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2. Natur und Gnade erkennen und anerkennen

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Alle diese Wege werden heute beschritten. Dass es sich dabei jedoch nicht um Alternativen, die sich gegenseitig ausschließen, handeln kann, wird dann einsehbar, wenn wir uns an einer Grund­überzeugung des katholischen Glaubens orientieren, die besagt: Gratia supponit naturam et perficit eam – Die Gnade setzt die Natur voraus und vollendet sie. Denn in dieser Glaubensüberzeugung ist zusammengehalten, was sich nicht trennen lässt.

Wenn wir diese Wegweisung ernst nehmen, sind wir in erster Linie gehalten, auf die Natur zu achten und auf die Experten zu hören, die uns helfen, das Natur-Phänomen des Corona-Virus zu verstehen, und die uns raten, wie wir mit diesem Phänomen umzugehen, und vor allem, welche hygienischen Schutzmaßnahmen wir anzuwenden haben. Diese Ebene der Natur darf man auch und gerade als gläubiger Mensch nicht überspringen, indem man sich auf die Gnade Gottes allein berufen und der Devise folgen würde, dass Gott allein aufgrund der Gebete der Gläubigen die Krise überwinden werde und dass es deshalb Anzeichen von Unglauben wäre, wenn man seine Hoffnung auch auf die vom Staat angeordneten Schutzmaßnahmen setzt. Mit einem solchen Überspringen der Ebene der Natur läuft man Gefahr, zur weiteren Verbreitung des Virus beizutragen. Damit würde man jedoch ein Handeln an den Tag legen, das quer zur Botschaft des christlichen Glaubens von einem Gott steht, der das Leben der Menschen und der ganzen Schöpfung liebt, das deshalb auch von uns Menschen geschützt werden muss.

Eine solche Haltung wird mit Recht als fundamentalistisch und extrem eingestuft. Es gibt heute aber auch die andere extreme Einstellung, die allein auf die Natur und ihre Experten vertraut und sich deshalb jede religiöse Deutung der Corona-Krise verbietet und die Gnade Gottes außenvor lässt. Die Vertreter dieser Haltung werfen den sogenannten Fundamentalisten vor, sie würden Gott versuchen und mit ihren Gebeten ihn zum Eingreifen in die Natur zwingen wollen. Umgekehrt müssen sich aber die Vertreter dieser Sicht die Frage gefallen lassen, ob nicht auch sie auf ihre Weise Gott versuchen, indem sie ihm vorschreiben, wie und wo er auf keinen Fall handeln darf und dass er sich auf jeden Fall an die Naturgesetze zu halten habe. Solche Extrempositionen sind heute leider auch aus Studierstuben von Theologen zu vernehmen, so wenn beispielsweise schlicht behauptet wird, man solle seine Hoffnung auf die Virologie und nicht auf den Glauben, auf die Erfindung einer Impfung und nicht auf das ­Gebet setzen, wenn man nicht ein veraltetes Weltbild vertreten wolle. In eine ähnliche Richtung zielt das Verdikt, Formen der katholischen Frömmigkeit wie eucharistische Anbetung und eucharistischer Segen würden heutigem aufgeklärtem Bewusstsein nicht entsprechen und seien deshalb als »retrokatholisch« zu denunzieren.

Woher aber wissen solche theologische Stimmen denn so genau, wie Gott wirkt und wo seine Grenzen sind, die er nach menschlichen Vorstellungen zu respektieren habe? Steht dahinter nicht jene Annahme, die sich in der neuzeitlichen Theologie immer mehr durchgesetzt hat, Gott könne allein in den Geist des Menschen hinein handeln, mit allem Materiellen könne er sich aber nicht befassen? Diese Mentalität, die das Handeln Gottes nur im Geistigen zulässt, ihm aber das Materielle und Leibliche nicht zugesteht, hat Papst Benedikt XVI. treffend als »subtilen neuen Gnostizismus« beurteilt, der Gott und seiner Macht die Materie prinzipiell entzieht und der heute ausgerechnet trotz und bei aller Lobpreisung des Materiellen und Leiblichen propagiert wird. Während Gott auf die Innerlichkeit der menschlichen Subjektivität reduziert wird, hat er in der Welt der Materie nichts zu suchen, da die objektive Welt anderen Gesetzen gehorche. Es ist aber nicht einzusehen, wie mit solchen weltanschaulichen Vorentscheidungen theologisch überhaupt noch von Wundern und erst recht vom größten Wunder der Auferstehung Jesu Christi aus dem Tod gesprochen werden kann. In der Konsequenz rechnet man dann auch im Blick auf die Auferstehung des Herrn nur noch mit göttlichem Einwirken auf den Geist und verkündet nicht mehr, dass Christus lebt, sondern redet nur noch davon, dass »die Sache Jesu weitergeht«.

