Читать книгу Aphorismen – Sudeleien – Stichelreden - Georg Christoph Lichtenberg - Страница 16

Neujahrswünsche für HErrn D.

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Dir deine lauten Wünsche zu gewähren,

Dieß Glück muß ich, als sterblicher, entbehren.

Allein die heimlichen und stillen,

Dünckt mich, wolt ich, als sterblicher, erfüllen.

EinPüpchen wünsch ich dir, doch wahrlich nicht zur Schwester, Nicht groß, nicht klein, nicht mager und nicht dick,

Ihr Kleid aus Evas himmlischem Manchester, Beinkleiderchen und West aus einem Stück.

Seitdem jederman critische Chartequen ließt, so sind die Produckte des Witzes der Leute gewissermassen der Maasstab geworden, nach welchem man ihren Werth als Mensch überhaupt bestimmt.

Man hätte immer weg dencken und leben können ohne sich um die Art unsres Denckens und wie es zugehe zu bekümmern, gewiß hat man erst über Dinge außer uns philosophirt, bis endlich einer dieses Mikroskop auch auf sich selbst richtete. Wie geht es zu daß wir dencken? fragte sich einer, der Neugierde und Beobachtungs Geist besaß; nicht jeder Mensch, o Millionen von Menschen, manchen Professor, der die Psychologie erklärt, selbst nicht ausgenommen, würden nie eine solche Frage gethan haben. Wie viele Menschen fragen heutzutage: warum fällt alles nach der Erde? …

Es giebt 100 Witzige gegen einen der Verstand hat, ist ein wahrer Satz, womit sich mancher witzlose Dummkopf beruhigt, der bedencken solte, wenn das nicht zuviel von einem Dummkopf gefordert heißt, daß es wieder 100 Leute, die weder Witz noch Verstand haben, gegen einen gebe, der Witz hat.

Aus der Weisheit Gottes manche Sachen schliessen zu wollen ist nicht viel besser, als es aus seinem eignen Verstand zu thun.

Thue nicht allzufein, damit nicht ein natürlich feinerer zuweilen merckt, daß du würcklich so bist, wie du ihn gerne finden woltest. pm1

Es ist fast zu vermuthen, daß, wenn sich protestantische Religion, und kalte gesunde Vernunfft mehr ausbreiten, und wenn gesunde brauchbare Philosophie gäng und gebe wird, die schönen Künste mercklich verfallen werden. Ja es ist eine Frage ob nicht die schädlichen Folgen sich noch weiter erstrecken werden. Die gesündeste Philosophie ist geneigt sich in Vorschläge zu verliehren. Den Schwärmern, die feineren Aberglauben mit gesunder Vernunfft in der gehörigen Proportion zu mischen gelernt haben, ist es aufbehalten den bey der kalten Betrachtung gerinnenden Säfften des Völcker Cörpers wieder Flüssigkeit Wärme und Geschwindigkeit zu ertheilen, und die Glieder dahin zu vermögen nicht alle ihre Entschlüsse erst durch den Kopf passiren zu lassen. Der Hang zum besondern. Es wird daher auch nie eine Philosophie allgemein gemacht werden können. Vernunfft und Erfahrung können zwar bey einem Schrifftsteller einigermassen die Haushaltung für die Empfindung führen, wenn er beyde in einem sehr grosen Maaße besizt, nie wird er aber sein Werck durch Züge erheben können bey deren Erblickung der feinste Nachahmer bekennen muß, sie lägen ausser seinem Sprengel. Es scheint als wenn sich der Himmel die Mittheilung besonderer Gedancken und Entdeckungen selbst vorbehalten hätte da sie so selten die Frucht des Fleißes sind.

Es giebt eine Art Vögelchen, die in die dicksten hohlen Bäume Löcher hacken, die trauen ihren Schnäbeln so viel Krafft zu, daß sie allemal nach jedem Hieb auf die entgegengesezte Seite des Baumes gehen sollen um zu sehen, ob der Streich nicht durch und durch gegangen sey.

Wer hört Entschuldigungen, wenn er Handlungen hören kan?

