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Die Katha-Upanischad
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Vor langer Zeit lebte Vajashravasa (Sanskrit vājaśravasa). Er hatte viele Besitztümer und genoss in der Gemeinschaft hohes Ansehen. Es sollte ein Tempel errichtet werden. Er entschloss sich, all seinen Besitz für den Tempelbau zu spenden, einschließlich einer Herde Kühe, von denen die meisten gebrechlich und geschwächt waren. Alle waren beeindruckt von seiner Großzügigkeit, alle, außer sein Sohn Nachiketa (Sanskrit naciketa).
Das „Opfer“ stand in den Veden und der Praxis der Religion an oberster Stelle. Die Upanischaden, wie zum Beispiel die Chandogya-Upanischad, beschreiben das Opfern, etwas herzugeben, was einem sehr wichtig ist, als einen wichtigen Schritt, um sich von den Anhaftungen in unserer materiellen Welt zu lösen, um besser zu sich, zu seinem Selbst, zu finden. Mahatma Gandhi wurde einmal gefragt, ob es wichtig sei, all seinen Besitz aufzugeben, wenn man sich als Person aufopfere. „Sie müssen den Besitz nicht aufgeben. Sie müssen den Besitzer aufgeben“, hat Gandhi geantwortet. Vajashravasa hat wohl diese Opfergabe im Sinne, vielmehr aber wohl den Wunsch, die anderen zu beeindrucken und von ihnen bewundert zu werden. Sein aufgeweckter halbwüchsiger Sohn Nachiketa kennt und durchschaut seinen Vater ...
„Vater“, sprach Nachiketa leise, so, dass nur sein Vater ihn hören konnte. „Du verschenkst ja gar nicht deinen ganzen Besitz! Du gibst lediglich Kühe her, die so alt sind, dass sie sowieso nicht mehr lange leben werden und daher wohl kaum viel wert sind. Glaubst du, dass du das Lob der anderen dann verdienst?“ Vajashravasa tat so, als hätte er die Worte seines Sohnes nicht gehört. Darum setzte Nachiketa nach: „Vater, bin ich nicht auch dein Besitz? Wirst du mich auch dem Tempel schenken?“ Daraufhin wurde Vajashravasa wütend und explodierte: „Dem Tod werd‘ ich dich schenken!“
Im Zorn lässt sich der Vater zu so einer Äußerung verleiten. Er hat es sicherlich nicht so gemeint. Bei uns würde man sagen: „Verschwind dorthin, wo der Pfeffer wächst!“ oder „Ich könnte dich umbringen für deine Worte!“ Der Vater fühlt sich wohl durchschaut von seinem eigenen Sohn, bloßgestellt, und weiß sich nicht anders zu helfen, als verbal um sich zu schlagen.
Nachiketa wurde nachdenklich. „Kann die Liebe des Vaters durch den Zorn so schnell weggefegt sein? Und Vater ist doch ein gerechter Mann. Er kann sich doch nicht vor der Wahrheit verschließen, dass die Kühe kein wirkliches Geschenk sind. Wünscht mir Vater wirklich den Tod ...?!“
Es dürfte Nachiketa den Boden unter den Füßen weggezogen haben. Zum ersten Mal in seinem jungen Leben, er muss so etwa 16 Jahre alt sein, muss er über den Tod nachdenken. Auf einmal sind all die Fragen da: „Wozu bin ich hier?“, „Was geschieht nach dem Tode?“, „Wie soll ich leben?“
„Wo sind all jene hingegangen, Millionen und Abermillionen von Männern, Frauen und Kindern, die gestorben sind? Wo sind sie hin?“, fragte sich Nachiketa und beschloss, zum Wohnsitz von Yama, dem Gott des Todes, zu gehen. Aber der König war nicht da. Er wartete drei Tage. Als Yama dann zurückkehrte, hörte er eine Stimme sagen: „Wenn ein spiritueller Gast das Haus betritt, muss er gebührend empfangen werden.“ Yama sprach: „Um die drei ungastlichen Nächte, in denen du auf mich gewartet hast, wiedergutzumachen, gewähre ich dir drei Gunstgaben.“ Und Nachiketa entgegnete: „O König des Todes, gewähre mir als erste Gunstgabe, dass der Zorn meines Vaters erlischt und er mich voller Liebe empfängt, wenn ich zurückkehre.“ Yama sprach: „Dein Wunsch sei dir gewährt.“
Die erste Gunstgabe spricht ein wichtiges Thema an: die Vergebung. Nur, wenn man vergibt, lässt man los, öffnet man sein Herz und wird wieder frei in seinem Bewusstsein. Vergebung fragt nicht nach der Schuld, nach dem Unrecht, das uns angetan wird. Vergebung löst eine Enge im Herzen, welche den Körper unfrei macht. Vergebung macht frei.
