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Guṇas

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Im hinduistischen Mythos gab es am Anbeginn der Zeit etwas, das dem Urknall sehr nahe kommt. Dabei gilt die Vorstellung, wie sie in den Upanischaden bereits beschrieben ist, dass der Kosmos in Ewigkeit kommt und geht, geboren wird und stirbt. Beim Anbruch des Brahmā-Tages entsteht der Kosmos. Ein Brahmā-Tag dauert 1000 Yugas, was 4.320.000.000 Jahren entspricht. Am Abend des Brahma-Tages erlischt der Kosmos. Die Brahma-Nacht dauert so lange wie der Tag, 1000 Yugas oder 4.320.000.000 Jahre. Am Morgen entsteht dann der Kosmos von neuem. Und so geht es in Ewigkeit weiter. Der Kosmos unterliegt dabei der Sterblichkeit, wie jedes einzelne Lebewesen auch. Diese hinduistische Vorstellung entspricht der modernen Vorstellung zeitgemäßer Kosmologie von dem sich ausdehnenden und zusammenziehenden Universum.


Bricht ein neuer Brahmā-Tag an, gerät Prakṛti ins Ungleichgewicht und differenziert sich zu den drei Grundzuständen der Urenergie: Diese sind die Guṇas (Sanskrit guṇa, maskulin, wörtlich „Spur“, „Faden“), die „Grundeigenschaften“.


Alles, was sich danach entwickelt, besteht aus ihnen: Tamas (Sanskrit tamas, neutral, wörtlich „Dunkelheit“), die Trägheit, Rajas (Sanskrit rajas, neutral, wörtlich „Raum“, im Yoga-Kontext als Unruhe, Getriebenheit übersetzt), die Aktivität, und Sattva (Sanskrit sattva, neutral, wörtlich „Sein“, „Dasein“, auch „Licht“, „Reinheit“), die Harmonie oder das Gleichgewicht. Ein schöner Vergleich sind die drei Aggregatzustände einer Materie in der Physik, zum Beispiel von Wasser: fest, flüssig und gasförmig. Tamas ist wie gefrorene Energie, der Trägheitszustand, wie ein Eisberg, der viel Energie in sich gespeichert hat, um den Berg zu bilden. Wenn der Berg schmilzt, wird ein Teil der Energie frei: Raja, die Aktivität, das fließende Wasser, das als Fluss den Berg hinunterläuft und die Kraft für Wasserräder und ein Kraftwerk liefern kann. Sattva, die Harmonie, das Gleichgewicht, entspricht in unserem Gleichnis dem Wasserdampf, welcher die Schwerkraft überwindet und aufsteigt. Wird Wasser erhitzt, gibt es seine ganze Energie ab und das Wasser löst sich auf, es entsteht Dampf. Die Guṇas können, so wie Wasser, ineinander umgewandelt werden.


Guṇa bedeutet Faden, welcher das eigentliche Gewebe des Seins bildet. Die Prakṛti setzen sich also aus den Guṇas zusammen, welche sich wie ein Vorhang über den Puruṣa legen und damit die Basis aller Verwechslung, aller Māyās, bilden: Man sieht nur mehr den Vorhang, der Puruṣa ist dahinter verborgen.


Die Guṇas kann man auch als Schichten des Bewusstseins betrachten.

Dabei ist Tamas das „Unbewusste“, das tief in uns drinnen steckt und bewusst nicht erreicht werden kann. Es erzielt einen Effekt auf uns und unser Handeln, ohne dass wir den Zusammenhang je sehen, wie bei obigem Beispiel ein „großer Eisberg, der einen Schatten auf das Bewusstsein wirft“

oder „ein Rucksack der Vergangenheit, den jeder mit sich herumträgt“.


In diesem Sinne gibt es auch ein „kollektives Unbewusstes“, wenn einem Volk zum Beispiel in der Vergangenheit etwas Schlimmes passiert ist und das alle weiteren Generationen beeinflusst, so wie es zum Beispiel den Juden im Rahmen der jüdischen Diaspora, der Zerstreuung ihres Volkes, bis heute ergeht und auf jeden einzelnen Juden auf dieser Welt einen Einfluss hat.

Rajas, oft auch als Unruhe und Getriebenheit übersetzt, entspricht dem unruhigen Geist, unserem Denken, das einfach nicht stillstehen kann. Im Buddhismus spricht man von „Affengeist“: Der Affe und sein Geist müssen ständig beschäftigt sein, damit sie nichts anstellen.


Sattva stellt die Harmonie im Bewusstsein her. „Reines Sein“, nicht mehr und nicht weniger, ohne Fragen und Antworten, innerlich losgelöst, äußerlich strahlend und voller Licht. Sattva stellt sich ein, wenn man sich in seinem Gleichgewicht befindet, wenn man sein Dharma lebt und mit sich und der Welt im Reinen ist.


