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3. Was wir in der Krise lernen sollten

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An erster Stelle darf man dankbar feststellen, dass während der Corona-Krise auch viel Gutes und Positives ans Tageslicht kommt. Im Allgemeinen ist deutlich bewusst geworden, dass wir Menschen alle aufeinander angewiesen sind, dass wir gleichsam in demselben Boot sitzen und dass wir angerufen sind, einander und vor allem den besonders von der Corona-Krise Betroffenen beizustehen. Gerade weil wir Menschen voneinander genügend Abstand einnehmen müssen, spüren wir, wie nahe wir einander verbunden sind und dass wir zu mehr Solidarität untereinander gerufen sind. Ein besonderer Dank gilt allen Ärzten und allen Pflegern und Pflegerinnen, die sich bis zur Erschöpfung um die kranken Menschen kümmern. Dankbar dürfen wir auch sein für die Priester, die viel Phantasie dafür aufwenden, wie sie in dieser schwierigen pastoralen Situation den Menschen in ihrem Leben und Sterben nahe sein und ihnen das Kostbarste geben können, das der katholische Glaube für uns bereithält, nämlich die liebende Nähe Gottes, die er uns in den Sakramenten, vor allem in der Eucharistie, in der Buße und in der Krankensalbung, schenkt.

Unter diesen Vorschlägen muss man allerdings auch Ideen zur Kenntnis nehmen, denen ich als Theologe und Bischof widersprechen muss. Es ist für mich nicht verständlich, dass man die Feier einer Heiligen Messe, die ein Priester in der heutigen Situation allein, aber für die ihm anvertrauten Gläubigen feiert, infrage stellen oder gar als »Geistermesse« diskriminieren kann. Ist denn Liturgiewissenschaftlern nicht mehr bewusst, dass diese Art der Feier in einer Notsituation nur sichtbar macht, was ohnehin zum Wesen christlicher Liturgie gehört, dass sie nämlich immer auch in Stellvertretung für die Menschheit, ja für die ganze Schöpfung gefeiert wird? Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wenn ein Bischof dem Bedauern von vielen Gläubigen, dass sie während der Corona-Krise die Eucharistie nicht mitfeiern und den Leib Christi nicht empfangen können, eine »Fixierung auf die Eucharistie« und deshalb eine »Engführung« vorhält – zumal während der Heiligen Woche, in der wir am Hohen Donnerstag der Einsetzung der Heiligen Eucharistie gedenken und im Mittelpunkt des wichtigsten Gottesdienstes in der Osternacht die Oster­eucharistie steht. Als völlig verfehlt und dem katholischen Glauben widersprechend muss ich den Aufruf von Theologen verstehen, während der Corona-Krise die Eucharistie zu Hause ohne Priester zu feiern und auf diesem Weg eine sogenannte ­»Reform« voranzubringen.

Notsituationen sind nicht dazu da, das Lebensnotwendige im menschlichen Leben (wie das alltägliche Brot in Kriegszeiten) und im Leben des Glaubens (wie das Brot des ewigen Lebens) zu relativieren oder gar infrage zu stellen. Sie sind vielmehr vitale Anlässe, es sich neu bewusst zu machen, gerade weil man es schmerzlich vermisst. Krisenzeiten sind deshalb immer auch Stunden der Wahrheit, die es an den Tag bringen, wie es um die Prioritäten in unserem menschlichen Leben und im Leben des Glaubens steht. In dieser Hinsicht erlaube ich mir noch einige Hinweise, was wir aus der Corona-Krise für unsere Zukunft lernen könnten und sollten, wobei ich die Hinweise bewusst in Frageform formuliere.

