Читать книгу Das Auto und wir - Gerhard Rühle - Страница 13

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Das neue Leben, nach dem Unheil des Krieges, verzweigte sich zunehmend auch in die Nebenbereiche unserer Tage. Man erinnerte sich alter Gepflogenheiten und versuchte sie wieder zustande zu bringen; so auch den Leipziger Motorsportclub. In einer Gründungsversammlung in einem Nebensaal der Kongresshalle wurden unter staatlicher Aufsicht Richtlinien und Aufgaben formuliert und bald ein Fahrschulkurs für Motorräder, unter günstigen Bedingungen ausgeschrieben. Allerdings konnte der Club für die Schulung kein einziges Fahrzeug zur Verfügung stellen. So bat ich in einer Unterrichtspause meinen Nachbarn, der von einer österreichischen Pouch erzählte, die sein Vater durch den Krieg gerettet hatte, ob ich diese mit benutzen dürfte. Tatsächlich ließ er mich an das gute Stück heran, wobei natürlich prompt die Kette riss, die wir einfach wieder zusammen genietet haben.

Alle Motorsportenthusiasten bestanden die Prüfung, aber nur vier hatten ein eigenes Fahrzeug; zwei DKW SB 200, die Pouch und eine 350er französische Terrot, die vermutlich durch die Wirren der vergangenen Zeit nach Deutschland kam. Die Erlaubnis zum Führen eines Kraftrades jeder Größe steckte nun in meiner Brieftasche – aber die Anwendung blieb noch Wunschtraum

Jahre vergingen; 1954 entdeckte ich im Büro des Kraftwerkes, wo ich in der Schlosserei die Aggregate der Kohleförderung mit am Laufen zu halten hatte eine sympathische junge Frau.

Diese dort im Büro über ihrer Arbeit an der Schreibmaschine gebeugte »Regina«, begründete nicht lange danach meinen Weg in den Ehebund und wieder kurz darauf in die Familie. Mann, das ging voran.

Nach der Hochzeit und der Geburt unseres ersten Sohnes, erhielten wir vom Wohnungsamt zwei Zimmer im Norden unserer Stadt mit Küchenbenutzung bei einer älteren Dame – welche daselbst in 1 1/2 Zimmern wohnte. Diese Wohngemeinschaft, genannt Teilhauptmiete, befand sich im dritten Stock des Verwaltungsgebäudes der Leipziger Brotfabrik und hatte die Toilette auf halber Treppe. Als das Besondere stellte sich schnell der Balkon heraus, der sich auf der Hofseite über die ganze Wohnfläche ausstreckte und auch noch mit Fenstern versehen war.

Wie es das Wetter zuließ, spielte sich dort, diesem Schaufenster zur Stadt hin der überwiegende Teil unseres Zuhauseseins und auch das der Nachbarin ab. Weit ging der Blick, über das Fabrikgebäude, den weiträumigen Hof, bis in die Vielfalt der Gebäude des Zentrums der alten Messestadt.

Die Einrichtung der Wohnung kam nur zögerlich voran. Fünfhundert angesparte Mark halfen uns zu einem 2.000 Mark Kredit bei der Sparkasse, die sich schnell in eine Küche und ein Schlafzimmer aus heller Eiche verwandelten.

Wie sich das anfühlte; unsere Wohnung, obwohl die meisten Fächer der Schränke übersichtliche Leere vorwiesen, – wenn man sie herauszog. In diesem Anfang kamen unentwegt die Lücken, in den eigentlich nötigen Geschirr, der Bettwäsche und sogar Schaufel und Besen, zu Tage, – eben all dem was ein Haushalt haben müsste. Oft mussten wir lachen wenn zum Beispiel Regina einen Knopf angenäht hatte und nun den restlichen Faden abschneiden wollte, dazu aber nur ihre Fingernagelschere zur Verfügung stand. Unsere lieben Verwandten halfen uns mit freundlichen Gaben, zum Beispiel einer älteren Zinkwanne, zwei Küchenmessern und vier ähnlichen Tassen, einer uralten Stubenlampe, die in ihrem gedunkelten Messing sogleich an der Decke hing und dort einen fast musealen Eindruck machte. Alles was hinzu kam wurde ohne Frage freudig begrüßt und in den täglichen Ablauf eingefügt. Selbst das Einsortieren des Kartoffelschälers in den Küchenkasten brachte ein Gefühl des erweiterten Eigenen, der neu erworbenen und allmählich funktionierenden Selbstständigkeit. Auch ein Heim wächst eben sachte heran.