Es ist allerdings keine geringe Schwierigkeit Philosophie zweckmäßig zu lehren, das Kind, der Knabe, der Jüngling und der Mann hat seine eigne. Wie glücklich, wenn ein Alter dem andern, ein Jahr dem andern in die Hand arbeitete, wenn das eine Räder, ein anderes Federn, noch ein anderes Zifferblätter verfertigte, so brächte noch wohl einmal ein 4tes eine Uhr zu Stande. Wenn jeder Mensch seinen besondern Planeten bewohnte, was wäre wohl da Philosophie? … Die Frage: soll man selbst philosophiren? muß dünckt mich so beantwortet werden als eine ähnliche: soll man sich selbst rasiren? Wenn mich jemand fragte, so würde ich antworten, wenn man es recht kan, es ist eine vortrefliche Sache. Ich dencke immer daß man das leztere selbst zu lernen suche, aber ja nicht die ersten Versuche an der Kehle mache. Handle wie die weisesten vor dir gehandelt haben, und mache den Anfang deiner philosophischen Uebungen nicht an solchen Stellen, wo dich ein Irrthum dem Scharfrichter in die Hände liefern kan. …

Die Prüfung der Begebenheiten ist ein reiches Feld für einen denckenden Geist, aber sind die Untersuchungen auch immer wichtig genug? Verdient es auch das bisgen Gold, das die Stufe enthält, daß man die mühsame Scheidung vornehme? – Gehe zur Mathematick, dort hast du nicht zu befürchten, daß durch einen Irrthum ein gefährlicher Indifferentismus dir deine Entschliessungen lähme.

Wir Protestanten glauben nunmehr in sehr aufgeklärten Zeiten in Absicht auf unsere Religion zu leben. Wie wenn nun ein neuer Luther aufstünde? Vielleicht heisen unsre Zeiten noch einmal die finstern. Man wird eher den Wind drehen oder aufhalten können, als die Gesinnungen des Menschen hefften.

Dieses ist dem Menschen so natürlich als das Dencken, oder das werfen mit Schneebällen.

Es war ihm unmöglich die Wörter nicht in dem Besitz ihrer Bedeutungen zu stöhren.

Das Mädchen hatte ein paar sündlich schöne Hände. pm2

In Hannover logirte ich einmal so, daß mein Fenster auf eine enge Strase gieng, wodurch die Communication zwischen zwo grosen erhalten wurde. Es war sehr angenehm zu sehen, wie die Leute ihre Gesichter veränderten, wenn sie in die kleine Strase kamen, wo sie weniger gesehen zu seyn glaubten, so wie einer hier pisste, der andere dort sich die Strümpfe band, so lachte der eine heimlich, und schüttelte der andere den Kopf. Mädchen dachten mit einem lächeln an die vorige Nacht und legten ihre Bänder zu Eroberungen auf der nächsten grosen Strase zurecht.

Die Astronomie ist vielleicht diejenige Wissenschafft, worinn das wenigste durch Zufall entdeckt worden ist, wo der menschliche Verstand in seiner gantzen Größe erscheint, und wo der Mensch am besten kennen lernen kan wie klein er ist. Vaezupahe.

Die kleinsten Unterofficier sind die stoltzesten.

Ich habe sehr offt schon darüber nachgedacht, worinn sich eigentlich das grose Genie von dem gemeinen Haufen unterscheidet. Hier sind einige Bemerckungen, die ich gemacht habe. Der gewöhnliche Kopf ist immer der herrschenden Meinung und der herrschenden Mode conform, er hält den Zustand in dem sich alles jezt befindet für den eintzig möglichen und verhält sich leidend bey allem. Ihm fällt nicht ein, daß alles von der Form der Meublen bis zur feinsten Hypothese hinauf in dem großen Rath der Menschen beschlossen werde, dessen Mitglied er ist. Er trägt dünne Sohlen an seinen Schuhen, wenn ihm gleich die spitzen Steine die Füße wund drücken, er läßt die Schuh Schnallen sich durch die Mode bis an die Zähen rücken, wenn ihm gleich der Schuh öffters stecken bleibt. Er denckt nicht daran, daß die Form des Schuhs so gut von ihm abhängt, als von dem Narren, der sie auf elendem Pflaster zuerst dünne trug. Dem grosen Genie fällt überall ein: könte auch dieses nicht falsch seyn? Er giebt seine Stimme nie ohne Ueberlegung. Ich habe einen Mann von grosen Talenten gekannt, dessen gantzes Meinungen System, so wie sein Meubeln Vorrath, sich durch eine besondere Ordnung und Brauchbarkeit unterschied, er nahm nichts in sein Hauß auf, wovon er nicht den Nutzen deutlich sah, etwas anzuschaffen, blos weil es andere Leute hatten, war ihm unmöglich. Er dachte, so hat man ohne mich beschlossen, daß es seyn soll, vielleicht hätte man anders beschlossen, wenn ich mit dabey gewesen wäre. Danck sey es diesen Männern, daß sie zuweilen wenigstens wieder einmal schütteln, wenn es sich setzen will, wozu unsere Welt noch zu jung ist. Chineser dürfen wir noch nicht werden. Wären die Nationen gantz von einander getrennt, so würden vielleicht alle obgleich auf verschiednen Stufen der Vollkommenheit zu dem Sinesischen Stillstand gelangt [seyn].

