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Ein Rätsel in einem Geheimnis,
umschlossen von einem Mysterium
Оглавление(Winston Churchill)
Ein Rätsel ist laut Wörterbuch etwas, das unbegreiflich und undurchschaubar ist, manchmal paradox und nicht zweifelsfrei zu erklären. Diese Beschreibung passt sowohl nach Meinung von Zeitgenossen im siebzehnten Jahrhundert als auch von heutigen Historikern auf Wallenstein. Ein unbedeutender Angehöriger des böhmischen Kleinadels, der innerhalb weniger Jahre zum Fürsten und einem der größten Grundbesitzer seiner Zeit wurde; ein Militärunternehmer, der zweimal das Heilige Römische Reich vor einer Katastrophe bewahrte – mit Heeren, die er selbst auf die Beine stellte, finanzierte und kommandierte –, der dann aber zweimal entlassen wurde; ein fähiger General, der das Reich vor schwedischen Invasoren rettete, dann jedoch beschuldigt wurde, zu eben diesen Schweden überlaufen zu wollen; der Oberbefehlshaber des Kaisers, der auf des Kaisers Befehl ermordet wurde; ein erfolgreicher Soldat, der fiel, weil er zu sehr nach Frieden strebte – all das war Wallenstein.
Der allgemeinen Meinung nach war sein Ehrgeiz unersättlich, dennoch lebte er zufrieden und zurückgezogen auf seinen Landgütern, bis er 35 Jahre alt war. Dann stellte der Aufstand von 1618, der den Dreißigjährigen Krieg auslöste, Böhmen und damit auch sein eigenes Leben auf den Kopf. Als Katholik blieb er Kaiser Ferdinand II. treu, statt sich auf die Seite der größtenteils protestantischen böhmischen Rebellen zu schlagen. Folglich verlor er seinen Landbesitz und musste sich als Oberst zum kaiserlichen Heer melden. Drei Jahre später war er der militärische Kommandant von Böhmen und innerhalb von fünf Jahren einer der wohlhabendsten Adligen im Reich. Obwohl der Aufstand niedergeschlagen wurde, breitete sich der Krieg aus, zuungunsten des Kaisers, und 1625 hatte Ferdinand weder die Soldaten noch das Geld, um sich mit den Heeren des protestantischen Königs von Dänemark und dessen Verbündeten messen zu können. Wallenstein kam ihm zu Hilfe. Freiwillig und auf eigene Kosten stellte er ein Heer auf die Beine, mit dem er in den Feldzügen der folgenden drei Jahre die Kaiserlichen zum Sieg führte. Schon 1629 war er Fürst, Besitzer dreier Herzogtümer und Oberbefehlshaber des größten Heeres, das es seit römischen Zeiten in Europa gegeben hatte. Man sagte, er sei so mächtig, dass selbst der Kaiser zögere, ihn zu verärgern. Diese Macht aber war eine Täuschung, denn Ferdinand nutzte die durch Wallenstein errungenen militärischen und politischen Vorteile aus, um eine Politik zu verfolgen, die Letzterer heftig missbilligte. Besonders tadelte er Ferdinands militanten Versuch einer Gegenreformation und seine Verwicklung in die Kriege des spanischen Zweiges seiner Habsburg-Familie. Als das Reich nicht mehr von außen bedroht wurde, setzte man Wallenstein unter Druck, und 1630 nötigten seine Feinde unter den katholischen Fürsten den Kaiser, ihn zu entlassen und sein Heer zu zersplittern.
