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Mata Hari an Oberst Redl Geheimtreffen der Meisterspione
ОглавлениеDer Oberst war, als er der Südbahn entstieg, in Zivil gekleidet und versteckte sein rundliches Gesicht unter einem tiefsitzenden, breitkrempigen Panamahut. Mata trug einen unauffälligen grauen Stoffmantel und – obwohl an diesem Tag kein Sonnenstrahl durch die dichten Wolken drang – eine dunkle Sonnenbrille.
Man war inkognito, zumal ein solches Rendezvous lebensgefährlich sein konnte.
Also fand das Treffen der beiden Meisterspione unter entsprechender Geheimhaltung statt. Und so dringt der Inhalt ihres Gesprächs hier, mit mehr als achtzigjähriger Verspätung, erstmals ans Licht der Öffentlichkeit.
Alfred Redl, Oberst des Generalstabs und langjähriger Chef der österreichisch-ungarischen Spionageabwehr, sowie Mata Hari, als Nackttänzerin und Agentin nicht minder prominent, waren am 16. April 1912 im Grandhotel Panhans am Semmering abgestiegen. Unter falschen Namen, versteht sich.
Mata klopfte an Alfreds Tür, durfte aber erst nach Nennung des vereinbarten Codewortes (»Opernball«) eintreten.
»Hast du darauf geachtet, daß dir niemand folgt?« fragte der Oberst.
»Wofür hältst du mich? Glaubst du, die berühmteste Spionin aller Zeiten benimmt sich wie eine blutige Anfängerin?«
»Natürlich nicht«, beruhigte Redl seine Kollegin und betätigte die Klingel, um das Zimmermächen zu rufen. »Setz dich, Mata. Schön, dich kennenzulernen. Über Mittelsmänner hatten wir schon Kontakt zueinander – leider warst du meist auf der anderen Seite. Aber ich habe dich als Agentin immer sehr geschätzt.«
»Auch ich bewundere deine Arbeit.«
»Ist Mata Hari dein wirklicher Name?« fragte Redl, während er der schönen Agentin aus dem Mantel half. Mit ihren vierzig Jahren war sie immer noch eine strahlende Erscheinung. Und in dem dunkelblauen Kostüm, das ihre gertenschlanke Figur betonte, sah sie bezaubernd aus.
»Nein, es ist ein Künstlername, den ich seinerzeit als Tänzerin wählte. Mata Hari bedeutet Auge der Morgendämmerung. Eigentlich heiße ich Margarethe Zelle, mein Vater war Hutmacher in den Niederlanden. Aber das Pseudonym sollte sich als wichtig für meine weitere Karriere erweisen. Oder kannst du dir vorstellen, daß die Garbo, Jeanne Moreau und Sylvia Kristel mein Leben verfilmt hätten, wenn ich als Fräulein Zelle in die Spionagegeschichte eingegangen wäre? Ich mußte mich Mata Hari nennen, um weltberühmt zu werden.«
Es klopfte an der Tür. Reflexartig umfaßte Redl den Griff seiner Dienstpistole.
»Hier ist Anni, das Zimmermädchen«, meldete sich eine verdächtige Frauensperson, »darf ich eintreten?«
Mata Hari verschwand im Bad, und der Oberst ließ das Mädchen herein.
»Bringen Sie mir zwei große Tassen Kaffee!« sagte er.
»Zwei?« Erstaunt sah Anni den Gast an. Redl wußte in diesem Augenblick, daß er einen schweren, vielleicht sogar einen tödlichen Fehler begangen hatte. War das Zimmermädchen eine zu seiner Überwachung angesetzte russische Agentin? Oder würde es dem Evidenzbüro, also dem österreichischen Geheimdienst, sofort Meldung erstatten?
Schnell beruhigte sich Redl wieder. Was konnte ihm schon passieren. Schließlich war er selbst Chef der Spionageabwehr – jede verdächtigte Meldung käme als erstes auf seinen Schreibtisch im Wiener Kriegsministerium. Und den Russen könnte er im Falle des Falles erzählen, er wollte Mata Hari für St. Petersburg anwerben.
