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Keine großen Erwartungen

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(Charles Dickens)

Die jüngeren Jahre der bedeutenden Persönlichkeiten des Mittelalters und der frühen Neuzeit sind, mit Ausnahme von Herrschern, nur bruchstückhaft oder gar nicht in den Archiven dokumentiert. So ist es auch mit Wallenstein. Wir wissen, dass Albrecht Wenzel Eusebius, wie er getauft wurde, am 24. September 1583 geboren wurde, und wir wissen auch, dass sich dieses freudige Ereignis im Dorf Hermanitz (Heřmanice) zutrug, an der Elbe im nordöstlichen Böhmen gelegen, nicht weit von der schlesischen Grenze entfernt. Aus seiner Kindheit sind nur unbedeutende Tatsachen festgehalten. Ähnliches gilt für seine Jugend, von einigen bemerkenswerten Geschehnissen abgesehen.

Den Hintergrund kann man schnell skizzieren. Böhmen war ein habsburgisches Land, wenn auch dem Namen nach Wahlkönigtum, und obwohl die Mehrheit der Bevölkerung tschechischer Herkunft war, gab es auch viele deutsche Einflüsse. Der Familienname hat sowohl tschechische als auch deutsche Formen und natürlich mehrere Varianten, denn während dieses Zeitalters war Orthographie mehr auf die Lautwiedergabe ausgerichtet und nicht gleichbleibend. Er stammte von den deutschen Wörtern Wald und Stein und hatte seinen Ursprung in einem Ahnenschloss aus dem dreizehnten Jahrhundert, das tatsächlich auf einer Felsspitze im Wald stand. Zu dieser Zeit hätte es niemanden beunruhigt, dass eine der Kultur nach tschechische Familie aus dem böhmischen Adel einen deutschen Namen trug. Als Jugendlicher und junger Mann unterschrieb Albrecht mit „Waldstein“, später, als sein Titel in den Augen der Welt seinen Namen ersetzt hatte, benutzte er nur seine Initiale. Um die Unbeständigkeit zeitgenössischer Orthographie zu illustrieren, ist anzumerken, dass einer seiner engsten Vertrauten in noch vorhandenen Briefen „Waldtstein“, „Waldtsteyn“ und „Waldstein“ schrieb. Auch in einer Urkunde von 1632 erwähnte Albrecht selbst mehrmals „einen von dem Geschlecht derer von Waldtstein“, seinen Vetter und Erben jedoch nannte er „Wallenstein“. Es gibt keine richtige Schreibweise, aber „Wallenstein“ ist die Variante, die die Geschichte übernommen hat, die schon 1640 in Geschichtsbüchern benutzt wurde und darum auch hier verwendet wird.1

Mit Sicherheit waren die Waldsteins böhmischer Adel. Sie stammten in der weiblichen Linie von einem mittelalterlichen König von Böhmen ab und waren nach ständiger Heirat untereinander mit fast allen anderen Familien in dieser kleinen, eng zusammengewachsenen Elite verwandt.2 Trotzdem waren sie nicht reich; Albrechts Vater, eins von neunzehn Kindern, erhielt das bescheidene Familiengut Hermanitz nur als glücklicher Erbe eines kinderlosen Onkels. Etliche Geschwister Albrechts starben als kleine Kinder. Nach dem Tod seiner Eltern war Albrecht der einzige überlebende Sohn, zwölf Jahre alt, Erbe des Landbesitzes und des Titels Freiherr. Auf Grund zweier späterer Ereignisse ist zu vermuten, dass er mit einiger Freude auf seine Kindheit zurückblickte. Als er im Alter von neunzehn Jahren seine Erbschaft übernahm, ließ er für beide Eltern in der Kirche des Ortes schöne Gedenksteine errichten, und als er später eine Machtstellung einnahm, nutzte er seine Macht als Schutzherr gleich zu Anfang, um einen alten Diener der Familie, seinen ersten Hauslehrer, zu adeln.3

