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Sechszehntes Kapitel. 1802. Brieffragmente. — Die „Beaux“ der schönen Welt. — Musikalische Studien. — Die Engländer in Paris. — Wiederkehr des Luxus. — Fest des Concordats. — Feierlichkeiten in Notre-Dame. — Haltung der Generäle. — Deschartres in Paris. — Adresse nach Charleville. — Antwort an Deschartres. — Widerwärtigkeiten der Adjutantenstellung in Friedenszelten. 1802.
ОглавлениеGegen das Ende des Jahres 1801 kehrte Moritz nach Paris zurück. Er schrieb seiner Mutter mit derselben Pünktlichkeit wie sonst, aber seine Briefe sind nicht mehr dieselben. Es sind nicht mehr dieselben Herzensergießungen, nicht mehr dieselbe Sorglosigkeit, oder wenn sich Sorglosigkeit zeigt, ist sie ein wenig erzwungen. Die arme Mutter hat jetzt ohne Zweifel eine Nebenbuhlerin; ihre zärtliche Eifersucht hat das Uebel, das sie befürchtete, zum Ausbruch gebracht.
Vom Frimaire des Jahres X bis zum Floréal desselben Jahres enthalten die Briefe meines Vaters interessante Bemerkungen über die Gesellschaft, mit welcher er verkehrt und welche er aufmerksam beobachtet. Ich weiß kaum, was ich auswählen soll, um hier einen Auszug zu geben, denn Alles ist anziehend. Er schildert die Pariser Gesellschaft, wie sie sich den Engländern präsentirte, die mit Fox nach Paris gekommen waren. Er erzählt von dem Feste des Concordats und seine persönliche Meinung darüber stimmt mit der der militairischen Umgebung überein, in welcher er sich befindet; aber ich werde hier nur die Stellen mittheilen, die auf sein eignes Leben Bezug haben.
Den 4. Nivose Jahr X.
„Heute haben wir den Jahrestag des berühmten Ueberganges [Den Uebergang über den Mincio.] gefeiert. Fast alle Offiziere des rechten Flügels waren bei meinem General versammelt —Keiner ahnte, daß es Lieder geben würde; aber ich hatte ein ganzes Packet schlechter Verse gemacht, das der Bediente des Generals während der Tafel überreichen mußte. Der General brach es neugierig auf und erstickte fast vor Lachen.
„Es war ein komisches Heldengedicht, das den ganzen Hergang schilderte. Er las es vor und Alle lachten wie er und wunderten sich über die Genauigkeit der Erzählung. Ich wurde schnell als der Verfasser errathen und sollte mein Werk absingen, aber ich wollte das schon Gelesene nicht auf's Neue beginnen und sang eine Litanei anderer Verse über dasselbe Thema. Das hat mich auf wohlfeile Art mit Ruhm bedeckt; lachend und singend standen wir vom Tische auf und als wir in den Salon zurückkehrten, haben wir uns Alle untereinander umarmt; der General Dupont schloß mich zuerst in die Arme. Wenn man jemals Gleichheit und Brüderlichkeit unter einigen Menschen findet, so ist es unter uns in solchen Momenten.“
„Alle Liebenswürdigen der ***Gesellschaft sind die ausgemachtesten Laffen, die ich kenne. Sie reden eine Stunde lang, um Nichts zu sagen; entscheiden über Alles auf's Gerathewohl und lassen sich's so angelegen sein — der schönen Manieren wegen — einander nachzuahmen, daß, wer den Einen kennt, mit Allen bekannt ist. Du sagst, daß man in der Gesellschaft leben muß, liebe Mutter, und das ist wohl möglich! aber es giebt nichts Einfältigeres, als alle diese Leute, deren einziges Verdienst in einem Namen besteht, dessen Glanz ihnen nicht zugehört.“
„... Viel besser, als in der Gesellschaft, unterhalte ich mich mit meinem gemietheten Klavier und mit dem Lehrer, der mich im Generalbaß unterrichtet. Wenn ich mich die ganze Nacht bis drei Uhr Morgens bei meinen musikalischen Arbeiten vergessen habe, fühle ich mich viel ruhiger und glücklicher, als wenn ich auf einem Balle gewesen wäre. Ich habe meinen Kopf darauf gesetzt, ein guter Tonsetzer zu werden und das soll mir gelingen. Ich vernachlässige aber auch meine Geige —ich liebe sie ja sosehr! Meine Finanzen sind nicht gerade im schönsten Stande, denn ich habe mich vom Kopf bis zu den Füßen neu equipiren müssen, um zur Parade gehen zu können. Aber da ich mir schmeichle, zu den Kindern Apollo's zu gehören, ist's in der Ordnung, daß ich arm bin.
