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Dschungelberg

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Als Olivia endlich ins Bett geht, kann sie nicht einschlafen. Das Schicksal der Männer im Boot beschäftigt sie immer noch. Aus den kurzen Sätzen im Tagebuch kann sie sich eine Geschichte zusammenreimen, ob sie stimmt, das weiss sie nicht.

Jürg und Knut bauten sich an der Mündung des Flüsschens eine kleine Hütte aus Blättern. Nachdem sie einige Wochen das Meer beobachtet hatten, ob sich ein Schiff näherte, sahen sie ein, dass sie abseits jeder Schifffahrtsroute gestrandet waren.

Als dann noch der Fluss austrocknete, beschlossen sie, das Innere der Insel zu erkunden. In den Wochen am Strand hatten sie viele Vorräte angelegt. Getrocknete Fische, Kokosnüsse und Fleisch von Tieren, die sie erlegen konnten. Danach flochten sie sich Körbe zum transportieren der Vorräte. Jürg war der geistige Führer, während Knut der Mann zum Anpacken war. So entstand ein gutes Team.

Als die Vorbereitungen abgeschlossen waren, gaben sie ihre Hütte auf und machten sich auf den Weg ins Landesinnere. Vielleicht war die andere Seite der Insel bewohnt. Zudem interessierte sie, wie gross die Insel eigentlich war.

Den ersten Tag folgten sie dem Flusslauf. Im ausgetrockneten Flussbett kamen sie gut voran. Gegen Abend fanden sie auch Wasserlöcher, in welchen sich kleine Mengen Trinkwasser übriggeblieben waren.

Als sie an einen ausgetrockneten Wasserfall kamen, mussten sie das Flussbett verlassen. Sie drangen in den dichten Dschungel ein. Immer auf der Hut, dass sie nicht von einem Tier oder Einheimischen überrascht wurden. Am meisten fürchteten sie die Affen. Sie mussten aufpassen, dass die ihnen nicht ihre Vorräte stahlen. Deshalb schliefen sie erst, als es bereits Dunkel war. Sobald es hell wurde, waren sie wieder auf den Beinen. Am Tag wichen ihnen die Affen aus, sie hatten anscheinend schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht und blieben auf Distanz. Jürg hatte allerdings immer das Gefühl, dass sie ihn beobachten und nur auf einen Fehler warten.

Eines Tages steht im Tagebuch, dass Knut vermutet, einen weissen Menschen erspäht zu haben. Allerdings nur kurz. Der Erspähte versteckte sich sofort wieder und verschwand. Jürg glaubt ihm nicht und meinte, dass er Gespenster sehe. Doch, was war, wenn noch einer vom Rettungsboot überlebt hatte und ebenfalls durch den Dschungel irrte? Doch, warum gab sich die Person nicht zu erkennen? War es Leutnant Sommer, der sich nicht getraute? Befürchten er, dass Jürg den Eintrag im Tagebuch gelesen hatte, in welchem er ihn als latenten Deserteur anschwärzte. Solche Notizen konnten einem in diesen Zeiten eine Reise an einen besonders gefährlichen Frontabschnitt einbringen und darauf konnte Jürg gut verzichten. Er versteckte das Tagebuch immer gut, damit es ja nicht in fremde Hände gelangt. Sogar Knut traute er in dieser Beziehung nicht, auch wenn sie sonst ein sehr gut harmonierendes Team waren.

Auch wenn Jürg nicht an den ominösen Mann glaubte, so waren sie doch wachsam. Allmählich stiegen sie immer höher den Berg hinauf. Weiter oben war der Wald weniger dicht. Sie kamen etwas schneller voran. Doch wie gross die Insel tatsächlich war, konnten sie noch nicht feststellen. Die Bäume waren so hoch, dass man nirgends über die Insel blicken konnte. Eines war inzwischen schon sicher, da sie bereits mehrere Tage bergauf gewandert waren, musste die Insel doch recht gross sein. Wenigstens fanden sie immer wieder Wasser und auch ein Wildschwein konnten sie erlegen, so hatten sie ausreichend zu essen.

Gelegentlich kamen sie auch in die Nähe von einheimischen Dörfern. Da sie genügend zu Essen hatten und nicht wussten, ob die Einheimischen freundlich waren, blieben sie vorsichtig. Die Siedlungen konnten sie schon früh am Geruch orten und umgingen sie in einem grossen Bogen. Da sie sehr vorsichtig waren, bemerkten sie auch einheimische Jäger rechtzeitig und gingen ihnen aus dem Weg. So kamen die zwei nur langsam voran, doch sie hatten es nicht eilig. Eigentlich ging es ihnen im Dschungel besser, als im Krieg. Denn eines war sicher, sollten sie von einem Soldaten, egal aus welchem Land, entdeckt werden, so hatten sie nur zwei Möglichkeiten, Gefangenschaft oder ab an die Front. Zu beiden Alternativen hatten die beiden keine Lust.

