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Die Schlacht hat aufgehört, – endlich Frieden

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Mai 1945 – damals sah der Himmel mit einem Male anders aus, wir entdeckten, blinzelnd in die Höhe schauend, wieder weiße friedliche Wolken, die gemach dahin zogen und mussten nicht mehr auf blitzende Bomberpulks achten, die in ihren Kondensstreifen heranzogen. Freilich flogen noch die Jagdflugzeuge der Amerikaner knapp über unseren Häusern, doch in ihrem »Herumkurven« spürte man mehr das Vergnügen, der nun alles beherrschenden Sieger, wobei die Bordkanonen noch aus ihren Flügeln ragten, aber stumm blieben.

Wenn auch zu diesem Zeitpunkt die Versorgungslage noch schlechter wurde, da die Organisation der Infrastruktur sich teilweise auflöste und neu geordnet werden sollte. Die vielen fremden Kriegsgefangenen und auch die neue Besatzung nahmen sich was sie brauchten, – da blieb wenig. Auch die Frage nach unseren vermissten Angehörigen hielt die große Freude über das Ende des Krieges zurück. Und doch verlosch allmählich die aufgebaute Spannung des »Auf der Hut seins«.

Einmal kam es noch vor unserer Haustür, unmittelbar und auch unmissverständlich zu tage. Fünf amerikanische LKWs mit deutschen Kriegsgefangenen fuhren laut brummend durch unsere Straße. Das hatte ich so noch nie gesehen. Sonst waren es englische, französische, viel russische und ein paar amerikanische Gefangene, die ich beim Arbeiten sah oder hinter dem Stacheldraht eines Lagers beobachtete.

Ich schaute hinauf zu den ernsten, unsicheren Gesichtern, zu der aufgeknöpften Uniform unserer Soldaten und der Wehrlosigkeit gegenüber den Maschinenpistolen der Posten, die hinten mit ihren Waffen im Anschlag hockten.

Ich stand sprachlos am Straßenrand und starrte auf diese drastische Umkehrung der Situation. Mit so einer Unmittelbarkeit hatte ich es noch nicht wahrgenommen.

Man fuhr sie weg, aber ich stand hier, gehörte eigentlich dazu, aber konnte mich frei bewegen, wurde nicht bestraft.

Jedoch unsere Männer, wohin würde man sie bringen, – die Männer des Großdeutschen Reiches? Eine stumme und hilflose Begegnung, die eigentlich hätte das notvolle Schreien herauslassen müssen – aber es ging alles so schnell, die fremden Soldaten mit ihren vorgehaltenen MPs unterdrückten die natürliche Nähe oder gar eine Sympathie zu denen von uns.

Da rollte der letzte Laster schon hinten am Kaufhaus um die Ecke. Einige Zeit hielt mich die Bordsteinkante noch fest, das machte die Betroffenheit des Augenblickes. Das ganze Unheil dämmerte über der Szene, – alle mussten leiden, die ersten Gefangenen und nun die Zweiten. Eine Frau schubste mich an, die mit ihren Kindern vorbei wollte: »Hallo, Junge träumst du?« »Die Soldaten!«, stotterte ich.

Bald räumten wir allmählich den Luftschutzkeller aus und brachten die eisernen Rationen der Lebensmittel, die Koffer und Decken, selbst die vollen Wassereimer wieder nach oben, denn der Krieg schoss nicht mehr aus tausend Rohren, keiner verblutete mehr auf dem Schlachtfeld. Es hat aufgehört, – obwohl die Kriegsüberreste noch allgegenwärtig herumlagen. Besonders draußen auf dem Fliegerhorst standen die von unserer Wehrmacht gesprengten Flugzeuge, teilweise noch rauchend auf dem Flugfeld und in den Waldverstecken. Selbst die Scheinwerfer mit ihrem zerschlagenen Angesicht starrten weiter in den Himmel und an den leichten Flakgeschützen spielten schon ein paar ältere Jungs herum. Die Normalität des Lebens begann überall nur langsam, wie im Frühjahr zögernd das neue Leben seine Blüten hervorstreckt.

Auf dem Markt schaute ich hinauf zu der Sirene auf dem Dach des Rathauses, – würde sie wieder losheulen in dieser Nacht? Nein, es war vorbei, endgültig – nur die Soldaten?

Langsam gingen die Lebensläufe weiter, es entstanden, natürlich über lange Zeit und stockend, – allmählich brauchbare Konturen des friedlichen Zusammenlebens. Zu diesen Tagen hatte ein Auto für den privaten Gebrauch keine Bedeutung, es war einfach nicht das Thema.