Eine Strafe im Traum ist allemal eine Strafe. Vom Nutzen der Träume.

… Die Philosophie des gemeinen Mannes ist die Mutter der unsrigen, aus seinem Aberglauben konte unsre Religion werden, so wie unsere Medicin aus seiner Hausmittelkenntniß. …

Die Catholicken bedencken nicht, daß der Glauben der Menschen sich auch ändert, wie überhaupt die Zeiten und Kenntnisse der Menschen. Hier zunehmen und dort stille stehn ist den Menschen unmöglich. Selbst die Wahrheit bedarf zu andern Zeiten wieder einer andern Einkleidung um gefällig zu seyn.

Was ist eigentlich die Feurigkeit und Flüchtigkeit eines Genies? Regeln der künstlichen Logick es zur kalten Untersuchung herabzustimmen. Unstreitig könten solche Köpfe viel leisten, wenn sie sich gewöhnen könten das Vergnügen in der Kentniß der Menge der Theile eines Dinges zu finden, das sie in der Kenntniß der Menge von Dingen finden. Z. U.3

Zwey auf einem Pferd bey einer Prügeley ein schönes Sinnbild für eine Staatsverfassung.

Dieses haben unsere Vorfahren aus gutem Grunde so geordnet, und wir stellen es aus gutem Grunde nun wieder ab.

Zeit urbar machen.

Du fragst mich Freund welches besser ist, von einem bösen Gewissen genagt zu werden oder gantz ruhig am Galgen zu hängen?

Ist denn kein Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Schinderey?

Als der brave Mann todt war, so trug dieser den Hut, der den Degen so wie er, der ließ sich so frisiren, jener gieng wie er, aber der redliche Mann wie er wolte keiner mehr seyn.

Die Bauern (Deutsche) saßen da und waren ungestöhrt frey, eine schöne Gelegenheit, wenn es von einem reisenden Deutschen in England wäre gesehen worden, uns von neuem die Freyheit, Grosmuth und Gott weiß was der Engländer mit einem Beyspiel zu belegen.

Die Vergnügen der Einbildung sind gleichsam nur Zeichnungen und Modelle, womit die armen Leute spielen, die sich die andern nicht anschaffen können.

Gäbe es nur lauter Rüben und Cartuffeln in der Welt, so würde einer vielleicht einmal sagen, es ist schade daß die Pflantzen verkehrt stehen.

Die Indianer nennen das höchste Wesen Pananad oder den Unbeweglichen weil sie selbst gerne faullentzen.

Ich habe einmal in Stade eine Ruhe mit einem heimlichen lächeln in dem Gesicht eines Kerls erblickt, der seine Schweine glücklich in eine Schwemme gebracht hatte worein sie sonst ungern giengen, desgleichen ich nachher nie wieder gesehen habe.