Die Heilige Schrift geht demgegenüber von einer viel großzügigeren Sicht vom Wirken Gottes auch in der Schöpfung aus, wenn beispielsweise Paulus bekennt: »Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. Aber auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf, dass wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar werden« (Röm 8,22–23). Und es ist kein Zufall, dass diese sehnsüchtige Hoffnung in die Zuversicht des Gebetes mündet: »So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können« (Röm 8,26).

In dieser Zuversicht liegt es begründet, dass die Heilige Schrift bei aller Respektierung der Natur großes Vertrauen auf die Gnade Gottes setzt und uns deshalb immer wieder zu inständigem Gebet einlädt, und zwar in der Überzeugung, dass das innerste Wesen des Gebetes der SOS-Ruf um Hilfe im ursprünglichen Sinn Save our Souls ist. In dieser Grundhaltung mutet uns die Heilige Schrift zu, dass wir Menschen alle unsere Nöte und Leiden vor Gott tragen, es dabei aber ihm überlassen, was er mit unseren Gebeten anfängt, dass wir also ihm weder etwas vorschreiben noch etwas verbieten. Diese Gebetshaltung wird uns in exemplarischer Weise mit Maria und ihrem Verhalten bei der Hochzeit zu Kana vor Augen geführt. Maria bittet hier nicht um irgendetwas Bestimmtes; sie bittet Jesus auch nicht darum, er solle Wein produzieren und damit ein Wunder wirken. Maria sieht ihre Aufgabe vielmehr darin, die Sorgen der Hochzeitsleute Jesus anzuvertrauen und es dann ihm zu überlassen, was er daraufhin tun will.

In dieser biblischen Grundhaltung versteht es sich für gläubige Christen von selbst, dass sie die schwere Not, in die uns die Corona-Krise gebracht hat, in großem Vertrauen vor Gott tragen und seinen Segen, auch und gerade den eucharistischen Segen, wie ihn Papst Franziskus in eindringlicher Weise auf dem leeren St. Petersplatz gespendet hat, empfangen in der Hoffnung, dass Gott mit unseren Gebeten und Bitten das Beste für uns anfangen wird. Solches Vertrauen auf Gottes Gnade und das Ernstnehmen der Weisungen der Experten der Natur sind keine Gegensätze. Natürlich ersetzt das Gebet nicht die notwendige Suche nach einem wirksamen Impfstoff. Aber auch alle hygienischen und gesundheitlichen Vorkehrungen ersetzen nicht das Gebet. Wer hier in Alternativen oder Gegensätzen denkt, erweist sich als ebenso fundamentalistisch wie diejenigen, die der aufgeklärte Theologe heute ansonsten als solche zu bezeichnen pflegt.

In dieser ganzheitlichen Sicht sollte man auch die religiöse Frage, ob man in der Corona-Krise eine Strafe Gottes sehen kann oder gar muss, nicht vorschnell verbieten und auf die Seite legen. Natürlich ist Corona keine Strafe Gottes in dem Sinne, dass Gott das Virus erfunden und in die Menschheit geschickt hätte, um sie für ihre Sünden zu bestrafen. So kann es sich bereits deshalb nicht verhalten, weil auch die Corona-Krise, wie so viele andere Kata­strophen, die Armen und ohnehin schon Leidenden und damit Gottes besondere Lieblinge am schwersten trifft. Dennoch redet die Heilige Schrift von Gottes Strafe, freilich in dem Sinne, dass Gott die Menschen den Konsequenzen ihres eigenen Fehlverhaltens preisgegeben sein lässt. Insofern strafen Menschen sich selbst, wenn sie Lebensweisungen Gottes nicht beachten, und werden von daher zur Umkehr gerufen. In diesem Sinn ist es nicht nur angebracht, sondern sind wir verpflichtet, auch in ­religiöser Sicht danach zu fragen, was Gott uns wohl mit dieser Krise sagen möchte und was wir aus ihr für die Zukunft zu lernen haben.

Christsein und die Corona-Krise

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