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Gar nix is’ hin!

Der Liebe Augustin lebt

Als ich neulich Appetit auf Rindsgulasch mit Nockerln hatte, betrat ich das am Fleischmarkt in Wien gelegene Griechenbeisel. Überfüllt, wie diese Touristenattraktion meist ist, mußte ich einen mir gänzlich unbekannten Herrn bitten, an seinem Tisch Platz nehmen zu dürfen. Sei es übers Wetter oder die verworrene politische Lage unserer Zeit – irgendwie kamen wir während des Gulaschverzehrs ins Gespräch. Der Fremde hatte bei zwanglosem Geplauder gerade zwei, drei Viertel Wein heruntergekippt, als ich mich noch für Kaffee und Torte entschied. Irgendwann überreichte mir der etwas wundersam wirkende Gasthausbesucher dann noch seine ziemlich abgegriffene Visitenkarte. Ich wollte gerade zahlen, als ich einen flüchtigen Blick darauf warf. Und glaubte meinen Augen nicht trauen zu können.

DER LIEBE AUGUSTIN

stand da.

»Mein Herr«, kramte ich all mein historisches Wissen hervor, »wenn ich nicht irre, haben Sie die große Pestepidemie überlebt, die Wien im Jahre 1679 erschütterte. Es ist vollkommen ausgeschlossen, daß Sie neben mir an diesem Gasthaustisch sitzen.«

»Wie Sie richtig sagen«, entgegnete der Fremde, »habe ich die Pest überlebt. Aber haben Sie je davon gehört, daß ich gestorben bin?«

»Unterlassen Sie solche Scherze«, erwiderte ich verärgert, »man mag die Pest in Ausnahmefällen überleben – aber doch nicht um dreihundert Jahre.«

»Ich offenbar doch! Kein Mensch ist je der Frage nachgegangen, was aus mir geworden ist, nachdem ich die Seuche überstanden hatte.«

»Also gut, ich gehe der Frage nach: Was ist aus Ihnen geworden, Herr Augustin?« Da ich mich mittlerweile vom ersten Schock erholt hatte, fügte ich seriöserweise noch an: »Vielleicht werde ich Ihre Lebensgeschichte in mein nächstes Buch aufnehmen.«

»Werde ich an den Tantiemen beteiligt?« wollte der geschäftstüchtige Bänkelsänger wissen.

»Wir werden sehen! Jetzt erzählen Sie erst einmal!«

»Ich wurde 1645 zu Wien geboren«, hob Augustin an, »hatte eine schwere Kindheit, aber wer hatte die nicht in meiner Zeit? Schon in frühester Jugend kannte ich nur die Musik. Von einem entfernten Onkel erbte ich diesen Dudelsack.«

Ein wenig umständlich kramte mein Tischnachbar nach einem unterhalb seines Sessels lagernden Lederkasten. Er entnahm ihm ein recht unförmiges Instrument, blies und pumpte ein wenig, worauf dem Dudelsack ein paar eigenartige Töne entwichen. Als sich die umsitzenden Gäste beschwerten, legte der Liebe Augustin das antike Gerät beleidigt weg.

»In meiner Zeit wären die Leute begeistert gewesen, wenn ich ihnen etwas vorgespielt hätte«, sagte er. »Ich war ein berühmter Musikus, und in den Wirtshäusern hat man mir immer gleich Münzen zugesteckt, wenn ich meine fröhlichen Melodien spielte. So auch an jenem 10. September 1679.«

»An jenem 10. September 1679?« fragte ich.

»Ja, hier am Fleischmarkt, vis-à-vis von uns, in der Schenke Zum roten Dachel. Seit sie sie zugesperrt haben, sitze ich jeden Abend hier im Griechenbeisel und schau’ voll Wehmut hinüber auf die andere Straßenseite.«

»So schön kann doch die Zeit der Pest nicht gewesen sein?« wunderte ich mich.