Sie hatten genau den falschen Zeitpunkt gewählt, um ihre Deckung zu vernachlässigen und auf ihren Verfechter zu verzichten, denn nun trat ein neuer und gefährlicherer Gegner zur Schlacht an. Dies war Gustav Adolf, der kriegerische König Schwedens, der im selben Jahr in Norddeutschland einmarschierte. Innerhalb von fünfzehn Monaten hatte Gustav Adolf Sachsen und Brandenburg als Verbündete gewonnen, das übriggebliebene katholische Heer in die Flucht geschlagen und war nach Frankfurt am Main, Mainz und bis zum Rhein vorgerückt, von wo aus er in Bayern und in des Kaisers eigene österreichische Länder einzufallen drohte. Verzweifelt appellierte Ferdinand an Wallenstein, das Kommando wieder zu übernehmen und ein neues Heer zu rekrutieren. Der General, schon krank und frühzeitig alt geworden, erklärte sich, wenn auch widerwillig, bereit und bewältigte diese scheinbar unmögliche Aufgabe in weniger als sechs Monaten. Allerdings hatte Gustav Adolf München eingenommen und Bayern verwüstet, bevor seine Vorbereitungen abgeschlossen waren. Mitte 1632 rückte Wallenstein nach Süden vor und trieb Gustav Adolf in Nürnberg in die Enge, wo er ihn zwei Monate lang belagert hielt, während der König auf Verstärkungstruppen wartete. Im folgenden Gefecht erlitten die Schweden mehr einen taktischen Rückschlag als eine entscheidende Niederlage, doch Gustav Adolfs breite Strategie war trotzdem fehlgeschlagen. Als Wallenstein gegen den sächsischen Verbündeten des Königs marschierte, musste sich Gustav Adolf in Eilmärschen nach Norden begeben, um seinen Verbündeten zu retten. Die Heere stießen bei Lützen nahe Leipzig aufeinander, aber die Schlacht – die längste und erbittertste im Dreißigjährigen Krieg – brachte keine klare Entscheidung. Gustav Adolf jedoch wurde getötet.
Weil die Bedrohung durch die Schweden damit zeitweise an Bedeutung verlor, versuchte Wallenstein 1633, Sachsen und Brandenburg mit einer Reihe von Verhandlungen, die hauptsächlich während längerer Waffenstillstände stattfanden, für den Frieden zu gewinnen. Trotz seiner Mühe war er damit erfolglos, und im späten Herbst flammten die Feindseligkeiten wieder auf. Wallenstein eroberte zunächst die Habsburger Besitzung Schlesien von den Schweden zurück, versäumte dann allerdings, rechtzeitig zu verhindern, dass diese wiederum auf Bayern vorrückten, wo sie die Festungsstadt Regensburg einnahmen. Obwohl dieser Rückschlag nicht von großer militärischer Bedeutung war, bot er Wallensteins Feinden die Gelegenheit, einen neuen politischen Angriff gegen ihn zu führen. Gerüchte wurden verbreitet, dass seinen Friedensbemühungen dunkle Motive zugrunde lagen, und dass sich in ihnen andere, potentiell verräterische Kontakte zu den Schweden und ihren französischen Verbündeten verbargen. Anfang 1634 behauptete man in einem geheimen Bericht, dass Wallenstein dabei sei, einen Staatsstreich gegen den Kaiser vorzubereiten, und dass er schon Pläne geschmiedet habe, die kaiserlichen Länder unter seinen Verbündeten und Anhängern aufzuteilen. Er selbst solle König von Böhmen werden. Die Offiziere um Wallenstein, dessen Krankheit sich ständig verstärkte, überredeten fast alle Generäle und Oberste des Heeres dazu, ihm einen Treueid zu leisten. Dieser ungeschickte Versuch, seine Lage abzustützen, wurde am Hofe als ein weiteres Anzeichen dafür verstanden, dass eine Rebellion nahe bevorstand. Ein geheimes Tribunal wurde einberufen, das Wallenstein ohne Anklage oder Prozess in seiner Abwesenheit eiligst verurteilte, woraufhin der Kaiser vier hohe Offiziere beauftragte, seiner tot oder lebendig habhaft zu werden. Wallenstein und seine engsten Vertrauten erkannten die Gefahr erst in letzter Minute und versuchten, in Richtung Sachsen zu entfliehen. Sie erreichten die böhmische Grenzstadt Eger (Cheb), wo die Offiziere der Besatzung sie mit vorgetäuschter Treue begrüßten. Beim Abendessen aber wurden Wallensteins Anhänger von bewaffneten Soldaten überfallen und ermordet, und anschließend wurde auch der kranke General in seinem Schlafzimmer umgebracht.