Nachiketa sprach weiter: „Im Himmel gibt es keine Angst. Dort gibt es kein Altwerden und kein Sterben. Lehre mich als zweite Gunstgabe das Feueropfer, das zum Himmel führt.“ Yama gewährte ihm auch diesen Wunsch und brachte ihm das Feueropfer bei. Als der Junge seine Anweisung Wort für Wort wiederholte, war er sehr zufrieden.
Mit dem ersten erfüllten Wunsch hat er seine persönliche Beziehung mit seinem Vater wieder ins Reine gebracht. Jetzt möchte er mehr. Nachiketa möchte gesund sein und gesund bleiben. Er möchte das Geheimnis von Gesundheit verstehen. Mit „Feuer“ meint er „Prāṇa“, was oft als Lebensenergie oder Atem übersetzt wird. „Das Feueropfer erlernen“ bedeutet, dass er lernt, wie man gut mit seinem Prāṇa umgeht, um sich im Leben nicht „auszubrennen“, um kein „Strohfeuer“ zu sein, das kurz brennt und nur Leere hinterlässt. Prāṇa gibt es auch in Speicherform im Körper, quasi als eine hochverdichtete Energie, die als Kundalini (Sanskrit kuṇḍalinī, feminin) bezeichnet wird. Er möchte eine medizinische Unterweisung, wie man leben soll, um seine Reserven nicht auszubrennen und immer genug Prāṇa zur Verfügung zu haben. Ein 16-jähriger Bub, der bereits so weit ist, das zu lernen und auch gleich umzusetzen! Yama ist beeindruckt. Und so ist er bereit für den letzten Wunsch dieses reifen Jünglings:
Nun formulierte Nachiketa seine dritte Gunstgabe: „Wenn ein Mensch stirbt, weiß man nicht, ob er danach noch existiert oder nicht. Lehre mich die Wahrheit.“ Doch Yama wand sich. Zu groß wäre diese Frage, an der schon Götter gescheitert wären. Er möge doch etwas „Leichteres“ wünschen. Yama bot ihm Reichtümer, Besitz und Ländereien, schöne Frauen und ein langes Leben. Doch Nachiketa blieb hartnäckig. „All das sind Genüsse nicht von langer Dauer. Die brauche ich nicht. Lehre mich das Geheimnis über Leben und Tod.“ Und Yama freute sich, da hier jemand wirklich etwas von ihm lernen wollte.
Der Gott des Todes versucht Nachiketa in Versuchung zu führen. Er ist es gewohnt, dass Menschen sich von Reichtum und Schönheit mehr angezogen fühlen als davon, über so „schwierige“ Dinge zu sinnieren wie den Tod und das ewige Leben. Menschen streben meist nach dem schnellen Vergnügen, ohne viel nachdenken zu müssen, auch nicht darüber, was morgen ist. Normalerweise denken weise alte Herren über solche „schwierigen“ Dinge nach, nicht Teenager. Aber Nachiketa ist anders, wie er bei seinem zweiten Wunsch schon bewiesen hat. Und der Tod freut sich darüber und beginnt, Nachiketa über Leben und Tod zu unterweisen ...