Haben wir uns in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund der großen Fortschritte in Wissenschaft und Technik bis in die digitale Welt hinein nicht selbstsicher daran gewöhnt, dass alles machbar ist und dass wir unser Leben und die Gestaltung der Welt in der Hand haben? Nun aber treibt in der ganzen Welt ein winzig kleines Virus sein Unwesen und schlägt uns vieles und vor allem Elementares aus der Hand, so dass wir auf uns selbst zurückgeworfen sind und in neuer Weise danach fragen müssen, wie es um unsere condition humaine steht. Um nur ein besonders gravierendes Beispiel zu erwähnen: Unmittelbar vor Ausbruch der Corona-Krise in unseren Breitengraden, genauer am 26. Februar 2020, hat der oberste deutsche Gerichtshof das bisherige »Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung« als Verstoß gegen das Grundgesetz beurteilt, es außer Kraft gesetzt und entschieden, dass der Mensch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben hat. Der katholische Theologe und Bioethiker Ralph Weimann hat diesen Entscheid des Bundesverfassungsgerichts mit Recht als »totalen Dammbruch« und dementsprechend den 26. Februar als »dunklen Tag für die deutsche Rechtsprechung« bezeichnet. Die von diesem Gericht gepriesene Autonomie des Menschen im Blick auf sein eigenes Sterben ist kurz danach von der Corona-Krise, die so vielen Menschen den Tod bringt, massiv infrage gestellt worden. Wäre die Corona-Krise nicht ein vitaler Anlass, uns neu auf die Verletzlichkeit unseres Lebens und damit auch auf die konstitutionellen Grenzen unserer Autonomie zu besinnen?

Haben wir uns nicht auch selbstverständlich angewöhnt, uns in unserem Leben auf das zu verlassen, was sichtbar, materiell und greifbar ist? Nun aber zeigt ein für unsere Augen und selbst mit herkömmlichen Mikroskopen nicht sichtbares Virus, welche zerstörerische Folgen es auf der ganzen Welt zu entfalten vermag. Wäre es da nicht angezeigt, uns auch in positiver Hinsicht vermehrt am Nicht-Sichtbaren und Nicht-Materiellen zu orientieren? Denn auch viel Gutes ist in unserem Leben und in der Welt nicht sichtbar und möchte doch in uns weiterwirken. Dies gilt in erster Linie vom unsichtbaren Gott selbst, der in unserem Leben gegenwärtig ist und von uns wahrgenommen werden möchte und der zu uns auch durch seine Schöpfung spricht, die eben nicht stumm ist, sondern nur als stumm wahrgenommen wird, wenn der Mensch für ihr Sprechen taub ist.

Die Corona-Krise stellt auch Fragen an die Art und Weise, wie wir unseren christlichen Glauben heute verstehen und leben und welchen Prioritäten wir besondere Achtung schenken. In den vergangenen Jahren ist mir beispielsweise immer wieder die Aussage begegnet, Gott habe keine anderen Hände als die unseren. Dieses Wort ist in der Tat sehr wahr; denn Gott will und kann in unserer Welt – zumal in der gegenwärtigen Corona-Krise – durch uns Menschen an anderen Menschen handeln. Dennoch ist dieses Wort – Gott sei es gedankt! – nur die halbe Wahrheit. Der Trost des Glaubens besteht doch in der Zuversicht, dass Gott noch ganz andere Hände hat, wenn unsere Hände schwach geworden sind. Dies gilt zumal, wenn unsere Hände im Tod schlaff geworden sind und nichts mehr ausrichten können. Dann dürfen wir darauf bauen, dass Gott selbst an uns hand-elt. Im Glauben dürfen wir wissen, dass wir auf jeden Fall in der Hand Gottes sind – in unserem Leben und in unserem Sterben. Wäre es nicht an der Zeit, uns neu auf die christliche Botschaft vom ewigen Leben zu besinnen, das Christus uns verheißen hat und schenken wird und das das Ziel des christlichen Lebens ist? Und ruft uns die Corona-Krise, die uns täglich massenhaftes Sterben vor Augen geführt hat, nicht neu in Erinnerung, dass ein Christ, der am Grab eines Menschen nichts zu sagen hat, wahrscheinlich überhaupt nichts Hilfreiches zu sagen hat?

Christsein und die Corona-Krise

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