(Hier borge ich mir schon einmal ein Symbol aus der Chinesischen Tradition aus. Dazu kommen wir später noch ...)

ALLES in unserem Geiste und der Welt da draußen ist Ausdruck aller drei Guṇas, wobei immer jeweils ein Guṇa dominiert. Eine „Tamas-Person“ wirkt zum Beispiel niedergeschlagen und energielos und hängt in Gedanken der Vergangenheit nach. Eine „Rajas-Person“ wäre zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter mit Managerjob, die nie ruhig sitzen kann und alles schafft, aber um welchen Preis ... Eine „Sattva-Person“ wäre der ideale Politiker, der immer ruhig bleibt, alle Streite schlichtet und dabei nie Partei ergreift, der zielgerichtet weise Entscheidungen für das Land trägt. Natürlich sind das nur Extrempole der drei Ausprägungen. Dazwischen gibt es alle erdenklichen Mischungen.

Wie wir uns fühlen, kann man als „Spiel der drei Guṇas“ bezeichnen. Wie bei einem Sturm im Polarmeer können Eisberge in der wilden See aufeinanderprallen und von oben schlagen Regen und Hagel zu. Und obwohl alles Wasser ist, werden hier Urkräfte freigesetzt, zwischen denen Schiffe zermalmt werden können ... Solange wir uns mit Körper und Geist identifizieren, sind wir dem Spiel der Guṇas ausgeliefert. Wir denken, wir SIND die Guṇas, die Guṇas seien unsere Persönlichkeit. Wie Wasser sich je nach Temperatur ständig in feste oder gasförmige Form umwandeln kann, können wir ständig unsere Persönlichkeit verändern. Wir müssen, im übertragenen Sinne, nur woanders hinziehen, wo andere Temperaturen herrschen, um den Aggregatzustand unserer Persönlichkeit zu verändern. Durch Schulung des Geistes ist unsere Persönlichkeit formbar. Yoga ist der Weg dorthin. Yoga lehrt uns, die Guṇas ins Gleichgewicht zu bekommen und uns schlussendlich nicht mehr mit ihnen zu identifizieren:

Aus eigener Kraft, mit deinem Willen, kannst du dich formen, Arjuna. Lass nicht zu, dass dein Ego dich erniedrigt. Der Wille ist der einzige Freund des Selbst, und der Wille ist der einzige Feind des Selbst.

(Kapitel 6, Vers 5)

Wir haben es selbst in der Hand, spirituell zu wachsen. Wir müssen nur wollen und zielgerichtet dem (Yoga-)Weg folgen!

Dabei bedeutet Wachstum des Geistes laut Gita, dass wir zu unserem ursprünglichen Zustand zurückkehren. Die Trägheit und Schwere von Tamas müssen wir durchbrechen, am besten mit der Energie von Rajas. Rajas wiederum steckt so im ICH fest, dass wir Sattva brauchen, um vom Egotrip herunterzukommen und in einen selbstlosen Zustand zu finden, der uns Friede im Herzen, Geist und Körper verschafft. Ist dieser Zustand erreicht, kommt das ICH zur Ruhe und wir können die Reise in das Selbst antreten. Zunächst höchste Konzentration, um dann loszulassen ...

Der Geist ist zu lange schon durch weltliche Dinge abgelenkt und lässt sich nicht ohne Weiteres beeinflussen, Arjuna. Aber wenn man den Geist vollkommen beherrscht und ihn gänzlich von egoistischen Sehnsüchten zurückzieht, ist man im Yoga, der Vereinigung mit dem Selbst. Der völlig auf das wahre Selbst konzentrierte Geist des Yogis ist regungslos wie die Flamme einer Kerze an einem windstillen Ort. (Kapitel 6, Vers 18–19)

Im stillen Geist, in den Tiefen der Meditation, gibt das Selbst sich zu erkennen. Das Selbst mithilfe des Selbst erschauend, erfährt ein spirituell Strebender die Freude und den Frieden vollkommener Erfüllung.

(Kapitel 6, Vers 20)

Wenn du tief in diese unendliche Glückseligkeit des Selbst eintauchst, die jenseits der Sinne liegt, weichst du nie mehr von der ewigen Wahrheit ab. Du begehrst sonst nichts mehr; schweres Leid kann dich nicht mehr erschüttern.

(Kapitel 6, Vers 21–22)

Die Meditationsausübung befreit einen von aller Bedrängnis. Das ist der Weg des Yoga. Folge ihm mit Entschlossenheit und anhaltender Begeisterung.

(Kapitel 6, Vers 23)

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