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Kaysers Nanni II

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Wir reiten geschwind in den abend

die arme um uns geschlagen

habt acht, zieht die finger ein

die letzten beißen die hunde

Man hatte mich gewarnt. Hier würde nichts wachsen, mein Stück Land läge zwar gut, sei aber zu feucht und darum sauer. Was man nie direkt gesagt hatte, war: Sich ein Grundstück neben dem Müll einrichten, das könne nur ein Fremder, der keine Beziehungen habe. Das sah ich ihren Gesichtern an, folgerte es aus Nebensätzen und spürte es im Bauch: Sie zweifelten an mir, nein, sie verneinten meine Vision. Ich hielt dagegen, es werde ja seit Jahren bereits kein Müll mehr abgeladen. Es sei doch ein für alle Mal entschieden worden, den Müllplatz zu schließen. Jetzt müsse nur noch reichlich Unkraut wachsen, verfaulen, wieder wachsen und verfaulen. So werde eine Schicht Erde entstehen, auf der etwas Besseres gedeihen könne als Unkraut. Das würde den trostlosen Anblick nehmen. Ganz sicher war ich mir aber nicht. Mein Ein-für-alle-Mal – stand es nicht für »dicke Backen«, die einer macht, wenn er Mut braucht?

Während ich bereits am Dach meines Häuschens arbeitete, sah ich Kaysers Nanni. Man könnte sie zweifelsfrei an ihrem Geierkopf erkennen. Sie wäre absolut nicht zu verkennen. Und gewarnt hatte man mich vor ihr. Ich solle mich nicht täuschen lassen. Ihr Anblick verleite zu Mitleid, das sie wahrlich nicht verdiene. Sie hätte es mit dem »Vererben«, ein »Tick«, der, je älter sie werde, um so gefährlich werde. Fast jedem im Dorfe hätte sie schon angeboten, dass er ihr Erbe würde, kinderlos, wie sie war. Am gescheitesten seien die dran gewesen, die sofort und bestimmt Nein gesagt hätten. Diejenigen, die sich hatten verführen lassen und auf Zugewinn hofften, seien am Ende die Dummen gewesen. Sie hätten teilweise investiert gehabt in ihr Grundstück: gepflanzt, repariert oder ihr sonst selbstlos geholfen, aber man habe sich selbst-ver-ständ-lich weder Quittungen ausstellen noch Geld geben lassen, im Vertrauen auf ihre Ehrlichkeit und Entlohnung nach ihrem Dahinscheiden, Gott bewahre. Oft aus heiterem Himmel und für die Betroffenen unerwartet, hatte sie noch einen jeden enterbt. Gutgläubigkeit helfe nicht. Man müsse seinen Augen trauen. Sähe sie nicht aus wie ein Geier? Es sei ja nicht allein ihre Erscheinung, die Krächzstimme, ihre Nase und die Augen, sondern auch, wie sie einen von innen her ansah, genauso verschlagen wie die Juden damals. Man fühlte so was. In Wahrheit sei sie gerissen wie Levinson, der Dorfjude, der fast bis Kriegsende einen Kristallwarenladen im Ort hätte betreiben dürfen. Der sei ja dann an den Müller aus der Mittelmühle gegangen, weil sie den Levinson eines schönen Abends abgeholt hätten.

Vom Dach meines Bungalows aus sah ich Kaysers Nanni, wie sie über den Feldweg zwischen Müllhalde und meinem Garten mit einem alten vollbeladenen Handwagen ankam. Sie hatte einen Kronleuchter aus Kristall geladen und einen raren runden Tisch mit Schachbrettintarsien. Ich sah auch diverses Handwerkszeug, das gut zu gebrauchen wäre. Als sie bei meinem Garten angekommen war, hielt sie und tat einen Seufzer, so laut, dass an seiner Echtheit zu zweifeln war. Sie spuckte in die Hände, und zwar mit Schmackes. Dann schwenkte sie mit dem Wagen ins Unkraut auf der Müllkippe. Sie zerrte ihn durch hüfthohe Brennnesseln, bis sie stecken blieb. Dort kippte sie nicht einfach alles um, sondern hob den Kronleuchter heraus und setzte ihn neben sich ab. Den Tisch stellte sie angekippt daneben und bedeckte ihn mit einer Plane, ebenso das Werkzeug. Als sie fertig war, richtete sie den Wagen aus, kehrte um und zerrte ihn auf den Weg. Dort kreischte sie heiser wie ein Raubvogel. Irgendwie schauderte es mich. Nicht lange, dann kam sie zu mir.