„Im Theater habe ich Lejeune gesehen. Als er das Bild der Schlacht von Marengo malte, hat er mich in ganz Paris gesucht; er sagt, daß er sich nicht darüber trösten kann, meinen Kopf nicht unter Händen gehabt zu haben, um ihm einen Platz im Bilde zu geben.“
„Ich habe die Bekanntschaft einiger vornehmen Damen gemacht: der Madame d'Esquelbec, die, wie man mir sagt, die Gnade gehabt hat, mich sehr nett zu finden; der Madame de Flahaut, die einen Roman herausgegeben hat, welchen ich unhöflicher Mensch nicht gelesen habe; und endlich der Madame d'Andlaw. René ist immer der liebenswürdigste Freund; aber er hat den Fehler, Wasser zu trinken wie eine Ente. Glücklicherweise steckt das nicht an! ...“
„Ich schwöre Dir bei Allem, was heilig ist, daß V... arbeitet und mich nichts kostet. Ich begreife nicht, warum Du Dich so ängstigst. So lange ich ein armer Teufel bin, werde ich niemals eine Frau unterhalten, denn ich wäre genöthigt, es auf Deine Kosten zu thun. Ueberdies kennst Du sie gar nicht; Du beurtheillsft sie nach Deschartres' Berichten, der sie noch viel weniger kennt. Laß uns gar nicht mehr von ihr sprechen, ich bitte Dich darum, meine gute Mutter, wir würden uns doch nicht verstehen. Aber sei wenigstens überzeugt, daß ich mir lieber eine Kugel durch den Kopf jagte, als einen Vorwurf von Dir verdiente, und daß es mein tödtlichster Kummer ist, wenn ich Dir Schmerzen bereite.“
„... Ich käme nie zu Ende, wenn ich Dir alle Lächerlichkeiten dieser schönen Jugend mittheilen wollte. Die Engländer fühlen das auch und ich bin außer mir, wenn ich sie heimlich darüber lachen sehe und ihnen nicht Unrecht geben kann, daß sie im Grunde der Seele solche Pröbchen unserer Nation verachten. Andere suchen wieder die Engländer auf linkische Weise nachzuäffen und wissen nichts Besseres zu thun, als ihr Vaterland in Gegenwart der Fremden herabzusetzen. Das ist wahrhaft empörend, und die Fremden sind die Ersten, welche die Achseln dabei zucken. Alle diese jungen Lords, die in ihren heimischen Armeen dienen, befragen mich mit Begierde über unser Heer und ich antworte ihnen durch eine feurige Schilderung unserer unsterblichen Waffenthaten, denen sie ihre Bewunderung nicht versagen können. Ich empfehle ihnen auch beständig, die öffentliche Stimmung nicht nach den Redensarten zu beurtheilen, die sie in der Gesellschaft hören und ich behaupte fortwährend, daß das Nationalgefühl bei uns allen so stark ist, als bei ihnen — wenn unsere Siege nicht wären, würden sie doch daran zweifeln. Aber Du begreifst wohl, daß ich diese Gesellschaft immer trauriger und enttäuschter verlasse. Gute Nacht, meine liebe Mutter, ich liebe Dich mehr als mein Leben. Ich prügle den Ortsvorsteher und schicke meiner Bonne ihren Fingerhut „zum Nähen und Arbeiten.“
