugänglich zu machen.
Trotz eines halbwegs vielversprechenden Starts schrieben Lippincott und seine regionalen Statthalter schnell rote Zahlen. Edward Easton machte sich auf den Weg, um vor Ort der Misere auf den Grund zu gehen. Im März 1890 reiste er von der Ost- zur Westküste, besuchte 31 der Lizenznehmer und führte praktisch die erste landesweite Studie der blutjungen Aufnahmeindustrie durch.
Zu seiner Überraschung wurde Easton mit einem Phänomen konfrontiert, das niemand auf dem Schirm gehabt hatte. Ein Lizenznehmer in San Francisco bot den Phonographen als eine »Pay to Play«-Jukebox an. Er hatte die Maschine in ein attraktiv gestaltetes Holzgehäuse integriert, das Gehäuse mit einem Münzeinwurf ausgestattet – und hatte diese Jukeboxen dann in Spielhallen, Saloons, Drugstores und anderen öffentlichen Plätzen aufgestellt. Das Phänomen war bereits von Kalifornien auf andere US-Städte übergesprungen. Die durchschnittlichen Einnahmen dieser münzbetriebenen Phonographen lagen bei 50 Dollar die Woche. Den größten Zulauf hatte offensichtlich eine Jukebox in einem Drugstore in New Orleans, die angeblich wöchentlich 500 Dollar abwarf.
Innerhalb eines Jahres begann Lippincotts kunstvoll aufgebautes Monopol zu zerbröckeln. Die regionalen Lizenznehmer verlangten nach besseren Konditionen, Edison und Easton lagen sich wegen der Produktionsquoten ihrer Phonographen in den Haaren – und Ersterer kämpfte sogar darum, die an Lippincott veräußerten Patente zurückzukaufen. Während Edison in einer langfristigen Auseinandersetzung verstrickt war, nützte Easton die Gelegenheit, um sich als alleiniger Geschäftsführer seiner Firma zu etablieren. Eine der ersten Entscheidungen, die er traf, bestand darin, seinem überarbeiteten Graphophone einen Federaufzugsmotor zu geben, der eine gleichmäßige Klangwiedergabe ermöglichte.
Während Edison von einem zweijährigen Prozess in Anspruch genommen wurde, brachte Columbia 1894 das »Graphophone Type G Baby Grand« an den Start, das im Einzelhandel 75 Dollar kostete. Der clevere Edward Easton, der inzwischen die Rechte an einem substanziellen Katalog von Musik- und Comedy-Aufnahmen besaß, spürte instinktiv, dass die Zeit gekommen war, die tönenden Maschinen direkt an den Endverbraucher zu verkaufen.