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Zweiundzwanzigster Brief.

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Paris, 7. messidor (Juni 1801).

„Wie Du voraussahest, meine liebe Mutter, als Du mich nur eine Tagereise von Paris wußtest, habe ich dem Wunsche nicht widerstehen können, einige Augenblicke hier zu sein. Ich habe Beaumont und meinen General gesehen. Nein schönes Pferd Paméla geht morgen nach Nohant ab; der General reist nach Limousin. In etwa vierzehn Tagen wird er zurückkehren und hat mir versprochen, über Nohant zukommen, wo ich Dir helfen werde, ihn zu empfangen. Diesen Morgen sah ich Oudinot, der, da er mehr in Gnaden steht, als wir, auf Anstiften Charles His', hoffentlich den Hauptmannsrang für mich verlangen wird. Ich erhalte jetzt auch meinen Sold und der soll mir einen neuen Anzug verschaffen, damit ich den Cardinal Gonsalvi besuchen kann, der jetzt hier ist, um das Concordat abzuschließen. Es scheint, als hätte er sich nur sehr ungern zu dieser Reise entschlossen, als glaubte er unter die Guillotine zu gehen, wenn er Rom verließe. Charles His, der mich bei meiner „Gesandtschaft“ nach Rom begleitete, hat Se. Eminenz schon hier besucht und viele Umarmungen davongetragen. Siehst Du wohl, liebe Mutter, daß der kleine Ausflug, den Du schon als große Extravaganz betrachtetest, keinen verderblichen Einfluß auf mein Schicksal haben wird, meinen Verhältnissen vielmehr nützlich ist und Dich keinen Sou kostet. — Von den sechsundzwanzig Louisd'or, die mir Herr von Cobenzl zurückerstatten soll, habe ich noch nichts gehört. Ich werde morgen zu ihm gehen. Adieu, liebe Mutter, ich bin bald wieder bei Dir, und, wenn der Himmel will, als Hauptmann. Ich bitte Dich, gräme Dich nicht und zweifle niemals an der Zärtlichkeit Deines Sohnes.“

Moritz blieb in Paris bis an das Ende des Messidor; verschiedene Geschäfte mußten als Vorwand dienen: der Besuch bei Monsignore Gonsalvi, die sechsundzwanzig Louisd'or der Auswechselungscommission; allerhand Bemühungen um ein Avancement, auf das er nicht rechnete, und um das er sich eben nicht kümmerte, eine Verletzung des Pferdes, die Feierlichkeiten des 14. Juli — das waren die mehr oder weniger ernsten Gründe, welche die Tage, die er der Liebe weihte, mit einem nicht sehr geheimnißvollen Schleier umhüllten. Der arme Junge verstand das Lügen nicht und von Zeit zu Zeit machte sich seine Seele in lauten Klagen Luft: „Du willst nicht,“ schrieb er an seine Mutter, „daß ich mich für ein Weib interessire, das Alles für mich verlassen, Alles meinetwegen verloren hat! Das ist ja unmöglich! Du selbst, meine Mutter, Du verlangst dies wohl — aber Du würdest nicht einmal gegen einen Dienstboten gleichgültig sein können, der seine Stelle verloren hätte, um Dir zu folgen, und Du glaubst, daß ich gegen eine Frau undankbar sein könnte, deren Herz aufrichtig und edel ist? Nein, Du kannst einen solchen Rath nicht geben!“

Der Onkel Beaumont, der früher Abbé und Coadjutor bei dem Erzbisthum von Bordeaux gewesen war, dieser Sohn des Fräuleins von Verrières und des Herzogs von Bouillon, der Enkel Türenne's und folglich ein Verwandter des Herrn von Latour d'Auvergne, war ein geistreicher und verständiger Mann. Er hatte als junger Abbé ein glänzendes und stürmisches Leben geführt; er war schön, idealisch schön; von sprühender Fröhlichkeit; tapfer wie ein Husarenlieutenant; poetisch wie — der Musen-Almanach; herrschsüchtig und schwach, das heißt zärtlich und jähzornig. Auch er war eine Künstlernatur, ein Wesen, das in anderer Umgebung die Größe eines Gondi gewonnen haben würde, dessen Jugend er so ziemlich nachgeahmt hatte. Nach der Revolution zog er sich aus dem Geräusch und der Bewegung der Welt zurück, lebte in der Stille und schloß sich den „Ralliirten“ nicht an, die er ohne Bitterkeit und ohne Pedanterie etwas verachtete. In jener Zeit beherrschte eine Frau sein Leben und machte ihn glücklich. Für meine Großmutter war er immer ein treuer Freund und für meinen Vater war er zugleich ein Vater und ein Kamerad.

Die sittlichen Begriffe des schönen Abbés waren die der liebenswürdigen Männer seiner Zeit, und wenn diese Begriffe von den Männern unserer Zeit nicht weiter ausgedehnt werden, so sind diese doch nicht mehr so liebenswürdig, da liegt der Unterschied! Mein Großonkel war ein Gemisch von Trockenheit und Mittheilsamkeit, von Härte und unvergleichlicher Güte. Er fand es ganz natürlich, Victoriens edle Hingabe zurückzuweisen.

„Laßt sie reich sein, und sich amüsiren, sagte er in seinem sanften epicuräischen Cynismus. „Das ist viel klüger, als wenn sie mit dem Manne ihrer Liebe darbt. Moritz soll sie vergessen und diese romanhafte Hingebung nicht ermuthigen, das wird viel besser für ihn sein, als wenn er sich mit einer Wirthschaft belastet und seine Mutter quält.“

Er hat die Leidenschaft meines Vaters niemals ermuthigt, sich aber auch niemals lebhaft bemüht, dieselbe auszurotten, und als Moritz sich mit Victorie verheirathete, behandelte er diese wie seine Tochter und ließ sich's angelegen sein, sie meiner Großmutter zu nähern.

In den ersten Tagen des Thermidor (Ende Juli 1801) kam Moritz nach Nohant zurück und blieb daselbst bis Ende des Jahres. Hatte er sich entschlossen, Victorie zu vergessen, um die Kämpfe mit seiner Mutter zu beendigen? Dies ist kaum glaublich, denn sie erwartete ihn in Paris und fand ihn leidenschaftlicher, als je zuvor. Aber ich habe keine Spuren ihres Briefwechsels aus diesen vier Monaten. Wahrscheinlich wurde diese Correspondenz in Nohant etwas überwacht und die Briefe wurden deswegen nach und nach vernichtet.

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