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Die 89er

Eine komische Generation

Früher hat es noch halbwegs plausibel definierte Generationen gegeben – die Flakhelfergeneration, die skeptische Generation, die Halbstarken und die 68er. Soziologen, die sich einen Namen machen wollten, versuchten später, die »78er« als eigenständige Generation publizistisch und akademisch durchzusetzen. Die »78er« waren angeblich vom Deutschen Herbst und der Energiekrise geprägt, verschwanden aber mangels Masse rasch wieder in der Versenkung. Auch die kurz darauf erfundene, triebhaft Häuser besetzende und die Atomkraft verneinende Generation der »81er« hielt sich nicht besonders lange in der Diskussion. Als Geschenk des Himmels fiel den zuständigen Soziologen und Essayisten nach langen Dürrejahren die »Generation X« in den Schoß. Diese Generation war schon in den USA entdeckt, beschrieben und beglaubigt worden, und es ließ sich herrlich haltlos darüber theoretisieren, wer oder was sie eigentlich sei, was sie wolle, wovon sie lebe, welche Musik sie höre und welche Wäsche sie trage.

Und dann, als der Tag in der Zeit-Redaktion einmal besonders lang gewesen war, dachte sich der dort einsitzende Redakteur Ulrich Greiner wiederum eine völlig neue Genration aus – die »89er«. Es wird die Spur von Greiners Erdentagen erst in Quartalen untergehen, denn der Soziologe Claus Leggewie schrieb sofort ein Buch über die »89er«, und inzwischen haben auch die Sympathisanten des rechten Flügels der Schüler-Union das Stichwort aufgeschnappt.

Sie reklamieren für sich, die »89er« zu sein und für eine Generation zu sprechen, die wieder stolz darauf ist, deutsch zu sein und die Todesstrafe gut zu finden. Das Forum dieser »89er« ist der Ullstein-Verlag, der ihnen die Möglichkeit geboten hat, einen nationalen Frühschoppen mit ganz wenigen Journalisten aus einem einzigen Land zu veranstalten und ein Buch daraus zu machen. Es heißt »Wir ’89er – Wer wir sind und was wir wollen«. Herausgegeben hat es Roland Bubik, ein Student, der sich darum bemüht, »Deutschland eine Seele zu geben«. Im Vorwort erklärt er kühn: »Der vorliegende Band ist Angebot, Herausforderung und Provokation zugleich. Er stellt die erste Manifestation einer Generation dar, mit der man in Zukunft zu rechnen haben wird. Hier sprechen wir. Wir ’89er.«

Die Beiträger entstammen den Jahrgängen 1966 bis 1976 und werden sich wahrscheinlich schon bald für ihren rechtsdrehenden Quark genieren. Es wäre aber schade, wenn sie vom rechten Wege abkämen, denn sie sind ausgesprochen possierlich und amüsant, und was sie von sich geben, ist von hohem Unterhaltungswert. Sie glauben an Gott, tragen wieder Schmiß und Scheitel und betrachten sich als Elite der Menschheit. Ihre Lieblingssymbole sind Lebensrunen und Zeremonienkreuze, ihre Hausautoren sind d’Annunzio, Tolkien, Ernst Jünger und Richard Bach. Musikalisch bevorzugen sie Schumann, Techno, Marienhymnen, Johann Sebastian Bach und Udo Jürgens.

Und wie sie aussehen! Die beigegebenen Passfotos zeigen mit Biskin und Brisk frisierte Kinnmuskelspanner, kniepäugelnde Blitzmädel und Milchgesichter – lauter lustige Nussknacker, deren Anblick Kraft durch Schadenfreude spendet.

»Meine Fuxenzeit bei der Hansea-Alemannia Hamburg bedeutete für mich rege Teilnahme an den Fuxenstunden«, berichtet der Burschenschafter Patrick Martens, der an die Trinität von »Ehre-Freiheit-Vaterland« glaubt und seinen Vaterlandsbegriff durch rege Teilnahme an den Fuxenstunden auf Vordermann gebracht hat. »Der Vaterlandsbegriff wird auf das Volkstum bezogen verstanden«, doziert der uniformierte Torfrock-Fan und bedauert, »dass die Mensur als Ausdruck studentischen Ehrbegriffs leider in den Hintergrund« gerückt sei.

Wer kein »89er« ist, der macht sich von Vaterland und Ehre keinen Begriff mehr und ist überhaupt arm dran, sehr zum Leidwesen des Herausgebers Bubik: »Ich sehe mich schon heute von mehr und mehr Jugendlichen umgeben, denen zwei zentrale Achsen des mitteleuropäischen Menschen fehlen: die von Vergangenheit und Zukunft sowie die von Schuld und Erlösung.« Die bis heute übliche zentrale Achse von Ernie und Bert hingegen fördert nur »die Auflösung der Identität unseres Volkes« (Bubik).