24. Pluviose.
„... Mit meinen Neffen ist nun Alles in Ordnung. Außer dem Hause bin ich nun im Besitz von 40,000 Francs. Teufel! ich hätte nie geglaubt, daß ich so reich sein könnte. Davon mußt Du nun gleich zehntausend Francs nehmen, um alle Deine Schulden zu bezahlen: Pernon, Deschartres und meine Bonne; [Der Gehalt des Lehrers und der Lohn der Bonne waren seit 1792 im Rückstande.] ich will nicht, daß sie länger warten; ich will, daß Du Dich von allen diesen kleinen Sorgen frei machst. Was Du für mich gethan hast, ist viel mehr und das kann ich Dir niemals erstatten. Also, meine liebe Mutter, keine Schwierigkeiten darüber! sonst mache ich Dir den Proceß und zwinge Dich zur Annahme des Geldes. Mit dem Ertrag des Hauses und meinem Sold habe ich nun eine Einnahme von 7,840 Francs, und das ist, meiner Treu, ganz nett! und man braucht sich darüber gerade nicht zu grämen. Mit dem Ertrage von Nohant bringen wir nun die Summe von 16,000 Francs jährlicher Einnahme zusammen, [Er war sehr im Irrthum über den Ertrag von Nohant.] deren wir uns nächstes Jahr ohne Schulden zu erfreuen haben werden. Das ist prächtig und ich bin ganz glücklich, Dich vor allen Sorgen gesichert zu sehen. Bezahle, bezahle Alles, was Du schuldig— wenn ich auch nur die Hälfte meiner 40,000 Francs behielte, so hätte ich genug ...
„Frau von Béranger hat Dir den Tod des Herzogs von Bouillon angezeigt. Beaumont ist sehr betrübt darüber, denn trotz ihrer Streitigkeiten liebten sie sich wie Brüder.“
Den 24. Ventôse (März).
„Mein General steht jetzt mit Bonaparte auf dem besten Fuße. Dieser hat ihn rufen lassen und hat ihm, nach einigen freundlichen Vorwürfen über seine Zurückgezogenheit, den Befehl über die zweite Militairdivision, die fünf und zwanzig tausend Mann enthält, übertragen. Sie steht in den Ardennen und in Luxemburg — und so sind wir denn wieder in voller Thätigkeit. Bonaparte hat hinzugefügt, daß er ihn um jede vortheilhaftere Stellung, die sich ihm bieten könnte, wieder angehen möchte.“ …
„Die Ankunft meines Pferdes hat mir viel Vergnügen gemacht. Das Holz von Boulogne ist wunderhübsch; es sind neue Wege darin angelegt und das Gedränge der Wagen und Kutschen ist so groß, daß die Wächter, wie in Longchamps, das Fahren beaufsichtigen müssen. Dieser Anblick hat etwas Unbegreifliches, wenn man kaum die Revolution überstanden hat, in welcher jeder Reichthum vernichtet zu sein schien. Aber, siehe da! der Luxus ist hundertmal größer, als unter dem alten Regime. Wenn ich bedenke, wie einsam es 1794 während meiner Verbannung nach Passy im Boulogner Holze war, glaube ich zu träumen, während ich heute von der Menge gleichsam fortgetragen werde. Da ist eine Anzahl von Engländern, von fremden Gesandten, von Russen u.s.w., welche eine große Pracht entfalten, die zu überbieten das Bestreben der Pariser Gesellschaft ist. Longchamps wird in diesem Jahre glänzend sein.
„... In diesem Augenblicke verkündigt der Donner der Kanonen die Unterzeichnung des Friedensvertrages. Die Mütter und Gattinnen freuen sich — und wir, wir machen etwas schiefe Gesichter.“
Den 23. Germinal (April).
„... Paris fängt schon an, mir langweilig zu werden. Es ist immer dasselbe: hochfahrende Mienen, große Eitelkeit, und ein übel verhehlter Ehrgeiz, dem nur ein wenig geschmeichelt zu werden braucht, um sich offen zu zeigen ...
