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Ernst Jünger am Apparillo

Am 29. März 1995, Ernst Jüngers Hundertstem, schaltete die Titanic-Redaktion in den Tageszeitungen taz, junge Welt und Die Welt folgende Anzeige:

Kaum zu glauben, aber wahr: Unser

Ernst Jünger

wird heut’ 100 Jahr’!

Haben Sie Fragen an das Geburtstagskind?

Ernst Jünger antwortet. Live.

Persönlich. Nur heute von 11 bis 14 Uhr.

069/280049. Rufen Sie jetzt an!

Hier einige Ergebnisse.

Hallo?

Ja, hallo, hier Jünger, wer da?

Herr Jünger! Mein Name ist Bier, Ernst Bier.

Ja, guten Tag.

Was ich Sie als mein großes Vorbild und als meinen Mentor schon immer mal fragen wollte: Wie viele Leute haben Sie im Ersten Weltkrieg getötet?

Och, gar keinen, das ist ja alles nur so Wind, Presse – hallo? Hallo?

(Aufgelegt.)

Hallo? Jünger?

Ja, schönen guten Tag, Herr Jünger, damit hab ich jetzt aber gar nicht gerechnet ...

Ich aber. Wer spricht da bitte?

Ich, äh, äh, bin wohnhaft in Berlin. Detlef Lutz.

Guten Tag, Herr Lutz.

Ja, ich hab gerade den Artikel gelesen in der Berliner taz, und da stand diese Anzeige drin: »Kaum zu glauben, aber wahr ...«

Ja, das war sehr nett. Die taz les ich immer gerne ...

Wer hat denn das veranlasst?

Mein Freundeskreis. Aber ich hab auch gute Kontakte zu den jungen Leuten von der Presse.

Aha.

Ja, und wollten Sie auch was wissen? Haben Sie Krankheiten?

Ich?

Krankheiten? Oder Kriegsverletzungen?

Kriegsverletzungen?

Kriegsverletzungen haben Sie auch nicht? Sie sind weißer Jahrgang?

Wie nennen Sie das?

Sie haben nicht gedient?

Nicht gedient, nein.

Ja, dann tut’s mir leid – ich hab hier noch Kameraden zu sprechen. Aber ich wünsche Ihnen noch ein schönes Leben. Sie könnten’s ja mal in der Fremdenlegion versuchen. Haha! Das war jetzt ein Scherz von mir. Auf Wiederhören!

Wiederhören.

Jünger. Hallo?

Ja, also, äh, ich möchte nur gern wissen, wer hinter dieser Anzeige eigentlich steht.

Ja, das bin ich. Zum Geburtstag.

Nein, also, das ist nicht Ernst Jünger! Also bitte: Wer steht hinter dieser Anzeige?

Ja, man ist nicht mehr derselbe mit hundert, aber, äh, das Leben ist schön ...

Also hören Sie, was Sie mir da erzählen, will ich gar nicht hören. Ich möchte gern wissen, wer hinter der Anzeige steht!

Ja, das sind unter anderem meine Gratulanten und Freunde ...

Ach was! Also, Sie sind nicht Ernst Jünger! Sie sind derjenige, der hier das in Auftrag gegeben hat!

Ja, aber Sie wollen mich ja nur schmähen. Entschuldigung, ich hab so viele Feinde, mit denen möchte ich nicht so gerne sprechen ...

Ach, Unsinn, das ist alles Unsinn, was Sie sagen!

Auf Wiederhören.

Ja, Jünger. Hallo?

Ja, hier ist Günter Gerhard, Bad König, ich hab da ’ne Frage. Wer ist am Telefon?

Ich bin’s, das Geburtstagskind, und beantworte gerne Fragen zum Lebenslauf oder auch so andere Sachen, was Sie wissen möchten.

Was ich wissen möchte – wie Sie, Herr Jünger, den aufkommenden Nationalismus beurteilen, etwa in Österreich den Haider oder Le Pen oder bei uns die Nationalsozialisten, die ja stark im Kommen sind. In Russland, im ehemaligen, gibt’s ähnliche Tendenzen ...

Ja, ich bin da nicht dafür. Ich bin mehr ein konservativ denkender Mensch, und das ist nicht gut.

Ja, das ist nicht gut, aber was können wir dagegen tun?

Lichterketten, demonstrieren, Unterschriftenlisten, und ich spreche aber auch persönlich mit dem Präsidenten darüber.

Ja, das war schon mein Anliegen! Ich meine, ich hab gestern die ZDF-Sendung gesehen und hab auch »Marmorklippen« gelesen, und solche Fragen sind so aktuell, dass Sie als prominenter Philosoph und Schriftsteller da sich ’ne Meinung zu haben.

Das ist richtig.

Ich bedanke mich.

Ja, ich auch, und ich spreche mit dem Präsidenten Hindenburg darüber. Wiederhören!

Titanic 5/1995

Beim Zwiebeln des Häuters

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