Dieter Stein, der Herausgeber der braunen Schülerzeitung Junge Freiheit, genießt den Vorzug einer unaufgelösten völkischen Identität: »Die Erziehung seitens meiner Eltern war gesamtdeutsch.« Das ist wunderschön formuliert. Weniger schön sind Steins Lebensumstände, denn er sieht sich »von ungewaschenen Langzeitstudenten« umstunken und gelangt zu dem harten Urteil: »Die Menschen sind seelisch angefüllt mit Jauche.«

Gegen diese Jauchefüllung, aber auch »gegen eine Volksfrontregierung von SPD, Grünen und SED/PDS« kämpft im Allgäu unerbittlich Manuel Ochsenreiter, Jahrgang 1976, ein Schüler, der »die 68er Sesselhocker aus ihren Ämtern holen« und »innerhalb der Union zur konservativen Erneuerung beitragen« möchte. Früh wurde in ihm »das Interesse für die mährische Herkunft« geweckt, »so dass ich mich einem Verband der sudetendeutschen Vertriebenen anschloss«. Es war noch nicht der Wiederanschluss Mährens ans Deutsche Reich, aber immerhin schon der Anschluss Manuel Ochsenreiters an einen Vertriebenenverband.

Fürs knallhart Katholische steht der Student Michael Hageböck ein: »Christus ist die Wahrheit schlechthin, er ist der Eckstein, der alle Dinge im Innersten zusammenhält, er ist das Alpha und Omega« – Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein, wenn Michael Hageböcks Christuskind alle Dinge im Innersten zusammenhält, also auch Nutella, Fürze und Viererketten. Zwischenfragen lässt Hageböck nicht zu: »Seit die Heilige Schrift der Interpretation des Volkes anheimgestellt wurde« – er meint: Seit dem Volk die Interpretation der Heiligen Schrift anheimgestellt wurde –, »haben sich zahllose Sekten gebildet, um das Wort Gottes zu zerfleddern. Dies ist ein Sakrileg! Zur Verkündigung des Glaubens besitzt einzig die Una Sancta Ecclesia Kompetenz.« Hageböck glaubt, er lebe in einer »Kloake aus Wohlstand und falsch verstandenen Freiheitsrechten«, die sich die Menschen herausnähmen, ohne den lieben Gott um Erlaubnis zu bitten. Am übelsten stößt Hageböck die Fleischeslust in der Kloake auf. »Ungeheuer liegt heute eine Last auf den Jugendlichen: ein Zeitgeist, der ihre Geschlechtlichkeit pervertieren und ihre Reinheit negieren möchte.« Untenherum ist es mit der Reinheit der Jugendlichen vermutlich nicht gar so weit her, wie Hageböck annimmt. Man kann nur hoffen, dass er das nicht merkt, sondern zu einem neuen Pfarrer Sommerauer reift, der unerschütterlich auf verlorenem Posten ausharrt und zur allgemeinen Erheiterung den »Sexy-Rummel« geißelt.

Fragen des Fleisches beschäftigen auch Frank Liebermann, einen schwergewichtigen Türsteher. Als seine Vorbilder bezeichnet er Johannes Paul II. und Ernst Jünger, denn er versteht viel von Kultur: »Das Metzgerhandwerk ist die Speerspitze deutscher Kultur. Was sagt mehr über ein Land aus als die Reichhaltigkeit der Wursttheke? Gerade darin spiegelt sich die Schaffenskraft und der Überlebenswille eines Volkes wider. Aus Schweinen, Kühen, Rindern und Kälbern lassen sich die unterschiedlichsten Leckereien zubereiten. In Metzgereien finden sich die Ergebnisse dieser schöpferischen Potenz. Im Imbiss steht heute Leber mit Bratkartoffeln auf dem Menüplan. Innerlich verfalle ich in Jubel: meine Lieblingsspeise.« Man sieht es ihm an.

