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RENTNER, PUNKS UND WINDIGE VERKÄUFER – BUTTERFAHRT NACH DÄNEMARK TEIL 2

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Nach dem Mauerfall kamen alle möglichen dubiosen Typen in den Osten und witterten das große Geschäft. Den Ostdeutschen konnte man alles aufquatschen, hieß es. Und das stimmte wohl auch. Jedes noch so unsinnige Produkt, das aus dem Westen stammte, war interessant für Ostler. Ob es etwas taugte oder nicht, war zweitrangig. Nach 40 Jahren Mangelwirtschaft mit immer denselben DDR-Produkten stürzten sich Ostdeutsche auf alles Westliche. Damals war selbst eine Büchse Dosenravioli ein delikates Festessen.

Die Butterfahrten, auf denen man alten Leuten überteuerte Dinge aufschwatzte, überfluteten damals das ganze Land. Im Gegensatz zum Westen wurden die Leute im Osten aber nicht nach Dänemark gefahren. Man sparte sich solche Fahrten gleich ganz und sperrte die Rentner ohne Umwege in eine Fabrikhalle oder einen anderen leerstehenden Raum in der jeweiligen Ostzonenstadt. Wir Hallenser Punks machten uns einen Spaß daraus, solche Veranstaltungen desaströs enden zu lassen. Abenteuerlust, Gerechtigkeitssinn und etwas Beschützerinstinkt trieben uns dabei an.