Meine nächste Arbeitsstelle fand ich nach einigem Suchen wieder im Süden von Leipzig, wo ich erstaunlicherweise den damals noch nicht arbeitsfreien Samstag nun doch frei bekam.

Das hieß, ich arbeitete ihn im Laufe der Woche heraus und fuhr dabei nun wieder mit dem Fahrrad in entgegengesetzter Richtung quer durch die Stadt. Grund dafür ergab sich durch meinen Beitritt zur Adventgemeinde, der meine Mutter schon lange die Treue hielt und wo ich bereits als Kind, auf deren Stühlen Bilder mit Autos und Häusern malte. Ich wollte damit den in der Bibel begründeten Ruhetag wahrnehmen, also am Sabbat den hiesigen Samstag – wie es bei Gläubigen seit Urzeiten üblich – in den Gottesdienst gehen.

Wirklich, ein wunderliches Gefühl kam in mir auf, als ich an dem Tag, wo alle noch arbeiteten, zumindest bis zur Mittagszeit, – nun in Schlips und Kragen zum Adventhaus fuhr und den noch hastenden Mitmenschen so fast von außerhalb zuschaute. Was allerdings, durch den Übertritt in die Privatwirtschaft, die andere Tarife hatte, mit einigen Lohnverlusten einher ging, die Regina tapfer mittrug, obwohl sie zu dem Glauben noch eine sondierende Distanz behielt.

In dieser Autoreparaturwerkstatt, die sich ein älterer Ingenieur unter einer ausgebauten Brücke am Messegrund eingerichtet hatte, stellte er mich als Schlosser ein, da damals noch viele Arbeiten in diesem Beruf, wie den Aufbau des gesamten Fahrzeugrahmens und der Karosse, geleistet werden musste. In dem Zusammenhang brauchte ich natürlich die Fahrerlaubnis auch für Autos. Mein neuer Chef half mir bei einem seiner Kunden in der Fahrschule unterzukommen, wo ich bald mit dem derzeit noch nötigen Benzinkanister Sprit antrat und den Kursus begann. Zuerst mussten drei Fahrstunden auf einem Opel P4 und dann auf einer riesigen »Faun-Zugmaschine«, mit einem eben so riesigen Lenkrad absolviert werden. Das Getriebe, wie auch schon bei dem P4, war noch nicht synchronisiert und der Schalthebel, die Bremse und das Kupplungspedal ebenso von ungewöhnlichen Ausmaßen. Ich hätte Schuhgröße 45 gebraucht. Dennoch bedurfte es wiederum beim Schalten besonderen Gefühls, um mit dem Zwischengas die Drehzahlen der verschiedenen Zahnräder richtig anzugleichen, sonst knirschte es hässlich im Getriebe. Ähnlich hatte das Bremsen mit Druckluft bei der bulligen Zugmaschine seine Tücken, wenn man da nicht genau dosierte, standen die Räder auf einen Schlag und es zischte noch ein bisschen hämisch dazu.

Während der Fahrstunde saß der Lehrer meist gestikulierend daneben: »Vorsicht, Vorsicht, das Fahrzeug ist gerade erst aus der Werkstatt gekommen.« Zu der Zeit wusste ich noch nicht, dass ich eigentlich eine Brille nötig hatte, irgendwie kompensierte ich diese Schwäche mit zusammengekniffenen Augen. An diesem Fahrschulabend rollten wir in der sachten Dämmerung eine Straße entlang, die urplötzlich in der Mitte auseinander ging. Wobei die beiden gegenläufigen Fahrbahnen um einen Grünstreifen herum geführt wurden, der mir in seinem abendlichen Grau wie der Fortgang der Straße vorkam. Der Fahrlehrer griff urplötzlich in mein »Gefahre« ein und zog nach rechts in den abschwenkenden Verlauf der Straße, um die unmittelbar bevorstehende Wiesenfahrt zu vermeiden.

»Jetzt haben Sie aber Mist gemacht.« Ich konnte nichts erwidern und schielte nur zu dem unheimlichen Grünstreifen hinüber. Wieso hatte ich das nicht gesehen? Sonst ging es mit der Fahrerei trotz dieses Zwischenfalles ganz gut und so rückte der Termin des Abschlusses der Fahrstunden heran.

