Читать книгу Beim Zwiebeln des Häuters - Gerhard Henschel - Страница 19
ОглавлениеLateralsäulen instabil
Über Michael Crichton
In Michael Crichtons Roman »Die Gedanken des Bösen« starren Wissenschaftler tief unter Wasser auf einen »Plasma-Bildschirm« und bereiten sich auf den Angriff eines Monsters vor, das irgendwie gleichzeitig aus der Zukunft, aus der Vergangenheit und aus dem Weltall gekommen ist. Dann wird es ernst:
»›Ich habe eine Wärmereaktion im Außenbereich‹, sagte Tina. Barnes nickte. ›Richtung?‹ ›Osten. Kommt näher.‹ Sie hörten ein metallisches Klunk! Dann noch eins! ›Was ist das?‹ ›Die Planquadrate. Es stößt gegen das Messgitter.‹«
Was man eben so sagt, wenn man keinen Funken Leben in sich hat, sondern nur als Spannungsbogenpfeiler in einem SF-Thriller herumsteht.
»›Schalten Sie um auf aktiv‹, befahl Barnes. Das Pang des Sonars hallte laut im Raum. ›Ziel gefunden. Hundert Meter‹, sagte Tina. ›Bilden Sie es ab.‹ ›FAS eingeschaltet, Sir.‹ Eine rasche Folge von Sonarechos ertönte: Pang! Pang! Pang! Pang! Pause. Dann wieder: Pang! Pang! Pang! Pang!«
Wie im Wilden Westen.
»Pang! Pang! Pang! Pang! ›Bild wird aufgebaut. Neunzig Meter.‹ Pang! Pang! Pang! Pang! ›Bild fertig.‹ Sie blickten auf die Bildschirme. Norman sah einen gestaltlosen streifigen Klecks. Er konnte nichts damit anfangen. ›Teufel noch mal‹, sagte Barnes. ›Sehen Sie nur, wie groß es ist!‹ Pang! Pang! Pang! Pang! ›Achtzig Meter.‹ Pang! Pang! Pang! Pang!«
Erst in seinem Roman »Vergessene Welt« ist Crichton vom Pang zum Peng gelangt: »Von unten kam lautes metallisches Knallen – Peng! Peng! Peng! –, die Windungen der Stahlspirale brachen ...« Geboren wurde Chrichton 1942, aber es liegt nahe, sich ihn als lebenslänglich Elfjährigen vorzustellen, wie er – Pang! Pang! Pang! Pang! – selbstvergessen und begeistert auf die Tasten drischt, wenn ihm wieder eine besonders schale Dialogzeile eingefallen ist.
»›Fünfzig Meter, kommt näher‹, meldete Tina. Pang! Pang! Pang! Pang! ›Dreißig Meter.‹ Pang! Pang! Pang! Pang! ›Dreißig Meter.‹ Pang! Pang! Pang! Pang! ›Bleibt auf dreißig Meter, Sir.‹ Pang! Pang! Pang! Pang! ›Behält denselben Abstand bei.‹ ›Auf passiv gehen.‹ Erneut hörten sie das Zischen des Unterwasser-Horchgeräts. Dann ein deutlich hörbares Klicken. Normans Augen brannten. Schweiß war ihm in die Augenwinkel gelaufen. Er wischte sich die Stirn mit dem Ärmel. Auch die anderen schwitzten. Die Spannung war unerträglich.«
Unerträglich ist vor allem die Langeweile, die Crichton verbreitet, jedenfalls unter denen, die von einem Werk der Literatur andere Qualitäten als die einer planen Drehbuchvorlage erwarten. Er hat ein exzellentes Gespür für populäre Themen, und er besitzt die tückische Gabe, seine Geschichten so zu erzählen, dass sie auch von anderen Elfjährigen begriffen und goutiert werden können. Avantgardist ist Crichton nur beim Erwittern von Modetrends; als Erzähler ist er jämmerlich konventionell, ein Epigone des bürgerlichen Realismus nach einem Soap-Opera-Drehbuch-Crashkurs.
Im Februar 1997 hat sich Andreas Kilb in der Zeit mit der »Kino-Prosa« auseinandergesetzt, »die zwar noch als Buch erscheint, aber in Wahrheit nichts anderes ist als gedruckter Film«. Zu den Herstellern solcher Kino-Prosa gehört neben John Grisham und Tom Clancy auch Michael Crichton. »Diese Autoren lösen das Formproblem, indem sie ihre Geschichten wie ein Drehbuch konstruieren. Wer sich durch Crichtons neue Dinosaurierstory ›Vergessene Welt‹ kämpft, liest die Blaupause für den nächsten Steven-Spielberg-Film« (Kilb). Das ist leider vollkommen richtig; richtig ist aber auch die Beobachtung, dass Crichtons Dialogskelette selbst im Kino abscheulich klappern.
