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Graugans Martina protestiert Konrad Lorenz muß den Nobelpreis teilen

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Professor Dr. Konrad Lorenz kehrte am 14. Oktober 1973 zurück in seinen kleinen Heimatort Altenberg an der Donau. König Carl Gustav von Schweden hatte ihm soeben in Stockholm den Nobelpreis für Medizin überreicht. Längst bekannt durch seinen Bestseller Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen, wurde der Wissenschafter nun auf seinem Landgut von eben diesen mit großem Jubel empfangen: vom Vieh, von den Vögeln und Fischen, die seit vielen Jahren in einer Art Wohngemeinschaft mit ihm und seiner Familie lebten.

»Jetzt sind wir weltberühmt«, plapperte der Papagei zum Empfang.

»Woher weißt du?« fragte der Verhaltensforscher.

»Wir haben uns die Live-Übertragung im Fernsehen angeschaut. War sehr würdevoll«, erklärte die Dohle.

»Allerdings bist du uns in deinem Trachtenjanker lieber als im Frack«, bemängelte der Halbaffe. Alle umarmten ihren Herrn und brachten ihm zu Ehren ein Ständchen dar. Als der letzte Ton verklungen war, bedankte sich Konrad Lorenz bei jedem seiner Mitbewohner.

»Du mußt aber zugeben«, meinte der Gelbhauben-kakadu, »daß du ohne uns das Zeug gar nicht bekommen hättest.«

»Welches Zeug?« sagte Lorenz. »Du weißt offenbar nicht, daß der Nobelpreis die höchste wissenschaftliche Auszeichnung ist, die weltweit vergeben wird.«

»Also gut, wofür hast du ihn bekommen, den Nobelpreis?«

»Dafür, daß ich in jahrzehntelanger Forschung nachweisen konnte, wie junge Vögel auf gewisse Grundreize reagieren.«

»Das hab’ ich schon lange vor dir gewußt – als ich nämlich selbst ein junger Vogel war«, sagte der Rabe, »und ich habe dafür keinen Nobelpreis bekommen.«

»Gibt’s Geld dafür?« fragte die Elster.

»Du denkst immer ans Materielle«, beklagte sich der Professor.

»Sag schon«, ließ sich die Elster nicht abwimmeln, »wieviel hast du gekriegt?«

»Ja, also«, gestand Konrad Lorenz, »den Preisträgern wird ein kleiner Anerkennungsbetrag überwiesen …«

»Wieviel?«

»Wieviel? … – Zwei Millionen!«

»Zwei Millionen Schilling«, pfiff Graugans Martina triumphierend durch ihren Schnabel, »die mußt du mit uns teilen! Ohne unsere Mitarbeit hättest du die bedeutsamen Erkenntnisse über unsere gewissen Grundreize nie gewonnen.«

»Der Preis wurde ausschließlich mir zuerkannt«, stellte Konrad Lorenz klar.

Papageien, Dohlen, Affen, Raben und Kakadu gingen, flogen, watschelten – je nach Möglichkeit – laut protestierend ab. Nur die Graugans blieb und setzte sich neben Dr. Lorenz auf die Veranda.

»Ihr wißt genau, daß ich das Geld für meine wissenschaftliche Arbeit brauche«, sagte der Forscher. »In Wahrheit habe ich es längst für euch ausgegeben.«

»Für uns? Zwei Millionen! Das muß du mir einmal vorrechnen«, zeigte sich Martina skeptisch.

»Also, bitte. Erinnere dich nur an die Katastrophe, die unser Kapuzineräffchen Gloria angerichtet hat, als ich eines Abends nichtsahnend nach Hause kam …«

»Welche Katastrophe?«

»Gloria hatte während meiner Abwesenheit die schwere Nachttischlampe quer durchs Schlafzimmer geschleppt, dabei das Glas des Aquariumbeckens zertrümmert und so einen fatalen Kurzschluß ausgelöst. Abgesehen davon, daß das den Fischen gegenüber äußerst unkollegial war, sperrte Gloria daraufhin den Bücherschrank auf, entnahm ihm Strümpels Lehrbuch der Medizin Band 2 und 4, zerriß die wertvollen Bücher in tausend Fetzen und entsorgte sie in den traurigen Resten des Aquariums. Geistig wie körperlich war die geleistete Arbeit anerkennenswert. Aber für mich eben sehr teuer!«