Es dauerte Wochen, bis sie einen Berggipfel erreichten, von welchem man einen Überblick über einen grossen Teil der Insel hatte. Wie sie schon vorher vermutet hatten, war die Insel sehr gross, es beruhigte sie, je grösser die Insel, umso besser konnte man sich verstecken.

In den folgenden Monaten zogen die zwei wie Nomaden über die Insel. Geschickt wichen sie den Siedlungen aus. Dank den relativ hohen Bergen gab es ausreichen frisches Wasser und dank dem riesigen Gebiet, welches sie beanspruchten, hatten die Früchte genügend Zeit, nachzuwachsen. Sie waren mit ihrem Leben zufrieden. Kein Krieg, nur die Suche nach Nahrung beherrschte ihren Tagesablauf.

Olivia fand das Leben, welches die beiden lebten, als erstrebenswert. Könnte man heute noch in eine verlassene Gegend ziehen und von dem Leben, das die Natur hergab? Wohl kaum, irgendjemand käme sicher auf die Idee, dass man die Steuern noch nicht bezahlt hat. Eigentlich schade.

Anscheinend wurde das ruhige beschauliche Leben der Beiden durch ein Ereignis gestört. Vermutlich hatten sie etwas gefunden, mit dem sie nicht gerechnet hatten. Etwas, das so wichtig war, dass jemand die entsprechende Stelle im Tagebuch so dick übermalte, dass man nicht mehr entziffern konnte, was sie gefunden haben. Doch der Fund scheint ihr Leben verändert zu haben. Es war der letzte Eintrag im Tagebuch. So bleibt die weitere Geschichte der beiden Männer ein Rätsel.

Olivia war nach dem sie das Tagebuch zu Ende gelesen hat, enttäuscht. Haben die Männer das Kriegsende auf der Insel erlebt, oder habe sie nie erfahren, dass der Krieg zu Ende war? Leider wird sie es nie erfahren.

Nachdem sie sich stundenlang im Bett gewälzt hatte, war sie endlich in einen tiefen Schlaf gefallen. Tage später fand sie die Motivation und begann ihre Erlebnisse aus der Zeit im Dschungeldorf aufzuschreiben. Dabei halfen ihr die Erinnerungen, die sie letzte Nacht hatte, als ihre Gedanken die beiden Männer im Dschungel begleiteten. Das Leben im Dorf war einiges komplizierter. Auch wenn sich die Bewohner theoretisch nur um die Beschaffung von Nahrung kümmern mussten, war das Leben im Dorf stark von Regeln bestimmt.

Von Freiheit war wenig zu spüren. Vielleicht hatten die Dorfältesten, zu einem bestimmten Grad die Freiheit des Alters. Sie hatten immer Recht, keiner wagte es, ihnen zu widersprechen. Als frei würde Olivia jedoch auch die Dorfältesten nicht bezeichnen, sie standen immer unter Beobachtung. Auch wenn keiner widersprechen würde, die Alten mussten sich so benehmen, wie man es von ihnen erwartete, sonst wäre das ganze Dorf unglücklich.

Olivia erinnert sich, dass sie mit den Ritualen und Zwängen im Dorf Mühe hatte. Dabei war natürlich ihre Sonderstellung ausschlaggebend. Als Fremde passte sie nicht in die seit Jahrhunderten entwickelte Überlebensstrategie des Dorfes und ihren Bewohnern. Keiner im Dorf wusste, wie sie mit ihr umgehen müssen. War es für die Sippe gut, wenn sie ihre Geheimnisse weitergaben, oder war Vorsicht angebracht? Konnten die Erkenntnisse, die sie später aus dem Dschungel in die Zivilisation mitnahm, der Sippe schade?

Deshalb fasste sie spontan einen Entschluss, sie wird die Erlebnisse, die sie im Dorf erlebte für sich behalten. Die bereits geschriebenen Seiten löschte sie aus dem PC. Sie wird ihre wissenschaftliche Arbeit auf die Pflanzenwelt und die Ernährung der Dorfbewohner begrenzen. Wie wirken sich mangelhafte und einseitige Ernährung auf die Gesundheit aus?

Nach dem Frühstück schreibt sie an ihrer Semesterarbeit. Endlich hat sie den Einstieg gefunden. Sie weiss jetzt schon, dass ihre Arbeit nicht sehr spektakulär ausfallen wird. Wenn man bedenkt, wie gross die Kosten ihrer Reise waren, wird ihr Professor von einer Fehlinvestition sprechen. Sie selber möchte auf ihre Erfahrungen im Dorf nicht verzichten. Sie betrachtet ihr Lebensinhalt aus einer neuen Sicht.

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