Yama sprach: „Die Freude der Seele bleibt immer, nicht aber das, was den Sinnen angenehm vorkommt. Immerwährende Freude oder vorübergehender Genuss? Zwischen den zweien muss man stets seine Wahl treffen. Die Weisen halten die zwei klar getrennt, nicht so die Unwissenden. Weit auseinander liegen Weisheit und Unwissenheit. Die Erstgenannte führt zur Realisierung des Selbst; die Zweite bewirkt, dass man von seinem wahren Selbst immer weiter entfremdet wird.“
Hier wird etwas ganz Fundamentales angesprochen: Wir bestehen nicht nur aus unserem Ego, unserem Ich, sondern tief im Inneren bewahren wir unser Selbst, welches der Gott des Todes mit der Seele gleichsetzt. Dabei sitzt das Ich wie eine Maske mit rosaroter Brille auf dem Selbst.
Hier wird nun eine Wahrheit angesprochen, die Mystiker bis in unsere Zeit, in allen Religionen und an allen Orten dieser Welt, beschäftigt! Das Selbst ist ewig und verändert sich nicht. Das Selbst ist nicht abhängig von Raum und Zeit. Das Selbst ist etwas, das man erfahren und erleben kann, aber kaum beschreiben. Und das Selbst wird gerne in den Upanischaden und auch jeder anderen Weltreligion mit dem Göttlichen in uns oder Gott selbst gleichgesetzt. Unser Selbst ist Teil von dem großen Einen, und weil es so unfassbar ist, wird ihm ein Name verliehen, um es besser fassen zu können. Und dieses Selbst wird ummantelt von fünf Bewusstseinsebenen, die zusammen das ICH bilden.
„Fünf Bewusstseinsschichten verdecken das Selbst, Nachiketa. Mit Meditation kannst du jede einzelne erreichen. Und jede Ebene bringt neue Einsichten, welche du im täglichen Leben umsetzen musst. Erst dann kannst du zur nächsten Ebene weiterschreiten. Wenn du diese Reise gehst, wird sich für dich alles verändern.“
Die äußerste Schicht bildet das Bewusstsein des Körpers. Dann kommen drei Ebenen, welche zusammen eine Art psychischen Körper bilden: die Ebenen der Sinne, der Emotionen, des Verstandes. Dem Selbst am nächsten findet sich das Ego, das individuelle oder pure Ich-Gefühl.
Wenige vermögen bis zur Ebene des puren Ich vorzudringen, sehr wenige noch tiefer, so die Ansicht der Upanischaden.
Im Sanskrit gibt es die Begriffe Preya (preya oder preyas, neutral, wörtlich „das, was einem lieber ist“) und Śreya (Sanskrit śreya oder śreyas, neutral, wörtlich „das, was am wünschenswertesten ist“). Preya ist das Angenehme und Genussvolle, Śreya das Nutzbringende, das, was einen vorwärtsbringt. Preya bereitet Vergnügen, Śreya nützt unserer Gesundheit, unserem Geisteszustand, unserer Menschlichkeit.
„Ohne Śreya kein Preya!“, „Ohne Fleiß kein Preis!“
Kauft man sich zum Beispiel ein neues Auto, hat man große Freude daran. Aber nach einiger Zeit ist es einfach nur mehr ein Auto und man dürstet danach, wieder etwas Neues zu kaufen. Preya. Oder man geht jeden Abend fort, isst gut, trinkt gut und tanzt die halbe Nacht. Nach ein paar Wochen verschwindet das Besondere dieses Lebenswandels, wir fühlen uns ausgelaugt und leer. Preya hält nicht an. Preya bringt langfristig kein Glücksgefühl. Rafft man sich auf und geht zum Beispiel jeden Tag eine Stunde laufen, wird man sich nach ein paar Wochen viel kräftiger und vitaler fühlen. Śreya. Wenn man mit Disziplin jeden Tag früh schlafen geht, morgens früh aufsteht, den Morgen für eine Meditation, ein gekochtes Frühstück und dann eine geistige Arbeit nutzt, wird man bei dieser sehr viel weiterbringen und sich auch noch gesund und vital fühlen. Śreya bringt eine langfristige Veränderung. Śreya gibt uns ein Glücksgefühl, das viel tiefer reicht als das, was uns Preya vorgaukelt.
