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Gradisca

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Im April 1617 ereignete sich eine mehr als überraschende Änderung seines Lebensmusters, als Wallenstein verkündete, dass er mit 200 Kavalleristen von Mähren aufbrach, die er auf eigene Kosten rekrutiert und ausgerüstet hatte. Er beabsichtigte, Erzherzog Ferdinand von Steiermark Hilfe bei seinem lokalen und keineswegs erfolgreichen Krieg gegen die Republik Venedig zu leisten.28 Die Einzelheiten dieses Konflikts, des Uskokenkrieges, brauchen uns hier nicht zu interessieren. Dazu nur so viel: Dieser Krieg hatte schon anderthalb Jahre gedauert, und Ferdinand hatte weder seinen mittellosen Vetter Kaiser Matthias noch seinen habsburgischen Verwandten, den König von Spanien, überreden können, ihm genügend praktische Unterstützung zur Verfügung zu stellen. In der Folge kämpften seine Streitkräfte damals, um die Festungsstadt Gradisca zu halten, heute in Italien in der Nähe der slowenischen Grenze gelegen. Als er bei den kaiserlichen und spanischen Regierungen keinen Erfolg hatte, appellierte Ferdinand dringend an den Adel der österreichischen und böhmischen habsburgischen Länder und bat um Hilfe. Es kam keine entsprechende Antwort, nur Wallenstein reagierte.

Wallenstein und seine Kavallerie erreichten Gradisca im Juni. Sie waren zu wenige, um einen bedeutenden Unterschied im Gleichgewicht der Streitkräfte zu machen, aber sie nahmen an Gefechten teil, die sich bis in den Herbst hineinzogen. Wallenstein selbst wurde zweimal in Frontberichten lobend wegen persönlicher Tapferkeit und auch für geschickte Führung seiner Kompanie erwähnt.29 Am Ende der Feldzugsaison kehrten die Kavalleristen nach Hause zurück, und endlich erzielten die Friedensverhandlungen, die unter spanischer Vermittlung fast so lang wie der Krieg selbst gedauert hatten, eine Abmachung, die nur geringfügig vom vorherigen Zustand abwich.

Die Hauptfrage ist, warum Wallenstein diesen überraschenden und kostspieligen Feldzug unternahm. Viele Biographen hatten darauf eine einfache Antwort. Ferdinand war der kommende Mann, der bald König von Böhmen und kurz danach Kaiser werden würde. Wallenstein sei übermäßig ehrgeizig gewesen, und darum habe er die Gelegenheit genutzt, die Dankbarkeit des kommenden Monarchen zu verdienen. Seltsam aber, dass er der einzige Adlige in ganz Österreich und Böhmen war, der ehrgeizig und scharfsinnig genug war, diese Chance zu erkennen und entsprechend zu handeln. Noch seltsamer erscheint dies, weil er seinen Ehrgeiz in den letzten zehn Jahren so gut verborgen hatte. Die Wahrheit ist höchstwahrscheinlich komplizierter.


Abbildung 1: Wallenstein um 1614. Er ist etwa 30 Jahre alt und vor dem Beginn seiner öffentlichen Karriere. (Muzeum Cheb)

