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1 Genie

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Wer ist Jean-Paul Sartre? Wie dieses Buch zeigen wird, ist dies eine Frage, die Sartre eine lange Zeit selbst zu beantworten versucht hat, genauso wie allgemeinere Fragen der Art: „Was ist eine Person?“ oder konkretere wie „Wann kommt Castor an?“ und „Wo steckt schon wieder mein Pfeifentabak?“

In seinem Buch Ist der Existentialismus ein Humanismus? schreibt Sartre: „Es gibt keine andere Genialität als die sich in Kunstwerken ausdrückt“ (Ist der Existentialismus ein Humanismus?, S. 39). Anders gesagt, „Ein Genie ist, wer Geniales tut“, oder sogar, um es mit einer zentralen existentialistischen Maxime auszudrücken: „Sein ist Handeln.“ Sartre war ein Genie, nicht weil er das war, was heutige Pädagogen als „talentiert“ oder „hochbegabt“ bezeichnen – obwohl er zweifelsohne außerordentlich talentiert und begabt war –, sondern dessentwegen, was er tat, und aufgrund der vielen außerordentlichen philosophischen und literarischen Werke, die er in den 74 Jahren und zehn Monaten schuf, die er lebte.

Auch sein Leben war ein Kunstwerk. Es war ein außergewöhnliches Leben, wie Sie bereits anhand dieser kurzen Zusammenfassung sehen werden: eines jener Leben, die uns darüber staunen lassen, wie der betreffenden Person all das zu fassen gelang, was es ausmachte.

Gewiss, Sartre lebte in einer aufregenden Zeit – andererseits, wer nicht? Ihm geschahen ständig aufregende Dinge, weil er sie geschehen ließ. Er sagte: „Ein Mensch bindet sich in seinem Leben, zeichnet sein Gesicht, und außerhalb dieses Gesichtes ist nichts vorhanden. Selbstverständlich kann dieser Gedanken jemandem hart erscheinen, dem sein Leben nicht geglückt ist. Aber andererseits bereitet er die Menschen vor, zu verstehen, daß allein die Wirklichkeit von Belang ist“ (Ist der Existentialismus ein Humanismus?, S. 40). Sartre war ein richtiger Draufgänger, stets enthusiastisch bei allem, was er tat, und immer extrem beschäftigt. Seine außergewöhnliche Energie und Ausdauer halfen ihm dabei.

Wenn Sartre über seine eigenen Errungenschaften reflektierte, weigerte er sich, sie als Produkt eines Geschenkes oder einer Gabe zu betrachten. In seiner Autobiographie aus dem Jahre 1964 Die Wörter schrieb er: „Wo blieb die Angst, wo die Prüfung, wo die abgewiesene Versuchung, wo blieb schließlich das Verdienst, wenn ich begabt war?“ (Die Wörter, S. 142). Für ihn waren seine Errungenschaften nicht die Konsequenz seiner Sprachbegabung oder die Folge seiner erstaunlichen Fähigkeit, hochkomplexe, abstrakte und originelle Gedanken zu generieren und zu organisieren. Er bestand darauf, dass seine Errungenschaften gänzlich das Produkt eines höchsten Beschwörungsrituals waren, einer lebenslangen Mission, sich aus dem Nichts selbst zu erschaffen, die Marke „Sartre“. Er schrieb nicht, weil er außergewöhnlich war; er war außergewöhnlich, weil er schrieb. „Ich habe mich selbst nie als den glücklichen Besitzer eines ,Talentes‘ betrachtet: Mein einziges Anliegen bestand darin, mich selbst zu retten – mit leeren Händen, mit leeren Taschen – durch Arbeit und Glauben“ (Die Wörter, S. 158).

