Читать книгу Aphorismen – Sudeleien – Stichelreden - Georg Christoph Lichtenberg - Страница 13
Liebste Freunde
ОглавлениеBey jeder Veränderung unseres Zustandes werden uns gewöhnlich eine Menge von Dingen bald zu weit und bald zu enge, kurtz unbrauchbar. So wie wir ein paar Hosen verwachsen, so verwachsen wir Umgang, Bibliothecken, Grundsätze und dergleichen, zuweilen ehe sie abgenuzt sind, und zuweilen, welches der schlimmste Fall ist, ehe wir neue haben. Ich werde meinen Zustand bald verändern, eine gewisse Sehnsucht7 nach einem andern Leben, und ein inneres Gefühl meiner Fähigkeit dazu lassen mich diesen wichtigen Schritt nicht um eine Woche weiter hinaussetzen, als die Ostermesse 1770. Meine Füße wollen den Körper nicht mehr mit der Leichtigkeit tragen, die dem Studenten geziemt, sondern fallen öffters ohne daß ich es weiß in den mehr abgemessenen säenden Tritt der höhern Geschäffte. Im Colleg werde ich für einen eintzigen Platz zu breit, kurtz ich fühle mich reif dieses angenehme Leben zu verlassen, und mich meinen Vätern immer mehr und mehr zu nähern.
Ausser meinem unsichtbaren Vermögen, etlichen Kleidungsstücken, und ein paar Büchern werde ich alles zurücklassen, auch einige Lebens-Regeln, für welche ich reelle Auslage gethan habe und für welche man mir nirgends etwas giebt, werde ich nicht mitnehmen. Um aber eine Plünderung ab intestato zu vermeiden, so habe ich meinen lezten Willen hiermit bekannt machen wollen.
Du mein lieber L. würdest mich sehr verbinden wenn du meine Stube nehmen woltest. Ich habe allezeit von einer Stube grösere Begriffe gehabt, als der gewöhnliche Theil der Menschen. Ein groser Theil unserer Ideen hängt von ihrer Lage ab, und man kan sie für eine Art von zweytem Körper ansehen. Ich sähe sie nicht gern entheiligt, du bekommst wenn du sie nehmen willst meinen sehr rechtschaffenen Wirth, mein Barometer, und 6 Land Charten, die ich an die Tapete geklebt habe, auch das Thermometer in der Kammer ist dein. Du wirst dafür das kleine onus tragen einem ehrlichen gebrechlichen Armen, der alle Sonnabend an das Fenster kommen wird, jedes mal 4 zu geben. 144 solcher Almosen machen erst den Werth eines gemeinen Barometers, das meinige kostet wohl mehr.
Du must bedencken daß, hätte ich 50 Schritte weiter hinunter, um die Ecke herum, gewohnt, ich so wenig der Mensch wäre, der ich jetzo bin, als wenn ich 100 Meilen mehr mittäglich wäre empfangen worden. Einen gewissen herrschenden Grundsatz meines Thuns hätte ich noch nicht gefunden, wenn damals der Tisch vor meinem einen Fenster gestanden hätte der jetzo da steht, so leicht läßt sich das Fahrzeug drehen, das wir, mit unserer zeitlichen und – – ewigen Glückseeligkeit an Bord, durch diese Zeit fortzutreiben haben, die mindeste Bewegung theilt sich dem Steuerruder mit. Morgen ist es Sonntag, wenn ich wüste wo diejenige Stube seyn wird, die für die beste Observation vom Fenster die glücklichste Lage hat, ich böte dem Menschen der darauf wohnt 100 Thaler für einen Platz, weil dieses nicht geschehen kan, so will ich mich wenigstens bemühen bey einer aus meinem Fenster den besten Gedanken zu haben.
… Wieland hat für das Hertz gesungen und gesprochen. Seine Leichtigkeit ist nicht die bezahlte oder lobbegierige Leichtigkeit eines Tantzmeisters, sondern die auf gesunde Richtigkeit der Glieder gegründete eines Merkurs. Seine Wercke können sich mit offener Stirn allen Jahrhunderten zeigen, und wenn sie ihnen nicht gefallen unerschrocken sprechen: O der Barbarey!