»Für mich schon.« Augustin nahm einen Schluck. »Ich war damals prominent. Was nützt mir Ihre ganze schöne neue Zeit, in der mich kein Mensch kennt.«

»Also, was war an diesem 10. September, drüben im Roten Dachel

»Ich hab’ ja immer schon ganz gern ins Glasl g’schaut«, vertraute mir die Legende jetzt an, »so auch in jener Nacht. Ich geh’ also vom Roten Dachel zum Burgtor hinüber, fall’ in meinem Dusel hin und schlaf’ auf der Stelle ein. Was dann passierte, weiß ich selbst nur aus Geschichtsbüchern und einem Film, in dem mich der Paul Hörbiger verkörperte, denn ich selbst schlief so fest, daß ich überhaupt nichts mitbekam. Irgendwann müssen zwei Siechknechte vorbeigekommen sein, die mich dann abtransportierten.«

»Siechknechte?« stieß ich verständnislos nach.

»Sie wollen ein Buch schreiben?« tadelte mich Herr Augustin. »Sie haben doch keine Ahnung. Also: Seit Wochen wütete der Schwarze Tod, wie wir die Epidemie nannten. Auf allen Straßen der Stadt lagen die Leichen herum, mehr als sechzigtausend waren es schon, Wien hatte ein Drittel seiner Bewohner verloren.«

»Eine schreckliche Krankheit«, sagte ich, »und offensichtlich unheilbar.«

»Natürlich, wir hatten ja noch kein Penicillin. Schuld war die mangelnde Hygiene. Sie können sich nicht vorstellen, wie wir damals gelebt haben. Körperpflege war so gut wie unbekannt, die Leut’ haben sich ein, zweimal im Jahr gewaschen, Kleider wurden so lang getragen, bis sie in Lumpen vom Körper fielen. Die Sickergruben lagen neben den Wohnhäusern und wurden nur alle fünfzehn Jahre entleert. Über der ganzen Stadt lag ein entsetzlicher Gestank. Und die Jauche floß ins Trinkwasser der nahen Schöpfbrunnen.« Augustin prostete mir zu.

»In ganz Wien«, fuhr er fort, »sammelten Siechknechte die Toten ein. Sie gingen auf Stelzen, um sich vor dem pestbefallenen Ungeziefer auf dem Boden zu schützen und trugen gespenstisch aussehende Schnabelmasken, von denen sie ebenfalls Schutz vor Ansteckung erhofften. Als mich zwei dieser Siechknechte beim Burgtor liegen sahen, hielten sie auch mich für ein Opfer der Pestillenz. Sie luden mich auf einen Wagen und verfrachteten mich zu einer der 77 Pestgruben am Rande der Stadt. Dort wurde ich zu den anderen geworfen.«

»Sie haben den direkten Kontakt mit den Pesttoten überlebt?« fragte ich ungläubig.

»Wie Sie sehen, bin ich nicht umzubringen!«

»Wie ist denn Ihr berühmtes Lied vom Lieben Augustin entstanden?«

»Als ich am nächsten Morgen wieder aufgewacht bin, bin ich aus der Pestgrube gekrochen und dann von einem Wirtshaus zum anderen marschiert. Ich hab’ den Wienern meine unglaubliche G’schicht erzählt und ihnen damit Mut gemacht. In einer Zeit, in der die Leut’ wirklich nichts zu lachen hatten, hab’ ich sie doch zum Lachen gebracht. Irgendwann is’ mir dann a Melodie dazu eing’fallen (er stimmte sie zum Unmut der anderen Besucher im Griechenbeisel auf seinem Dudelsack an und sang dann ein Paar Takte: Oh, du lieber Augustin, ’s Geld is’ hin, ’s Mensch is’ hin. Oh, du lieber Augustin, alles ist hin …)«

»Dafür hätten Sie Tantiemen kriegen müssen«, sagte ich, um auf meine letzte Frage überzuleiten: »Was sagen Sie denn zu unserer Zeit, wie gefällt Ihnen das 20. Jahrhundert?«

»Also, wer wie ich die Pest kennt, der ist durch nichts zu erschüttern. Nicht einmal durch das 20. Jahrhundert.«

Ich dankte für das Gespräch und wollte mich schnell verabschieden, da erwischte er mich noch am Ärmel:

»Moment, Herr Chef, was ist mit meinen Tantiemen?«

»Darf ich Sie auf Ihre Konsumation einladen?«

»Nur wenn ich noch ein Viertel bestellen darf.«

»Einverstanden!«

»Die vier Vierteln sind mir ohnehin lieber als eine Beteiligung an Ihrem Buch«, sagte der Liebe Augustin.

»Sicher ist sicher.«

Tausend Jahre Kaiserschmarrn

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