Читать книгу Aphorismen – Sudeleien – Stichelreden - Georg Christoph Lichtenberg - Страница 14

Auf ein schönes Mädgen, das in der Kirche sehr andächtig war.

Оглавление

Andächtiger und schöner als Lucinden

Wird man nicht leicht ein Mädgen beten sehn;

In jedem Zug lag Reue für die Sünden

Und jeder reizte zum Begehn.

Es ist ein Fehler, den der blos witzige Schrifftsteller mit dem gantz schlechten gemein hat, daß er gemeiniglich seinen Gegenstand eigentlich nicht erleuchtet, sondern ihn nur dazu braucht sich selbst zu zeigen. Man lernt den Schrifftsteller kennen und sonst nichts. So hart es auch zuweilen widergehen solte eine witzige Periode wegzulassen, so muß es doch geschehen, wenn sie nicht nothwendig aus der Sache fließt. …

… Ich habe mir so offt gewünscht, daß ich ein Fleckgen finden könte, wo ich sicher vor dem Schwancken der Mode, der Gewohnheit und aller Vorurtheile einmal die eigene Bewegung dieses verwickelten Systems beobachten könte. Nur einmal von Michaelis bis Ostern, und denn wolte ich es wagen einen Versuch über den Menschen zu schreiben. Aber leider sind die Beobachter des Menschen übel daran, und sie hätten ein weit gröseres Recht sich über den Mangel eines genugsam festen Standorts zu beklagen, als alle seefahrende Astronomen und Sterngucker dieser Welt zusammengenommen. … Riefe ich laut aus und hätten meine Worte den Klang der Posaune des lezten Tags: höre, du bist ein Mensch, so gut als Newton, oder der Amtmann oder der Superintendent, deine Empfindungen, treulich und so gut als du kannst in Worte gebracht, gelten auch im Rath der Menschen über Irrthum und Wahrheit. Habe Muth zu dencken, nehme Besitz von deiner Stelle! Wenn ich so schreye, so hören mich tausend Ohren, allein unter diesen tausenden ist doch villeicht kaum ein paar durch [die] der Sinn der Worte lauter hinunterdringt, und den Punckt befruchtet und belebt, der wenn er einmal im Menschen würcksam wird nicht selten dasjenige aus ihm macht was wir den Dencker, und mit Acktivität und äusseren Situationen verbunden den grosen, ja selbst den glücklichen Mann nennen können. Aber ehe ich weiter schreibe, so muß ich eine Frage an mich selbst thun. Wo habe ich diese Gedancken her, die ich hier schreibe? Ich bin ein freyer Mensch, meine Landesleute sind ehrliche Leute, ich spreche wie ich es dencke, bin ich gegen mich selbst aufrichtig und sage mir nicht selbst Dinge nach (: denn das heise ich so wenn man noch nicht aufgeklärte Empfindung durch den Verstand recktificirt und also ans Licht giebt:), so kan ich mich überall sehen lassen, ein falsches Urtheil wird mir alsdann zum Gebrechen, und nicht zum Vergehen angerechnet. Ist es Wahrheit bey dir was du redest oder ist [es] villeicht der Ton des Lustrums worinn du schreibst? Ich sehe tief in meine Seele hinein und ich erkenne, der Gedancke ist ein Produckt meines Systems, nicht eingeführt, ohnerachtet ich nicht zweifele, daß er häufig auf anderm Boden wächßt.

Ich muß in mir selbst eine Freyheit zu dencken einführen, da muß ich Herr seyn oder ich bin gar keiner, ich muß sehen und hören, vergleichen, aber nur ein Richter muß in mir seyn, niemals zwey: the whole man must move together10. Aber wo ist das Eins in 90 unter 100? 90 unter 100 füllen keinen Posten in der Welt, sie sind alle ein ausfüllendes Geschlecht das überall verschließt wo es hingestellt wird, ohne die Empfindung der geringsten Unbequemlichkeit, es drückt und reibt sie nichts, wo ihr Empfindungs-System nichts bestimmtes giebt, da helfen sie mit Glauben, Aberglauben par complaisance und Aberglauben aus Leichtsinn nach, und haben allzeit ein System fertig und giessen sich in jede Form. …