»S’ haben’s g’dacht, s’ könnten’s mich so einfach ausschterben lassen, un g’hofft, dass ich balds ’s Zeit-liche segnen wür-de, um sich d’ Möbel unter si aufzuteile. Au de G’meide – un sogga de Staat sin heisch drauf. S’ dachten wohl, s’ krischte filleicht mein Geld, de Grunschtük und ’s annere Zeusch. Abbe g’schnitten haben s’ sich. S’ wollten’s besondersch fein anstellen, die Buben, g’wissemaßen für ein jederen ve-ständ-lich. S’ meinten’s, i hätt’ einen Schlaganfall g’habt, wie i seinezeit umgfalle wa. Dabei wa mi nu schlecht g’worde. Ins Kran-ken-haus habb s’ mich schaffe lasse, und soga haben se Blumen in mei Krankezimme de-koriert. Abbe i frag Sie, was sollte i da?« Sie schaute mir dabei zum ersten Mal direkt in die Augen. »Dasch hab i au die Ärtscht g’fragt, was soll i da? Da mussten s’ mi wiede laufe lassen, ’s Volk. Und jetzt schaff i das Zeugs fot, was i nich uun-b’-dingt brauche tu. Das tu i denne Volks-ge-nos-sen im Dof zuwider! Un zwa von wegen derre Dummezeugs-Gerede übe derre Heimat, de schöne alte Zeit, deree se siche seie, das aus-ge-re-ch-net mei Zeug darstelle tät. Kurtsch, ’s Zeug sei wasch An-ti-kwa-risches un i, habbe se mi g’schmeichelt, sei de letschte lebbende Ver-bin-dung zu de Zeite vor derre Krieg und i werre d’ Ein-zische, welche sich noch e-in-ne-re würde an derre gute alte Zeit. Deshalb wollten s’ mei Zeug habe, for nix anneres. Des hat mi derre Landtagsabgeordnete, de Sohn von derre Bäcker, de zu damalige Zeite den Levinson abgeholt hat, g’sagt, no als i im Kran-ken-haus wa. Sogga Tränne hat de Ab-ge-ord-nete in sein G’sicht habe kullern lassen. S’ sahn nicht einmal so un-echt aus. Es warre ge-konnt gemacht gewese, doch scho. Abbe, ich sage Se, ich kann die Kro-ko-dils-träne von denne, trotschdemme i schon etwas älte bi, von de Tränne von de Levinson damals ganz g’nau untescheide. De Levinson, als se enne damals abg’holt habbe, hat sich, bevo se enne inne LKW hi-nein-g’schobe habbe, noch einmal um-ge-dreht zu seine Laden und zu seine Nachbarn. Dese habbe enne Spalier g’bildet von seine Lade zu dere El-Ka-We un manche habbe g’klatscht, als de Levinson durch denne menschliche Schpalier hin-durch gehe gemusst hätt’ met ein Polizist vonne und eine hinte un zwei Schäfehunde dabei. I habbe de Träne von de Levinson g’sehen. ’s waren genau g’sagt kei-ne Träne, ’s waren nu feuchte Flecke unte die Auge, denne se leicht hätte übesehen