Albrechts Mutter stammte aus einer viel wohlhabenderen Adelslinie, der Familie Smiřický. Als aber Albrechts Vater starb, wurde ihr Schwager Heinrich von Slavata, führendes Mitglied einer anderen adligen Familie, sein Vormund. Auf diese Weise war er auch mit einem seiner späteren Feinde – Wilhelm von Slavata – verwandt. Dieser sollte später den Prager Fenstersturz überleben, der üblicherweise als Anfang des Dreißigjährigen Krieges betrachtet wird. Da Wilhelm elf Jahre älter war als Albrecht und um diese Zeit zum Katholizismus konvertierte, ist es unwahrscheinlich, dass sie sich oft im Schloss Koschumberg (Košumberk) begegneten, das jetzt Albrechts Zuhause wurde.

Die Religion Albrechts eigener Familie war das relativ gemäßigte Böhmische Bekenntnis, das sowohl auf hussitische als auch auf lutherische Einflüsse zurückging. Die ersten prägenden Jahre hatte er in einem Milieu verbracht, das vermutlich konventionell fromm statt leidenschaftlich sektiererisch war. Heinrich von Slavata aber gehörte der Böhmischen Brüdergemeinde an. Dies war eine ganz andere Art von Protestantismus: streng, eifrig, vom Calvinismus zwar beeinflusst, aber nicht an ihm hängend und mit engen nationalpolitischen Verbindungen. Während seiner zwei Jahre in Koschumberg erhielt Albrecht zweifellos Unterweisung in diesem Glauben. Obwohl dies keinen dauerhaften Einfluss auf ihn gehabt zu haben scheint, kam er dadurch früh im Leben mit den religiösen Auseinandersetzungen in Berührung, die den böhmischen Adel entzweiten. In der Mehrheit waren dies Protestanten verschiedener Ausprägung, einige blieben jedoch Katholiken oder bekehrten sich zum Katholizismus. Unter ihnen befand sich mindestens ein wohlbekannter Waldstein.4

1597 wurde der vierzehnjährige Albrecht auf die Lateinschule in Goldberg (Zlotoryja) in der Nähe von Liegnitz (Legnica) in Schlesien geschickt. Diese Schule war von der alten Art, unterrichtet wurde hauptsächlich auf Latein, und Schüler waren die Söhne deutscher, polnischer und tschechischer Adelsfamilien. Es ist zu vermuten, dass der Lehrplan dem ähnlich war, den Wallenstein selbst bestimmte, als er mehr als 25 Jahre später seine eigene Schule stiftete – nämlich Deutsch und Italienisch, Rechnen, Reiten, Tanz und die Laute oder ein anderes Musikinstrument. Erhalten ist aus dieser Zeit Wallensteins Brief an den Landeshauptmann von Liegnitz, in dem er sich über seine Behandlung in den Straßen von Goldberg beschwerte. Dort erlebte er Beschimpfungen, unter anderem als „calvinistischer Abschaum“, wurde mit Steinen beworfen, und es gab noch mehr Feindseligkeiten, vielleicht religiöser Meinungsverschiedenheiten wegen, oder weil er tschechischer Außenseiter war. Trotzdem erinnerte sich Wallenstein später mit Dankbarkeit an seine Zeit in Goldberg, was er ganz praktisch bewies. Als er 1626 im Dienste des Kaisers als Oberbefehlshaber an der Stadt vorbeikam, bedankte er sich bei dem alten Rektor mit einer beträchtlichen Geldsumme als Geschenk.5

