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PW = I mal Dx

Alles über L. Ron Hubbard

Ein Gastwirt greift sich an den Kopf: Sein Restaurant ist gähnend leer. Nun schreitet der Ehrenamtliche Geistliche von Scientology ein. Zwischentext: »Nachdem sich der Ehrenamtliche Geistliche die Geschichte angehört hat, isoliert er die Faktoren der Situation, um die wirkliche Quelle des Problems zu finden.« Er begibt sich in die Küche und weist den Gastwirt auf einen Koch hin, der mit kiebiger Miene heimlich Gift ins Essen träufelt. Schon ist ein Polizist zur Stelle und nimmt den Übeltäter fest. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt! »Ein Handschlag zwischen dem Ehrenamtlichen Geistlichen und dem Gastwirt besiegelt ihre Freundschaft, während ein neuer, qualifizierter Koch eingestellt wird und viele ständige Gäste das Restaurant füllen, das nun wieder voll aufblüht.«

So endet einer der Fotoromane, die L. Ron Hubbard, der Gründer von Scientology, seinem »Handbuch für den Ehrenamtlichen Geistlichen« vorangestellt hat. Die Fotoromankulissen sind überaus dilettantisch zusammengenagelt, die Darsteller sind hilflose Amateure, und ihr Outfit – schamlos farbenfrohe Hemden, Kragen bis zur Achselhöhle und wuchernde Kotelettengebüsche, 1975 der letzte Schrei – gibt sie vollends der Lächerlichkeit preis.

Auftritt des Betrunkenen. »Heutzutage ist großer Alkoholkonsum auf Partys nicht ungewöhnlich, und häufig braucht die betrunkene Person Hilfe, die Sie dank Ihrer Ausbildung als Ehrenamtlicher Geistlicher ebenfalls geben können«, teilt Hubbard mit. Zu sehen ist ein Betrunkener, zusammengesackt und etwas derangiert. Er hält eine Whiskyflasche in der Hand. Der Ehrenamtliche Geistliche hilft ihm auf und deutet auf ein Bild an der lachsrosafarbenen Wand. Es zeigt Schäfchen, die einen Hirten umringen. »Ein Lokalisierungs-Assist (Ortsbestimmungsbeistand), den Sie der Person geben, lässt sie sich wieder in ihrer Umgebung zurechtfinden.« Sofort danach schütteln der schlagartig ausgenüchterte Trunkenbold und der Ehrenamtliche Geistliche einander die Hand. Gritzgrün ist nunmehr der Tapetenhintergrund, und vor Glück versinken die Protagonisten fast im apfelsinenfarbenen Teppichflausch.

Der Ehrenamtliche Geistliche von Scientology berät die Polizei, heilt Unfallopfer, kittet Ehen (»Sie können nun mehr Ehen pro Häuserblock retten als je zuvor«), redet Bischöfen gut zu und unterstützt den lokalen Mittelstand: All das beweisen die entzückend komischen Fotoromane in Hubbards Handbuch. Die Junge Union und Hans-Otto Wilhelm, der medienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, haben sich für den Kulturkampf gegen Scientology gewappnet und gehen mit Zensur- und Boykott-Aufrufen in die Offensive. Wer sich mit Hubbards Schriften beschäftigt hat, ist jedoch auf kein Bundesprüfstellenurteil mehr angewiesen.

Der neue, nach Hubbards Methode befreite Mensch heißt »Clear« – eine »perfekte Maschine, gut geölt, kraftvoll, schimmernd«. So steht es in Hubbards »Dianetik«-Bibel. Der »Clear« hat keine Probleme mehr. Er ist der »optimale Mensch«, ringsherum pumperlgesund, fröhlich, fromm und resistent: »Clears bekommen keinen Schnupfen.« Das, so erklärt es Hubbard allen Ernstes, sei »eine experimentell erwiesene Tatsache, die nach den bis jetzt vorliegenden Ergebnissen durch 270 Fälle ausnahmslos bestätigt wurde«.