»Ich trinke zwei Tassen Kaffee«, sagte der Oberst, »weil ich die ganze Nacht kein Auge zugemacht und jetzt eine wichtige Arbeit zu erledigen habe, bei der ich hellwach sein muß.« Das Zimmermädchen nahm die Erklärung mit derart gelangweilter Miene auf, daß er annehmen konnte, keiner Agentin gegenüberzustehen.
Anni ging, und Mata Hari kehrte aus dem Bad zurück. Sie setzte sich.
Erschöpft ließ sich auch Redl in einen Fauteuil fallen. »Die Leute glauben immer, die Spionage sei ein Abenteuer, bei dem man ständig auf Reisen ist und Unmengen von Geld verdient – in Wahrheit ist’s eine Drecksarbeit. Morgens bis abends irgendwelche Leute verfolgen, geheime Schriftstücke kopieren, Gespräche abhören …«
»… und immer darauf achten, ob du nicht selbst beobachtet oder von der Gegenseite abgeknallt wirst«, ergänzte Mata Hari. »Wie bist du zu dem Job gekommen?«
»Erinnere mich nicht daran«, bat Alfred. »Die Russen zwangen mich, für sie zu arbeiten. Und wenn du erst einmal drinsteckst, kommst du da nicht mehr raus.«
»Wem sagst du das«, klagte die Agentin.
»Wie herrlich wäre es, ein beschauliches Leben führen zu können, in einem kleinen Häuschen irgendwo auf dem Lande, den eigenen Garten zu pflegen …«
»… ein paar Kinder zu haben.«
»Das wär’ bei mir nicht drin, du weißt …«, erwiderte der Oberst.
»Ach ja, du hattest immer Probleme mit Frauen.«
»Das war ja mein Verhängnis. Hätte ich bei den Russen nicht mitgemacht, als sie mich 1901 dazu erpreßten, hätten sie ihr Wissen um meine Neigungen an den österreichischen Generalstab weitergeleitet. Das wäre das Ende meiner Offizierskarriere gewesen.«
»Wir Agenten sind unseren Auftraggebern schutzlos ausgeliefert«, sagte Mata Hari. »Es geht doch nicht an, daß unsereins ohne Kollektivvertrag, Krankenkasse und Pensionsversicherung auskommt. Was soll aus uns werden, wenn wir alt sind?«
»Wer wird in unserem Beruf schon alt?«
»Das kann man nie wissen.«
»Wenn du mich fragst – ich will gar nicht alt werden«, öffnete Redl seine Seele. Der Spion zündete sich eine Virginia-Zigarre an, wie auch der Kaiser sie zu rauchen pflegte.
»Schau mich an, Mata, ich bin am Ende. Du mußt wissen, daß ich immer nur ein treuer Untertan meines Kaisers war. Nichts lag mir ferner, als mein Vaterland zu verraten. Aber seit mich die Russen in der Hand haben, muß ich der Ochrana – dem Geheimdienst des Zaren – jede Information weitergeben, über die ich verfüge. Als Chef des österreichischen Kundschaftsbüros weiß ich über alle Geheimnisse unserer Armee Bescheid, und so ist der Feind von morgen über jeden Schritt, den wir im Ernstfall setzen würden, im Bilde. Würde ein Krieg ausbrechen – Österreich und sein deutscher Bündnispartner hätten keine Chance, so viel habe ich in all den Jahren preisgegeben. Und Hunderttausende meiner Kameraden müßten als Folge meines schändlichen Verrats auf den Schlachtfeldern ihr Leben lassen. Wenn Österreich durch meine Schuld diesen Krieg verliert, ist auch das ganze Kaiserreich dahin – und das deutsche ebenso.«
Redl nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarre. »Mit dieser Belastung lebe ich jeden Tag. Niemand weiß davon, nur ich, der russische Geheimdienst – und jetzt auch du.«
»Warum erzählst du mir das, Alfred, hast du nicht Angst, daß ich dich verraten könnte?«
»Wer weiß, vielleicht sehne ich mein Ende herbei.«
Wieder klopfte es an der Tür. Mata ging ins Bad, das Mädchen servierte den Kaffee, danach setzten die beiden Spione ihr Gespräch fort.