Yama spricht von der Freude der Seele, die immer bleibt, indem der Weise sich Śreya zuwendet und seinem Selbst immer näherkommt. Das sind die zwei Wege, die sich uns im Leben bieten, und wir als Menschen haben immer die Wahl. Links oder rechts, Preya oder Śreya, und auch, wenn man Śreya wählt, ist man noch lange nicht am Ziel ...
Nachiketa sprach: „Ich wähle ja schon den Śreya-Weg, entsage allen weltlichen Genüssen und weiß trotzdem noch nicht, wohin ich gehen soll. Das kann doch noch nicht die ganze Wahrheit sein, oder ...?!“
Yama freute sich über seinen wachen Schüler: „Ja, genau! Du hast es einmal bis hierher verstanden. Preya und Śreya sind zwei Straßen, die in verschiedene Richtungen führen. Im Leben musst du dich ständig entscheiden, welche Straße du nimmst. Die erste führt dich in die Dunkelheit und weg von dir selbst, die zweite bringt dich dem Licht immer näher.“ Und dann beschreibt Yama den Wagen, der auf diesen Wegen unterwegs ist, ein Streitwagen, wie wir ihn aus Monumentalfilmen wie Ben Hur (1959, neu verfilmt 2016) kennen, bespannt mit fünf Pferden:
„Der Wagen samt Gespann, Nachiketa, das bist DU!“, sagte Yama. „Der Wagen ist dein Körper. Er wird von fünf Pferden, deinen fünf Sinnen, gezogen. Deine Pferde galoppieren durch die Zeit deines Lebens, von der Geburt an bis zu deinem Tod, immer ihrer Begierde nachjagend. Der kritische Verstand, die Urteilskraft, ist der Wagenlenker. Seine Aufgabe ist es, den Wagen auf dem Weg zu halten, um nicht seitlich die Klippen hinunterzustürzen. Die Zügel, die der Wagenlenker führt, sind der Geist: deine Emotionen, dein Begehren. Der Fahrgast, welcher auch der Besitzer des Wagens ist, entspricht deinem Selbst.“
Dies ist ein wunderbares Bild, um die verschiedenen Ebenen des Bewusstseins bildhaft dazustellen. Das Ziel ist, dass wir vorankommen im Leben, dass sich der Wagen bewegt. Die Pferde stehen für die fünf Sinne. Pferde sind Fluchttiere. Sie achten sehr sorgfältig auf ihre fünf Sinne: Hören, Sehen, Riechen, Schmecken, Fühlen. Wittert ein Pferd mit seinen Sinnen „Gefahr“, so rennt es weg. Das ist der Instinkt des Pferdes. Es weiß „von seinen Genen“, dass es ein Fluchttier ist und wegrennen soll. Wir können die Sinneseindrücke, die unsere Sinnesorgane erfassen, viel differenzierter betrachten. Wir empfinden zum Beispiel einen Geruch als angenehm, wie den Mandelgeruch von Blausäure. Unser Verstand warnt uns aber und verhindert, dass wir in einem Chemielabor diese nach Mandeln riechende Flüssigkeit trinken. Oder wir sehen in einem Supermarkt wunderbare Torten. Wir werden sie aber zum Beispiel deshalb nicht kaufen, weil unser Verstand sagt, dass sie uns einfach nicht gut bekommen. Außerdem gibt es gerade keinen speziellen Anlass, um Torte zu essen ... Unsere Hündin Luna würde die Torte sehen, riechen und fressen, die ganze Torte! Auch Emotionen, unsere Gefühle, helfen uns, die Sinneseindrücke differenzierter zu betrachten. Zum Beispiel sehen wir einen tiefen Abgrund vor uns und die Emotion Angst schützt uns davor, zu nahe heranzugehen. Nun kann es auch sein, dass man bereits einmal einen Abhang hinuntergestürzt ist. Dann wird die Emotion Angst uns davor bewahren, überhaupt auf den Berg hinaufzusteigen. Unsere Hündin Luna hat, bevor sie in unsere Familie gekommen ist, wohl schlimme Erfahrung mit Schüssen gemacht. Wenn irgendwo ein Schuss knallt, bellt sie hysterisch und zittert am ganzen Körper. Sie hat nicht den Verstand als Instrument, sich selbst zu sagen: „Das mit dem Schuss ist so lange her! Der Schuss gerade hat mit dem früheren Schuss gar nichts zu tun. Und heute kann mir ein Schuss nichts mehr anhaben!“ Aber wir Menschen haben ihn, den Verstand. Er kann die Zügel bändigen, kann die Emotionen zur Ruhe bringen und das Begehren, den Trieb, in Zaum halten.