Über die erwähnten Experimente, über die 270 Fälle, über die »vorliegenden Ergebnisse« und über die ominöse Schnupfenresistenz werden selbstverständlich keine Einzelheiten mitgeteilt. »Alle diese Dinge sind wissenschaftliche Tatsachen, die geprüft, getestet, nachgeprüft und wieder getestet wurden. Davon ausgehend, können wir Clears erzielen. Von ihnen hängt die Zukunft der Menschheit ab«, behauptet Hubbard und geht mit krausen Formeln auf Dummenfang: »Der potentielle Wert (PW) einer Person oder einer Gruppe kann durch die Formel PW = I mal Dx ausgedrückt werden, wobei I für Intelligenz und D für Dynamik steht.«

Aufgehübscht wird dieser Nonsens durch künstliche Patina und die Verheißung einer schmucken Zukunft. »Scientology ist eine Fortsetzung, die direkte Fortsetzung, des Werkes von Gautama Siddharta Buddha«, verkündet Hubbard. Er denkt in Äonen: »Die ganze qualvolle Zukunft dieses Planeten – jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes darauf – und Ihr eigenes Schicksal für die nächsten endlosen Billionen Jahre hängen davon ab, was Sie hier und jetzt mit und in der Scientology tun.«

Hubbards Sendungsbewusstsein ist grenzenlos. »Die einzige Ursache aller Geisteskrankheiten, aller Psychosen, Neurosen, Zwänge, Verdrängungen und sozialen Störungen« glaubt der Religionsstifter entdeckt zu haben. Asthma, Krieg und Husten seien auf eine einzige Ursache zurückzuführen – auf den »reaktiven Mind« und sonst nichts. »Das sind wissenschaftlich bewiesene Tatsachen. Sie stimmen ausnahmslos mit den gemachten Beobachtungen überein.« Wo, von wem, wann, wie, unter welchen Umständen und an wem diese Beobachtungen gemacht worden sein sollen, verrät Hubbard nicht. Man muss es eben glauben.

Es erfordert ohnehin eine enormes Maß an Geduld und Gutgläubigkeit, in die Mysterien der »Dianetik« einzudringen. Seine »moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit« präsentiert Hubbard in einem putzigen, Wissenschaftlichkeit suggerierenden Fachchinesisch: »Der reaktive Mind zwingt dem analytischen Mind und dem Organismus seine Engramme jedesmal auf, wenn sie nach ihrem Key-in restimuliert werden.« Aber was sind Engramme? »Dem Baby prägt sich ein Engramm ein. Dieses wird irgendwann im Laufe des Lebens eingekeyt. Und dann ist der Dämonenschaltkreis am Werk.« Und was geschieht dann? »Für jedes Engramm eines Menschen mögen, falls er eingekeyt worden ist, Hunderte von Locks vorhanden sein.« Woraus folgt: »Wenn der reaktive Mind des Preclears das Basik-Basik abblockt, dann sollte der Auditor mehr reaktive Emotionen entladen ...« Basik-Basik? »Der Basik-Basik ist der tiefste Punkt auf dem Time-Track.«

Das Scientology-Glossar umfasst auch »Plus-Emotionen«, »Withholds«, »ARC-Breaks«, und »Mock-Ups« (»Ein Mock-Up ist nicht so sehr ein mentales Bild, sondern eine zusätzliche Beingness«). Auf einer Tonskala werden dazu verschiedene Werte angeordnet: »Die ständige Position auf der Tonskala wird von drei Faktoren bestimmt. Der erste das bei einer Person angesammelte Entheta, d. h. der Anteil ihres Thetas, der in Engrammen und analytischen Locks enturbuliert ist ...«

Dem neutralen Leser zeigt sich: Hubbard babbelt. Und die Übersetzung macht es nicht besser: »Dies sind wertvolle Informationen. Verschaffen Sie sich Realität dazu.« Zu den Informationen zählen von Hubbard persönlich entwickelte Rezepte für Babykost, aber auch luzide ökonomische Analysen: »Heute ist der Wirtschaftstopf fast am Überkochen. Zu viele Spekulanten, zu viele unehrliche Menschen, die zuviel Hass erzeugen, zu viel Steuermissbrauch, zu viele Propagandisten, die ›Nieder mit dem Geld!‹ schreien, zu viele Dummköpfe – all das summiert sich zu einer explosiven Wirtschaftsatmosphäre.« Ob das die Führungskräfte überzeugt?