Wieland ist ein groser Schrifftsteller, er hat verwegene Blicke in eine Seele gethan, in die seinige oder eines andern, mitten in dem Genuß seiner Empfindungen greift er nach Worten und trifft, wie durch einen Trieb, unter tausenden von Ausdrücken offt den, der augenblicklich Gedancken wieder zu Empfindungen macht. Dieses hat er mit dem Shakespear gemein, ich meine hiermit nicht, daß er ihn nachahmt. Sternen hat er villeicht nachgeahmt, das ist er hat in Dingen Sternen gefolgt, in welchen ein weit geringerer Geist, als Wieland ihm auch hätte folgen können, da wo er Sternische Bemerckungen über die Dinge macht, da wolte ich nicht gerne sagen, daß er ihm nachgeahmt habe, dieses zu thun muß allemal einige Uebereinstimmung in den ersten Grundkräfften beyder Seelen, oder, wenn man lieber will, in den entferntesten Modificationen derselben seyn. Wieland ist aber weit über alles was ich kenne in den Schilderungen der sinnlichen Wollust, so wie sie sich einer schönen Einbildungskrafft entkörpert, und sie in den geistigen Genuß unendlicher Wonne versenckt, in welcher eine durch alle Sinne einströhmende Wollust wie ein Tropfen verschwindet; durch die der Adept Könige und Churfürsten hinter sich läßt, sich gegen eine Welt gewogen stoltz den Ausschlag giebt und Thaten aufwiegt, wovon der Ruf durch Jahrtausende durchhallt. Sein Rosenfarb und Silber, sein Quell des Lichts, sein Klang der Sphären haben für den Kenner im stillen zu seiner Zeit eben den Werth den seine verschobene Halstücher, seine leinenen Nebel und seine zweydeutigen Schatten zu einer andern Zeit für einen andern Leser haben.

Hätte die Natur nicht gewollt daß der Kopf den Forderungen des Unterleibes Gehör geben solte, was hätte sie nöthig gehabt den Kopf an einen Unterleib anzuschließen. Dieser hätte sich ohne eigentlich dasjenige zu thun was man Sünde nennt satt essen und sich satt paaren und jener ohne diesen Systeme schmieden, abstrahiren und ohne Wein und Liebe von Platonischen Räuschen und Platonischen Entzückungen reden und singen und schwatzen können. Küsse vergifften ist noch weit ärger von der Natur gehandelt, als das vergifften der Pfeile der Feinde im Krieg.

Zwischen Wachen und Traum, auch bey der herannahenden Gottheit des Bacchus, nimmt offt die Erinnerung längst vergangener Wollust einen gantz himmlischen Schwung in unsern Seelen.

Die gantz gemeinen Leute brauchen dasjenige was ihnen Gott zum Gebrauch in die Hände gegeben hat gewiß zweckmäßiger als wir vornehmen Leute. Ich meine nicht das bisherige Vermögen das ihnen der liebe Gott darbietet, das ihnen die grosen Herren mit ihren langen Händen wegnehmen ehe sie es recht brauchen können, sondern was ich meine ist eigentlich Leib und Seele. Der Gelehrte solte so in seiner Haushaltung dencken, wie der gemeine Mann in der seinigen, er denckt ohne zu wissen, daß er etwas thut, was die Gelehrten als ein sicheres Specificum gegen Fehler und Irrthümer anrathen, wofür aber die meisten als für einem bitteren Tränckgen Abscheu tragen. Die Studirten machen ein Gewerbe aus einem Ding das eine Pflicht ist und bilden sich ein, wenn sie über das dencken, was sie thun, sie hätten einen Lohn im Himmel verdient, da es doch nicht um ein Haar mehr verdienstlich ist als bey seiner Frau zu schlafen.