»Wer hat dich als Agentin angeworben?« fragte Redl.
»Ach, das ist eine lange Geschichte. Mein Mann war Kapitän der königlich-holländischen Marine. Als mich die Ehe zu langweilen begann, ließ ich mich in die Kunst der balinesischen Tänze einweihen. Sobald auf Bali der letzte Schleier fällt, wollen die Besucher der Bars und Nachtlokale mehr, viel mehr. Für 20 000 Francs pro Nacht haben sie das von mir auch bekommen.«
»20 000 Francs pro Nacht? Ein stolzer Preis!«
»Ich war’s wert. Zu jenen, die meine Liebesdienste in Anspruch nahmen, zählten Minister, Botschafter, Militär- und Marineattachés. Und so tat sich in meinem Schlafzimmer bald ein weiterer Geschäftszweig auf, als nämlich die Herren nach vollzogenem Akt von mir wissen wollten, worüber die anderen Diplomaten mit mir plauderten. Auf diese Weise konnte mich die feine Kundschaft bei ihrer Regierung als Agentin führen und mein Honorar als Spesen verrechnen. Also verkaufte ich jetzt neben meinem Körper auch mein Wissen.«
»Gut gemacht, Mata«, lobte Redl. »Bist du dabei glücklich?«
»Natürlich nicht. Am liebsten würde ich mich wieder Margarethe Zelle nennen und in mein bürgerliches Leben zurückkehren.«
»Dann würden sie dich sofort über den Haufen schießen!«
»Ja, damit müßte ich wohl rechnen. – Würdest du nicht auch am liebsten wieder deinen bürgerlichen Namen annehmen, Alfred?«
»Redl ist mein bürgerlicher Name. Leider! Hätte ich einen anderen, wäre meine Story vielleicht von Orson Welles oder Billy Wilder verfilmt worden. Und nicht von Franz Antel.«
»Antel hätte auch einen Film über mich drehen können«, sagte Mata Hari.
»Warum?«
»Als Nackttänzerin!«
»Richtig. Mein Film war aber kein typischer Antel. Immerhin hat mich Ewald Balser gespielt und Oskar Werner meinen Liebhaber. In einer späteren Verfilmung wurde ich von Klaus Maria Brandauer dargestellt.«
»Gratuliere!«
»Ja, ich hab’s in meinem Beruf zu einer gewissen Prominenz gebracht«, sagte Redl. »Mein Honorar von der Ochrana wird postlagernd an der Wiener Hauptpost hinterlegt, fünfzigtausend Kronen im Jahr – ein kleines Vermögen. Aber mir bleibt nicht viel davon, denn natürlich erpreßt mich Stefan, mein Liebhaber, ein kleiner Leutnant aus Stockerau.«
»Hoffentlich erwischen sie dich nicht, wenn du eines Tages dein Geld von der Hauptpost holst.«
»Hältst du mich für einen Idioten! Auf wen soll ich als der gefinkeltste Agent zwischen Wien und Petersburg hereinfallen? Ich bin Chef der k. u. k. Spionageabwehr und verkaufe gleichzeitig die österreichischen Aufmarschpläne an Rußland. Nebenbei liefere ich noch die mir zugänglichen Geheimnisse unseres deutschen Bündnispartners an Frankreich.«
»Und ich die französischen Geheimnisse an Deutschland«, bemerkte Mata spitz.
»Was? Ich verkauf’ Deutschland an Frankreich und du Frankreich an Deutschland?« überlegte Redl. »Da hebt sich doch alles wieder auf.«
»Wenn das so ist, können wir unser schlechtes Gewissen ad acta legen. Wir haben niemandem genützt und niemandem geschadet!«
Erleichtert gingen die beiden in die Halle und nahmen vor den versammelten Hotelgästen ihr Abendessen ein.