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Von Stadt zu Stadt

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Wir nennen unsere Wohnung den Great Room. Für einen einzelnen Raum sind die Ausmaße beachtlich: Die Decke ist bis zu vier Meter hoch. Das Klavier ist elektronisch, die Kaffeemühle für die Zubereitung des Morgenkaffees, während die Kinder noch schlafen, funktioniert manuell. Meine Arbeit an diesem Buch (und jede andere konzentrierte Tätigkeit) verdanke ich den Audioingenieuren der Firma Sennheiser, deren geräuschreduzierende Kopfhörer ich zwei Straßen weiter gekauft habe.

Ansonsten ist hier alles „gleich um die Ecke“. Das Lebensmittelgeschäft: zwei Straßen in die eine Richtung. Das Schwimmbad: am Weg zum Lebensmittelgeschäft. Die öffentliche Bücherei: zwei Straßen in die andere Richtung, am Weg zu unserem Lieblingsbuchladen, der sich eine Straße weiter befindet. Ich sitze am Schreibtisch – dem einzigen Schreibtisch in unserer Wohnung, versteht sich – und kann aus dem Fenster gleichzeitig auf das katholische Eventzentrum von New York und auf die örtliche Abtreibungsklinik blicken: Die beiden teilen sich eine Außenwand. Über Effizienz und Diversität im Abstrakten zu referieren, ist das eine. Beide täglich zu leben, ist noch mal etwas ganz anderes.

Jede Stadt hat ihre Besonderheiten. New York ist in manchen Bereichen sicher einzigartig. Dennoch gilt: Stadt ist Stadt. New York hat etwa mit Berlin viel mehr gemeinsam als mit einer geografisch viel näher gelegenen Gemeinde oder Kleinstadt im ländlichen Bundesstaat New York. Dasselbe gilt für Berlin und Wien, verglichen mit jeder kleinen Gemeinde in Brandenburg oder im Burgenland. Stadt ist Stadt – fast egal, wo auf der Welt: Städte gleichen sich auf entscheidende Weise. Die jeweiligen ländlichen Regionen, die sie umgeben, tun es ebenso. Warum das so ist – und warum das für das Klima von enormer Bedeutung ist –, darum geht es in diesem Buch.


Ich kann mich noch gut an ein Gespräch mit meinem Opa erinnern, damals, im Garten in Amstetten. Es war den ganzen Tag über schon nebelig gewesen: Tiefdruck. In Peking, Delhi, Lagos, Mexiko-Stadt oder Los Angeles steigen die Ozonwerte bei solchen Wetterbedingungen in gefährliche Bereiche – Großstädte und ihre Verschmutzung.8 Plötzlich stank es auch hier. Nicht etwa nach Rauch und Ruß von der Heizung des Nachbarn. Viel stärker. Meine Augen begannen zu tränen.

„Oh ja, das ist die Vöest“, sagte Opa. Er meinte damit Österreichs größtes Stahlwerk, fünfzig Kilometer weiter westlich, im oberösterreichischen Linz, gelegen: „Die Vöest putzt ihre Hochöfen.“ Ob es wirklich die Vöest war oder vielleicht auch eine der vielen anderen Fabriken, die es in und rund um Amstetten – am „Land“ – gab, weiß ich zwar bis heute nicht. So viel aber zum oft geäußerten Vorurteil, dass nur Großstädte schmutzig, umwelt- und gesundheitsschädlich seien.

Andererseits kann ich mich auch noch gut an einen der vielen Sonntagsbesuche erinnern: Diesmal waren Cousins meines Vaters, die ihren eigenen Bauernhof bewirtschafteten, bei uns zu Gast. Plötzlich erstarrte der Großcousin, hielt ein paar Sekunden inne und sagte nur: „Bei euch in der Stadt ist es so ruhig. Bei uns am Land fährt immer irgendwo ein Auto vorbei.“

Stadt und Land sind eben auch relativ. Neben räumlicher Dichte und technischer Effizienz geht es vor allem um eines: die Lebenseinstellung.

Vor ein paar Jahren, als ich aus den Vereinigten Staaten wieder einmal auf Kurzbesuch zu meinen Eltern nach Österreich kam, habe ich zum ersten Mal in Amstetten ein Brompton-Faltrad gesichtet, am dortigen Bahnhof. Damals war ich selbst mit einem solchen Faltrad einmal wöchentlich zwischen Cambridge und New York unterwegs: mit dem Rad zur Bahn, nach der Zugfahrt wieder weiter per Rad. Von Stadt zu Stadt.

Für die Besitzerin dieses Faltrades ging die Fahrt von Amstetten nach Wien, zur Arbeit. Den Morgencappuccino hatte sie dabei, Laptop und geräuschreduzierende Kopfhörer ebenso. Ihre beiden kurzen Telefongespräche im Zug führte sie auf Deutsch und Englisch. Diese pendelnde Faltradfahrerin, Mitte dreißig, hätte leicht auch ich selbst sein können. Ich wusste nichts über ihre Wohnverhältnisse – ob Haus oder Wohnung, ob 48 oder 78 Quadratmeter oder doch mehr, und ob sie sich diese Quadratmeter mit jemandem teilte, mit Kindern, mit ihren Eltern oder sonst jemandem. Ich hatte keine Ahnung, ob sie mit den 70 Quadratmetern von meiner Familie und mir tauschen würde und ob sie vielleicht doch lieber direkt in Wien, in der Nähe des Arbeitsplatzes, leben würde – keine Ahnung also, ob sich die äußeren Symbole auch mit der Einstellung dieser Person deckten. Mein Stadtmensch-Radar schlug jedenfalls an.

Stadtmenschen finden sich überall und in den verschiedensten Situationen. Die Einstellung ist etwas Persönliches. Und sie ist flexibel – sie hängt von vielen externen Faktoren ab.

Menschen, die in Städten leben und arbeiten, gibt es viele, wie auch die Daten zur globalen Urbanisierung bestätigen. Doch wie viele davon sind Stadtmenschen? Die Frage nach dem Warum ist dabei oft entscheidend.

Stadt, Land, Klima

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