Die Scheidewand zwischen Vergnügen und Sünde ist dünne, daß sie der Strohm des langsamsten Blutes im siebentzigsten in Stücken drückt. Was? Will denn die Natur was sie nicht will? Oder denckt die Vernunfft was sie nicht dencken kan? Du Narr! Weg mit dieser verfluchten Demokratie wo alles das Wort führen will. Wenn ich will, soll eine uneinheimische, eingeführte nichtswürdige Sentenz aufsteigen und Fleisch und Blut Trotz bieten? Eine Sentenz Herr von diesem festen stäten Hang eines gantzen Systems zur Wollust? Ja werfe einem hungrigen Volck einen Zwieback zu und befriedige es oder halte die Flut mit einem Fächer auf. Sünde, was Sünde – Dreytausend Stimmen gegen eine, es ist nichts. Eine Schuldistincktion oder Priester Betrug. So – hier steh ich fest, und dieses bin ich. Seyd was ihr wolt, wohlan.

In der That war dieses sonderbar, aber mich dünckt du handelst sonderbar ohne sonderbar zu seyn. Höre, laß dich in kein Spiel ein mit dir selbst, du gewinnst dir doch nichts ab. Ich mag gern sehen, wenn man immer ist was man seyn kan, was hilfft es dich wenn du auch dem gegenwärtigen Augenblick etwas weiß machst, worüber dich der nächste Lügen straft.

An HErrn Ljungberg schrieb ich am 2. Decembris 1770:

Nun habe ich keinen Menschen mit dem ich vertraut umgehen kan; auch nicht einmal einen Hund zu dem ich du sagen könte. Zu meinem grösten Glück habe ich noch unter diesen Umständen ein gutes Gewissen, sonst hätte ich mich, je eher je lieber, schon zu der Ruhe begeben, wovon den Hamlet die Träume, die er in derselben fürchtete, zurückhielten. … Zu leben, wenn man nicht will, ist abscheulich, aber noch entsetzlicher wäre es unsterblich zu seyn, wenn man nicht wolte. So aber hängt ja die gantze erschreckliche Last an mir vermittelst eines Fadens, den ich mit einem Groschenmesser entzwey schneiden kan.

Unter den heiligsten Zeilen des Shakespear wünschte ich daß diejenigen einmal mit roth erscheinen mögten, die wir einem zur glücklichen Stunde getrunckenen Glas Wein zu dancken haben.

Ein gewisser Freund den ich kannte pflegte seinen Leib in drey Etagen zu theilen, den Kopf, die Brust und den Unterleib, und er wünschte öffters, daß sich die Hausleute der obersten und der untersten Etage besser vertragen könten.

Die gerade Linie wird eher in sich selbst wieder zurückkehren, als ich von meiner Richtung abweichen, sage mir einen Weg der noch näher ist als der gradeste und ich will den jetzigen fahren lassen und deiner Anweisung folgen.

Lieber Freund, du kleidest deine Gedancken so sonderbar, daß sie nicht mehr aussehen wie Gedancken.

Sage mir ob dieser nicht seltsam gekleidet ist und du sollst alle die meinigen nackend sehen ehe sie noch meine Sinnen mit ihrer Livree bedecken. Es ist eine Schande, die meisten unserer Wörter sind misbrauchte Werckzeuge, die offt noch nach dem Schmutz riechen, in dem sie die vorigen Besitzer entweyhten. Ich will mit neuen arbeiten, oder ohne so viel Lufft dazu zu brauchen, als ein Sommervogel aussumst, nur mit mir selbst in alle Ewigkeit sprechen.

Nun liebster Ihre Hand. – – Ihren Mund – so, nächstens mehr. Leben Sie wohl.

Wie abgeschmackt ist alles ohne dich, die Welt sieht mir aus wie eine kalte leere Stube, und die neuesten Dinge als wenn ich sie schon 3 mal gesehen hätte.

Selbst dadurch daß wir uns vergnügen auch noch einer geliebten Person ausserdem ein groses Vergnügen machen, ist das reizendste was sich der empfindliche Mensch dencken kan, daher hat auch die gütige Natur dieses Prämium demjenigen versprochen, der sich die Mühe nehmen würde andere seines gleichen zu machen.

Unser fetter Bachus, der seine dicken Schenckel über ein Faß geschlagen in der Rechten sein Baßglas hält, muß wieder zu jenem sanfften Gott der Alten zurückgebracht werden.

