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Mit der Kaiserin im Kino

Elisabeth schaut sich einen Sissi-Film an

In einem Wiener Kino spielen sie immer wieder diese herrlichen alten Filme mit dem Moser, dem Hörbiger und der Romy Schneider. Als ich mich letzthin an der Kinokasse um Karten für eine Vorstellung zweier Sissi-Filme anstellte, stand vor mir eine sehr elegante, auffallend schlanke Dame, die sich außerstande sah, die Eintrittsgebühr in Höhe von öS 85,– für einen Platz in der zwölften Reihe fußfrei zu bezahlen. Sie hätte mit barem Geld nie zu tun gehabt, erklärte sie der verdutzten Kassierin. Durch Zufall Zeuge der kleinen Szene geworden, erwies ich mich als perfekter Gentleman und lud die Fremde spontan ein, sich mit mir Sissi, die junge Kaiserin und danach Sissi, Schicksalsjahre einer Kaiserin anzuschauen.

Werbung und Vorankündigung Demnächst in diesem Kino nahm die langhaarige Schönheit noch kommentarlos hin, doch kaum hatte der Hauptfilm begonnen, beugte sich meine Sitznachbarin zu mir und fragte mich: »Das soll ich sein?«

Während Kamera 1 das kaiserliche Schloß Schönbrunn in seiner ganzen Pracht in die Totale nimmt, warf ich einen Blick nach rechts und entdeckte im Halbdunkel tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Hauptdarstellerin und der Dame an meiner Seite: »Sie wollen mir doch nicht weismachen, daß Sie die Kaiserin Elisabeth sind?« sagte ich ungläubig.

»Natürlich«, flüsterte sie mir zu, »ich habe schon so viel von diesen Sissi-Filmen gehört, jetzt will ich mir endlich selbst einmal ein Urteil bilden.«

Schnitt/Kamera 2: Die blutjunge Sissi fegt in einem atemberaubenden Kostüm von Lambert Hofer die Feststiege des Schlosses hinauf. Pikiert fragte mich die Kaiserin im Kinosessel: »Warum hat man denn diese kleine Schauspielerin genommen, ich bin doch mindestens einen halben Kopf größer als sie.«

»Majestät«, wandte ich ein, »Romy Schneider war wohl die beste und prominenteste Besetzung, die der österreichische Film für Ihre Rolle zu bieten hatte.«

»Sie ist ja ganz herzig«, gab Elisabeth zu, »aber gerade herzig wollte ich nie sein. Ich bin eine moderne, emanzipierte Frau.«

»Ruhe«, herrschte eine ältere Dame aus einer der vorderen Sitzreihen die Kaiserin an, »man versteht ja kein Wort von dem, was die Kaiserin sagt.«

In diesem Moment erscheint auf der Leinwand Vilma Degischer als Sissis böse Schwiegermutter Erzherzogin Sophie und zeigt einer Gräfin Esterházy, wie’s bei Hof zugeht: »Ich habe Sie zur Obersthofmeisterin Ihrer Majestät gemacht, weil ich Vertrauen zu Ihnen habe. Ich wünsche über alles, was Ihre Majestät tut, genauestens informiert zu werden.«

»Diese Schlange«, zischte mir Elisabeth gar nicht majestätisch zu, »diese Schlange hat mir eine Spionin an den Hals gehetzt. Nach hundertfünfzig Jahren muß ich im Kino erfahren, daß die Esterházy von Sophie bestochen war.« Nachträglich war der Kaiserin zu meiner Rechten der Schreck in die Glieder gefahren.

Nun erweist sich die Esterházy als Sophies würdige Agentin: »Ihre Majestät hat sich über die primitiven Badegelegenheiten im Schloß beklagt«, meldet sie der Erzherzogin. »Hier hat eine Maria Theresia gebadet«, stellt die Mutter des Kaisers ihren wahren Charakter unter Beweis, »es wird auch für eine kleine bayerische Prinzessin, die zufällig Kaiserin geworden ist, gut genug sein.«

»Sophie hat mir in Schönbrunn nicht einmal einen Waschtisch genehmigt«, machte Elisabeth ihrem Ärger Luft.

»Schweigen Sie!« meldete sich die Dame aus der vorderen Reihe noch einmal zu Wort und rief der Kaiserin zu: »Woher wollen denn Sie wissen, wie’s bei Hof zuging?«

Überblendung/Kamera 3. Karlheinz Böhm taucht als junger Kaiser auf und eröffnet einen tiefschürfenden Dialog.