»Er packt sie, sie springt ihn richtig an, rittlings auf ihn, sie fangen wieder an, sich zu küssen. Heiße Stimmung. Während des Küssens: Melissa: Oh, Schatz ... es ist, als wäre es eine Ewigkeit her ... Bill: Mhmm ... Melissa: Das fehlt mir … Bill: Mhmm ... Melissa: Ich wollte, wir könnten weg von hier. Jetzt gleich. Bill: Ja, ich weiß ... Melissa: Machen wir’s doch. Tun wir’s ... Bill: Mhmm ... Melissa: Ich meine, jetzt gleich. Wegfahren. Bill hebt den Kopf. Bill: Was?«
So steht es in Michael Crichtons und Anne-Marie Martins Drehbuch des zweitschlechtesten Spielfilms der neunziger Jahre, »Twister« (der schlechteste war wohl doch »Color of Night« mit Bruce Willis als kurpfuschendem Psychotherapeuten). In »Twister« ist der Tornado die einzige Attraktion. Michael Crichton und seiner Frau ist es jedoch gelungen, den Tornado mit einer geschwätzigen Schar von Tornadoforschern zu umgeben, die aufeinander einteufeln, als seien sie einem Roman von Michael Crichton entsprungen. Diesmal kommen sie aber unmittelbar aus dem Drehbuch.
»CB-Funk-Stimme: Ost-Süd-Ost, wechselt nach Süden – er geht nach Süden! Schätzungsweise Fujita zwei, großer Wirbel am Boden und sehr instabil ... Dusty (über CB-Funk): Jo, das sieht wirklich instabil aus!«
So sprechen entweder Elfjährige, die im Kinderzimmer auf dem Fußboden umherkriechen, mit Spielzeugautos rangieren und später einmal Astronaut werden wollen – oder aber die mutigen Ingenieure, Forscher und Abenteurer aus Crichtons Fließbandproduktion.
»Erster Mitarbeiter: Dr. Miller, NEXTRAD stabil. 700er Jetmax ebenfalls stabil. Die Schneise dürfte halten. Jonas: Okay, folgen wir ihr.«
Wenn die Fachvokabeldatei nichts mehr hergibt, können Crichtons Figuren nur noch Gott anrufen oder stammeln, dass sie es einfach nicht glauben.
»CB-Stimme eins: Wirbelbasis achtzig Meter am Boden, Lateralsäulen instabil. Melissa begreift endlich, dass er direkt auf sie zukommt. Melissa: O Gott!«
So reagieren sie alle. Dem lieben Gott müssen die Ohren bereits geklungen haben, als Crichton »Dino Park« schrieb.
S. 105: »›Mein Gott‹, sagte jemand.«
S. 120: »›Mein Gott‹, sagte Ellie leise.«
S. 121: »›Mein Gott‹, sagte Ellie noch einmal.«
S. 234: »›Mein Gott‹, stöhnte Arnold.«
S. 276: »›Mein Gott, ist das abstoßend‹, dachte er.«
S. 282: »›Mein Gott‹, sagte Muldoon.«
S. 309: »›Mein Gott‹, sagte Muldoon.«
S. 354: »›Mein Gott, sehen Sie sich das an‹, sagte er.«
S. 385: »›Mein Gott, nein‹, sagte Malcolm.«
S. 408: »›Mein Gott‹, stöhnte Muldoon.«
S. 431: »›Mein Gott‹, sagte Malcolm ...«
S. 509: »›Mein Gott.‹ Er zitterte bei diesem Geräusch.«
S. 514: »›Mein Gott‹, sagte Gennaro.«
S. 525: »›Mein Gott‹, sagte Grant.«
Auch im Sequel »Vergessene Welt« hat Crichton sich an die bewährte Dialogdramaturgie gehalten; hier rasch die spannendsten Stellen:
S. 178: »›O Gott‹, dachte er.«
S. 183: »›O Gott‹, sagte Eddie.«
S. 285: »›O Gott‹, sagte King.«
S. 293: »›O Gott‹, sagte Dodgson ...«
S. 309: »›O Gott‹, sagte Eddie.«
S. 321: »›O Gott‹, dachte King.«
S. 327: »›O Gott‹, dachte er.«
S. 344: »›O mein Gott!‹ sagte Sarah.«
S. 362: »›O Gott‹, sagte Malcolm, als er nach oben sah.«
S. 375: »›O Gott‹, murmelte Levine. ›O Gott.‹«
Im Original hört sich das alles auch nicht besser an. Zwei Zeilen aus Crichtons Roman »Disclosure« mögen genügen:
»›Oh God, I’ve wanted you all day‹, she said intensely.«
»›Oh God, you feel so good ...‹«
Dieser Minimalismus führt zu intimer Vertrautheit mit den Romanfiguren. Bevor sie überhaupt den Mund aufmachen, weiß man bereits, was sie sagen werden: »Mein Gott, Kel. Ich vergess das schon nicht« (»Vergessene Welt«, S. 71). Ihr Seelenleben ist so aufwühlend wie das von Rechenschiebern. »Sie gibt ihm einen innigen Kuss. Die Zeit bleibt stehen. Echte Leidenschaft.« So lautet eine der Regieanweisungen im »Twister«-Drehbuch, und im Kino sieht es dann auch danach aus.
Was wird von Crichtons Werken bleiben, wenn die Schneise nicht mehr hält? Ein gestaltloser, streifiger Klecks.
Aus: Sorge dich nicht, lese!
Siebenunddreißig Glossen gegen den Bestseller.
Hrsg. von Jürgen Roth und Klaus Bittermann
Berlin 1997