„An der Porte-Maillot wird ein großes Frühstück vorbereitet. Alle „Liebenswürdigen“ werden daran theilnehmen. Sie bezahlen à Person einen Louisd'or, um für dreißig Menschen zwei Fenster zu haben. Es werden aber auch nur hochadelige Leute da sein: die Biron, die de l'Aigle, die Perigord, die Noailles [Da der Scherz ohne alle Bitterkeit ist, glaube ich diese Namen nennen zu dürfen.] — das wird charmant — — ich gehe gewiß nicht hin!“
Paris, den 30. Germinal Jahr X.
„... Die Zeitungen haben Dir gewiß einen pomphaften Bericht über die Feier des Concordats gebracht. Ich gehörte zu dem berittenen Gefolge des Generals Dupont, der mit allen in Paris anwesenden Generälen dazu commandirt war. So haben sie denn auch Alle dabei paradirt, ungefähr so wie Hunde, die dazu geprügelt wären. Während wir durch Paris zogen, hat uns der Zuruf der Menge begrüßt, die jedoch mehr von dem militairischen Gepränge entzückt war, als von dem Feste an und für sich. Wir Alle waren äußerst glänzend und was mich betrifft, so war ich prachtvoll — Pamela [Sein Pferd.] und ich vergoldet vom Kopf bis zu den Füßen. Der Legat saß in einem Wagen und vor ihm her, in einem andern Wagen, wurde das Kreuz gefahren. [„Die Legaten a latere pflegen ein goldenes Kreuz vor sich hertragen zu lassen, welches ein Zeichen der außergewöhnlichen Macht ist, die der päpstliche Stuhl solchen Gesandten verleiht. Den Absichten seines Hofes zufolge wollte der Cardinal Caprara den Gebräuchen des Kultus in Frankreich die größte Oeffentlichkeit geben; er verlangte, daß der Sitte gemäß das goldene Kreuz durch einen berittenen Offizier in rother Uniform vor ihm hergetragen würde. Aber dies war ein Anblick, den man sich scheute, dem Pariser Volke zu geben. Man unterhandelte und kam überein, daß dies Kreuz, in einem der Wagen, die vor dem Cardinal herfuhren, gehalten werden sollte. A. Thiers' Geschichte des Consulats und des Kaiserreiches III. Theil, Buch 14.] Erst an der Thür von Notre-Dame sind wir abgestiegen und alle diese schönen, reich gezäumten Pferde, die rings um die Kathedrale herumstanden, paradirten und sich neckten, boten einen wunderlichen Anblick dar. Wir betraten die Kirche bei dem Schall einer lebhaften Militairmusik, die plötzlich, beim Herannahen des Baldachins verstummte, unter welchen sich nun die drei Consuln begaben, um im tiefsten Schwelgen und zwar in etwas unbeholfener Weise zu der Estrade geführt zu werden, die für sie bestimmt war. Der Baldachin des Consulats sah aus wie ein Betthimmel in einem Wirthshause; er war mit vier schlechten Federbüschen und einer schmalen Franse verziert; der des Cardinals war viermal so kostbar und die Kanzel war auf's Reichste drapirt. Von der Rede des Herrn von Boisgelin hat man kein Wort gehört. Ich stand neben dem General Dupont, hinter dem ersten Consul und habe mich an der Schönheit des Anblicks und am Te Deum erfreut; aber Alle, die in der Mitte der Kirche waren, konnten nichts hören. Im Augenblicke der Monstranz-Erhebung haben die drei Consuln die Knie gebeugt; hinter ihnen standen wenigstens vierzig Generäle, unter ihnen Augereau, Massina, Macdonald, Oudinot, Baraguey d'Hilliers, Le Courbe u.s.w., keiner derselben ist von seinem Stuhle aufgestanden, was einen komischen Gegensatz bildete. Als wir die Kirche verließen, bestieg ein Jeder sein Pferd und ritt von dannen, so daß nur noch die Regimenter der Garde im Zuge blieben. Es war halb sechs Uhr und man war halbtodt vor Langerweile, Hunger und Ungeduld. Ich war schon um neun Uhr Morgens und zwar ohne Frühstück zu Pferde gestiegen, hatte auch