Franz Joseph: »Sissi, ich hab’ so Sehnsucht nach dir gehabt.«

Elisabeth: »Immer sitzt du an deinem Schreibtisch und regierst. Ich bin schon ganz eifersüchtig auf deinen Schreibtisch.«

»Ein fürchterlicher Kitsch«, wisperte mir die Kaiserin ins Ohr. »Andererseits muß ich zugeben, daß es genauso gewesen ist. Hätte der Kaiser damals auf mich gehört, wäre unsere Ehe noch zu retten gewesen.«

»Pssst« machte ein linksaußen in unserer Reihe sitzender Herr, »Sie stören die Vorstellung!« Gleichzeitig raschelte er so laut mit einer Tüte Popcorn, daß ich das nun folgende Gespräch, in dem Sissi dem Kaiser ihr Heimweh nach Bayern klagt, nur bruchstückhaft verfolgen konnte.

Franz Joseph: »Ich tu’ doch alles, um dich in deiner neuen Heimat« – Krrrrr – »glücklich zu ma« – Raschel – »Das bist du doch?«

Elisabeth: »Nur wenn du bei mir …« Der Rest ging in einer dröhnenden Popcornorgie unter.

Ein Lakai Seiner Majestät tritt unangemeldet ins Arbeitszimmer und überrascht das sich innig küssende kaiserliche Paar in flagranti.

»Unerhört«, erregte sich die hohe Dame neben mir über die Indiskretion.

Leinwandfüllend tauchen erste Wolken auf – sowohl über der Residenzstadt Wien als auch am Ehehorizont. Regisseur Ernst Marischka versteht es in unnachahmlicher Weise, Bild (Kamera 1/Totale) und Ton aufeinander abzustimmen. Kaum ist Sissis erstes Kind bei anhaltendem Schlechtwetter geboren, entführt Schwiegermama Sophie das Neugeborene auch schon in ihre Gemächer. Und sagt, sie selbst werde die Erziehung des Mädchens in die Hand nehmen. Da es Franz Joseph verabsäumt, sich für die Rechte seiner Frau als Kindesmutter einzusetzen, verläßt Elisabeth fluchtartig Wien und die Monarchie.

Kamera 2/Staatskrise. Die Kaiserin ist weg, streift durch ihre geliebten bayerischen Wälder. Ihr Papa – Herzog Max – nimmt sein überraschend heimgekehrtes Kind in die Arme: dem Schauspieler Gustav Knuth steigen Tränen des Glücks in die Augen.

Elisabeths Mutter Maria Ludovika tritt auf. »Die sieht mir aber sehr ähnlich«, zeigte sich die Kaiserin neben mir beeindruckt. »Jedenfalls im Film.«

»Kein Wunder«, erklärte ich, »Magda Schneider ist Romys echte Mutter.«

Wieder Schönbrunn. Kamera 3 fährt aus der Halbtotalen auf Erzherzogin Sophie zu, die ihrem Sohn erklärt, sie habe ihn »immer schon vor dieser Heirat gewarnt«.

Dazu Elisabeths Kommentar im Kino: »Frechheit!«

Schnitt/Kamera 2/Tiroler Berge. Franzl hat Sissi aus Possenhofen geholt, jetzt machen sie Urlaub. Inkognito. Hugo Gottschlich, der zünftige Hüttenwirt, erkennt seinen Kaiser weder en face noch im Profil und ruft dem jungen Paar in alpenländischer Mundart zu: »Wenn’s wollt’s, könnt’s a paar Tag’ bleiben, aber die Stub’n müßt’s selber saubermachen!«

Während sich die p. t. Kaiserin auf der Leinwand zur Reinigung des primitiven Schlafgemachs anschickt, war die neben mir sitzende einer Ohnmacht nahe: »Ich und eine Stube putzen?« Bei Kaisers Abreise von der Alm verabschiedet sich der nach wie vor ahnungslose Wirt dann von Franzl und Sissi mit einem herzhaften »Pfüat euch Gott!«

Kamera 1. Man schreibt das Jahr 1867, Kaiserin und Kaiser reisen in einer prachtvollen Kutsche zur ungarischen Königskrönung nach Budapest. Sissi, auf dem Weg dorthin, in der Pußta: »Wie unendlich weit dieses Land ist, als reichte es bis zum Himmel, bis zum lieben Gott!«

»Das ist zuviel!« Die Frau neben mir sprang auf, um protestierend das Kino zu verlassen. »Wer verlangt denn, daß ich so geschwollen daherrede?«

»Der Verleih«, sagte ich und hielt sie am Rockzipfel fest. In den Dörfern brüllen Tausende Bauern ihrer künftigen Königin ein herzhaftes »Eljen« zu, und die in ihren Kinositz zurückgesunkene Elisabeth wunderte sich, daß eine österreichische Filmfirma so viel Geld für Statisten aufbringen konnte. Kaum hatten wir Teil eins überstanden, legte der Operateur ohne weitere Vorwarnung die Schicksalsjahre einer Kaiserin ein.