Es wird selten argumentiert und um so öfter gepoltert in Hubbards Werken – giftig, rigide und autoritär. Homosexuelle, erklärt er, seien pervers und krank, und eine Gesellschaft, die sie dulde, »verdiente selbst nicht zu überleben«. Kriminalität sei auf »unterdrückerische Personen (SPs)« zurückzuführen: »Die Gesellschaft weiß nicht, dass sie lediglich ihre wenigen SPs einsammeln müsste, um Verbrechen auszumerzen.« Nützlich seien auch Berufsverbote: »Jeder Richter oder Arzt, der eine Abtreibung empfiehlt, sollte sofort seiner Stellung enthoben werden, gleichgültig, welchen ›Grund‹ er hatte.« So sind L. Ron Hubbards gesellschaftspolitische Visionen beschaffen. Auf die Demokratie ist er nicht gut zu sprechen – »die Demokratie hat uns Inflation und die Einkommenssteuer beschert«, doch darüber hinaus habe sie dem Menschen nichts eingebracht, »außer ihn weiter in den Schlamm zu stoßen«.

Und wer es wagt, Scientology zu kritisieren, der gehört zu den Querulanten, die eines Tages eingesammelt werden, wenn es soweit ist: »Sie sind Unterdrücker. Ich weiß das. Ich habe sie ganz und gar durchschaut, bis hinunter zu der kleinen Schlacke, die sie ihre Seele nennen.« Freundlich, hilfsbereit und bestrickend charmant treten die Ehrenamtlichen Geistlichen in den Fotoromanen auf, aber wenn es ans Eingemachte geht, packt den Chef der Jähzorn. Die Botschaft ist deutlich: Wir können auch anders!

Zwischen Küchenrezepten, Dämonenschaltkreisen und überkochenden Wirtschaftstöpfen versteigt sich Hubbard schließlich zu Verschwörungstheorien, die einem die Haare zu Berge stehen lassen: »Zum Beispiel öffnete die Schule der Psychologie und Psychiatrie an der Leipziger Universität das Tor für die Konzentrationslager im Hitler-Deutschland. Unter Zuhilfenahme von Drogen benutzten diese Leute offenbar Hitler als ihre Marionette.« Offenbar? Die Wahrheit über die Konzentrationslager der Nazis muss sich Hubbard jedenfalls durch Offenbarung erschlossen haben, denn er bleibt jeden Beweis schuldig. Und er holt er noch weiter aus. Jene Psychologen und Psychiater, die Hitler »offenbar« als Marionette benutzten, hätten Völkermord an den Deutschen verübt: »Sie folterten, verkrüppelten und schlachteten über 12 000 000 Deutsche in Konzentrationslagern.« Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten diese Schlächter sich in der ganzen Welt ausgebreitet. Sie »schüchterten Nachrichtenmedien ein und zerstörten jede neue Technologie«, und zu guter Letzt hätten sie auch die Herrschaft erlangt über »diejenige Stelle, die alle Gesundheitsminister in der ganzen zivilisierten Welt ernennt«. Das alles sei »durch Dokumente belegbar«. Wo die Dokumente schmoren, die seine Räuberpistole belegen, hat Hubbard – so wie immer, wenn man es etwas genauer wissen möchte – tunlichst verschwiegen.

Die Geheimniskrämerei ist natürlich aus der Not geboren, denn die sensationellen Dokumente existieren nicht. Aber über Quellenangaben ist Hubbard ohnehin erhaben. Wer den altbösen Feind erkannt hat – den Dämonenschaltkreis, den Giftmischer in der Küche, die Leipziger Psychologen –, der hält sich nicht lange mit der Beweisführung auf. Der Verschwörungstheoretiker nimmt an, er müsse nur mit dem Finger auf jemanden zeigen, um ihn zu überführen. Als Fingerzeig für die nächsten endlosen Billionen Jahre ist das allerdings recht dürftig.

Wie viel Macht Scientology inzwischen besitzt und welche Gefahren daraus auch immer erwachsen mögen – von den grundlegenden Schriften Hubbards geht keine aus. Sie sind lachhaft und konfus. Das Werk eines Übergeschnappten.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.9.1996

Beim Zwiebeln des Häuters

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