Nach zwei Jahren in Goldberg wurde Wallenstein an die Nürnberger Akademie in Altdorf versetzt, wo er im August 1599, kurz vor seinem sechzehnten Geburtstag, eingeschrieben wurde. Hier war sein Aufenthalt sowohl kurz als auch stürmisch. Nach vier Monaten versuchte die Universitätsverwaltung, ihn zu exmatrikulieren; zwei Monate danach ging er tatsächlich ab.6 Es wurde viel Wesens um die Ereignisse dieser Zeit gemacht, vielleicht weil sie besser beurkundet sind als der Rest der Jugendzeit Wallensteins, man muss diese Dinge jedoch im richtigen Zusammenhang sehen. Damals waren Studenten ausschließlich Söhne der Wohlhabenden, zum ersten Mal von der Disziplin des Vaterhauses oder einer strengen Schule befreit und ausreichend mit Geld versehen. Sie neigten viel mehr zum Trinken, zu Raufereien und dazu, sich mit Mädchen abzugeben, als zum Studieren. Universitätsstädte waren oft stürmische Orte, und vielleicht hatten die Nürnberger Ratsherren darum ihre Akademie wohlweislich etwas in die Ferne versetzt. In den meisten deutschen Lehreinrichtungen waren Ruhestörungen häufig, Gewalt und sogar Mord nichts Außergewöhnliches. So auch in Altdorf, sowohl vor als auch nach Wallensteins Aufenthalt. Er scheint sich während seiner kurzen Zeit mehr in die Nesseln gesetzt zu haben als der durchschnittliche Student, aber statt darin einen Beweis besonders ungezügelter Natur zu sehen, ist es ebenso möglich, dass seine Probleme aus seiner Situation als tschechischer Außenseiter herrührten, umso mehr, weil er noch jung war und in schlechte Gesellschaft geriet.

Der Fall, bei dem Wallenstein am deutlichsten persönliche Schuld traf, war eine schlimme Tracht Prügel für seinen jungen deutschen Diener, die die Aufmerksamkeit der Verwaltung erregte. Ein Verfahren folgte, und Wallenstein musste eine beträchtliche Geldstrafe und eine noch größere Entschädigung zahlen. Was das Übrige betrifft, war er Mitglied einer Gruppe Studenten, vorgeblich einer der Rädelsführer, die eines Nachts das Haus eines Akademikers angriff und dort Türen und Fenster einschlug. Er war auch dabei, als eines Abends bei einer Auseinandersetzung zwischen einigen Studenten und einem Fähnrich der Miliz zu den Waffen gegriffen wurde. Letzterer wurde im nachfolgenden Streit – obwohl nicht von Wallenstein – umgebracht. Kurz danach stach er selbst einen Studiengenossen in den Fuß. Zu dieser Zeit verbrachte er auch einige Nächte im Ortsgefängnis und wurde schließlich von der Akademie in einem ersten Schritt der Exmatrikulation unter Hausarrest gestellt. Um diese Schande zu vermeiden, schrieb Wallenstein der Verwaltung eine Bittschrift, in der er die Namen zweier Verwandter erwähnte, die kaiserliche Hofräte waren. Folglich wurde es ihm wohl aus öffentlichen Zwecken gestattet, freiwillig abzugehen.

Nach seinem frühzeitigen Weggang von Altdorf trat er eine Bildungsreise nach Frankreich und vor allem nach Italien an, wo er lang genug blieb, um die Sprache gut zu erlernen. Berichten zufolge wohnte er eine Zeitlang in der Universitätsstadt Padua, bevor er 1602 nach Hause, nach Hermanitz, zurückkehrte. Zu dieser Zeit war er (laut einer Untersuchung seiner sterblichen Überreste im zwanzigsten Jahrhundert) vermutlich etwa 171 bis 172 cm groß, und aus einem Bildnis ist zu sehen, dass er schlank und gutaussehend war. Er hatte eine hohe Stirn, dunkle Augen und dunkles Haar, das er kurz trug, und ließ sich nach modischer spanischer Manier einen Bart stehen. Außer seiner tschechischen Muttersprache sprach er fließend Deutsch und Italienisch, lesen konnte er außerdem gut Spanisch, ausreichend Französisch und hinreichend Latein.7

Wallenstein

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