Diese Zeilen aus dem letzten Absatz von Die Wörter geben denselben Gedanken einer Passage aus dem Theaterstück Kean von 1953 wieder. Kean, der große shakespearische Schauspieler, der nicht mehr ist als die Rollen, die er spielt, und dessen Genie gänzlich in seinen Darstellungen liegt, sagt: „In einen fabelhaften Trug lebe ich in den Tag hinein. Keinen Heller, nichts in den Händen, nichts in den Taschen. Aber ich brauche nur mit den Fingern zu schnalzen, um unterirdische Geister herbeizurufen“ (Kean, 2. Akt, S. 384).

Thema dieses Buches ist, wie Sartre sich selbst aus nichts erschuf oder zumindest aus nicht viel mehr als seinen lediglich 153 Zentimetern Körpergröße, seinen paar Kilogramm Körpergewicht, seinem einen guten Auge, seinem unbändigen Willen, seinem eisernen Arbeitseifer und ein wenig Hilfe von seinen außergewöhnlichen Freunden.

Alle halbwegs anständigen Biographien führen die harten Fakten auf – Namen, Kalenderdaten und dergleichen –, aber jede Biographie ist unvermeidlich immer auch der idiosynkratrische Blick des Biographen auf die Person. Neben seinen Tätigkeiten als Romanschriftsteller, Dramatiker und Philosoph war Sartre selbst auch ein bedeutender Biograph. Seine Biographien Baudelaires, Genets und Flauberts geben seine Sichtweise dieser Personen wieder, genauso wie seine Autobiographie Die Wörter seine Sichtweise seiner selbst ist – Sartres Versuch, Sartre darzustellen, Sartres Suche nach Sartre.

Entsprechend ist diese Biographie mein Versuch, Sartre darzustellen, meine Suche nach Sartre. Obwohl ich bereits vorher mit ihm vertraut war, hat meine Sicht auf ihn sich beim Schreiben dieses Buches beträchtlich verändert und weiterentwickelt und wird sich auch in Zukunft ändern und weiterentwickeln, je mehr ich über ihn nachdenke. Und selbstverständlich wird die Sicht, die Sie beim Lesen dieses Buches über Sartre entwickeln, sich von meiner unterscheiden und vielleicht sogar keinerlei Ähnlichkeit mit ihr haben – und das trotz meiner subtilen Bemühungen, Sie in Bezug auf ihn wohlwollend zu stimmen. So ist das nun einmal.

Worin liegt die Wahrheit eines Menschen? Ist sie irgendwo festgesetzt, festgestellt? Sartre behauptet, wir erfänden und interpretierten uns selbst in unserem Leben immer wieder neu. Wir erfänden und interpretierten auch unsere Mitmenschen immer wieder neu, wenn wir über sie dächten, sprächen und schrieben – sowohl während Sie noch am Leben als auch wenn sie gestorben sind. Vielleicht ist dies, was wir sind, ein fortwährendes Einüben in Erfindung und Interpretation, die wir und andere vornehmen, bis wir sowohl gestorben als auch vergessen sind. Es ist unmöglich, Menschen auf einen Nenner zu bringen; das ist es, was sie so faszinierend macht.

Sartre ist am 15. April 1980 gestorben. Seine sterblichen Überreste liegen auf dem Friedhof Montparnasse in Paris, neben denjenigen seiner großen Lebensgefährtin und intellektuellen Sparringspartnerin Simone de Beauvoir, die ihm 1986 dorthin folgte. Er ist gestorben, aber er ist bestimmt nicht in Vergessenheit geraten. Er gab sein Äußerstes dafür, sich selbst unsterblich zu machen.

Bereits seit seiner Kindheit war es sein Lebenstraum, ein großer verstorbener französischer Schriftsteller zu werden, der Voltaire des 20. Jahrhunderts. Er spannte jede Faser seines Lebens bis zum Äußersten an, um andere Menschen dazu zu inspirieren, über ihn und seine Gedanken nachzudenken, seine Erinnerung und sein Vermächtnis am Leben zu erhalten, um seine Relevanz für unsere Zeit und für alle Zeiten anzuerkennen. Und hier sind wir und tun genau dies.

Jean-Paul Sartre

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