Читать книгу Die Macht der Rituale - Gerd Althoff - Страница 11
I.5 Kommunikation und Ritual
ОглавлениеGerade in der Gegenwart erleben wir eindrücklich, dass neue Kommunikationsmöglichkeiten Gesellschaften verändern, auch wenn in diesem Zusammenhang manchmal etwas vorschnell von neuen Galaxien die Rede ist und übersehen wird, wie viele der menschlichen Kommunikationsgewohnheiten überdauern oder sogar wiederkehren. Angesichts solcher Erfahrungen ist es jedenfalls sinnvoll, sich die Frage zu stellen, wie die rituelle Kommunikation im Mittelalter im Kontext der gesamten Kommunikationsgewohnheiten dieser Zeit zu verorten ist. Damit ergänzt man eine in der Mediävistik durchaus etablierte Fragestellung, die sich seit langem für das Verhältnis von mündlicher und schriftlicher Kommunikation interessiert und die Konsequenzen aufgezeigt hat, die der Übergang von oraler zu literaler Kommunikation mit sich brachte.25 Interessanterweise hat man bei diesen Bemühungen jedoch weitgehend übersehen, dass es im Ensemble der mittelalterlichen Kommunikationsarten eine dritte gab, die in dieser Zeit keineswegs die unwichtigste war: eben die rituelle, die mit einem Repertoire an vorrangig nonverbalen Zeichen und einem Regelwerk zu ihrer Verwendung ganz wesentlich für Verständigung sorgte, die überdies in der Lage war, sich mit verbalen Zeichen zu verbinden und durchaus auch Schriftstücke in diese Kommunikation zu integrieren.
Bei einer Analyse dieser unterschiedlichen Arten von Kommunikation hat man sinnvollerweise zwei Bereiche zu unterscheiden: den öffentlichen und den nicht-öffentlichen, den vertraulichen. Hiermit frönt man nicht modernem Trennungsdenken, sondern vollzieht eine Differenzierung nach, die schon die mittelalterlichen Zeitgenossen vornahmen.26 Sie wussten sehr genau, dass in der öffentlichen Kommunikation andere Spielregeln galten als dann, wenn man ‚unter sich‘, im Kreise der familiares, der Freunde und Vertrauten war. Nur hier konnte man sozusagen ‚offen‘ agieren und reden. In der Öffentlichkeit galt es in erster Linie, den eigenen Status zu wahren, darauf zu achten, dass der eigene Rang von allen in angemessenen Formen anerkannt wurde, so wie man auch selbst den Rang der anderen zu achten und anzuerkennen hatte. Diese Rahmenbedingungen bewirkten unterschiedliche Kommunikationsarten in beiden Bereichen: Während in der Vertraulichkeit das Gespräch und wohl auch das argumentative Ringen um Entscheidungen seinen Platz hatte, dominierten in der öffentlichen Kommunikation die demonstrativen Verhaltensweisen, die rituellen Interaktionen, in denen Zeichen aller Art Botschaften transportierten.
Es macht die Erforschung der mittelalterlichen Geschichte nicht eben einfacher, dass die Sphäre der vertraulichen Kommunikation dem späteren Beobachter in aller Regel verschlossen bleibt. Dies wohl nicht zuletzt deshalb, weil sie schon den zeitgenössischen Beobachtern kaum zugänglich war. Dem Anspruch auf Information und auf Transparenz von Entscheidungsprozessen, den wir heute zu Recht erheben, stand im Mittelalter die Gewissheit entgegen, dass Herrschaft Geheimbereiche haben müsse, in die man nicht zu schauen befugt sei.27 Deshalb schildern die Autoren in aller Regel nicht, mit welchen Mitteln und Argumenten vertraulich um Entscheidungen gerungen wurde, sondern bieten etwa die Nachricht, dass eine Einigung dem Wirken des Heiligen Geistes verdankt wurde, womit wir uns heute nicht zureichend informiert fühlen dürften. Man kann verschiedentlich sehen, dass die mittelalterliche Literatur dieses Defizit in bestimmter Hinsicht ausgleicht, weil in den fiktionalen Erzählungen nicht selten Vorgänge aus vertraulicher Kommunikation in besonderer Eindringlichkeit und Ausführlichkeit zur Darstellung gelangen.28 Für das zeitgenössische Publikum waren in der literarischen Fiktion natürlich die Szenen besonders spannend, in denen ein Blick in Bereiche gestattet wurde, die im Leben diesem Einblick entzogen waren.