Im Anschluß an das imposante Eröffnungsbild – ungarische Krönung in der Matthiaskirche zu Budapest – lädt der fesche Graf Andrássy alias Walther Reyer zu einem Fest auf sein Schloß. Der einst zum Tod verurteilte Revolutionär gesteht Sissi via Kamera 3 tränenreich: »Ich bin unsterblich verliebt in meine Königin, ich liebe Eure Majestät.«

Die ob dieser Szene neben mir zusehends nervöser werdende Kaiserin kramte in ihrer Handtasche, der sie einen kleinen Fächer entnahm, um damit für etwas Frischluft zu sorgen.

»Majestät«, sagte ich, »es wurde viel gemunkelt, daß Sie und Andrássy … Was ist wahr an diesen Gerüchten?«

»Kann ich mich darauf verlassen, daß Sie unser Gespräch vertraulich behandeln und es nicht irgendwo veröffentlicht wird?« fragte mich die Kaiserin.

»Natürlich«, beruhigte ich sie und fertigte im Dunkeln ein paar Notizen für diesen Bericht an.

»Also gut, ich habe den Grafen Andrássy wirklich geliebt«, flüsterte mir die Kaiserin zu, »aber ich bin meinem Mann …«

»… treu geblieben?« mischte sich just in diesem Augenblick ein hinter uns sitzender Herr, der uns schon längere Zeit belauscht haben mußte, ins vertrauliche Gespräch ein. Elisabeth begann noch wilder mit ihrem Fächer zu wacheln und verweigerte jede weitere Auskunft zum Thema Andrássy. Womit diese Frage von eminenter Tragweite nie mehr beantwortet werden dürfte.

Romy Schneider zeigt nun in der epischen Darstellung der lungenkranken Kaiserin eine geradezu Oscar-reife Leistung. Sissi wird zu guter Letzt wie durch ein Wunder geheilt, womit – unter den Klängen der Kaiserhymne und dem Wort

ENDE

im Nachspann – das Finale geschafft ist.

»Das ist das Ende?« fragte mich die Kaiserin, während wir uns von den Kinositzen erhoben.

Auf dem Weg Richtung Kapuzinergruft forschte ich, wie ihr die beiden Filme gefallen hätten.

»Es überrascht mich,« antwortete Elisabeth, »daß dieser Ernst Marischka gerade die wichtigsten Stationen meines Lebens einfach weggelassen hat.«

»Welche Stationen?« stellte ich mich naiv.

»Also, meine kleine Sophie, unser erstes Kind, das im Film des langen und breiten als entzückendes Mäderl gezeigt wird, ist im Alter von zwei Jahren gestorben. Davon erfährt man im Kino ebensowenig wie von der Tatsache, daß ich noch drei weitere Kinder hatte: Gisela, Marie Valerie und Rudolf wurden dem Publikum von Herrn Marischka glatt verschwiegen. Dadurch hat auch der schlimmste Schicksalsschlag meines Lebens gar nicht stattgefunden – Mayerling gibt’s nicht im Film.«

Während wir die Opernkreuzung überquerten, fielen Elisabeth weitere filmische Unterlassungssünden ein. »Was ist mit meinem Lieblingscousin«, sagte sie, »dem König Ludwig von Bayern, der 1886 im Starnberger See ertrank? Und wieso wird meine Trauer um meine verstorbenen Schwestern Helene und Sophie nicht gezeigt? Auch die Hinrichtung meines Schwagers, Kaiser Maximilian von Mexiko, findet keine Erwähnung. Und, glauben Sie wirklich, daß die Damen Anna Nahowski – die meinem Mann immerhin zwei Kinder schenkte – und Katharina Schratt mit meiner Biographie rein gar nichts zu tun haben? Wieso ist von der nervösen Magersucht, die mich so viele Jahre plagte, keine Rede? Und von den ständigen Todesahnungen, die mich in den letzten Jahren befielen? Auch meine Ermordung in Genf hat laut Film nicht stattgefunden!«

Da ich keinen ihrer Einwände seriös entkräften konnte, zuckte ich nur stumm mit den Schultern und hörte der kompetenten Filmkritikerin weiter zu: »Ich kann mir nicht helfen«, sagte sie, »diese Sissi-Filme haben mit mir sehr wenig zu tun. Ich war ganz anders.«

»Gewiß, Majestät«, sagte ich jetzt, »aber die Filmleute müssen ans Geschäft denken und können auf unwichtige Kleinigkeiten wie Wahrheit und Ähnlichkeit keine Rücksicht nehmen.«

Kaiserin Elisabeth hielt einen Augenblick inne, ehe sie zum Schluß kam: »Das bedeutet wohl, daß mich die Menschen in Ihrem Jahrhundert als zuckersüße, kleingewachsene, recht glückliche Kaiserin sehen, die keine Tragödien erlebte, so gut wie keine Eheprobleme hatte und nicht ermordet wurde!«

»Majestät haben recht«, mußte ich zugeben. »Zumindest bis der nächste Sissi-Film gedreht wird.«

Tausend Jahre Kaiserschmarrn

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