Wenn uns jemand fragt, wie groß wir sind, antworten wir: „Einen Meter fünfundsiebzig.“ – „Und wie siehst DU aus?“ – „Ich habe blaue Augen, blonde, bereits überwiegend graue Haare, ein Muttermal auf meiner Stirn und viele Körperhaare.“ Yama sagt: „Das stimmt nicht! Dein Wagen ist einen Meter fünfundsiebzig groß. Dein Wagen hat blaue Augen und blond-graue Haare und ein Muttermal auf der Stirn! DU bist nicht dein Wagen!“ Wenn wir sagen „Ich habe Stress“, dann sind das unser Wagen, der sich schnell hin und her bewegt, und unser Wagenlenker, der das als „Stress“ beurteilt. „ICH, ICH, ICH! Das ist alles, was ihr denkt!“, würde Yama zu uns heute wohl sagen: „Aber das ist eine Verwechslung. Wenn deine Pferde gut gefressen haben, sind sie glücklich. Aber das ist kein Glück, das anhält, wie jedes Pferd weiß. Wenn dann einmal kein Futter da ist, fühlen sich die Pferde schlecht. Du bist nicht die Pferde. Ebenso bist du nicht ein Gefühl, wie das Glücksgefühl, wenn du gerade einen großen Erfolg in der Arbeit gehabt hast. Dieses Gefühl hält ebenso nicht an. Auch bist du nicht dein Begehren, dass du noch dieses oder jenes Ziel erreichen musst! Hast du es dann erreicht, ist das Glücksgefühl schnell verflogen. Auch bist du nicht dein Verstand, der dir zum Beispiel sagt: Du hast doch alles, was man braucht, um glücklich zu sein, ein schönes Haus, eine wunderbare Familie, eine gute Arbeit, viele Freunde, immer genug zu essen. Warum bist du dann nicht glücklich? ABER wenn das alles zur Ruhe kommt, die Pferde, die Zügel, der Reiter und der Wagen, bringen sie DICH, dein Selbst, den Fahrgast oder Wagenbesitzer, in aller Ruhe ans Ziel. Du bist nicht das Gespann, du bist der Fahrgast!“
In unserer heutigen Zeit setzen wir uns mit dem Körper gleich. Wir lassen uns von den Sinnen leiten, hören auf unsere „Lust“ und unser „Ich will“, nutzen den Verstand mehr, um Strategien zu entwickeln, um genau das zu bekommen und rasen so in unserem Leben mit unserem Wagen von A (Geburt) nach B (Tod), ohne anzuhalten und ohne den Fahrgast zu fragen, wohin er eigentlich will. Und zumeist nehmen wir den Fahrgast kein einziges Mal wahr ...
Wir haben immer die Wahl! Pferde durchgehen lassen und dem Vergnügen nachlaufen, Sinnesbefriedigung auf allen Ebenen und „Egotrip“, also „ICH-Trip“, den Weg Preya einschlagen, oder doch mit etwas Anstrengung und Disziplin, etwas Geduld und viel Zeit Gesundheit, Sicherheit und Geistesfrieden wählen, also den Weg Śreya einschlagen ...