»Gut, wir ziehen den Schaden, den Gloria verursacht hat, von den zwei Millionen ab«, zeigte sich Martina, die Graugans, von ihrer größzügigen Seite. »Im Prinzip ändert der kleine Vorfall aber nichts an unseren berechtigten Forderungen. Wir verlangen den uns zustehenden Anteil am Nobelpreis für Medizin, zahlbar innerhalb von 30 Tagen, brutto für netto, auf das von uns errichtete Konto bei der Raiffeisenbank. Schließlich haben auch wir unsere wissenschaftliche Leistung erbracht.«

»Wissenschaftliche Leistung?« Lorenz lachte laut auf.

»Denk lieber an den Perserteppich.«

»Welchen Perserteppich?«

»Stell dich nicht so blöd. Den Perserteppich in meinem Arbeitszimmer, den du gemeinsam mit 23 deiner Artgenossen so vollgemacht hast, daß uns nichts anderes übrigblieb, als das sündteure Stück wegzuwerfen.«

»Du hättest es ja versichern lassen können.«

»Kannst du mir ein Institut nennen, das einen Haushalt versichert, in dem zweihundert wilde Tiere leben? Allein der Schaden, der durch den kaputten Teppich entstand, macht ein Zehntel der Nobelpreis-Summe aus.«

»Und was ist mit dem Rest?«

»Da war die Ratte, die aus unseren Bettüchern so lange den Stoff herausgebissen hat, bis sie genügend Material hatte, um damit ihr Nest tapezieren zu können. Ganz zu schweigen von dem Kakadu, der uns von der Wäsche, die zum Trocknen im Garten hing, regelmäßig die Knöpfe herunterbiß. Und – weißt du noch, wie du mit Kollegen in unseren gepflegten Beeten herumgetrampelt bist, bis sämtliche Blumen kaputt waren?«

»Konrad, sei nicht so pingelig!« sagte die Graugans.

»Pingelig?« Professor Lorenz drohte die Fassung zu verlieren. »Du hast ja keine Ahnung, wieviel Futter ihr in all den Jahrzehnten verfressen habt.«

»Verfressen – wie du über deine kleinen Lieblinge sprichst!«

»Außerdem muß man die für mich und meine Familie erschwerenden Lebensumstände in Rechnung stellen, die sich durch das Zusammenleben von Mensch und Wildgans ergeben.«

»Wildgans ist ein Dichter«, sagte Martina und schüttelte den an ihrem langen Hals befindlichen Kopf. »Und so jemand kriegt den Nobelpreis.«

»Laß die blöden Witze«, sagte Konrad Lorenz, »du weißt genau, daß ich mein ganzes Leben den Tieren gewidmet habe. Und, daß ich es immer abgelehnt habe, euch in Käfige zu sperren. Denn wer geistig regsame Wesen wirklich kennenlernen und erforschen will, der muß sie in Freiheit beobachten. Nur das seelisch gesunde, von den schädlichen Einwirkungen der Gefangenschaft unbeeinflußte Versuchstier eignet sich für tiefenpsychologisch stichhaltige Untersuchungen.«

»Stimmt«, bestätigte Martina.

»Stimmt«, äffte Lorenz die Graugans nach. »Das sagst du so leicht. Dabei ist es gar nicht ungefährlich, mit euch unter einem Dach zu leben. Einen Raben zum Beispiel kann man mit einem Kind nicht allein lassen. Daher durfte unser ältester Sohn nie frei herumlaufen, weil ihr ja immer wie die Wahnsinnigen durch Haus und Garten, Veranda, Schlaf- und Wohnzimmer tollen mußtet. Was tat meine gute Frau in einer solchen Situation? Sie baute im Garten einen Käfig auf, sperrte aber aus lauter Rücksicht auf eure empfindlichen Seelen nicht euch, die Tiere, darin ein – sondern unseren kleinen Buben.«

Die Graugans lachte. »Jetzt erinnere ich mich wieder. Das war sehr komisch.«

»Komisch? Das Kind hat durch das ewige Eingesperrtsein bleibende Schäden erlitten.«

»Als Verhaltensforscher müßtest du wissen, daß man bleibende Schäden mit Geld nicht wiedergutmachen kann. Also her mit unserem Anteil am Nobelpreis!«

»Was würdet ihr denn mit dem Geld machen, würde ich es tatsächlich mit euch teilen?« fragte der Ausgezeichnete.