Die gemeinen Menschen, angefüllt mit Jauche statt mit Blutwurst, tummeln sich unkeusch in der Kloake, aber die »89er« suchen die Achse von Schuld und Erlösung unerschrocken in der Metzgerei und verkörpern beim Leberverzehr das neue »Heroentum«, das sich die 1970 geborene Politologin Simone Satzger dringend wünscht. »Die Erleuchteten haben die Erde entzaubert und ihr die tautropfentrunkenen Spinnweben der Märchen und Mythen genommen, die seit ewigen Zeiten die Phantasie der Kinder nährt«, klagt sie. »Sie warfen das Wort ›lumière‹ in die Welt. Ihr Motiv war und ist die Angst vor dem Leben.« Die Gegenaufklärung des forschen Fräuleins läuft auf die Einsicht hinaus, »dass der Verlust des Lebens weniger schlimm sein kann als der Verlust der Haltung« – aus gutem Grund ist von der Wehrmacht ja auch niemals eine gefallene Haltung im Zinksarg mit militärischen Ehren in die Heimat überführt worden.

Auch die Studentin Ellen Kositza, Jahrgang 1973, verkörpert das neue deutsche Fräuleinwunder. Was erwartet sie von der Zukunft? »Befürchte: Amerikanisierung Europas; hoffe: auf ›befreite Zonen‹.« Außerdem verlangt sie die »Einführung der Todesstrafe für Kinderschänder, Vergewaltiger, Dealer«, und in den gewaltsam befreiten Zonen würden, wenn es nach Ellen Kositza ginge, auch die ungewaschenen Langzeitstudenten und Discothekenbesucher in Verschiß geraten, die ihr jetzt das Leben noch zur Hölle machen: »Die schweißnassen Dreadlocks eines besonders engagierten Tänzers peitschen in mein Gesicht. DRECKlocks eigentlich, die können unmöglich nur von Bier und Zuckerwasser so steinhart sein.«

Wo die Untermenschen ihre Mähne herumschleudern und die tautropfentrunkenen Spinnweben der Märchen und Mythen beschmutzen, tritt schließlich Claus-M. Wolfschlag auf den Plan. Dem Studenten mit dem aparten Vornamen wurde eines Tages »die Gnade zuteil, ›Träger‹ zu sein«, aber nicht etwa Bierkisten- oder Hosenträger, sondern »Träger von seelischen Strömungen, von Ideen, die geistig schon existieren, bevor sie sich bestimmte Körper als Medien suchen«. In Claus-M. Wolfschlags Fall ist es Claus-M. Wolfschlags Körper, den sich die seelischen Strömungen als Medium gesucht haben. Seither sind »keltisches Triskell und germanische Lebensrune« Claus-M. Wolfschlags persönliche Symbole. Er glaubt »an die wundersame Göttlichkeit der Natur«, fordert einen sofortigen »Zuwanderungsstop«, den »Abriß aller Trabantenstädte« und den »Aufbau menschlicher, grüner Orte«. Er hatte einst ein schönes Vaterland: »Doch Seele besitzen die Konsumgüter keine. Der selbstbemalte Schrank einer alten Bauernfamilie drückt mehr Atmosphäre aus als so manches aus dem Möbelmarkt stammende Apartment Frankfurter Großverdiener.« Und er hat einen Traum: »Er handelt von reinen, natürlichen Menschen, denen ideelle Werte mehr bedeuten als Geld und rücksichtslose Konsumbefriedigung. Ich sehe starke, gefestigte Männer, die mit Mut die Würde ihrer Gemeinschaft verteidigen – und tapfere, schöne Frauen mit langem, leuchtendem Haar und ästhetischen Gewändern, bei denen es den Männern zur Ehre gereicht, sie ›Gefährtin‹ nennen zu können.«

Claus-M. Wolfschlags Traum von willigen Walküren und heftiger Bauernschrankmalerei spielt sich in der grauen Lagune ab: »Ich träume davon, nackt im Main schwimmen zu können – und zehn nackte Mädchen springen mir hinterher.« Doch am Ende erweist sich auch dieser Träger des neuen Heroentums nur als kleinkarierter Bausparer: »Ich hoffe auf Gesundheit, Erfolg, ein Palais mit Pool, an dem sich eine schöne Frau sonnt.«

So sind sie, die »89er« – mährischer Herkunft, gesamtdeutsch erzogen, charakterfest und immer obenauf. In langen Fuxenstunden haben sie das Volkstum zum Eckstein ihrer Geschlechtlichkeit gemacht. Jetzt träumen sie davon, dass tapfere Frauen mit leuchtendem Haar ihre schöpferische Potenz im Metzgerhandwerk ausagieren. Danach wird im Palais am Pool gefummelt.

Zauberhaft.

Was sie wohl als nächstes aushecken? Patrick, Roland, Dieter, Manuel, Michael, Frank, Simone, Ellen und Claus-M. mögen so viele Abenteuer beschieden sein wie Hanni und Nanni! Ich persönlich möchte jedenfalls noch viel Spaß mit den »89ern« haben, bevor sie erwachsen werden.

Titanic 5/1996

Beim Zwiebeln des Häuters

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