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Klimamoral
ОглавлениеWo sollen wir leben? Und wie? Und warum genau dort?
Der Klimawandel betrifft alle und alles, und er sorgt dafür, dass jeder noch so „unberührte“ Teil der Welt alles andere als unberührt bleibt. Der Autor und Umweltaktivist Bill McKibben rief bereits 1989 das „Ende der Natur“ („The End of Nature“) aus.12 Getrennt vom Menschen existierende Natur – an die sich der Mensch ungefragt anpasst, indem er sich ihr etwa im Stelzenhaus geradezu unterwirft – gibt es schon lange nicht mehr. Natur wird reguliert, kontrolliert, an den Menschen angepasst. Die Natur gänzlich den städtischen Betonwüsten unterzuordnen, ist der größte Einschnitt überhaupt.
Die einzige moralisch richtige Konsequenz also: am Land leben? Vielleicht. Am Land – und vom Land – zu leben, mag moralisch richtig sein. Allerdings tun das die wenigsten. Das mag auch vollkommen in Ordnung sein – Moral war noch nie ein Massenphänomen. Reine Theorie sollte die Moral natürlich auch nicht bleiben. Es geht hier nicht um den ambitionierten Asketen, der seine Tage am liebsten im Kloster verbringt. Es geht um Familie. Es geht um Alltag, um Arbeit, um Leben. Dabei ist klar, dass die wenigsten am Land auch vom Land leben. (Jene, die an den abgelegensten Orten wohnen, verlassen sich allzu oft auf die modernsten Technologien. Wenn das Telefonnetzwerk nicht reicht, braucht man schließlich das eigene Satellitentelefon.)
Doch auch die Stadt besteht den Klimamoraltest: Das Leben ist kompakt. Die Wohnungen und Büros sind verhältnismäßig klein. Die meisten Produkte und Waren werden zwar importiert – vom umliegenden Land oder von noch weiter her –, dafür spielt sich das tägliche Leben oft im 15-Minuten-Radius ab. Rad, Bahn, Bus und Fußwege dominieren die Mobilität, Autos gibt es weniger, im Privatleben oft gar keine.
Damit sind bereits wichtige Faktoren angedeutet: die Größe der Wohnfläche etwa, und wie effizient es jeweils ist, die städtischen 70 Quadratmeter verglichen mit den ländlichen 140 im Sommer zu kühlen und im Winter zu heizen. Alltagsmobilität und -konsum sind ebenso wichtig: Wer produziert und konsumiert was wie – und warum? Steigt der Konsum, weil es das Leben da wie dort verlangt? (Schließlich kommt man am Land nicht ohne Auto aus.) Oder ist dies vor allem mit gesellschaftlichen Normen und Erwartungen verbunden? (Vielleicht gäbe es einen besseren Weg, aber „das macht man eben hier so“: es „war immer schon so“.) Welche dieser Faktoren den entscheidenden Unterschied machen, werden wir in diesem Buch schrittweise eruieren.
So viel schon jetzt: Wenn ich „Stadt“ sage, dann meine ich es so: die Stadt. Nicht Suburbs, wo – ganz egal ob in Nordamerika, Europa oder anderswo auf der Welt – die wahren Klimasünder wohnen, mit großen Häusern, großen Autos, doppelt so viel CO2-Ausstoß wie überall anders.13
Suburbs sind also schlecht, Stadt und Land gut – Ende des Kapitels?
Nicht ganz. Denn zunächst wirft diese Diagnose mehr Fragen auf, als sie beantwortet: Suburbia als Klimasünder abzutun, ist das eine – aber was bedeutet es in Sachen Klimapolitik? Was kann ich persönlich beitragen, um die Situation zu verbessern? Was soll ich tun? Und die entscheidende Frage: Welche Faktoren machen den Unterschied?