Hintergrund war die zunehmende Wahrnehmung sowohl in Europa im Allgemeinen als auch spezifisch in den böhmischen Ländern, dass eine Krise bevorstand. Zur Jahrhundertwende hatten die Schweden einen katholischen König abgesetzt und ihn nach einem Bürgerkrieg durch einen Protestanten ersetzt. In den Jahren 1606 und 1607 hatten sich sektiererische Unruhen in der süddeutschen Stadt Donauwörth zu einer größeren Konfrontation entwickelt, und in deren Folge wurden kurz danach konkurrierende militärische Bündnisse unter den Fürsten der Region geschlossen, die protestantische Union und als Gegenstück die katholische Liga. 1610 gab es einen Streit über das Erbe der rheinischen Herzogtümer Kleve-Jülich-Berg, und obwohl sich dieser anfänglich zwischen zwei Protestanten entfachte, entwickelte sich aus ihm eine darüber hinausgehende religiöse Dimension. Eine militärische Intervention des Königs von Frankreich wurde nur dadurch verhindert, dass dieser ermordet wurde. In den Niederlanden galt der vereinbarte zwölfjährige Waffenstillstand 1617 nur noch fünf Jahre, und die katholische wie die protestantische Seite suchte nach neuen Verbündeten für einen erneuten und mutmaßlich umfassenderen Krieg. In ihrem Bruderzwist in den böhmischen Ländern hatte Rudolf zumeist die Unterstützung des katholischen Adels gefunden und Matthias die der Protestanten. Seit der Thronbesteigung von Matthias hatte sich die Situation aber gewandelt. Die hauptsächlich katholische Seite des Hofes wurde immer kühner und herausfordernder, während die von Protestanten dominierten Stände immer widerspenstiger wurden. Jetzt ging es mit Matthias offensichtlich zu Ende, und die Frage der Erbfolge wurde überall besprochen, nicht zuletzt wegen des Konflikts, den sie möglicherweise zur Folge haben konnte.


Abbildung 2: Wallenstein um 1630, etwa 46 Jahre alt, als kaiserlicher Generalissimo. (Muzeum Cheb)

Erwachsene männliche Vertreter der Habsburg-Familie waren dünn gesät, und die meisten von ihnen waren entweder alt, wie die anderen Brüder von Matthias, oder spanisch, was noch schlimmer war. Ferdinand war fast der einzige Kandidat, der zur Verfügung stand, doch er schien auch der Mann zu sein, von dem am wenigsten zu erwarten war, dem Reich in seinem Unruhezustand Frieden bringen zu können. Tief religiös und von den Jesuiten ausgebildet, zeigte Ferdinand einen kämpferischen Eifer, der die weltklügeren habsburgischen Praktiker der Realpolitik in Spanien und in den Niederlanden in Angst versetzte. Nach Erreichen der Volljährigkeit im Jahr 1595 und nach Übernahme der Zügel der Regierung hatte er innerhalb weniger Jahre eigenmächtig und fast eigenhändig sein zumeist protestantisches Erzherzogtum Steiermark wieder zum Katholizismus zurückgeführt. Er hatte lutherische Pfarrer vertrieben, ihre Bücher verbrennen lassen und dem gemeinen Mann drei Wochen gegeben, um entweder zur Messe zurückzukehren oder das Erzherzogtum zu verlassen. Zugegeben, das alles war mit wenigen Schwierigkeiten abgelaufen, aber in gewisser Weise verschlechterte dies nur die Situation. Damals 40 Jahre alt, zeigte Ferdinand keine Spur von entspannterer Reife, sodass sein früher Erfolg ihn nur ermuntern konnte, einen weiteren derartigen Versuch zu machen, wenn er König von Böhmen würde, diesmal vielleicht mit verheerenden Folgen. Aufgrund dieser allgemeinen Bedenken im Hause Habsburg gegen Ferdinand erwog der König von Spanien sogar die Möglichkeit, sich selbst als Kandidat für die Krone von Böhmen und die des Reiches ins Spiel zu bringen. Da dies jedoch nicht realistisch schien, begnügte er sich in den Familienverhandlungen mit einem Abkommen über Territorialbesitz. Schlussendlich wurde beschlossen, dass diese Krone an Ferdinand fallen musste.