Ich wünschte die Geschichte von mir so zu sehen, wie sie in verschiedenen Köpfen existirt, meine Brüder wissen die meisten Kleinigkeiten von mir, HErr Ljungberg weiß vieles von meiner besten Seite, Eßwein8 kennt meinen Charackter von der guten und der schlimmen Seite unter allen Menschen am besten. Eymeß8 weiß die meisten Thorheiten von mir und die meisten Heimlichkeiten, weil ich immer aus meinen Thorheiten Heimlichkeiten gemacht habe. Am einfältigsten würde meine Geschichte aussehen wenn sie Wächter8 beschreiben solte. HErr Ljungberg würde mich so schildern: Er hat kein böses Hertz, er ist im äusersten Grad flüchtig und seine Maximen, die er zuweilen äusert, sind nur für eine Stunde gemünzt, in der nächsten verschlägt er sie wieder. Er hat zuweilen gute Gedancken, und er kan so ziemlich vergnügt seyn, und hat es in seiner Gewalt es zu seyn. Ob er wohl würcklich seine Freunde liebte? Quaeritur. Eymes würde sich gewis so von mir ausdrücken: Sein Hertz ist gut, aber wer hätte die Streiche hinter ihm suchen sollen, wenn er zu Darmstadt mit seinen Büchern am Adler vorbey gieng; doch an den Augen kan man ihm etwas ansehen. Gottlob ich kenne ihn nun, und er gefällt mir desto besser. Ein paar dumme Streiche im August 1765 hätte er weniger machen sollen. Ich weiß, Eßwein, dessen vortreffliches Hertz immer für die menschliche Natur einen gehörigen Rabat rechnet, würde vortheilhafft von mir urtheilen, und ich wolte jederman dächte von mir, so wie er, so würde ich ohne bewundert zu seyn von jederman hochgeschäzt werden.
Er bewegte sich so langsam als wie ein Stunden Zeiger unter einem Haufen von Secunden Zeigern.
Es wäre nicht gut, wenn die Selbstmörder offt mit der eigentlichen Sprache ihre Gründe erzählen könten, so aber reducirt sie sich jeder Hörer auf seine eigene Sprache und entkräfftet sie nicht sowohl dadurch, als macht gantz andere Dinge daraus. Einen Menschen recht zu verstehen müste man zuweilen der nemliche Mensch seyn, den man verstehen will. Wer versteht, was Gedancken System ist, wird mir Beyfall geben. Oeffters allein zu seyn, und über sich selbst zu dencken, und seine Welt aus sich zu machen kan uns groses Vergnügen gewähren, aber wir arbeiten auf diese Art unvermerckt an einer Philosophie, nach welcher der Selbst Mord billig und erlaubt ist, es ist daher gut sich durch ein Mädgen oder einen Freund wieder an die Welt anzuhacken, um nicht gantz abzufallen.
Heute habe ich im de la Caille etwas über die Theorie der Cometen nachgelesen, als ich mich etwas ermüdet fand stüzte ich mich auf meinen Tisch, weil dieses die Lage ist in welcher ich gemeiniglich an mich selbst dencke, so nahmen meine Gedancken jetzo diesen Zug wieder. In den Gedancken giebt es gewisse Passat-Winde, die zu gewissen Zeiten beständig wehen, und man mag steuern und laviren wie man will, so werden sie immer dahin getrieben. Bey solchen November Tagen, wie die jetzigen, streichen alle meine Gedancken zwischen Melancholie und Selbst Verkleinerung hin, wenn übrigens kein besonderer Strom mit seitwärts treibt, und ich würde offt mich nicht mehr zu finden wissen, wenn nicht die beyden Compasse, Freundschafft und Wein mich lenckten und mir Muth gäben against a sea of troubles9 zu kämpfen. Mein Verstand folgte heute den Gedancken des grosen Newton durch das Weltgebäude nach, nicht ohne den Kützel eines gewissen Stoltzes, also bin ich doch auch von dem nemlichen Stof, wie jener grose Mann, weil mir seine Gedancken nicht unbegreiflich sind, und mein Gehirn Fibern hat die jenen Gedancken correspondiren, und was Gott durch diesen Mann der Nachwelt zurufen ließ wird von mir gehört, da es über die Ohren von Millionen unvernommen hinschlüpft. An diesem Ende folge ich der ehrwürdigen Philosophie, während als am andern Ende zwo Aufwärterinnen (die Stella mirabilis und der Planet) eben diesen Verstand, der sich so über die Erde zu schwingen glaubt, in einem Winckel nicht einmal für wichtig genug halten, allen ihren Witz gegen ihn zu gebrauchen, …. Die Einbildungskrafft, mit welcher ich der subtilsten Wendung einer Wielandischen Beschreibung folge, mir selbst meine eigene Welt schaffe durch die ich, wie ein Zauberer, wandele, und die Körner eines kleinen Leichtsinns in gantze Gefilde geistiger Lust aufblühen sehe, diese Einbildungskrafft wird offt von einer fein gebogenen Nase, von einem aufgestreiften gesunden Arm in ihrem schnellsten Schwung so hefftig angezogen, daß von der vorigen Bewegung nicht ein flüchtiges zittern übrig bleibt. So hänge ich in der Welt zwischen Philosophie und Aufwärterinnen List, zwischen den geistigsten Aussichten und den sinnlichsten Empfindungen in der Mitte, taumelnd aus jenen in diese bis ich nach einem kurtzen Kampf zur Ruhe meines beyderseitigen Ichs dereinst völlig getheilt hier faule und dort in reines Leben aufdunsten werde. Wir beyde, Ich und mein Körper sind noch nie so sehr zwey gewesen als jetzo, zuweilen erkennen wir einander nicht einmal, dann laufen wir so wider einander daß wir beyde nicht wissen wo wir sind.