In der Folge gelang es der kaiserlichen Propaganda, zweifellos gestützt durch die fragwürdigen Kontakte einiger Anhänger Wallensteins, einen unbegründeten Verdacht in eine feststehende Tatsache zu verwandeln. Weitere Widersprüche tauchten auf. Der Mann, der zweimal die katholische Seite gerettet hatte, wurde nun zur Zielscheibe katholischer Verleumdung. In einem anonymen Flugblatt beschrieb ihn der Verfasser, ein jesuitischer Hofprediger des Kaisers, als „hochmütig, rachsüchtig, wütend, wahnsinnig [und] von der Kirche verbannt“. Weiter behauptete er, dass Wallenstein seine Entscheidungen zu Fragen von Krieg und Frieden von der Stellung der Sterne abhängig gemacht habe.1 Ein Ausschuss seriöser kaiserlicher Anwälte erklärte, dass er „offensichtlich und ständig an Majestätsbeleidigung, Rebellion und Hochverrat beteiligt“ gewesen wäre, und dass man wegen seiner „unwidersprechlichen Notorität“ keinen Prozess gebraucht hätte, um seine Schuld zu beweisen. Die Offiziere, die im Januar 1634 geschworen hatten, „notfalls bei ihm ehrbar und getreu zu halten … und für denselben alles unsrige zu riskieren, bis zum letzten Blutstropfen, ohne sich zu schonen“, hatten ihn im Februar im Stich gelassen, und schon im März waren viele bereit, gegen ihn auszusagen, selbst wenn sie keine Tatsachen zu berichten hatten.2 Eines der größten Hindernisse während der Friedensverhandlungen von 1633 war Wallensteins Bestehen auf der Forderung, dass sich die Heere Sachsens und Brandenburgs mit dem seinen vereinigen sollten, um die Schweden aus dem Reich zu vertreiben. Jetzt aber wurde als bewiesen erachtet, dass er die Absicht gehabt hatte, sich mit eben diesen Schweden zusammenzuschließen, um den Kaiser zu vertreiben. Der sächsische Oberbefehlshaber, der eine zentrale Rolle bei den Verhandlungen gespielt hatte, war darüber entsetzt, dass Ferdinand den Mord an seinem eigenen General genehmigt hatte. „Mir fällt kein Exempel ein“, schrieb er, „in dem unter der Regierung eines christlichen Kaisers dergleichen jemals geschehen ist.“3 Ein weiteres Paradoxon besteht darin, dass Wallenstein, der führende katholische General, postum fast so etwas wie ein Held der protestantischen Seite wurde.