Yama sprach: „Ich bin mein Körper; wenn mein Körper stirbt, sterbe ich.“ So denken viele. Dies ist die schwerwiegendste Verwechslung, die ich mir vorstellen kann! Das allwissende Selbst wird nie geboren und es wird nie sterben. Das Selbst ist ewig und unwandelbar. Das ewige Selbst tötet nicht, noch wird es je getötet. Verborgen im Herzen eines jeden Geschöpfs existiert das Selbst, feiner als das Feinste, größer als das Größte. Ātman (Sanskrit ātman, neutral, „das wahre Selbst“) kann nur von jenen erfahren und erkannt werden, die von unlauteren Gewohnheiten ablassen, ihre Sinne zügeln, ihren Geist zur Ruhe bringen und meditieren. Niemand sonst kann das allgegenwärtige Selbst erkennen. Steht auf! Wacht auf! Sucht die Anleitung eines erleuchteten Lehrers und erkennt das Selbst. Doch Achtung: Der Weg ist scharf wie eine Rasierklinge, so sagen es die Weisen, der Pfad schwierig zu durchschreiten.
Hier spricht Yama ganz klar den Weg an, den man einschlagen muss, um den Tod zu überwinden. ICH muss nicht unsterblich werden, SELBST ist bereits unsterblich. Wenn es sich mir offenbart, überwinde ich den Tod und verliere die Angst vor ihm, weil das Selbst immer existieren wird und nicht mit dem Körper erlischt. Voraussetzung, dass man das WEIẞ, ist, dass man es ERLEBT hat, dass man das Selbst, Ātman, WAR, wenn auch nur kurz. Uns gehen immer wieder die Worte aus, Ātman zu beschreiben, denn:
„Das höchste Selbst ist jenseits von Namen und Form, jenseits der Sinne, unerschöpflich, ohne Anfang, ohne Ende, jenseits von Zeit, Raum und Kausalität, ewig, unwandelbar. Jene, die das Selbst erkennen und erleben, ‚sind‘, sind für immer aus den Klauen des Todes befreit.“
Es zahlt sich also aus, sich auf diesen schwierigen Weg zu begeben. Doch Yama warnt uns, dass der Weg steinig und scharf wie ein Rasiermesser sei.
Der Weg:
Doch wie bringen wir unseren Geist und unseren Verstand in die Stille? Jīva (Sanskrit jīva, maskulin) ist das individuelle Ego, das Ich, das sich zusammensetzt aus einem Bündel von Gedanken, Erinnerungen, Vorstellungen und den gesamten bewussten Gehirnfunktionen. Dieses Bündel nennt man die Saṃskāras. Sie sind die verschiedenen Muster, nach denen wir funktionieren, die verschiedenen Prägungen, die wir während unseres Lebens erfahren (siehe auch 1.18 des Yogasūtra). Wir halten Jīva für uns, unsere Persönlichkeit, das, was uns ausmacht. Yama würde das wieder eine Verwechslung nennen. Dem Jīva wird der Puruṣa (Sanskrit puruṣa, maskulin) gegenübergestellt. Puruṣa, die „Urseele“, das wahre Selbst, ist nur ein anderer Begriff für Ātman. Das, was wir als unsere Persönlichkeit bezeichnen, ist die Maske, welche der Puruṣa trägt.
Wir halten die Maske für unsere Persönlichkeit, weil wir sie schon so lange tragen. Und wir können die Maske noch so sehr schminken, strahlen wird sie durch das Licht dahinter, durch den Puruṣa. „Schönheit kommt von innen“, wie wir sagen. Jīva und Puruṣa sind wie Schatten und Licht. Das, was wir für „uns“ halten, ist der Schatten des Lichtes dahinter. Māyā (Sanskrit māyā, feminin) bedeutet Illusion, Zauberei und meint in diesem Zusammenhang die Verwechslung, dass wir die Maske für unser wahres Gesicht halten.
