Читать книгу Aphorismen – Sudeleien – Stichelreden - Georg Christoph Lichtenberg - Страница 11
Schreiben an Herrn Ljungberg von HErrn S. im Rausch geschrieben.
ОглавлениеMein lieber Freund, mehr habe ich wohl noch nie an einen Freund geschrieben als ich jetzo an dich schreibe. Und was denn? Die Beschreibung einer der schönsten Creaturen, die für uns villeicht gelebt hat. Bedencke der schönsten! das ist viel gesagt, aber ich kenne dich, und das macht mich so zuverlässig. Stelle dir ein Mädgen vor, nicht sehr reich, aber doch für ihren Stand wohlhabend, guthertzig und die jedermanns Vergnügen wünscht und villeicht (: ich getraue kaum diese Zeile zu schreiben:) auch gern befördert und es zuverlässig befördern kan. Nicht sehr groß, mehr fleischigt als fett, gewachsen wie, wie – – – wie das schönste Mädgen gewachsen seyn muß, wie ein Bogen, wo aber die convexe Seite Brust, Bauch und Schenckel werden. Zart, Bescheidenheit und alle Tugenden in dem feinen Gesicht, Guthertzigkeit, Geschmack, Schätzerin von Munterkeit und liebenswürdigem Leichtsinn. Ihr Busen – O! Ljungberg, Ljungberg, wie viel, wie viel war da. Menschliche Wollust, das höchste Werck des Vollkommenheit suchenden Himmels. Wollust, du kennst dieses Wort in unserer Bedeutung, in unserer gefühlvollen Bedeutung, diese wohnte auf ihr. Verständlich sind diese Zeilen für uns, Nonsense villeicht für alles übrige was lebt. Ihre Sprache! Engel, sprecht so, ich bin fromm, ich bin gottseelig, ich bin Engel. Ihr Kuß, zu hoch sind meine Empfindungen nun gestimmt als daß irrdische Worte – – – Nonsense der Entzückung, Nonsense, Nonsense. Gedacht, gefühlt ist besser als gesprochen, Himmel gefühlt ist ausgedruckt Nonsense, Nonsense. Schweigt oder lernt besser Deutsch. Kein Deutsch für diese Empfindungen, kein Deutsch. Gottsched, was bist du, Riedel, Kästner, Wieland, Rosenfarb und Silber, Amen!4
Da wo einen die Leute nicht mehr können dencken hören, da muß man sprechen, sobald man dahin kommt wo man nun wieder Gedancken voraussetzen kan, die mit unsern einerley sind, da muß man aufhören zu sprechen. Ein solches Buch ist Sterne’s Reise, aber die meisten Bücher enthalten zwischen zweyen merckwürdigen Punckten nichts als den allergemeinsten Menschen Verstand, eine starck ausgezogene Linie, wo eine puncktirte zugereicht hätte. Alsdann ist es erlaubt das Gedachte auszudrücken, wenn es auf eine besondere Art ausgedrückt wird, doch dieses ist schon mit unter der ersten Anmerckung begriffen.
Ich verstehe von Musick wenig, spiele gar kein Instrument, ausser daß ich gut pfeiffen kan. Hiervon habe ich schon mehr Nutzen gezogen, als viele andere von ihren Arien auf der Flöte und auf dem Clavecin. Ich würde es vergeblich versuchen mit Worten auszudrücken, was ich empfinde wenn ich an einem stillen Abend In allen meinen Thaten5 recht gut pfeife und mir den Text dazu dencke, ich singe nicht gerne alleine. Wenn ich an die Zeile komme hast du es denn beschlossen pp, was fühle ich da offt für Muth, neues Feuer in Menge, was für Vertrauen auf Gott, ich wolte mich in die See stürtzen und mit meinem Glauben nicht ertrincken, mit dem Bewustseyn einer eintzigen Gutthat eine Welt nicht fürchten. Spüre ich einen Hang zum Scherzhafften, so pfeife ich: Solt auch Ich durch Gram und Leid, oder When you meet a tender creature pp.
In der Comödie suchte er bey jedem ihm lächerlich scheinenden Zug immer mit den Augen jemanden, der mit ihm lachen mögte, wenn ich dieses gewahr wurde, so kam ich ihm nie zu Hülfe, sondern sahe unverwandt auf die Seite zu.
Es ist lächerlich zu behaupten, daß man zuweilen zu gar nichts recht aufgelegt sey, ich glaube der Augenblick da man sich starck genug fühlt einen Haupttrieb, nemlich den Trieb zur Wircksamkeit und zum Handeln zu unterdrücken, dieses ist der Augenblick da man villeicht geschickt wäre, die seltsamsten und grösesten Dinge zu unternehmen. Es ist dieses eine Art von Entgeisterung worinn die Seele eben so viel ungewöhnlich kleines sieht, als in jenen Begeisterungen ungewöhnlich großes, und wie diese leztere Art Zustand mit jenen verwegenen Aussichten der Astronomen verglichen werden kan, so läßt sich hingegen die erstere mit den Bemühungen eines Loewenhoeck6 zusammenhalten.
