Читать книгу Aphorismen – Sudeleien – Stichelreden - Georg Christoph Lichtenberg - Страница 9
[B] Jocoseria [1768–1771]
ОглавлениеWenn er seinen Verstand gebrauchen solte, so war es ihm als wenn jemand, der beständig seine rechte Hand gebraucht hat, etwas mit der lincken thun soll.
HErr Magister Wilckes schreibt nicht gantz schlecht. Schlecht schreiben heißt eigentlich so schreiben, daß sich das Werck des Künstlers wegen seiner Holprigkeit weder vorwärts in die menschliche Natur will einpassen lassen und rückwärts auch nicht mehr an den menschlichen Künstler anschließt und so zwischen beyden darinne schwebt, zu schlecht um für menschlich, zu verständlich um für übermenschlich und zu Deutsch um für das Werck irgend eines Orang Outang gehalten zu werden.
Mich dünckt immer die gantz schlechten Schrifftsteller solte man immer in den gelehrten Zeitungen ungeahndet lassen, die gelehrten Zeitungsschreiber verfallen in den Fehler der Indianer die den Orang Outang für ihres gleichen, und seine natürliche Stummheit für einen Eigensinn halten, von welchem sie ihn durch häufige Prügel vergeblich abzubringen suchen.
Es giebt eine gewisse Art von Büchern, und wir haben in Deutschland eine große Menge, die nicht vom Lesen abschrecken, nicht plötzlich einschläfern, oder mürrisch machen, aber in Zeit von einer Stunde den Geist in eine gewisse Mattigkeit versetzen, die zu allen Zeiten einige Ähnlichkeit mit derjenigen hat, die man einige Stunden vor einem Gewitter verspürt. Legt man das Buch weg, so fühlt man sich zu nichts aufgelegt, fängt man an zu schreiben, so schreibt man eben so, selbst gute Schrifften scheinen diese laue Geschmacklosigkeit anzunehmen, wenn man sie zu lesen anfängt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß gegen diesen traurigen Zustand nichts geschwinder hilfft als eine Tasse Caffee mit einer Pfeife Varinas.
… Simpel und edel simpel schreiben erfordert villeicht die gröste Spannung der Kräffte, weil in einer allgemeinen Bestrebung unserer Seelenkräffte, gefallen zu wollen, sich nichts so leicht einschleicht als das gesuchte, es wird ausserdem eine gantz eigene Art dazu erfordert die Dinge in der Welt zu betrachten, die eher das Werck eines nicht sehr belesenen schönen Geistes als eines Studiums des Alterthums ist. …
Der Pöbel ruinirt sich durch das Fleisch das wider den Geist, und der Gelehrte durch den Geist dem zu sehr wider den Leib gelüstet.
… Das grose Genie urtheilt in Gesellschafften nicht allein offt in Dingen die nicht in sein Feld gehören, sondern auch in den seinigen nicht allzeit gut, es seyen denn Dinge die es sehr häufig überdacht hat, oder worüber eine blose Belesenheit entscheidet. Sich selbst allein gelassen besizt es eine gewisse Aufmercksamkeit auf alltägliche Dinge, in welchem ein Hauptunterscheidungszeichen des grosen Geistes zu liegen scheint, sich nicht durch Local Denckungsart hinreisen zu lassen, alle Begebenheiten als individua anzusehen und nicht durch einen dem schwachen Menschen sehr natürlichen Kunstgrif sie in dem Genere summo alltäglicher Dinge alle gleich unbemerckt vorbeystreichen zu lassen. So ist niemand der Welt, hauptsächlich der gelehrten, unnützer, als derjenige Fromme der alle Dinge nur in dem Genere summo des irrdisch-vergänglichen, oder seine Empfindungen in unsern Worten ausgedrückt, des nichtswürdigen übersieht und der Untersuchung unwürdig schäzt. Der Philosoph muß hierinn einigermassen seinem Schöpfer nachahmen, und, wenigstens in einem engen Bezirck, nur individua sehen. Diese Art die Dinge zu betrachten ist ein Hauptkennzeichen des Genies, es betrachtet freylich nicht alles so, es würde sonst Gott selbst seyn müssen. …
Wir haben heutzutage eine gantze Menge sogenannter feiner Köpfe (nicht groser Geister). Es sind aber dieses nicht sowohl Leute, die groß in der gantzen Anlage ihres Geistes und zwar ursprünglich sind, sondern bey den meisten ist die Feinheit eine Schwächlichkeit, Hypochondrie, eine kränckliche Empfindlichkeit. Ein solcher Gelehrter ist zu feinen Bemerckungen aufgelegter als andere Menschen, stifftet aber [in] dem Reich der Gelehrsamkeit selten so viel Nutzen, glaubt viel ausrichten zu können, wenn er nur erst wolte, will aber niemals. Diese Leute bilden sich leicht nach allem, wenn sie lauter gutes lesen, so schreiben sie ziemlich gut, sie sind aber allzeit weit entfernt von der sicheren Richtigkeit der Alten, deren Genie der gesunden und festen Reife einer Frucht und nicht der welcken wurmstichigen, wiewohl offt schönfarbigten einiger neueren gleicht.