könne. Abba i wa Zeuge un hab’s g’sehn. ’s waren’s Träne von enne traurige Mensch, de de Levinson gwodde ischt unne die Nazis, un net die von enne Kro-ko-dil, wie denne von de Herr Ab-ge-od-ne-te. Un dann habbe i zu denne Ab-ge-od-ne-te in my Krankezimmer g’sagt, iihn Hochdeutsch!, dass enne mi net mischvesteht: ›Sie sind ein Schauspieler, sie können sich zu Tränen rühren lassen, wie andere einen Wasserhahn aufdrehen, Herr Ab-ge-ord-ne-ter. Levinson konnte das nicht! Seine Seele hat geweint, sein Herz hat sich verkrampft, und er hat seine Tränen sogar bekämpft. Nur ein Missgeschick ist ihm passiert – diese feuchte Spur unter den Augen. Levinsons Tränen waren echt, Ihre sind es nicht. Und jetzt verschwinden Sie aus meinem Zimmer und nehmen Sie Ihre Blumen mit. Rechts draußen, unten ist die Mülltonne. Da können Sie die Blumen hineinwerfen, und Sie dürfen Ihre warmen Worte auch da entsorgen. Da können Sie auch ablegen, was Sie träumen, von mir erben zu können, ohne einen Strich dafür getan zu haben, so wie Ihresgleichen es immer gemacht hat. Sie kriegen von mir nichts, Herr Ab-ge-ord-ne-ter, das versichere ich Ihnen, und wenn ich hundert Jahre alt werde! Ich weiß, dass Sie auf mein Grundstück neben Ihrem Herrenhaus spekulieren und hoffen, Sie könnten es mir billig abluchsen. Sie bekommen es nicht!‹« Ihr Hochdeutsch war lupenrein. Warum sprach sie sonst immer plattdeutsch? »S’ sollten’s g’sehe habbe, wie denne Ab-ge-od-nete d’ Farbe aus denne G’sicht verschwunne is. E is abba nich gleich weggegange, sonde hätt sich mit mi angeleescht … ›Was unterstellen Sie mir da, Sie …? Ich bin gewählter Land-tags-abge-ord-ne-ter …‹« Kaysers Nanni wischte mit ihrem angewinkelten rechten Arm die flache Hand über die Brust und schlug nach rechts außen, als wollte sie den Müllplatz vor uns vom Tisch wischen. »Da bi i abbe aufg’stanne und habbe emme dem Masch geblase: ›Und Sie, Herr Ab-ge-ord-ne-ter, sind Anfang der Neunziger Jahre in mei-ne Heimat ge-flüch-tet, nachdem Sie als Di-rek-tor eines U-ni-ver-si-täts-kli-ni-kums in Sachsen, das ich ganz genau kenne, fristlos entlassen worden sind, weil Sie ne-ben-be-ruf-lich haupt-amt-licher Staats-sicher-heits-offizier gewesen sind und beruflich unschuldige Menschen ins Gefängnis gebracht haben …‹« Sie holte Luft, trat empört einen kleinen Schritt zurück und musterte mich fragend. Sie wartete gespannt darauf, was ich sagen würde.

