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Boudicca
Оглавление»Sofern wir Menschen, die in warmen Wassern baden, als Männer bezeichnen dürfen«
Aus dem nebelumwaberten Dunkel der britischen Vergangenheit schimmert ein Bild ins Heute. Auf einem Streitwagen steht eine große Frau mit langen, leuchtend roten Haaren. Wir gehen nicht fehl, wenn wir uns einen Windstoß vorstellen, der ihre strähnigen Locken beutelt. Ihr buntes langes Gewand verhüllt eine kräftige Figur. Um den Hals trägt sie eine schimmernde goldene Kette, das Symbol ihres Ranges. Sie stützt sich auf ein keltisches Langschwert, das in Hibernia (Irland) geschmiedet worden ist, und spricht mit rauer Stimme zu den Anführern der Krieger, die sich an diesem Tag zur Entscheidungsschlacht versammelt haben.
Boudicca, Königin des Stammes der Icener, der im heutigen East Anglia (Norfolk und Suffolk) beheimatet ist, erinnert an die Schmach, die die Römer ihr selbst und ihren beiden Töchtern zugefügt haben. Boudicca spricht von Ehre und von Rache an den fremden Invasoren. Ihre Ansprache ist eine einzige Schmähung des Kaisers in Rom, eine Verhöhnung der aus ihrer Sicht verderbten römischen Gesellschaft, einer verweichlichten Kultur. Ihre Soldaten stellt sie vor die Wahl: Freiheit oder Sklaverei. Für sich sieht sie nur eine Alternative: Sieg oder Tod. Zur Sklavin sei sie nicht geboren. Und außerdem, die römischen Soldaten könnten »Hunger und Durst, Kälte und Hitze nicht so ertragen wie wir; vielmehr brauchen sie Schatten und Obdach, geknetetes Brot, Wein und Olivenöl, und wenn eines davon fehlt, sind sie des Todes.«
Die Rede, die Tacitus der Königin zuschreibt, hat mehr mit römischer Politik als mit historischer Wahrheit zu tun. Der Politiker übt aus dem Mund der »Barbarin« Boudicca Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen im »alten Rom«, das für Tacitus verderbt ist. Tacitus lässt Boudicca lästern: »Sofern wir Menschen, die in warmen Wassern baden, die künstlich zubereitete Leckerbissen verspeisen und ungemischten Wein trinken, als Männer bezeichnen dürfen, Menschen, die sich mit Myrrhen einsalben und auf weichen Polstern mit Knaben liegen und als Sklaven einem schlechten Leierspieler dienen.«