Der Deutsche liegt im Charackter so zwischen dem Frantzosen und Engelländer in der Mitte, daß unsere Romanen Schreiber leicht einen von diesen beyden schildern, wenn sie einen Deutschen nur mit etwas starcken Farben mahlen wollen.
In der Erinnerung an unser vergangenes Vergnügen lassen wir unsern sinnlichen Cörper im gegenwärtigen und stellen uns gantz in abstrackto, als ein gutes arkadisches Ding ohne Schulden, ohne Sorgen, ohne nothleidende Verwandten, zurück in die damalige Zeit, denn wir sind nicht im Stand uns die vereinte Würckung verschiedener Eindrücke so gut zu vergegenwärtigen als eines eintzigen.
Der eigentliche Mensch sieht wie eine Zwiebel mit vielen tausend Wurtzeln aus, die Nerven empfinden allein in ihm, das andere dient diese Wurtzeln zu halten, und bequemer fortzuschaffen, was wir sehen ist also nur der Topf, in welchen der Mensch (die Nerven) gepflanzt ist.
Jedermann solte wenigstens so viel Philosophie und schöne Wissenschafften studieren als nöthig ist um sich die Wollust angenehmer zu machen. Merckten sich dieses unsere Landjuncker, Hof Cavalier, Grafen und andere, sie würden offt über die Würckung eines Buchs erstaunen. Sie würden kaum glauben wie sehr Wieland den Champagner erhöhet, seine häufige Rosenfarbe, sein Silberflor, seine leinenen Nebel würden ihnen selbst den Genuß eines guten elastischen Dorf Mädgens mehr sublimiren.
… Ich habe bemerckt, daß Personen, in deren Gesichtern ein gewisser Mangel von Symmetrie war, offt die feinsten Köpfe waren. Wenn einem gewissen Bildniß zu trauen war, das ich von HErrn von Voltaire gesehen habe, und von dem man mir versicherte, daß es ein Abguß wäre von einer Form, die man in Mannheim über sein Gesicht gegossen habe, so ist die eine Seite des Gesichts viel kürtzer als die andere, auch die Nase, wiewohl kaum mercklich, schief. K… r1 von der einen Seite betrachtet sieht viel jünger aus, als von der andern. Diesen beyden merckwürdigen Gesichtern giebt eben dieses wiewohl nicht anstößige irreguläre einen gewissen Schwung, aus welchem alles das Saltz und die Bitterkeit hervorblickt, die ihre Schrifften so charackteristisch gemacht haben….
Er pflegte seine obern [und] untern Seelenkräffte das Ober und Unterhauß zu nennen, und sehr offt ließ das erstere eine Bill passiren, die das leztere verwarf.
Wir können gar nichts von der Seele sehen wenn sie nicht in den Minen sizt, die Gesichter einer grosen Versammlung von Menschen könte man eine Geschichte der menschlichen Seele nennen mit einer Art von Chinesischen Zeichen geschrieben. Die Seele legt, so wie der Magnet den Feilstaub, so das Gesicht um sich herum und die Verschiedenheit der Lage dieser Theile bestimmt die Verschiedenheit dessen, das sie ihnen gegeben hat. Je länger man Gesichter beobachtet, desto mehr wird man an den sogenannten nichtsbedeutenden Gesichtern Dinge wahrnehmen, die sie individuell machen.
Jeder Mensch hat auch seine moralische backside, die er nicht ohne Noth zeigt, und die er so lange als möglich mit den Hosen des guten Anstandes zudeckt.
In dem Hause, wo ich wohnte, hatte ich den Klang und die Stimmung jeder Stufe einer alten höltzernen Treppe gelernt, und zugleich den Tackt, in welchem sie jeder meiner Freunde, der zu mir wolte, schlug, und, ich muß gestehen, ich bebte allemal, wenn sie von einem paar Füßen in einem mir unbekanten Ton heraufgespielt wurden.