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Die Mühen des Neuanfangs

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Wir sind noch nicht beim privaten Gebrauch eines Autos – es wird auch noch dauern. Die Zulassung von PKWs blieb vorerst noch im Bereich der Nutzfahrzeuge, wie man das auch äußerlich an ihrem abgesägten Hinterteil der Karosserie erkennen konnte, wo eben nach den Vordersitzen, durch eine Holzwand abgetrennt, eine Ladefläche begann.

In Nachbars Schuppen stand ein in Leipzig aus den Ruinen herausgezogener und plattgedrückter »Adler« der Luxusklasse, dessen Motor und Fahrgestell mit den unteren Aufbauten, noch intakt erschienen. Nur das Dach hatte wie von einer Riesenfaust, eine eingeknickte Delle. Bald fuhr auch dieser wieder, neu aufgebaut, nun ebenfalls zweisitzig mit der obligaten Ladefläche fröhlich durch unseren Ort.

Und ein Fuhrunternehmer hatte irgendwoher eine Holgaszugmaschine ergattert und dazu einen einzigen Hänger, auf dem der Beifahrer, auf einem alten Autositz hocken musste, weil man vorn keinen Platz vorgesehen hatte. Sogar eine der komischen Kleinzugmaschinen vom Flugplatz, für die ehemaligen Düsenjäger gebaut, die sich am Boden nicht selbstständig fortbewegen konnten und mit einem sehr zuverlässigen VW-Motor ausgerüstet waren, wurde umgebaut. Ein Gärtner ließ sich für seine Verhältnisse dieses seltsame »Dreibein« aufrüsten.

Jeder versuchte mit dem »Übriggebliebenen« sich irgendwie einzurichten. Indessen auf dem Rittergut, neben den drei Pferdegespannen, noch in alter Treue, zwei Lanz-Bulldog, mit ihrem einzylindrischen Dieselmotor, zur Feldbestellung wie zu der Ernte herumtuckerten.

Mich beeindruckte besonders, wie bei geringer Drehzahl der Maschine, sie im Leerlauf förmlich auf ihren überdimensionalen Hinterrädern hüpften. Dazu diesem unverkennbaren »Tufftufftuff-Klang«, der sich aus der Auspuffesse nach oben Luft machte. Manchmal stieß sie richtige Rauchringe aus, die dann etwas verbeult entschwebten.

Weit im Spätherbst stand eine davon tagelang auf dem großen Rittergutshof. Mit einem langen Riemen, der immer ein wenig schaukelte, hatte man sie vor die Dreschmaschine gespannt, um diese anzutreiben. Die Garben der Ernte brachten die Bauern mit Pferdefuhrwerken heran, luden sie dann hinüber und zwei Männer sortierten sie dort oben ein. Unten standen wieder zwei Männer, welche die prallen Kornsäcke von ihr abschnallten und auf die Wagen zum Abtransport luden. Ein wunderbarer Anblick friedlichen Schaffens.

Im Gleichmaß der »Bulldog-Tuckerei« hörte man auch das Rauschen der Dreschmaschine – hin und wieder Stimmen und das harte Aufschlagen der Pferdehufe. Dazu rieselte ein sachter Kornspelzenregen hernieder, ein richtiges Lied der Arbeit.

Man könnte es gleichwohl als mühevolles, aber friedliches Werk beschreiben, welches nach den angespannten Kriegstagen richtig wohl tat.

In jener Zeit hatte das Fahrrad, als Hilfe des Vorankommens und auch des Transportes, eine überaus große Bedeutung und wurde von allen geschätzt und wahrhaftig richtig gebraucht. Besonders Damenräder erwiesen sich, mit ihrem in der Mitte gebogenen Rahmen, zum Transport eines Sackes in dieser Mittelkuhle als vorteilhaft.

Etliche Ortschaften in unserer Umgebung hatten keinen Eisenbahnanschluss, man konnte sie nur mit einem Fahrzeug erreichen. All diese Wege überwand der allgegenwärtige »Drahtesel«, teilweise auch mit Vollgummibereifung.

Aber die freigelassenen Kriegsgefangenen gedachten, eine attraktive Beute in ihre Heimat mitzubringen. Ebenso die Soldaten der bald folgenden russischen Besatzung, die teilweise mit Pferdegespannen hier ankamen, denen unsere Fahrräder nahezu ein Luxusartikel zu sein schienen. Nach den ersten Tagen der Plünderung, wo es für uns keine schützende Rechtsgrundlage gab, durften die Soldaten nicht mehr so mit der Bevölkerung umgehen. Was allerdings noch keine endgültigen Verhältnisse schaffte. Wenn ein ehemaliger, ausländischer Kriegsgefangener einen von uns seine Uhr wegnahm und aus der Hosentasche der Griff einer Pistole hervorsah, waren die Fronten geklärt. Wir steckten, wenn es schon unbedingt nötig erschien und wer noch eine solche Kostbarkeit durchgebracht hatte, die Armbanduhr besser in die Hosentasche.