»Als erstes unsere Verpflegung umstellen«, sagte die Graugans, erhob sich aus ihrer Steinbank und watschelte in Richtung Eiskasten, dem sie mit sicherem Griff eine Portion feinsten Parmaschinkens entnahm.

»Mußt du mir immer die teuersten Delikatessen wegnehmen?« beklagte sich der Hausherr.

»Du bist knausrig – als Nobelpreisträger kannst du dir das leisten. Die uns von dir vorgeschriebene einseitige Kost ekelt uns an. Wir wollen auch einmal Filetsteak, Kaviar und Vanilleeis mit heißer Schokoladensauce.«

»Kaviar! Weißt du überhaupt, was es kostet, täglich ein Haus voller Viecher durchzufüttern?« fragte Lorenz. »In Wahrheit habe ich für euch weit mehr ausgegeben, als mir der ganze Nobelpreis gebracht hat.«

»Wenn du glaubst, uns mit einem Butterbrot abspeisen zu können, hast du dich getäuscht.« Martina entleerte mit großem Appetit den Eisschrank, ohne deshalb ihre politische Rede zu unterbrechen. »Ich habe mit den anderen gesprochen, wir denken an die Gründung einer Gewerkschaftsbewegung. Mit je einer Fraktion für Greif- und Singvögel, für Menschen- und Halbaffen, für Hunde, Katzen, Mäuse, Biber, Bienen, Wespen, Fliegen, Rotkehlchen …«

»Natürlich – die Roten müssen dabeisein, wenn’s um Forderungen gegen den Brötchengeber geht! Aber bitte, wir können über alles sprechen.«

»Wieso kannst du überhaupt mit uns sprechen, wann hast du das gelernt?« fragte die Graugans.

»Mir blieb ja gar nichts anderes übrig. Denk einmal an deine Kindheit. Du wolltest nie bei deiner Mutter, sondern immer nur bei mir im Bett schlafen. Zuerst mußte ich genau studieren, was du sagtest, damit ich verstehen konnte, was du wolltest. Pfühp, pfühp … waren deine ersten Worte. Anhand deines verzweifelten Gesichtsausdrucks hatte ich bald heraußen, daß das soviel wie ›Laß mich nicht allein!‹ bedeutet. Das nächste war Wiwiwiwiwi – auf gut deutsch: ›Hier bin ich, wo bist du?‹ Bald konnte ich, durch Studium und anschließende Nachahmung deiner Ausdruckslaute, in gebrochenem Graugänsisch antworten: Gangangang – ›Ich bin da.‹ Wolltest du deine Ruhe, sagtest du Wirrr – ›Ich schlafe schon, gute Nacht!‹ So ergab ein Wort das andere, ehe wir konfliktfrei konversieren konnten. Mit den anderen Tieren auf meinem Hof ging’s ähnlich, es war einfach eine Überlebensfrage, wollte man in einer so großen Familie miteinander auskommen.«

»Über alles kann man mit dir sprechen«, sagte Martina, »nur wenn’s ums Geld geht, versagt die Verständigung.«

»Also gut, du sollst sehen, daß ich auch auf diesem Gebiet mit mir reden lasse.« Die Graugans hatte ihr Ziel erreicht, sie streckte Konrad Lorenz zum Zeichen der Einigung den rechten Flügel hin.

»Du weißt, daß Geld nicht glücklich macht«, sagte der Professor am Schluß der Verhandlungen.

»Aber es beruhigt.«

»Dumme Gans!«

Tausend Jahre Kaiserschmarrn

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