wieder das Fieber, das mich noch immer plagt. Gestern habe ich bei Scävola gespeist und heute schreibe ich Dir in der Wohnung meines Generals. Ich habe Corvisart, den Arzt des ersten Consuls gesehen; er hat mir versprochen, daß ich in zwei bis drei Tagen so weit hergestellt sein soll, um reisen zu können, damit ich Dich vor der Uebersiedlung in unser Hauptquartier noch einmal umarme. Ich glaube, daß das Verlangen, Dich zu sehen, meine Genesung verhindert hat. Ich umarme den Ortsvorsteher, wie schön würde er sich mit seiner Schärpe und seinen Adjunkten bei der Feierlichkeit ausgenommen haben.“
Moritz verlebte einen Monat bei seiner Mutter; dann verließ er Nohant, brachte zwei oder drei Tage in Paris zu und begab sich endlich zu seinem General nach Charleville, wohin ihm Victorie bald nachfolgen sollte — trotz der Predigten des guten Deschartres, der, wie wir sehen, bei seinem Zöglinge kein besonderes Glück machte. Der arme Schulmeister ließ sich indessen nicht entmuthigen; er blieb dabei, Victorie für eine Intriguantin zu halten und Moritz für einen leicht zu täuschenden jungen Mann. Er begriff nicht, daß dies irrige Urtheil nur die Wirkung hatte, meinen Vater täglich mehr über die Uneigennützigkeit seiner Geliebten aufzuklären, und daß er ihr um so mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen und sich um so mehr an sie anschließen mußte, wenn sie mit Unrecht angeklagt wurde. Bei dieser Gelegenheit nahm Deschartres seine Geschäfte zum Vorwande und begleitete Moritz nach Paris. Er fürchtete vielleicht, daß derselbe sich dort aufhalten möchte, statt auf seinen Posten zu gehen. Zu gleicher Zeit sprach meine Großmutter gegen ihren Sohn den Wunsch aus, ihn verheirathet zu sehen und die Unruhe, welche ihr die Freiheit des jungen Mannes verursachte, gewöhnte denselben an den Gedanken, dieser theuern Freiheit zu entsagen. So diente Alles, was man unternahm, um ihn von dem geliebten Weibe zu trennen, dazu, den Lauf des Verhängnisses zu beschleunigen.
Während der kurzen Zeit, welche Deschartres mit seinem Zögling in Paris verlebte, glaubte er denselben keinen Augenblick verlassen zu dürfen. Das hieß einem jungen Prinzen gegenüber, der sich durch beschwerliche und ruhmvolle Feldzüge emancipirt hatte, etwas spät den Hofmeister spielen, aber mein Vater war gutmüthig, wie man auch schon aus seinen Briefen sieht und im Grunde des Herzens hatte er eine innige Liebe für seinen Lehrer. Er konnte ihn nicht ernsthaft zurückweisen und war überhaupt noch kindlich genug, um sich wie ein Schulknabe zu freuen, wenn er seiner komischen Ueberwachung einen Streich spielen konnte. Eines Morgens schleicht er sich aus ihrer gemeinschaftlichen Wohnung fort, um im Garten des Palais Royal mit Victorie zusammenzutreffen; sie hatten sich daselbst Rendez-vous gegeben, um mit einander in einer Restauration zu frühstücken. Kaum hatten sie sich gefunden, kaum hatte Victorie den Arm meines Vaters genommen, als Deschartres, der die Rolle der Medusa spielte, ihnen entgegentrat. Aber Moritz ist kühn wie er, macht gute Miene zum bösen Spiel und fordert seinen Argus auf, am Frühstück Theil zu nehmen. Deschartres geht darauf ein — er war kein Epikuräer, aber er liebte feine Weine und man ließ es ihm nicht daran fehlen. Victorie neckte ihn auf geistreiche, freundliche Weise und beim Dessert schien er etwas leutseliger zu werden. Aber als es an's Abschiednehmen ging und mein Vater seine Geliebte nach Haus begleiten wollte, verfiel Deschartres wieder in seine schwarzen Gedanken, und kehrte traurig in sein Hôtel garni zurück.