Yama sprach: „Jīva will wunderschön sein, will gefallen, will genießen, will das Süße im Leben kosten und das Bittere vermeiden. Der Puruṣa unterscheidet süß und bitter nicht. Er nimmt, was kommt und bewertet nicht. Der Puruṣa lebt im Licht, der Jīva lebt im Schatten. Beide leben in der geheimen Höhle des Herzens. Solange du, Nachiketa, dem Puruṣa nicht begegnet bist, lebst du nach den Regeln des Jīva. Das Ego verschwindet, wenn du dem Selbst begegnet bist. Dann nimmst du die Maske ab, Nachiketa, und bist Puruṣa.“
Yama sprach weiter: „Ein weiser Meister, der auf der Suche nach der Unsterblichkeit war, zog seine Sinne von der Welt der Veränderungen ab und richtete seinen Blick nach innen. Dort schaute er das todlose Selbst. Das, wodurch man Form, Geschmack, Geruch, Klang, Berührung und sexuelle Vereinigung genießt, ist das Selbst, Ātman.“
Yama spricht es deutlich an. Solange wir den Blick in „unserer Welt“ schweifen lassen und dort die Antworten finden, werden wir nichts finden. Das Fenster zur Wahrheit liegt einzig in uns. Und der Genuss, den man hat, wenn man das Selbst einmal gefühlt hat, ist kein kurzfristiger mehr, sondern er bleibt. Auf einmal ist Genuss keine kurzfristige Befriedigung mehr, sondern Licht und Glück im Selbst.
Und Yama sprach: „Der Gott der Schöpfung, Brahma, geboren aus dem göttlichen Urgrund, der im Herzen eines jeden Geschöpfs wohnt, ist fürwahr das Selbst. Die Göttin der Energie, Aditi, ebenso wie der Gott des Feuers, Agni, ebenso wie der Ursprung der Sonne sowie einer jeden Macht im Universum, alle sind sie fürwahr das Selbst. Nur der einsgerichtete Geist erlangt diesen Einheitszustand. Es gibt niemand außer dem Selbst.“
Wer das Selbst erkennt, erkennt Gott in sich. Dabei geht es gar nicht darum, ob man an einen Gott glaubt. „Gott“ ist wieder nur eine Krücke, um uns an das Unfassbare, den Puruṣa, anzunähern. Wir mögen es „Gott“ nennen oder „Universum“, das „Selbst“ oder das „Nichts“, das „Tao“ oder „Nirvāṇa“, alles ist ein großes Eines. Auf der Bewusstseinsebene des Puruṣa gibt es keine Worte. Aber ich kann mich an diese Ebene annähern. Die Meditation bringt mich an den Einheitszustand heran.
Und Yama beschrieb Nachiketa noch ein weiteres Bild: „Der Baum der Ewigkeit hat seine Wurzeln oben (‚im Himmel‘) und seine Zweige und Blätter unten auf der Erde. Seine Wurzeln sind Brahman, der unsterbliche göttliche Urgrund, aus dem alles existiert. Die Zweige und die Blätter sind das, was die Augen unseres Ichs sehen. Für die meisten Menschen ist Brahman, der ja Puruṣa ist, welcher ja das Selbst ist, nicht sichtbar. Schafft es ein Mensch nicht, Brahman in diesem Leben wahrzunehmen, bevor die physische Hülle abgeworfen wird, so muss er abermals einen Körper anlegen in der Welt der körperlichen Kreaturen.“
Wir sehen auf Erden meist nur die Blätter und die Äste des Baumes. Die Wurzel bleibt für uns verborgen, falls wir in diesem Leben nicht die Zeit nutzen und Puruṣa, unser ewiges Selbst, erfahren und damit eine Ahnung bekommen von dem großen Eins, dem einen Gott Brahman, wenn wir es religiös formulieren wollen. Bleiben wir im Schein unserer Welt stecken, wird uns das Sein unseres wahren Selbst nie bewusst werden. Unsere Handlung, unser wahres Inneres niemals zu erkennen, führt zu unseren Handlungen auf dieser Welt. Karma bedeutet „Handlung“ im ursprünglichen Sinn. Jede Handlung hat einen Effekt auf mich und andere. Schaffe ich es nicht, ein Problem wirklich zu verstehen, werde ich es immer wieder falsch machen. Denken Sie an Luna, unsere Hündin. Sie zittert jedes Mal, wenn ein Schuss zu hören ist. Sie kann das Problem nicht auflösen, dass nämlich dieser eine Schuss sie an einen Schuss ihrer Kindheit erinnert, der gefährlich war. Der Schuss heute ist ganz weit weg und stellt für sie keine Gefahr dar. Aber sie kann den Schuss ihrer Kindheit nicht ungeschehen machen und sie versteht nicht, dass der heutige mit dem von damals nichts zu tun hat.