An einem Samstag Anfang der 90er, als wieder mal so eine Rentner-Verkaufsveranstaltung in Halle (Saale) anstand, beschlossen etwa 15 Hallenser Punks: Wir sind dabei! Die Haare frisch gefärbt, die Iros hochgestylt kamen wir an dem Veranstaltungsort an. Ein heruntergekommenes, leeres Gaststättengebäude. Dem Verkaufsveranstalter klappte schon bei unserem Anblick die Kinnlade runter. Er wollte uns zunächst nicht reinlassen. Aber wir betraten die Räume dennoch und nahmen mit dem Hinweis Platz, dass wir ja die Veranstaltungsannonce, auf der „Sie sind herzlich eingeladen“ stand, dabeihatten. Auch alle Rentner musterten uns skeptisch. „Was wollen diese Verrückten denn hier?“, fragten sie sich sicher. Einen Frei-Kaffee trinken und ein Stück Kuchen essen, so wie es in der Einladung stand, das wollten wir. Die Veranstaltung begann. Der schleimige Verkäufer, mit fettigen Haaren und einer überdimensionalen großen goldenen Uhr am Handgelenk, begrüßte alle. Seine Assistentin schenkte derweil allen Anwesenden in dem gut gefüllten Saal Kaffee ein. Diese Plörre war allerdings so dünn, dass selbst der DDR-Ersatzkaffe Muckefuck besser schmeckte. Die Rentner tuschelten entrüstet miteinander. Wir Ostpunks beschwerten uns natürlich gleich lautstark. Den Kaffee gäbe es gratis, also brauche sich doch wohl keiner zu beschweren, war die forsche Antwort des windigen Typs. Nun begann er, seine Waren anzupreisen. Schrottigstes Zeug zu extrem hohen Preisen. Und natürlich durften die obligatorischen überteuerten Rheuma-Decken nicht fehlen. Wir riefen immer mal wieder etwas in die Runde. Zum Beispiel, dass es doch denselben Kochtopf im Laden für 20 Mark gebe und nicht für 200, wie hier als Schnäppchen angepriesen. Der Verkäufer war sichtlich genervt. Dann forderten wir das auf der Einladung versprochene Stück Kuchen für den ganzen Saal ein. Widerwillig wurde jedem ein altes, trockenes Stück auf den Teller gelegt. Zum Glück hatten einige der alten Leute noch etwas von der dünnen Kaffeeplörre in ihren Tassen. So konnten sie den Kuchen einditschen. Mit den dritten Zähnen wäre dieser sonst nicht kleinzukriegen gewesen. Wir protestierten wieder lautstark, was das für vergammelte Lebensmittel wären, die man uns Ostdeutschen hier vorsetzte. Nachdem der Verkäufer noch so einige minderwertige Waren zu überteuerten Preisen angeboten hatte und sich die Omas und Opas aufgrund unserer Anwesenheit nun auch auszusprechen trauten, was sie dachten, packte der windige Verkäufer schnell alles zurück in seine mitgebrachten Kartons und wollte verschwinden. Nun gab es so richtigen Aufruhr. Was ist mit den versprochenen Gratis-Geschenken, wollten alle wissen. Auf der Einladung stand etwas von Wurst, Käse, Wein und anderen schönen Dingen. Der Schleimbeutel fuhr sich mit der Hand durch seine fettigen Gelhaare und sagte, dass es die nur gäbe, wenn auch etwas gekauft würde. Alle Punks protestierten nun lautstark. Wir nahmen seine Kisten mit den Waren in Beschlag und sagten ihm, dass er sie nur wiederbekäme, wenn er den alten Leuten ihre versprochenen Geschenke aushändigte. Er weigerte sich noch immer. Daraufhin verschwand plötzlich wie von Zauberhand seine goldene Uhr. Als er das bemerkt hatte, jammerte er lautstark. Er wollte unbedingt seine Golduhr wiederhaben und auch die Kisten sollten wir freigeben. Im Gegenzug würde er den Rentnern ihre Geschenke aushändigen. Die Rentner wurden nun auch aufmüpfig. Sie bekamen Mut und forderten lautstark ihre versprochenen Geschenke ein. Sie drohten mit ihren Krückstöcken. Verzweifelt fing der Verkäufer an, die versprochenen Dinge zu verteilen. Jeder bekam eine Dose abgelaufenes DDR-Schmalzfleisch, eine abgelaufene Packung Käse und mehrere andere minderwertige und abgelaufene Lebensmittel. Die versprochene Flasche Wein fehlte ganz. Das brachte das Pulverfass zum Explodieren. Besonders die Dose abgelaufenes DDR-Schmalzfleisch. Das gab es in der DDR seit 40 Jahren als eine Art Ersatzfleisch. Ich bekam schon einen Brechreiz, wenn solch eine Dose innerhalb des Haltbarkeitsdatums geöffnet wurde und der fürchterliche Geruch nach oben stieg. Aber nun sahen sich die alten Leute mit abgelaufenen Schmalzfleischdosen konfrontiert. „Wollen Sie die Ossi-Rentner verarschen?!“, stellten wir ihn zur Rede. Auch die Rentner keiften ihn an. Sie wollten eine andere Wurstbüchse. Und sie wollten den versprochenen Wein. Der Verkäufer bangte nun um sein Wohl. So hatte er sich das Abzocken der alten Ossi-Omas und -Opas sicher nicht vorgestellt. Um heil aus der Situation rauszukommen, verteilte er nun überteuerten Wein aus seiner Verkaufsware. Während der Wein herumgereicht wurde, retteten er und seine Assistentin schnell seine Verkaufskisten mit den überteuerten Waren ins Auto. Dann fragte er jammernd noch einmal nach seiner goldenen Uhr. Alle Rentner und Punks lachten nun und jagten den windigen Typen, der nur noch wie ein Häufchen Elend aussah, aus dem Raum. Die Omas und Opas bedankten sich herzlich bei uns. Und bestimmt haben sie in ihrem Bekanntenkreis erzählt, dass die mit den bunten Haaren und Irokesenschnitten, die Punks, gar keine Halbstarken sind, wie sie bisher angenommen hatten, sondern eher so eine Art Robin-Hood-Bande. Die Uhr blieb übrigens als Solidaritätsbeitrag des Butterfahrtenanbieters zum Aufbau Ost in Halle (Saale) zurück.

Zwischen Aufbruch und Randale

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