Newton hat die Farben zu scheiden gewußt, wie wird der Psycholog heisen, der uns sagen wird woraus die Ursachen unsrer Handlungen zusammengesezt sind? Die meisten Dinge wenn sie uns mercklich werden sind schon zu groß, ob ich den Keim in der Eichel mit dem Mikroskop oder den 200jährigen Baum mit blosen Augen ansehe, so bin ich gleich weit vom Anfang. Das Mikroskop dient nur uns noch mehr zu verwirren. So weit wir mit unsern Tubis reichen können sehen wir Sonnen, um die sich wahrscheinlich Planeten drehen; daß in unsrer Erde so etwas vorgeht, davon überführt uns die Magnet Nadel. Wie wenn sich dieses noch weiter erstreckte, wenn sich in dem kleinsten Sandkörnchen ebenso Stäubchen um Stäubchen drehten, die uns so zu ruhen scheinen, wie die Fixsterne? Es könte ein Wesen geben, dem das uns sichtbare Weltgebäude wie ein glühender Sandhaufen vorkäme. Die Milchstraße kan ein organischer Theil seyn, in wieferne liese sich die Vegetation aus diesem System erklären? Es giebt nur eine eintzige grade Linie, aber eine unendliche Menge krummer, wenn sich also ein Körper bewegt, so läßt sich eine unendliche Summe gegen eins setzen, daß es eine krumme sey, und für jede Krümmung läßt sich ein Mittelpunckt angeben. Da sich eine Circkelförmige Bewegung in der Welt am längsten erhält, wie wir an den Planeten sehen, sowohl an ihren Bewegungen um die Axe als um die Sonne und Hauptplaneten, so könte alle Bewegung in der Welt daher ihren Ursprung nehmen. Das Licht allein scheint hiervon eine Ausnahme zu machen, da es aber vermuthlich schwer ist, so wird es doch gebogen. Da schon grose Meßkünstler angenommen haben daß sich dieses gantze System um einen uns unsichtbaren Körper drehe, warum könte unsere Erdkugel nicht ein solches System von Fixsternen seyn? Hier sitzen wir in einer solchen Sandkugel. Unsere Erde ist uns freylich das sonderbarste, so wie unsere Seele die sonderbarste Substantz, weil wir jene allein selbst bewohnen, und diese allein selbst sind. Wenn wir nur einen Augenblick einmal etwas anderes seyn könten. Was würde aus unserm Verstand werden, wenn alle Gegenstände das würcklich wären wofür wir sie halten? Z. U.4

Eine Hauptregel für Schrifftsteller, zumal solche, die ihre eigne Empfindungen beschreiben wollen, ist: Ja nicht zu glauben, daß, weil sie solches thun, dieses bey ihnen eine besondere Anlage der Natur dazu anzeige. Andere können dieses vielleicht eben so gut als du. Sie machen nur kein Geschaffte daraus, weil es ihnen einfältig vorkommt solche Dinge bekant zu machen.

Was geht es dich an was der Grund dieser guten That bey diesem Manne gewesen seyn mag? Wenn auch nicht Neid die Quelle der That gewesen ist, so kan es doch das Vergnügen, beneidet zu werden, seyn. Nicht der eigne Neid also, sondern der Neid andrer. Z. U.4

Glaubt ihr etwa, eure Ueberzeugung habe ihre Stärcke den Argumenten zu dancken? Ihr irrt sicherlich, sonst müste jeder, der sie hört, überführt werden, so gut als ihr. Voltair ist verblendet, sagen die Theologen, und er sagt: ihr seyd verblendet. Da sie gar nicht gerichtlich darthun können, daß sie mehr Vernunfft haben als er, und er mehr Weltkenntniß und Philosophie besizt als sie, so ist noch ein Uebergewicht auf seiner Seite. Man kan so gut für, als wider einen Satz verblendet seyn. Gründe sind öffters und meistentheils nur Ausführungen von Ansprüchen, um etwas, das man in jedem Fall doch gethan haben würde, einen Anstrich von Rechtmäßigkeit und Vernunfftmäßigkeit zu geben. Es scheint die Natur habe eine so nöthige Sache, als ihr die Ueberzeugung beym Menschen war, nicht gern auf Vernunfftschlüsse allein ankommen lassen wollen, indem diese leicht betrüglich seyn können. Der Trieb komt uns, dem Himmel sey es gedanckt, schon über den Hals, wenn wir offt mit dem Beweiß der Nützlichkeit und Nöthigkeit noch nicht halb fertig sind.

Der kühnste Flug des faselnden Menschen.

Ich bemerckte würcklich auf seinem Gesicht den Nebel, der allezeit während des Wonnegefühls aufzusteigen pflegt das man hat, wenn man sich über andere erhaben zu seyn glaubt.

… Ich mag immer den Mann lieber, der so schreibt daß es Mode werden kan, als den der so schreibt wie es Mode ist.

Grose Leute fehlen auch, und manche darunter so offt, daß man fast in die Versuchung geräth sie für kleine zu halten.

Nicht Größe des Geistes sondern des Windes hat ihn zu dem Manne gemacht.

Die Menschen können nicht sagen, wie sich eine Sache zugetragen, sondern nur wie sie meinen, daß sie sich zugetragen hätte.

1 Mit pm und πμ, (wahrscheinlich für pellucidus mons = »Lichtenberg«) meint Lichtenberg häufig sich selbst als Gegenstand oder, öfter, als Autor der Bemerkung.

2 S. Anm. S. 49.

3 Vermutlich = »Zu untersuchen«.

4 S. Anm. S. 53.

Aphorismen – Sudeleien – Stichelreden

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