Dann kam sie, die Abnahmeprüfung in Gestalt eines älteren Beamten der Polizei, mit tadelloser Bügelfalte und schwarzen, blanken Halbschuhen, so stieg er mit auf die Maschine. Zu dritt saßen wir nun in dem ansehnlichen Fahrergehäuse, wobei immer noch Platz übrig blieb. Der Prüfer grüßte knapp, ohne ein verbindliches Wort zu sagen.

»Oh, oh«, dachte ich, dem kannst du nichts vormachen. Ich konnte es nicht verhindern, dieses flaue Gefühl in der Magengegend, wenngleich die Zugmaschine mir schon vertrauter und damit näher gerückt war. Jedes Mal, wenn ich zu ihr hinaufstieg, empfand ich da oben diese königliche Position im Straßenverkehr. Selbst wenn da unten die PKWs uns beim Anfahren überholten, was sollte passieren, bei diesen riesigen Rädern, dem Trittbrett auf dem mindestens drei Mann stehen konnten und einer Stoßstange, die wie ein U-Eisenträger durch den Verkehr pflügte. Der am Anfang noch zaghafte Umgang mit dem Zwischengas gelang mir zunehmend etwas herzhafter, weil der schwere Dieselmotor ohnehin verspätet reagierte. Am besten ging es, wenn man gleich mit dem zweiten Gang anfuhr, doch das konnte ich mir vor den zwei Herren an meiner Rechten, natürlich nicht leisten.

Also los, an der Kreuzung einordnen und links abbiegen, durch eine schmale Straße, am Hang anhalten und weiterfahren, schließlich rückwärts in eine Einfahrt stoßen, was erst beim zweiten Anlauf gelang, wegen der schmalen Straße. Die Maschine meinte es gut mit mir, sie folgte meinem Geschalte mit einem sympathisch, runden Lauf.

Nur einmal reagierte ich zu hastig und trat zu stark auf die Bremse, wodurch meine beiden Herren, durch den plötzlichen Stopp, zugleich mit dem Kopf nach vorn nickten. Selbst der Fahrlehrer sah von der Seite zu dem Beamten, der aber gleichmütig geradeaus schaute und dabei schon die Rückfahrt anwies wobei dieser schweigsame Mann anfing, sich mit seinem Nachbarn zu unterhalten. Nun überkam auch mich in dieser veränderten Phase, schon eine gewisse Lockerheit. Ich spürte, es war überstanden und das letzte Stück der vertraut gewordenen Gemeinschaft mit der Zugmaschine lag vor mir. So ging die Fahrt nun flotter voran, was ihr auch offensichtlich besser gefiel, als die anfänglichen Gehversuche. Jetzt am Ende der Prüfungsfahrt konnte ich ruhig sein: das ersehnte »Bestanden«, hörte ich bereits im Voraus. Bei diesem Gefühl spürte ich das Gegenteil der anfänglichen Empfindung, es wurde wohlig warm in der Magengegend.

Wir stiegen aus und dabei ging der Blick noch einmal zurück zu der eisernen Lady, die nun auf dem Platz posierte, mit ihrer beeindruckenden Stoßstange und den beiden, an der Seite angebrachten Begrenzungsstangen, die das Bild des Selbstbewusstseins vorführten, aber dennoch für mich mit freundlicher Miene, – wie ein Augenzwinkern.

Da hatte ich sie in den Händen: die Fahrerlaubnis Klasse Eins und Zwei, damit auch die für Autos. Demnach hieß das nun für alle Fahrzeuge!

Meine Güte, so ein genehmigter Umfang, unter allen motorbetriebenen Rädern und Wagen. Ich schaute das kleine Stück feste Papier immer noch an, diese amtliche Freigabe mit jeglichen Fahrzeug, natürlich außer dem Besonderen wie einem Bus, auf öffentlichen Straßen herumkurven zu dürfen.

Dabei blieb freilich ein kleiner Nachteil, – es stand nichts Eigenes zum Fahren zur Verfügung und noch nicht einmal eine Aussicht darauf. Trotzdem konnte diese umfassende Feststellung in mir das gehobene Gefühl, es wenigstens zu dürfen, nicht ganz wegdiskutieren.

Das Auto und wir

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