Das erinnert mich an eine Definition von Dummheit. Dumm ist jener, der immer das Gleiche macht und erwartet, dass jedes Mal etwas anderes dabei rauskommt ... Von den Upanischaden her betrachtet bedeutet das Nicht-Auflösen des Problems „Ich erkenne mein wahres Selbst nicht“, dass man als Lebewesen auf dieser Welt wiedergeboren wird. Man spricht von Samsāra (Sanskrit samsāra, neutral, wörtlich „beständiges Wandern“), dem Kreislauf von Geburt, Tod, Wiedergeburt. Samsāra bedeutet aber im übertragenen Sinne, dass man auch in diesem Leben immer wieder den gleichen Fehler macht, solange man das Wahre dahinter nicht gesehen hat.
Sieht man überall auf dieser Welt nur Jīva und nicht Puruṣa, steckt man im Lebenszyklus fest. Erkennt man Puruṣa und damit Brahman in diesem Leben, braucht man die Maske des Jīva nicht mehr und ist nach dem Sterben des irdischen Körpers einfach nur mehr Puruṣa = Ātman = Brahman.
Yama sprach weiter: „Brahman kann man in einem reinen Herzen sehen wie in einem Spiegel. Im Brahma-Reich ist er klar wie Licht. Das Herz wird rein durch Sinneszügelung und durch Meditation. Indem man Brahman realisiert, wird man aus dem Kreislauf von Geburt und Tod erlöst. Schaffst du es, Nachiketa, deine fünf Sinne zur Ruhe zu bringen, deinen Geist zur Ruhe zu bringen, den Verstand zur Ruhe zu bringen, hast du den höchsten Zustand erreicht. Die Weisen sagen, dass der Yoga diese völlige Stille ist, in der man in den Vereinigungszustand eintritt, um dann nie wieder Getrenntheit zu erfahren.“
Indem man seine Sinne zur Ruhe bringt, dann den Verstand, kommt man in der Meditation in das pure „Ich-Gefühl“. Hier ist man nur noch ganz wenig entfernt von der vollständigen Versenkung, dem Höhepunkt der Meditation, was man Samādhi (Sanskrit samādhi, maskulin) nennt. Einmal die Vereinigung mit dem Selbst erlebt, lernen wir, immer wieder dorthin zurückzukehren. Hier begegnet uns der Begriff Yoga als die völlige Stille in der Meditation.
Yama schloss seine Unterweisung mit den Worten: „Erkenne dich als rein und unsterblich! Erkenne dich als rein und unsterblich!“ Nachiketa lernte vom König des Todes die ganze Übungspraxis der Meditation. Er befreite sich von aller Getrenntheit und gewann Unsterblichkeit in Brahman. So gesegnet ist jeder, der das Selbst erkennt!
Yama ließ Nachiketa wieder das Reich des Todes verlassen und in die Welt der Menschen zurückkehren ...
Die Katha-Upanischad lehrt uns das Ziel und den Weg. Sie spricht auch davon, dass der Weg oft steinig ist, scharf wie eine Rasierklinge. Sādhana (Sanskrit sādhana, neutral) ist der spirituelle Weg, das Selbst wahrzunehmen und zu erleben, sich nicht mehr mit dem physischen Körper zu identifizieren, den Körper nicht mehr als Beschränkung auf diese eine Welt zu erleben und sich mit dem Alles, der Fülle und der Leere, dem Brahman, zu verbinden.
Oft machen wir uns Menschen dann auf die Suche nach dem Weg, wenn wir in einer Krise stecken, wenn wir Schlimmes erlebt haben und unseren bisherigen Lebensweg hinterfragen. Wir haben immer die Wahl: Welchen Weg gehe ich weiter? Yoga ist ein Weg, und er zeigt uns noch all die kleinen Details, damit wir uns am Weg nicht verirren ...!