Das Bild Wallensteins, wie es von den Propagandisten und der zeitgenössischen Presse gezeichnet wurde, hatte den Status eines „wohlbekannten Faktums“ erworben, lange bevor die Historiker im neunzehnten Jahrhundert anfingen, die primären Quellen aus den Archiven herauszusuchen. Folglich zogen sie oft nicht die logischen Schlüsse aus ihren Forschungen. Auch moderne Historiker haben oft Mühe, sich von dem traditionell überlieferten Bild zu trennen, wenn es um die Interpretation des Beweismaterials geht, das insgesamt sehr umfangreich ist, in bestimmten wichtigen Punkten aber recht karg sein kann. Eine Reihe von Paradoxa bleibt bestehen. So gibt es zwei wohlbekannte Werke zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, beide von hochrangigen Historikern verfasst. In einem von ihnen heißt es, dass Wallenstein „gesundes Urteil und Einsicht in seinen Geldangelegenheiten zeigte“, in Militärfragen jedoch „verließ er sich mehr auf die Horoskope als auf die Begabung seiner Offiziere“. In dem anderen Buch wird festgestellt, dass sich Wallenstein in religiöser Hinsicht so „berechnend und pragmatisch“ verhielt wie jeder moderne Geschäftsmann, andererseits sei es für Wallenstein „durchaus nicht ganz und gar aussichtslos [gewesen], sich als König seiner Heimat Böhmen zu träumen“. Beide Autoren deuten an, dass sein Versuch, einen Friedensvertrag zu verhandeln, nur ein Vorwand gewesen sei und er eigentlich seine eigenen Interessen verfolgt habe, allerdings liefern sie keinen Beweis für diese Behauptung. Es werden häufig Ausdrücke wie „schrankenloser Ehrgeiz“, „manische Ichsucht“, oder „Skrupellosigkeit“ verwendet, als seien diese Eigenschaften selbstverständliche und wohlbekannte Tatsachen, die keiner Beweise bedürften. Die Darstellung Wallensteins als von der Astrologie besessen wird in Biographien und in der populären Meinung noch immer als „wohlbekanntes Faktum“ betrachtet, obwohl der Nachweis dafür selten kritisch untersucht wurde. Es scheint, dass sich Historiker damit zufriedengaben, „den Gegensatz zwischen dem willensharten Weltmann und dem abergläubischen Idealisten“ zu erkennen, ohne sich zu fragen, ob ein solcher Widerspruch psychologisch oder praktisch glaubwürdig ist. Ist es möglich, dass ein leichtgläubiger, sternensüchtiger Phantast zugleich das „Organisationsgenie“ oder das „Logistikgenie“ war, das die gleichen Historiker schildern? Ist es möglich, dass Wallenstein Gustav Adolf, den größten Kriegsführer seiner Zeit, ausmanövrierte, indem er auf Horoskope vertraute? Ist es möglich, dass er so treu war, wie seine Taten vermuten lassen, aber auch so untreu, wie die ihm zugeschriebenen Visionen und Intrigen andeuten?4
Dieses Buch setzt sich zum Ziel, das beschriebene Rätsel auf der Basis von historischem Beweismaterial zu erklären, ohne in der einen oder anderen Richtung von der Tradition übermäßig beeinflusst zu werden. Es ist selbstverständlich nicht der erste Versuch in dieser Richtung; einige moderne Werke der Historiographie bieten eine ausgewogenere Schilderung von Wallenstein und seiner Karriere an als die früheren. Besonders erwähnenswert ist das Opus magnum von Golo Mann, das mehr als 1100 Seiten umfasst. Doch sein Werk ist bereits 40 Jahre alt, sodass nun eine neue akademische Studie erforderlich ist. Dabei ist dieses Buch auch für Leser gedacht, die keine speziellen Kenntnisse über das siebzehnte Jahrhundert, den Dreißigjährigen Krieg oder über Wallenstein selbst haben. Es wäre daher unangebracht, vergleichbar viele Details wie Golo Mann zu berücksichtigen, weshalb ein eher selektives Vorgehen gewählt worden ist. So müssen einige Themen zum größten Teil ausgelassen werden, zum Beispiel der bemerkenswerte Erfolg Wallensteins als fortschrittlicher und wirtschaftlich erfolgreicher Grundbesitzer. Auch seine innovativen und weithin nachgeahmten Methoden zur militärischen Organisation und Finanzierung können nur kurz berührt werden.
Die in der Bibliographie vermerkten modernen Biographien von Wallenstein waren nützliche Nachschlagewerke zum Auffinden von Quellen und zum Zusammentragen des Datenkorpus, auf dem diese Studie aufbaut. Der Autor ist auch den eifrigen Historikern des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts zu besonderem Dank verpflichtet, die sorgfältig die entsprechenden Urkunden und Briefe aus weitverstreuten europäischen Archiven ausfindig gemacht, Transkriptionen vorgenommen und in umfangreichen Bänden veröffentlicht haben. Ohne solche unbedingt erforderliche Vorarbeit wäre es viel schwieriger und oft unmöglich, breitere historische Untersuchungen durchzuführen.