Wie hat es Ihnen in dieser Gesellschafft gefallen? Antwort Sehr wohl, beynah so sehr als auf meiner Kammer.
Ich weiß nicht, der Mensch hatte würcklich die Miene, die man ein in sich kehren der Augen des Geistes nennen könte, und allezeit ein Zeichen des Genies ist.
Nicht jedem ist es gegeben so zu schreiben, wie es dem Menschen in abstrackto zu allen Zeiten und in allen Welt Altern gefallen muß. In einer Verfassung der Welt, wie die jetzige ist, gehört viel Krafft dazu nur immer im Wesentlichen zu wachsen, sehr viel Ballast, um nicht wenn alles schwankt auch mit zu schwanken. Auf diese Art natürlich zu schreiben erfordert unstreitig die meiste Kunst, jetzo da wir meistens künstliche Menschen sind; wir müssen, so zu reden, das Costume des natürlichen Menschen erst studiren, wenn wir natürlich schreiben wollen. Philosophie, Beobachtung seiner selbst und zwar gnauere, Naturlehre des Hertzens und der Seele überhaupt, allein, und in allen Verbindungen, diese muß derjenige studieren der für alle Zeiten schreiben will… Der Gedancke, daß es so ausserordentlich leicht ist schlecht zu schreiben, hat mich daher offt beschäfftigt. Ich meine nicht daß es leicht sey etwas schlechtes zu schreiben, das man selbst für schlecht hält, nein sondern daß es so leicht ist etwas schlechtes zu schreiben, das man für sehr schön hält, hierinn liegt das demüthigende. Ich zeichne eine gerade Linie und die gantze Welt sagt, das ist eine krumme, ich zeichne noch eine, diese wird gewiß grade seyn, und man sagt gar, O diese ist noch krümmer. Was ist da zu thun? Das beste ist keine gerade Linien mehr gezeichnet und dafür anderer Leute gerade Linien betrachtet, oder selbst nachgedacht.
Man hört es seinen Bemerckungen an, wie sehr ihn sein Clima drückt.
Wer Unterricht geben will von dem kan man mit Recht verlangen, daß er alles in einem Ton sage, der zu erkennen giebt, daß er auch im Fall der Noth welchen annehmen könne. …
Man lese nicht viel und nur das beste, langsam, und befrage sich alle Schritte, warum glaube ich dieses? folgt es aus meinem übrigen Gedancken System, oder ist es nur aus Trägheit zur Untersuchung durch Vorurtheil, fides implicita und dergleichen daran angeplackt worden, hat sich einmal ein solcher Klumpe angehängt und man fängt an darauf zu bauen, so reißt öffters alles ab und dann wird eine Menge guter Sachen zuweilen unbrauchbar, und die Mühe ist doppelt sie an das eigentliche System schicklich so anzusetzen daß sie anschlagen.
Ohne meine innere Ueberzeugung würde alle Ehre, Glück und Beyfall der Welt mich nicht vergnügt machen können, und wenn ich meiner Ueberzeugung nach es bin, so kan das Urtheil einer gantzen Welt mich nicht in diesem Genus stöhren. Es ist einer mit von den Gala-Gedancken mittelmäßiger Schrifftsteller geworden, den Bettler vor dem König glücklich zu preißen. Es ärgert mich nur, daß ihn so viele Leute sagen, deren Eigenthum er nicht ist, er ist aber würcklich gegründet, ich glaube, daß es im Kranckenbette offt besser zugeht als am ersten Platz der königlichen Tafel. Ich habe wenigstens in einer kleinen Kammer als Krancker im Bette zuweilen Augenblicke gehabt, die ich den glücklichsten meines übrigen Lebens ohne Scheu gleich setze; traurige auch, das versteht sich, aber auch eben so traurige bey vollkommener Gesundheit ausser dem Bette.