Von unserem Korridor im ersten Stock konnte ich auf den Nachbarhof sehen. Durch ein Krachen und Splittern aufmerksam geworden, schaute ich hinaus und sah vier französische, ehemalige Gefangene, die das zweite der auf dem Hof befindlichen Stalltore aufgebrochen hatten und nun ihre bisher erfolglose Hinterhoftour, mit Jubel bekrönten. Einen nagelneuen Opel Kadett hatten sie gefunden und auf den Hof gerollt, um dann mit dem Prachtstück, immer noch gestikulierend, davon zu schieben. Der Autobesitzer befand sich zu dieser Zeit noch irgendwo in Russland und wie seine Frau das Auto vor der Beschlagnahme während des Krieges bewahrt hatte, ist unerklärlich. Möglicherweise erschien das Fahrzeug noch nicht einmal als angemeldet.

Zurück blieben zwei zerbrochene Tore und eine leer gähnende Garage, doch der Verlust war damals ein allgemeiner Begriff. Wie viele Menschen hatten gerade so das durchgebracht, was sie auf den Leib hatten. Vielleicht noch einen Rucksack dazu, wie in der Dresdener Brandnacht oder von der Flucht aus Ostpreußen. Das Leben galt als höchstes Gut, aller andere Verlust erschien wohl schlimm, aber eben zweitrangig.

Mit der Wegbewältigung lief es bei den amerikanischen Besatzern ganz anders – für uns eine fremde, fast unmilitärische Lebensart.

In meinem Denken noch frisch, hörte ich bei dem Wort Soldaten, den Marschtritt sogar noch mit einem Lied dazu.

Einen Amerikaner habe ich nie marschieren sehen, alles rollte, mit der dauernden Kaugummibewegung im Gesicht – in dem allgegenwärtigen Jeep. Und wie sie mit dem lieblichen Fahrzeug umgingen.

Von unserem Schlafstubenfenster konnte ich auf die Hauptstraße sehen. Gerade unter mir blieb so ein kleiner Wagen stehen und sprang nicht mehr an, wobei der Anlasser immer müder drehte. Keiner der zwei Soldaten stieg aus, sondern sie palaverten mit dem Funkgerät herum und tatsächlich rollte bald ein zweiter Jeep an das Fahrzeug heran. Ich meinte jetzt holt er das Abschleppseil heraus, aber nichts davon. Nach kurzer Absprache fuhr er einfach von hinten heran und schob seine Kameraden; Stoßstange an Stoßstange ziemlich flott die Straße hinaus, zu ihrem Stützpunkt, – ganz gleich wie das auch knirschte. Dabei hatten sie immer ihren Helm auf, jedoch dieser friedensmäßige bestand aus Pappe, – auf so eine Erleichterung wäre ich nie gekommen, – zwei Helme?

Es offerierte sich uns eine ganz andere Welt; Fleisch in Büchsen und Käse in Tuben – und überall Kaugummi – und all diese Herrlichkeiten, eingeschlossen der Schokolade, offensichtlich nicht rationiert oder zumindest sehr großzügig. Ein deutliches Beispiel dieses anderen Stiles stellte sich in Onkel Arnos Einfamilienhaus dar, wo sich die Amis zeitweise einquartiert hatten. Als sie nach dem Westen weiter zogen, um für die nun folgende russische Besatzung Platz zu machen, wie es von den Alliierten ausgehandelt wurde.

Jedenfalls blieb von ihnen, bei dem Onkel und seiner Frau, die ihre Wohnung wieder in Besitz nahmen ein Sack mit Socken zurück, die entweder gebraucht waren oder ein Loch hatten, ein einziges, kleines Loch und davon ein richtig, großer Sack voll. Dies wohlgemerkt in einer Zeit, wo unsere Mütter, schon lange, aus allen verfügbaren Garnen Socken strickten, – noch während des Krieges, sogar für die Soldaten, an der Front.

Dieser Sack, für uns eigentlich der Inbegriff der Leichtfertigkeit, wurde nun zum Gegenteil – zu einem der großen Glücksumstände. Die ganze Familie im weitesten Sinn trug aus diesem ungewöhnlichen Sack noch lange Zeit wunderbare Amisocken.

Das Auto und wir

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