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3. Der leidende Gott

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Und das Antlitz Gottes? Wie stellt sich angesichts so großen Leids der Gott dar, den Jesus Christus als personale Liebe und ewige Zwiesprache der Drei, die in der Liebe Eins sind, geoffenbart hat? Eine erste Antwort auf diese Frage ist sicherlich die, dass Gott, wie ihn der in unsere Mitte gekommene Sohn verkündet hat, dem Schmerz der Welt weder als ungerührter Beobachter noch als despotischer Gebieter über Leiden und Freuden seiner Geschöpfe gegenübersteht. Vielmehr ist er der Gott-mit-uns, dem unser Leiden Schmerz bereitet, weil er uns liebt, der dieses Leiden aber zulässt, weil er unsere Freiheit achtet, und der uns eben in seinem gekreuzigten Sohn hilft, das Kreuz zu tragen, wie er es getragen hat. Das Kreuz Christi ist der Ort, an dem Gott im Schweigen spricht: Das Geheimnis, das in der Finsternis des Karfreitags verborgen ist, ist das Geheimnis von Gottes Schmerz und seiner Liebe zu den Menschen. Mit seinem Kreuzestod ist der Sohn in die Endlichkeit des Menschen, in den Abgrund seiner Armut, seines Leids, seiner Einsamkeit, seiner Dunkelheit eingetreten. Und dort hat er den bitteren Kelch geleert und die Erfahrung unseres Menschseins bis zur Neige ausgekostet: Auf dem Weg des Leidens ist er bis zur äußersten Möglichkeit Mensch geworden.

Genau so hat auch der Vater den Schmerz kennengelernt: In der Stunde des Kreuzes, als der Sohn sich ihm in bedingungslosem Gehorsam und in Solidarität mit den Sündern hingab, hat auch der Vater um den Unschuldigen gelitten, der dem Tod überantwortet war, und sich dennoch entschieden, ihn hinzugeben, um den Menschen in der Erniedrigung und Schmach des Kreuzes die dreifaltige Liebe zu ihnen zu offenbaren und die Möglichkeit, daran teilzuhaben. »Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat« (Joh 3,16). »Darin offenbarte sich die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben. Darin besteht die Liebe: Nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat« (1 Joh 4,9–10). Und der Geist, den der sterbende Jesus dem Vater übergab (Joh 19,30), war das göttliche Band in jenem schmerzlichen Riss, der sich auftat zwischen dem Herrn des Himmels und der Erde und Jesus, »für uns zur Sünde gemacht« (2 Kor 5,21) – auf dass sich im Tod ein Durchgang öffnete und den Söhnen und Töchtern der Weg des Sohnes zur Fülle des Lebens erschlossen wurde. »So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an« (Röm 8,26).

Dieser Tod in Gott bedeutet also in keiner Weise den Tod Gottes, den Nietzsches »toller Mensch« auf den Plätzen der Welt ausgerufen hat: Es gibt kein Heiligtum und wird nie eines geben, in dem man das requiem aeternam Deo (»Gott ruhe in Frieden«) in Wahrheit anstimmen kann! Die Liebe, die den Hingebenden an den Hingegebenen und in diesem an die Welt bindet, wird den Tod besiegen, auch wenn dieser scheinbar triumphiert. Gottes Leidenskelch ist gefüllt mit einem Trank des Lebens, der auf ewig hervorquillt und sprudelt (vgl. Joh 7,37–39). Die Frucht vom Baum des Kreuzes ist die Freudenbotschaft von Ostern: Der Beistand, der »Tröster« (Joh 14,6) des Gekreuzigten wird ausgegossen über alles Fleisch, um der Tröster aller Gekreuzigten zu sein und in der Erniedrigung und Schmach des Kreuzes, aller Kreuze der Geschichte, die stärkende und verwandelnde Gegenwart des Gottes zu offenbaren, an den Christen glauben. In diesem Sinne ist das am Kreuz geoffenbarte göttliche Leiden wirklich die gute Nachricht: »Wenn die Menschen wüssten […]«, schreibt Jacques Maritain, »dass Gott mit uns und sehr viel mehr als wir unter allem Bösen ›leidet‹, das die Erde verwüstet, dann würde sich zweifellos vieles ändern, und viele Seelen würden befreit«.26 So ruft das »Wort vom Kreuz« (1 Kor 1,18) den Jünger auf überraschende Weise in die Nachfolge: Auf dem Weg des Kreuzes – in der Armut, der Schwäche, dem Schmerz und schließlich in der Übergabe an den Tod – können wir dem Gott des Lebens begegnen. Im Schmerz ist der gekreuzigte Herr auf unserer Seite, ist mit uns und für uns. Mit ihm wird es möglich, unser Leiden zu verwandeln in einen Weg des Glaubens und eine Morgenröte des Lebens, das mehr und mehr als Gabe für andere gelebt wird.

Christsein und die Corona-Krise

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