Ich hielt ihrem Blick stand und sah direkt in diese Augen, die flackerten und überhaupt nicht alt waren. Trotzdem, dachte ich, mich zur deutschen Geschichte zu prüfen, werde ich ihr nicht erlauben. Ich werde mich vor ihr nicht kleinmachen, nur weil ich noch jung bin, manches nicht erlebt habe und auch vieles nicht weiß. Denn auch ich lebe in einer Geschichte, der jetzigen. Meine Gegenwart ist nur zu jung für eine abschließende Bewertung. Noch ist nicht alles gewesen, was geschehen kann, und ich habe darauf Einfluss. »Die Nazis«, »die Juden«, »die Deutschen«, »die Russen«, »die Amis« – ein Wort, und jeder meinte aus der Geschichte zu wissen, was los war und was käme. Klar, ich hatte von der Stasi in der Schule gehört, auch von den Nazis, von Kaiser Wilhelm auch …, aber ich lebe heute!

Als hätte sie meine Gedanken erraten, fuhr sie fort: »Stasi, des wa de so-ge-nann-te kommunischtische Ge-heim-dienst in de ehemalische Ostzone …« Ich nickte und wollte was sagen, aber sie redete ohne Unterlass: »Vestennensch, dös wa zu Zeiten damalsch in die Ostzone gewesen …« Schon ging sie wieder auf den Ab-ge-ord-ne-ten los: »›Und jetzt sitzen Sie als Ab-ge-ord-ne-ter in mei-nem Land-tag! Sie, Sie können sich bedanken für meine gute Erziehung, sonst hätte ich Ihnen schon längst das Blumenwasser in Ihr Wachsgesicht gegossen! Schämen Sie sich bloß nicht noch, sonst wird mir schlecht, und ich muss auf Sie kotzen, was ein gut erzogener Mensch wie ich nicht macht. Gesocks wie ihr kann sich überhaupt nicht schämen, Sie wissen gar nicht, was das ist. Aber bestellen Sie Ihrer Genossin aus Ihrer Fraktion, dieser dürren Blonden mit den schmalen Lippen, die im Kopf noch dürrer ist als ihr Körper, und Ihrem notmachtgeilen Ge-sin-nungs-ge-no-ssen, neben dem ich Sie immer im Fernsehen sehen muss: Ihresgleichen wird mir meine Würde und den Anstand nicht nehmen. Sie können auch meinen Willen nicht brechen, Typen wie Sie abzulehnen, bis ich tot bin. Sie – und Ihr Gesocks von Volks-ver-rä-tern im Landtag, Sie können mich mal kreuzweise. Aber wissen Sie denn überhaupt, was ein Kreuz ist? Das war das Ding, das der Müllmann von Jerusalem damals geschleppt hat unter furchtbaren Schmerzen, und Ih-res-glei-chen liest das ›Kreuz‹ aus der Zeitung vom Blatt ab, weil Sie gar kein Kreuz kennen. Sie hatten nie eins. Sie schleimen sich zum Rednerpult und kleistern durch die Fernseher und tropfen in mein sauberes Wohnzimmer, dass ich nach der Tagesschau erst einmal durchwischen und das Fenster öffnen muss, bevor ich wieder einen sicheren Schritt in meiner Wohnung machen kann oder an Ihrem Gestank verrecke, den Sie beim Reden ausdünsten. Sie können mich mal kreuzweise. Ich habe für Sie und Ihresgleichen jeden Tag zu diesem Zweck geöffnet.‹ Da isch e denn do aufg’sprunge und tat, als ob e mi veprüggele wollt’. Angeschrien hat’s mie de Heer. ›Dich räuchere ich aus in meinem Dorf, darauf kannst du dich verlassen, du alter Besen‹, sacht e un ve-schwand mit dene Blume. Un i henne ihm na geschrien de Treppe hinunter, dass alle ’s höre kun: ›Und von mir kriegen Sie keine Stimme, und mein Land werden Sie nie-mals kriegen …‹ Das hab i demme nachg’rufe. Und des habbe de Leut auch noch auf de Schtraße vestanne. Je-des Wot.«

Sie hatte sich im Rage geredet. Kaum vorstellbar, aber diese dürre alte Frau unten vor meinem Grundstück schwitzte und keuchte. Sie wischte die Hände am Kittel ab und sah mich direkt an. »Un jetzt is ’s Zeug fot … wennigstens ’s unnötige Zeug von die Woonung, erscht ma.« Plötzlich herrschte sie mich an: »Un Se, se saan no jung, se schaffen’s mi g’fälligst dieses G’socks, de was si da breitz’mache beginnt, vom Hals, bevor i sterb. Das seins dem Otto, die was mein Mann is und seinezeit Sanitäta im Welt-kriegs-la-za-rett wa, vom Hals, sunst werfe i dies Erbe von uns bei-de do no in de Müll.«

Scirocco

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