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I. Einleitung I.1 Das Thema

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Als Johannes Haller in seiner Papstgeschichte auf den Frieden von Venedig (1177) zu sprechen kam und damit auf Vorgänge, die für das Verständnis der Funktionen von mittelalterlichen Ritualen fundamental sind, argumentierte er wie immer sehr entschieden: „Der Friede war geschlossen. Bei den Feierlichkeiten, die ihn umgaben, dem Marschalldienst, den der Kaiser dem Papst leistete, der begeisterten Teilnahme der Volksmenge, den Schwüren der Vertreter, die die Ausführung der Ausbedingungen verbürgten, brauchen wir uns nicht aufzuhalten. Prüfen wir vielmehr, was der Friede enthält. Da ergibt sich die überraschende Tatsache, dass der im Felde Geschlagene aus den Verhandlungen als Gewinner hervorging.“1 Was hier als „Feierlichkeiten“ beiseite geschoben und geradezu als für die politische Bewertung der Vorgänge irrelevant diffamiert wird, soll uns im Folgenden beschäftigen – und nicht nur am Beispiel des Friedens von Venedig. Es geht um das Verständnis ritueller Verhaltensmuster und ihrer Funktionen in der öffentlichen Kommunikation mittelalterlicher Herrschaftsträger. Im Gegensatz zu Haller halte ich es für dringend geboten, sich bei diesen Phänomenen aufzuhalten und sich um ein adäquates Verständnis zu bemühen. Diese Phänomene begegnen im Mittelalter nämlich einfach zu häufig und an zu zentralen Stellen, um an ihnen vorbeigehen zu können. In der zitierten Geringschätzung manifestiert sich eine lange und tief sitzende Abneigung nicht nur der historischen Forschung gegen Ritual und Zeremoniell, gegen deren ‚leeren Schein‘ schon häufig mächtige antiritualistische Bewegungen angetreten sind, die Reformation, die Aufklärung und nicht zuletzt die Französische Revolution.2 Es sind begründete Zweifel erlaubt, ob sie die bösen Geister wirklich vertrieben haben, ob diese nicht immer wieder in neuen Gewändern zurückkehren, weil menschliche Kommunikation trotz aller Medienumbrüche der nonverbalen Zeichen, der demonstrativen Verhaltensweisen, der Aufführungen und Inszenierungen offensichtlich nicht entbehren kann und will. Die Sensibilität für die hiermit aufgeworfene Problematik ist gerade im Zusammenhang mit dem Siegeszug der ‚Neuen Medien‘ in Theorie und Praxis wieder gewachsen.3 In dieser neuen Aktualität mag auch ein Grund liegen, dass sich die Wissenschaften verstärkt um das Verständnis dieser Erscheinungen bemühen – mit dem nachdenklich stimmenden Effekt, dass Begriffe wie ‚Ritual‘ oder ‚Inszenierung‘ im transdisziplinären Diskurs nahezu zu Modewörtern verkommen sind.4

Um das Verständnis dieser Erscheinungen geht es auch in diesem Buch, wobei an der Zeit des Mittelalters paradigmatisch die Frage behandelt werden soll, wie Epochen der Vormoderne mit rituellem Verhalten umgingen, welche Funktionen sie ihm zuwiesen, welche Leistungen diese Art der Kommunikation für das Zusammenleben erbrachte.5 Vergleiche mit der Gegenwart werden nicht ständig gezogen, es entspräche aber den Intentionen des Autors, wenn der Leser dieses Defizit ausgliche und sich hin und wieder fragte, inwiefern die Beobachtungen auch noch für das Verständnis gegenwärtigen Verhaltens hilfreich sind.

Der Titel des Buches enthält eine These, die zu belegen in der Tat ein Hauptziel der folgenden Bemühungen ist: dass mit Ritualen Macht ausgeübt werden kann und wird; dass die Rituale aber auch diejenigen in ihren Bann zwingen, die sie durchführen. Insoweit ist dieses Buch auch ein Versuch, Rahmenbedingungen und Erscheinungsformen mittelalterlicher Machtausübung zu beschreiben und so zugleich das Verständnis für diese Zeit zu verbessern. Diese Rahmenbedingungen änderten sich im Verlauf des Mittelalters erheblich. Auch die Macht hat ihre Geschichte. Wenn sich aber Bedingungen der Macht in den Ritualen spiegeln, müssen Veränderungen dieser Bedingungen sich dort gleichfalls bemerkbar machen. Es gilt daher, die Geschichte der Rituale mit der Geschichte der Machtausübung zu konfrontieren, um zu prüfen, ob es sich gewissermaßen um ein System kommunizierender Röhren handelt.

Die Macht der Rituale

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