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10 Der mächtige Gallimard

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Auf dem Höhepunkt der Verwicklungen mit Olga, zum Ende des akademischen Jahres 1935–36, verließ Sartre endlich Le Havre, um eine neue Stelle in Laon anzunehmen, das einen Schritt näher an Paris lag. Er hoffte, nach einem Jahr nach Paris versetzt zu werden. De Beauvoir arbeitete bereits dort, sie zog von Rouen nach Paris, als er Le Havre in Richtung Laon verließ.

In Laon wiederholte sich das bisherige Muster erneut: Sartre liebte es zu unterrichten, aber er konnte die meisten seiner Kollegen nicht leiden. Er wurde aufgrund seines Widerstands gegen Autorität und insbesondere weil er sich weigerte, an langweiligen Meetings teilzunehmen, weitgehend abgelehnt. Es geht das Gerücht, dass ein solches geschwänztes Meeting zu einem Faustkampf im Lehrerzimmer zwischen unserem Boxer und einem Kollegen geführt habe.

Vor Laon und der Schlägerei hatten Sartre und de Beauvoir ihre Urlaube in Italien verbracht, wo sie die Nachricht vom Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges vernahmen. Insbesondere Sartre begann, sich zunehmend für Politik zu interessieren. Der Anblick der verheerenden Armut in Italien und später in Griechenland hatte eine größere Wirkung auf ihn als die Hakenkreuze in Deutschland und trieb ihn zur politischen Linken. Er verfolgte die Ereignisse in Spanien genau und las öfter die Zeitung, als dass er sich die Sehenswürdigkeiten Roms ansah. De Beauvoir beklagte, dass er einen großen Teil des Sommers 1936 in Gedanken mit Spanien, Deutschland und Olga beschäftigt war.

In dieser gesamten Zeit schrieb Sartre trotz Unterricht, Depression, dem lauernden Hummer, Deutschland, Spanien und Olga weiter. Nichts hielt Sartre jemals vom Schreiben ab. „Man hat mir meine Gebote unter die Haut genäht. Wenn ich einen Tag nicht schreibe, brennt die Narbe; wenn ich zu leicht schreibe, brennt sie auch“ (Die Wörter, S. 124).

Ende der 1930er-Jahre hatte er druckreife Werke angesammelt wie Patronenkugeln in einem Maschinengewehrmagazin. Seine erste bedeutende Veröffentlichung war im Jahre 1936 Die Imagination. Eine psychologische Kritik, die erste, weniger originelle Hälfte von Das Imaginäre. Zu Sartres Enttäuschung hatte Alcan die bahnbrechende zweite Hälfte abgelehnt, die erst 1940 als die heute berühmte Die Psychologie der Einbildungskraft veröffentlicht wurde, auch bekannt als Das Imaginäre. Sein kompakt geschriebenes posthusserlianisches Meisterwerk Die Transzendenz des Ego wurde ebenfalls 1936 als Artikel publiziert und im darauffolgenden Jahr als Monographie. Es zählte bald zum Kanon der Schlüsseltexte zur Phänomenologie.

In den Jahren nach dem Meskalin und nach Olga hatte er seine Kindheitsgewohnheit, Kurzgeschichten zu schreiben, wieder aufgegriffen. Als erste erschien, wenn auch nicht als erste geschrieben, Die Mauer in der Ausgabe der Nouvelle Revue Française vom Juli 1937.

Die Erzählung spielt im Spanischen Bürgerkrieg und erkundet die unterschiedlichen Arten, wie eine Gruppe von Gefangenen mit der Aussicht umgeht, bei Morgengrauen vor einer erbarmungslosen Wand erschossen zu werden. Die Geschichte handelt von typisch existentialistischen Themen wie Verzweiflung, Tod, dem Absurden, Sinnlosigkeit und Nihilismus. Darüber hinaus erforscht sie die existenzielle Wahrheit, dass das Leben keine andere Wahrheit hat als den relativen Sinn, den wir ihm mit unseren Vorhaben geben. Im Glauben, dass seine Zeit abgelaufen sei, kann die Hauptfigur Ibbieta keine anderen Pläne fassen, als mit Würde zu sterben, infolgedessen erscheinen ihm alle Dinge und menschliche Vorhaben absurd.