So hängt es mit der Überlieferung zusammen, dass wir uns im Folgenden vor allem mit dem Bereich der öffentlichen Kommunikation beschäftigen werden. Da sich die ‚Macht der Rituale‘ jedoch vor allem in der öffentlichen Kommunikation entwickelte, können wir unsere Überlegungen gezielt auf diesen Bereich richten und sind vom fehlenden Einblick in die vertrauliche Kommunikation nur insofern stark behindert, als wir eventuelle Planungen öffentlicher Kommunikationsakte durch vertrauliche Absprachen zumeist lediglich erschließen können. Wir werden auf dieses Problem häufiger zu sprechen kommen, zumal sich gerade hier zum 12. und 13. Jahrhundert hin ein wirklich gravierender Wandel abzeichnet. Seit dieser Zeit wurden nämlich auch die Planungen ritueller Kommunikationsakte in Einzelfällen schriftlich niedergelegt, wodurch sich die Tatsache solcher Planung belegen und auch für die früheren Zeiten postulieren lässt.29
Diskutiert man nach diesen Vorüberlegungen das Verhältnis der drei angesprochenen Kommunikationsarten zueinander, gerät man schnell in Versuchung, eine Entwicklung zu unterstellen, also eine Ablösung der zunächst vorrangig nonverbalen durch die verbalen und dann durch die schriftlichen Kommunikationsmodi anzunehmen. Gerade die auf den Siegeszug der Schriftlichkeit bis hin zum Buchdruck fixierten Forschungen der Mediävistik könnten leicht den Eindruck erwecken, als sei ein solcher Ablösungsprozess zu konstatieren. Doch haben sich auch andere Stimmen erhoben, die darauf aufmerksam machten, dass eher das Modell einer Intensivierung der Kommunikation in allen Bereichen adäquat ist.30
In der Tat ist es nicht gerechtfertigt anzunehmen, dass im Verlaufe des Mittelalters die Rituale an Bedeutung verloren hätten. Es scheint weit eher, dass rituelle Inszenierungen erst in der Zeit des höfischen Absolutismus ihre größte Intensität und Dichte erreichten, als sie eigentlich längst durch Schrift und Druck hätten verdrängt sein müssen. Andererseits sind die Entwicklungen durchaus nicht linear verlaufen, wie schon der Hinweis auf die elaborierte Schriftlichkeit der Karolingerzeit zu verdeutlichen vermag, deren Niveau erst im 12. oder 13. Jahrhundert wieder erreicht worden ist.31
Bis zum 12. Jahrhundert beherrschten jedenfalls die Rituale und rituellen Verhaltensmuster die öffentliche Kommunikation weitgehend. Wenn in der Öffentlichkeit gesprochen wurde, handelte es sich in aller Regel um rituelle Sprechakte, die an den Stellen eingesetzt wurden, an denen die Gewohnheiten sie vorsahen. Schriftstücke traten schon früh aus den unterschiedlichsten Anlässen zu dieser Kommunikation hinzu, sei es, dass sie öffentlich verlesen und überreicht wurden,32 sei es auch, dass sie, wie etwa Verträge, Dinge schriftlich fixierten, die andere oder sogar entgegengesetzte Inhalte hatten als das, was öffentlich gezeigt wurde. Man scheint gerade in Situationen, in denen ein Kompromiss notwendig und schwierig war, zu dem Mittel gegriffen zu haben, der einen Partei in den öffentlichen Akten des Kompromisses Vorteile und Genugtuung zu verschaffen, der anderen Partei dagegen schriftlich Vergünstigungen oder Privilegien einzuräumen, die ein Äquivalent darstellten, ohne öffentlich bekannt gemacht zu werden.33 Das Hinzutreten der Schriftlichkeit zu den öffentlichen rituellen Akten vollzog sich seit dem 12. Jahrhundert also zumindest in Teilen nicht-öffentlich.
Die öffentlichen Akte ritueller Kommunikation blieben aber auch in anderer Hinsicht nicht unbehelligt vom ausgreifenden Siegeszug der Schriftlichkeit. Es finden sich nämlich in wachsender Zahl Beispiele, dass solche Akte mittels schriftlicher Anweisungen festgelegt wurden. Allerdings beobachtet man dies nur in ganz bestimmten Bereichen, während andere Akte weitgehend frei blieben von einer schriftlichen Präjudizierung ihrer Durchführung. Cum grano salis kann man sagen, dass überall dort, wo die Kirche bei der Planung oder Durchführung solcher Akte eine entscheidende Rolle spielte, die Tendenz zur schriftlichen Fixierung von Anweisungen obsiegte: Man kann dies an den zahlreichen Ordines für unterschiedlichste rituelle Akte belegen, von der Priester- und Bischofsweihe über die Kaiser- und Königskrönung bis hin zum Adventus des Herrschers in Rom.34 Dagegen fehlen für viele Bereiche weltlicher Herrschaftsausübung ähnliche Versuche: Es sind lange Zeit weder Ordines für die weltlichen Teile der Königserhebung geschrieben noch ist versucht worden, eine Ordnung für den Ablauf eines Hoftages, einer Beratung, einer Lehnsnahme oder einer sonstigen Interaktion ritueller Art schriftlich niederzulegen.35 Der Hauptgrund für solche Resistenz ist vermutlich darin zu sehen, dass die Praxis, in gemeinsamer Beratung herauszufinden, welche Gewohnheit im konkreten Fall zu praktizieren war, der schriftlichen Fixierung einer verbindlichen Ordnung für zukünftige Fälle entgegenstand.