Der Aufenthalt in Charleville erschien meinem Vater sehr langweilig, bis sich seine Geliebte daselbst einrichtete. Sie wohnte bei rechtschaffenen Bürgresleuten, denen sie ein geringes Kostgeld zahlte und bei denen sie für die heimlich angetraute Frau meines Vaters galt, was sie übrigens damals noch nicht war. Von dieser Zeit an trennten sich die Beiden fast nie mehr und fühlten sich an einander gefesselt.
Meine gute Großmutter wußte von alledem nichts; aber von Zeit zu Zeit machte Deschartres beunruhigende Entdeckungen, die er ihr nicht vorenthielt. Von Moritz erfolgten dann Erklärungen, welche die Mutter für einen Augenblick zufrieden stellten, aber nicht das Geringste in den Verhältnissen änderten.
Charleville, den 1. Messidor (Juni).
„... Mit unsern großen Federbüschen, unsern Vergoldungen und unsern schönen Rossen machen wir einen verteufelten Staat; man spricht von uns bis Soissons und bis Laon (der Heimath Jean Francis Deschartres')! Aber von so viel Ruhm werden wir wenig berührt und möchten lieber weniger zierlich sein, als unser Feuer auf der Parade abnutzen. Außerdem ist man hier eben so neugierig und schwatzhaft wie in la Châtre. Der General hat schon versucht, ein kleines Abenteuer einzuleiten, aber er hatte kaum zweimal mit derselben Frau gesprochen, als sich in den drei Stätten Sédan, Mézières und Charleville ein ungeheurer Lärm erhob ...“
Charleville, den 1. Thermidor (Juli).
„Mein General hat einen sonderbaren Einfall. Er wußte nur ganz oberflächlich, daß ich der Enkel des Marschalls von Sachsen bin und hat mich neulich weitläufig darüber befragt. Du kannst Dir nicht denken, welchen Eindruck es auf ihn gemacht hat, als er gehört hat, daß Du durch Parlamentsbeschluß anerkannt bist, und daß der König von Polen mein Ur-Großvater ist. Zwanzig Mal täglich spricht er davon und überhäuft mich mit Fragen; aber unglücklicherweise habe ich mich um das Alles niemals bekümmert und es ist mir unmöglich, ihm meinen Stammbaum vorzuzeichnen. Der Name Deiner Mutter ist mir entfallen und ich weiß durchaus nicht, ob wir mit den Löwenhaupt's verwandt sind. Du mußt Dich wohl seinem Wunsche anbequemen und mir über das Alles Rechenschaft geben. Er will mich nach Deutschland senden; will mir Empfehlungsbriefe des Ministers des Innern und der Generäle Marceau und Macdonald mitgeben, damit ich mich dort als den einzigen Abkömmling des großen Mannes anerkennen lasse.
„Ich werde mich wohl hüten, auf solche Extravaganzen einzugehen, aber ich will auch Dupont's Manie nicht bestimmt entgegentreten, denn er behauptet, daß ich meines Namens wegen Capitain werden müßte, und daß er sich dazu verpflichten wolle, mir diesen Rang sofort zu verschaffen. Da ich denselben durch mein Verhalten verdient zu haben glaube, will ich ihn gewähren lassen. Erinnerst Du Dich der Zeit, als ich nicht protegirt sein wollte? Das war noch vor meiner Dienstzeit; ich hatte noch Illusionen über das Leben und bildete mir ein, daß Klugheit und Tapferkeit zum Fortkommen genügten. Die Republik hatte mir diese thörichten Hoffnungen in den Kopf gesetzt; aber kaum habe ich mich im Leben etwas umgesehen, so habe ich auch erkannt, daß die Regierungsweise von ehemals nicht verschwunden ist und ich glaube, daß Bonaparte mehr dafür schwärmt, als man ihm ansieht.“