Der liebe Gott muß uns doch recht lieb haben, daß er immer in so schlechtem Wetter zu uns kommt.

Bey einem kleinen Fieber glaubte ich einmal deutlich einzusehen, daß man eine Bouteille Wasser in eine Bouteille Wein verwandeln könne durch die nemliche Methode wie man eine Figur in einen Triangel verwandelt.

… Diese Sänger der Freude heißen alles finster was Anstrengung kostet, oder was ihrer kindischen Vernunfft zu schwer fällt, zwar ziemlich menschlich, aber sie würden sich schämen solche Dinge laut zu sagen, wenn es nicht jetzo aus einer Schwäche des Zeitalters Mode wäre, solche Freude Genus des Lebens zu nennen, und sich dadurch wegen des Mangels an Männlichkeit und menschlicher Würde zu trösten.

Ist es denn so unrecht daß der Mensch wieder durch die nemliche Pforte zur Welt hinausgeht durch die er hineingekommen ist?

Ich spreche jetzo nicht mit Ihrem Witz, der alles zu bemänteln weiß, sondern mit Ihrem Gewissen spreche ich.

Daß das Genie eine Art von Kranckheit ist hat HErr Untzer so vortrefflich in seinem Arzt bewiesen, daß es jemanden grauen solte sich diese gefährlichste der Nerven Kranckheiten zu wünschen, und die beneidenswürdigste Nation unter dem Monde, ich meine die englische hat dieses auch erkannt, denn einer ihrer berühmtesten Naturforscher, der grose Hill hat einen Thee erfunden, der das Nachdencken vertreibt, ein sicherer Beweiß daß dieser grose Geist das Nachdencken für eine Schwachheit gehalten hat. Allein dafür sind wir Deutsche auch die Verachtung des leicht dahinrieselnden Galliers, und des harmonischen Italiäners, dieses Uebel reißt immer mehr und mehr in Deutschland ein, alles will heute zu tage dencken, sogar auf die Cantzel und Handwercker breitet sich dieses Uebel aus, Ich sehe es schon wie im Traum, daß dereinst, o der Schande! mein sich hinwegdenckendes Vaterland anfangen wird zu glauben, in der Rang Leiter der Nationen könte ein Liedgen die seinige nicht um eine Staffel höher bringen.

Neuer Vorschlag alle neugebohrne Mägdchen zu ersäuffen.

Es thun mir viele Sachen weh, die andern nur leyd thun.

Fein war er eigentlich nicht, allein er verstund doch die Kunst, wenn er es bedurfte, zuweilen auf seinen Nebenmenschen zu reiten.

… Jeder, der den Menschen weiter kennt, als der Naturgeschichtschreiber, oder der ihm ähnliche Moralist, der beschreibt, ohne das Messer zu gebrauchen. …

1 Lichtenbergs Lehrer und später Kollege, der Epigrammatiker Kästner.

2 Lichtenberg selbst, ebenso wie »Herr S.« in der nächsten Notiz und bloßes »er« in den meisten anderen.

3 Auslassungszeichen von Lichtenberg.

4 geraßt gegen Ende des Februars 1769 da der Safft anfieng in die Bäume zu steigen. Viel Nonsense was im Rausch Vernunfft zu seyn schien. [Lichtenbergs Anmerkung.]

5 Paul Flemings Kirchenlied.

6 Entdeckte mit Hilfe des Mikroskops Bakterien, Infusorien, Blutkörperchen und Hefezellen.

7 Diese hat eine Aehnlichkeit mit der Neigung sich zu dehnen beym physischen wachsen. [Anmerkung Lichtenbergs]

8 Lichtenbergs Gymnasial-Kameraden aus Darmstadt, studierten mit ihm in Göttingen.

9 Aus Hamlets »Sein oder Nichtsein«-Monolog.

10 »Der ganze Mensch muß sich als Einheit regen«. Leichte Variation einer Stelle aus dem 6. Stück des ›Spectator‹. Von Lichtenberg mehrmals zitiert; Motto des Gedankenbuchs C.

Aphorismen – Sudeleien – Stichelreden

Подняться наверх