Obwohl sehr einfach geschrieben und zugleich psychologisch äußerst tiefgründig, wurde Die Mauer mit ihrer Behandlung der verbreiteten Bedenken gegen den Krieg in Spanien eine Sensation. Es war das Werk, das Sartre erstmals in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit rückte, eine Aufmerksamkeit, die er seitdem nicht wieder losließ. Es folgten weitere, vergleichbar brillante Kurzgeschichten: Intimität, Das Zimmer, Herostrat und Die Kindheit eines Chefs. Diese Geschichten wurden später in einem Sammelband veröffentlicht und keiner anderen als Olga Kosakiewicz gewidmet.

Doch was wurde aus dem „Faktum über die Kontingenz“, dem Meisterwerk unter den Meisterwerken, dem philosophischen Roman, dem er jahrelang sein Herz, seine Seele und seine Geisteskräfte gewidmet hatte? Nizan, der sich bereits als Romancier einen Namen gemacht hatte, unterbreitete auf Sartres Bitten das Manuskript Gallimard. Gallimard lehnte es Ende 1936 ab. Sartre verstand nicht, warum. Er vergoss darüber Tränen der Enttäuschung und Frustration; es war eines der wenigen Male, dass jemand ihn weinen sah. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass es eine Verwechslung gegeben hatte. Das Werk wurde als Beitrag für die Nouvelle Revue Française abgelehnt, die auch von Gallimard herausgegeben wurde.

Sartres Freunde, die sein Manuskript gelesen hatten und vollauf begeistert davon waren, konnten wie er die Ablehnung nicht glauben. Sie erwiesen sich als entscheidend dabei, das Werk auf den richtigen Schreibtisch zu bekommen. Pierre Bost besuchte den Eigentümer des Verlags, Gaston Gallimard, persönlich und Charles Dullin, ein alter Freund Gallimards, der Sartre über Simone Jollivet kannte, legte ein gutes Wort ein. Der mächtige Gallimard stimmte zu, das Buch selbst zu lesen.

Im April 1937 lud Gaston Gallimard Sartre in sein Büro – eine Vorstellung, von der Millionen angehender Autoren träumen. Der große Verleger liebte alles außer dem Titel Melancholia – eine Anlehnung an Albrecht Dürers berühmten Kupferstich Melencolia aus dem 16. Jh. Verleger ändern gerne die Arbeitstitel von Autoren und Gallimard schlug klugerweise Der Ekel vor. Das Buch erinnerte ihn an das Werk Kafkas, während sein Geschäftspartner Jean Paulhan es mit Dostojewskij verglich. Nach einem solch hohen Lob und einigen kleinen Überarbeitungen wurde das Buch im folgenden Jahr veröffentlicht. Gallimard fragte Sartre, ob er bis dahin zufällig einige Kurzgeschichten für die Nouvelle Revue Française habe, und Sartre bot ihm Die Mauer an.

Unter den zahlreichen Briefen, die Sartre als Reaktion auf Die Mauer erhielt, befand sich auch das Angebot einer Lehrerstelle in Paris. Diese würde endlich dem Unterricht in der Provinz, den Zugfahrten in sein geliebtes Paris, wann immer er konnte, und den bedrückenden Sonntagabenden, wenn er in den Alltagstrott zurückkehrte, das langersehnte Ende bereiten. Er und de Beauvoir würden endlich in derselben Stadt arbeiten, in der Nähe der meisten ihrer Freunde, Affären und Lieblingscafés.

Nachdem sich nun endlich alles zum Guten neigte und de Beauvoir sich von ihrer Lungenentzündung erholt hatte, verbrachten sie den Sommer 1937 gemeinsam mit Bost in Griechenland. Sartre war gerade 32 geworden und hatte neues Selbstvertrauen und Zuversicht getankt. Der Hummer war verschwunden, Olgas Bann war gebrochen, er befand sich auf dem Wege zu Ruhm und Erfolg. Um dies zu feiern, schlief er eine Nacht in einer antiken Ruine und stahl einen Schädel aus einem Beinhaus.

Jean-Paul Sartre

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