Wir hatten Hunger; Kartoffel, Öl, Mehl und vor allem Brot rückten in die Mitte unseres täglichen Denkens. Aber dazu konnten wir etwas tun, wenn es auch oft nur eine Winzigkeit blieb.

Gegen den Fliegeralarm hatte man nichts tun können. Da mahnte nur das: »Los, schnell in den Keller« und dann dieses unheimliche Warten und Horchen: »Kommt es näher?«

Bei einigen Geschäftsleuten fand sich trotzdem hier und da ein Auto, wobei allerdings die berufliche Notwendigkeit nachgewiesen werden musste. Etwa des Doktors Ford und auch die Hebamme mit ihren winzigen Topolino, ebenso der Fleischer und die Milchhalle brauchten ihre Fahrzeuge schon während des Krieges zur Versorgung und konnten diese über den Zusammenbruch retten. Im Allgemeinen jedoch hatten viele ihre Autos schon während des Krieges an die Wehrmacht abgegeben.

So blieben die Straßen, besonders gegen Abend hin leer. Wir Kinder konnten dort ohne Einschränkung »Ballvertreiben« spielen, mitten auf der Hauptstraße, – wir hatten sie für uns.

Außerdem wurden wegen des permanenten Benzinmangels die meisten Fahrzeuge als Ersatz mit Holzgas betrieben. Eine umständliche Praxis, die man schon zur Kriegszeit eingeführt hatte. Das hieß; ein badeofengroßer Kessel musste am Heck des Fahrzeuges eingebaut werden.

Bei den LKWs hing er meist hinter dem Fahrerhaus, auf der linken Seite. Und für einige Säcke, kleingehacktem Holzes, musste im oder auf dem Fahrzeug Platz bleiben.

Hinter der Werkstatt meines Vaters entstand so ein kleiner Holzbetrieb, dessen Kreissäge manchen Tag fast ununterbrochen jaulte. Meine Mutter machte dann selbst bei sommerlicher Hitze das Fenster zu, denn dieser laute und hohe Ton, ging uns allen auf die Nerven.

Urplötzlich, mittendrin kam dieser schneidende, noch hellere Klang, worauf die Säge abgeschaltet wurde. Man hörte nur noch dieses absinkende Pfeifen, was schließlich im Nichts verklang.

Stille, wunderbare Stille, mindestens für einen Tag, denn das Sägeblatt musste ausgebaut und zum Schleifen weggebracht werden. Ein im Holz versteckter Granatsplitter brachte wieder einmal, mit seinem Stahlkörper, dem Sägeblatt das Ende. So etwas passierte öfters, weil ihnen im Wald nur dort Holz zu schlagen erlaubt wurde, wo schon der Krieg die Bäume ruiniert hatte. Der Großvater sagte dann meist: «Des einen sin Uhl (Eule), is des andern sin Nachtigall.«

Es entstanden ebenso Pausen in der Holzproduktion, wenn das Zugfahrzeug des Langholzhängers wieder einmal Motorschaden hatte. Freilich erforderte es besondere Kraft, die schwere Ladung aus dem unwegsamen- und oft schlammigen Waldgelände heraus zu ziehen.

Aber nach meinem Empfinden ging der Chef mit seinem ehemaligem Wehrmachtsgefährt, einem übrig gebliebenen Funkwagen, wie ein gefühlloser Knecht mit seinem Pferd um, der es schlägt und treibt obwohl dessen Fell schon vom Schweiß glänzt und weil der Wagen wieder überladen ist.

Der Funkwagen sah vor dem Langholzhänger wirklich wie der kleine David aus, obwohl er geländegängig war und einen V8 Motor hatte. Einmal hatte er alle Vier von sich gestreckt und wurde von einem Traktor abgeschleppt und der Motor mit einem Flaschenzug herausgehoben. Alle standen ziemlich betroffen da, denn das schwarze Öl tropfte wie bei einem Verletzten auf den Hof und an der Unterseite hatte sich ein Pleuel heraus gebohrt. Dabei hörte ich in meinen Gedanken immer noch, das Geheule des geschundenen Motors, der ja fast bis auf den Holzplatz mit Vollgas lief.

Und jene »Holzgaser«? Sie konnten frühmorgens nicht etwa gleich losfahren, erst musste der Kessel angeheizt werden und wenn er endlich auf Touren kam und das Treibgas produzierte, hatte der Beifahrer weiterhin Acht zu geben damit kein »Hohlbrenner« das Gas zu sehr verdünnte und der Wagen einfach stehen blieb. Da standen sie dann am Straßenrand mit aufgeklapptem, qualmendem Kessel, stocherten drin herum, füllten Holz nach und warteten bis der Ventilator die Anlage wieder auf Touren brachte.

Das Auto und wir

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