Kopf und Füße so weit sie auch im physischen Verstand von einander liegen, so nah liegen sie sich doch im moralischen und psychologischen, Freude und Traurigkeit zeigen sich kaum so bald an der Nase, die doch kaum 3 Zoll von der Seele wegliegt, als in den Füßen, ich kan dieses täglich an meinem Fenster bemercken, wo ich deutlich an den Füßen der Studenten sehen kan ob sie aus einem Collegio kommen oder in eines zu gehen willens sind, Jenes an der platt auffallenden Sohle, die den Hunger der regierenden Seele verräth, Dieses an dem schmachtenden Schritt, wo Absatz und Zehen etwas langsamer nach einander auf zu liegen kommen, der allemal ein Zeichen der kurtz vorhergegangenen Sättigung ist. Bey denen Studenten, wo ich nichts dergleichen bemercken konte, habe ich nach der Hand fast allemal erfahren, daß sie zugleich in ein Colleg gehen und aus einem kommen. Bey dem Catilina, wie die lateinischen Schrifftsteller sagen, soll dieses so mercklich gewesen seyn, daß einige Leute schon lange vorher, ehe Cicero die berühmte Conspiration in desselben Kopf entdeckte, sie schon wolten in seinen Füßen beobachtet haben, er gieng nemlich zuweilen auf der Strase gantz ordentlich, dann langsam, dann kehrte er um, als wenn er sein Schnupftuch vergessen hätte, dann stund er gar still, dann auf einmal lief er, bis daß ein neues Projeckt wieder queer vor ihn hin trat und ihn still stehen machte. Bey unserem verblaßten Freund konte man nichts so was bemercken, er hinckte sehr starck und sein Gang sah fast immer aus als eines, der zugleich in ein Collegium geht und aus einem herauskommt. Ich versuchte andere Mittel hinter seinen Charackter zu kommen, pp.
Damals fieng sich etwas von der Leidenschafft in ihm an zu regen, die wir gewöhnlich nicht lange vorher, ehe wir uns zum erstenmal rasiren lassen, schon verspürt haben. Von Anfang war es ein Ding, das gar keine Richtung hatte, und er konte nichts bemercken, als daß seine gewöhnlichen Begierden nicht so wohl besänfftigt, als von etwas wenigstens eben so starck nicht mehr dahin sondern dorthin gezogen wurden, ein ärgerliches Gleichgewicht, man schüttelt und rüttelt und weiß nicht warum, nur um nicht still zu stehen, und wieder etwas anderem Ueberwucht zu geben, ein seltsamer Zustand durch den wir Männer alle müssen, und ihr Mädgen, ja das weiß ich nicht. Glücklich ist der geschwind dadurch kommt oder schon vorher eine klare Einbildungskrafft durch eine wohlthätige Erziehung erhalten hat, daß dieser süße Tumult in der Seele ihm nichts als schöne Hofnungen eingiebt, und ihn über einen bezauberten Boden endlich zu der schönen Creatur hinführt und entzückende Gewißheit mit reitzender Ungewißheit vertauschet.
Das was ich unter moralischem Aether verstehe, ist eigentlich das geistige was allzeit in unsern Handlungen auch in unsern kleinsten steckt, und alles durchströmt, das so wohl in dem und er nahm eine Prise als in dem Qu’il mourut oder in dem gestopft vollen Soyons amis, Cinna des Corneille anzutreffen ist….
In dem Satz 2 mal 2 ist 4 oder 2.2 = 4 liegt würcklich schon etwas von der Parallaxe der Sonne, oder von der Pomerantzenförmigen Gestalt der Erde.
Der Trieb zum Bücherschreiben, der gemeiniglich wie ein andrer eben so starcker in die Zeit des ersten Barts fällt, hat sich bey mir etwas früher eingestellt, mein erstes Jucken, wenn ich vom ersten Vers der Messiade zu zählen anfange, fiel in das 6te Jahr des deutschen Hexameters und ohngefehr in das 14te wenn ich mit meiner Geburt anfange. Es ist dieses eine etwas kützliche Zeit und Eltern und Lehrer haben gnau acht zu geben auf ihre Kinder. Ich will daher beschreiben was ich in mir fühlte, man wird leicht erachten können wie jemand aussehen muß, der dieses fühlt. Ich fand die Sprache in unserer Familie etwas zu plan, ich vermißte hier und da die Beywörter und fühlte mich so voll wenn ich welche fand, zumal die ich selbst gemacht hatte pp.
Bey dem Frauenzimmer fällt der Sitz des Point d’honneurs mit dem Schwerpunckt zusammen, bey den Mannspersonen liegt er etwas höher in der Brust um das Zwerchfell herum. Daher bey Mannspersonen die elastische Fülle in jener Gegend bey Unternehmung prächtiger Thaten, und eben daher das schlappe leere daselbst bey der Unternehmung kleiner.
Alles wird uns schön was einige Relation auf sinnliche Liebe hat, in den Stunden da der thierische Affeckt selbst schläfft, und unsere übrigen sinnlichen Werckzeuge einer Seele gegenüberstehen, die voll von dem Gedancken eines vergangenen Vergnügens und eines künfftigen nach Belieben würcklichen ist. Wir sehen alsdann vieles was wir nicht würden gesehen haben. Wir haben die armen Knaben nicht mehr lieb wie die Griechen, wenn unsere neuere Zeiten ein schönes Stück in der Bildhauerkunst liefern, so muß es ein Mädgen seyn. Der christliche Künstler findet die Schönheit nicht, und wenn er sie fände und anbrächte, so erkennt sie den Anschauer wieder nicht.