Als die Habsburger hinter geschlossenen Türen debattierten, war das wahrscheinlichste Ergebnis für denkende Menschen bereits seit längerem klar. Vor allem war das in den böhmischen Ländern der Fall, denn da war Ferdinand als Kandidat für den Thron so unerwünscht wie kein anderer. Für entstehende Unruhen gab es zwei Möglichkeiten. Erstens konnten die Böhmen Ferdinand ablehnen und sich für einen anderen, vielleicht protestantischen Kandidaten entscheiden, was möglicherweise eine Konfrontation mit der katholischen habsburgischen Macht zur Folge haben würde. Zweitens konnten sie ihn annehmen, doch Ferdinand würde vielleicht einen Aufstand provozieren, wenn er den protestantischen Adel wegen der Freiheiten herausforderte, die dieser von Rudolf im Majestätsbrief von 1609 erzwungen hatte. Zwar war ein friedlicher Kompromiss denkbar, die Aussichten dafür waren jedoch nicht gut.

Und wo stand Wallenstein zu dieser Zeit? Tatsächlich befand er sich in einer potentiell gefährlichen Lage. Seiner Neigung nach wäre er sicherlich sowieso auf der Seite des Hofes gewesen, als Katholik aber hatte er wahrscheinlich kaum eine andere Wahl. Doch die Habsburger waren bei weitem nicht die sicheren Sieger. Der österreichische Zweig stand nicht nur in Böhmen, sondern auch in seiner österreichischen Heimat unter protestantischem Druck, und die Spanier hatten genug Probleme in den Niederlanden, wo ein Wiederaufflammen des Krieges zu erwarten war. Die habsburgischen Mächte waren weitgehend überfordert. Das war ein Grund, warum sie Ferdinand kaum bei seinem Krieg gegen Venedig helfen konnten. Für Wallenstein würde es verheerende Auswirkungen haben, wenn protestantische Rebellen Herrscher der böhmischen Gebiete würden. Mindestens war zu erwarten, dass die Kläger ihre Prozesse um Teile der Ländereien seiner verstorbenen Frau wiederaufnehmen und eventuell erweitern würden, die er bisher nur mit Hilfe von pro-katholischem Einfluss auf die Justiz abgewehrt hatte.30 Wenn es zu einem Konflikt käme, in den er auf der Verliererseite verwickelt würde, konnte er schlimmstenfalls aus Mähren verjagt werden, wo er Außenseiter und Parvenü war. In diesem Fall würde er vielleicht als landloser Flüchtling mit geringen Möglichkeiten außer seinen beschränkten Erfahrungen als Soldat enden.

Wallenstein war nicht der Typ, der hilflos auf sein Schicksal wartete, außerdem motiviert Neureiche nichts mehr als die Furcht, wieder abzusteigen. Wenn es zu einem Aufstand käme, böte die Übernahme einer Position im Heer als hochrangiger Offizier ihm am ehesten die Chance, seine Stellung zu behalten und möglicherweise weiter voranzukommen. Dafür brauchte er sowohl Freunde als auch überzeugendere militärische Erfahrungen. Die wenigen Monate an der ungarischen Grenze vor dreizehn Jahren reichten dazu nicht aus, auch nicht die Reihe vorübergehender und zumeist nur nomineller Offizierspatente danach. Es mag sein, dass seine Anstellung als Kammerherr bei Erzherzog Maximilian einen ersten Schritt zur Verbesserung seiner Verbindungen darstellte, aber er musste mehr tun. Für den Fall eines Aufstands in Böhmen würde vermutlich Ferdinand auf der katholischen Seite Soldaten rekrutieren und Obristenpatente ausgeben. Darum stellte die Belagerung von Gradisca eine einmalige Gelegenheit dar, sich bei dem richtigen Mann einen Namen machen. Erneute Kampferfahrungen – vor allem und auch zum ersten Mal mit der Kavallerie – würden sein Ansehen verbessern, zudem wäre dies ein nützliches Lehrstück in Bezug auf die erforderliche Logistik. Vielleicht sollten mit dem gesamten Vorhaben ein wenig auch eigene Zielvorstellungen verwirklicht werden, es wirkt jedoch weitaus mehr wie der Versuch, sich eine wertvolle Absicherung zu verschaffen.

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