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Klimabuchhaltung

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All diese Fragen führen uns in die wundervolle Welt der Klimabuchhaltung. Meine Einführung in dieses Feld erhielt ich 1998, als 18-Jähriger, in meiner allerersten Woche an der Uni.

Manche Professorinnen und Professoren arbeiten allein: ein Block Papier, ein scharf gespitzter Bleistift, ein Computer, ein paar Ideen, die es zu verfeinern gilt. Theorie. Andere wiederum arbeiten am liebsten im Labor. Ideen sind auch dort die Grundlage – aber am Ende geht es darum, sie umzusetzen. Weiße Mäntel, Pipetten und mysteriöse Flüssigkeiten gibt es in den Labors der Ökonomen kaum. Für uns bedeutet Labor zumeist: eine große Gruppe an Studentinnen und Studenten, die an Datensätzen tüfteln. Je mehr Gehirnzellen und Schweißperlen sich rund um einen Datensatz versammeln, desto größer ist die Chance, dass am Ende etwas Revolutionäres herauskommt.

Auch Dale Jorgenson hatte so ein Labor. Der 1933 geborene Wirtschaftswissenschaftler hatte es schon seit Jahrzehnten betrieben, wie unter anderem die Türme von Magnetstreifen bewiesen, die neben meinem Schreibtisch aufgestapelt waren. In unserem Büro wurde gemunkelt, dass auf einem dieser Magnetstreifen der Prototyp für das Konzept des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts gespeichert war. Einer meiner zahlreichen Vorgänger im Labor hatte die ehrenvolle Aufgabe erhalten, alle Daten von diesen Magnetstreifen auf Disketten zu übertragen.

Jorgenson selbst hatte einst für Wassily Leontief gearbeitet. Dieser hatte 1973 für seine Input-Output-Analysen, welche ein wichtiger Bestandteil der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung sind, den Nobelpreis erhalten. Jorgenson ist viel mehr als „nur“ ein Buchhalter, doch Zahlen und Fakten sind sein Leben. Er ist politisch konservativ, aber nimmt dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – den Klimawandel seit jeher äußerst ernst. Seine Aufgabe für mich lautete: Bäume zählen.

Die amerikanische Akademie der Wissenschaften arbeitete damals an einer Studie zum Thema „Nature’s Numbers“ („Die Zahlen der Natur“).14 Der Anhang dieser Studie schlug vor, die Theorie anhand des denkbar einfachsten Beispiels in die Praxis umzusetzen, nämlich: die Baumbestände der Vereinigten Staaten in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung miteinzubeziehen.

Ich ging das Thema im Sommer 1999 an und ließ es erst 2002 wieder los, als ich meine Diplomarbeit abgab.15 Der unterhaltsamste Teil meiner Arbeit dazu war, fünfzig bundesstaatliche Forstverwaltungen anzuschreiben, deren oft noch per Schreibmaschine verfasste Berichte der letzten Jahrzehnte zu sammeln – und dann alle Werte in den Computer einzutippen. (Ja, meine College-Erfahrung war äußerst typisch: Meine Freundin Siri, mit der ich seit 2002 verheiratet bin, gab mir als allererstes Weihnachtsgeschenk ein 200-seitiges Kompendium der Vereinten Nationen zum Thema „Integrierte Umwelt- und volkswirtschaftliche Gesamtrechnung“.16)

Eine der Erkenntnisse meiner Diplomarbeit lautete: In Amerika wuchsen die Baumbestände in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Jahr für Jahr nach. Die Gründe dafür: Einerseits zogen mehr und mehr Amerikaner in die Städte, andererseits verlagerte sich die Landwirtschaft von kleinen Höfen im Nordosten des Landes auf riesige Betriebe im Mittleren Westen. Das führte zu massiver Aufforstung, vor allem im Nordosten des Landes.17

Doch meine noch wichtigere, viel grundlegendere Einsicht war: Nur das, was man beziffern kann, zählt auch. Dabei sind sowohl die praktischen Details – die Buchhaltung – als auch die graue Theorie entscheidend.


Ich bezifferte damals den Wert aller amerikanischen Bäume auf rund 100 Milliarden US-Dollar; in heutigen Dollar wäre das etwa doppelt so viel. Damit hatte ich aber ausschließlich den Wert des Holzes selbst berechnet.

Bäume haben freilich einen immanenten Wert, der weit über den rein kommerziellen Messwert des Holzes hinausgeht. Ein einziger Baum, auf den ich von meinem Fenster aus blicken kann, macht unsere Stadtwohnung deutlich lebenswerter: Das Haus wird dadurch insgesamt schöner, das Straßenbild angenehmer. Entsprechend positiv wirkt sich der Baum auf den Marktwert unserer Wohnung aus. Trotzdem wird diese Wertschöpfung in unseren offiziellen volkswirtschaftlichen Statistiken nicht dem Baum zugeschrieben.

Dann gibt es auch unzählige ökologische Funktionen von Bäumen, die meine rudimentären Berechnungen nicht miteinbezogen haben. Deren Wert lässt sich nur schwer beziffern: Ein Jahr vor meinem ersten Treffen mit Professor Jorgenson war eine prominente Studie in der Fachzeitschrift Nature erschienen, die den Wert aller weltweiten „Serviceleistungen“, die natürliche Ökosysteme für die Erde erbringen, auf durchschnittlich 33 Billionen (!) Dollar im Jahr bezifferte.18 Dieser Wert war beinahe doppelt so hoch wie das damalige globale jährliche Wirtschaftsaufkommen von 18 Billionen Dollar. (Beide wären auch in heutigen Dollar etwa doppelt so hoch.)

Die zentrale Botschaft dabei war: Natur ist wertvoll. Das ist sie – doch die Nature-Studie wurde von vielen Seiten zurecht herb kritisiert. Denn am Ende sind diese 33 Billionen Dollar immer noch eine äußerst grobe Unterschätzung der Unendlichkeit: Die Menschheit würde ganz ohne Bäume nicht überleben können. Der allerletzte Baum müsste demnach unendlich viel wert sein. Und was für den allerletzten Baum gilt, das gilt gleichermaßen für den letzten Tropfen sauberen Wassers, den letzten Grashalm, die letzte Biene.

Diese Logik mag makaber erscheinen, aber sie bringt das Wesentliche auf den Punkt: Bei der Ermittlung solcher Werte kann es nicht um den Gesamtwert gehen. Die wirkliche Frage ist jene nach dem marginalen Wert, also: Wie viel ist der erste gefällte Baum wert, nicht der letzte?

Im Rahmen meiner Diplomarbeit war es gerade noch in Ordnung, den Wert aller Bäume in einem einzelnen Land – selbst einem so großen wie den Vereinigten Staaten – zu berechnen. Doch den Wert aller Bäume weltweit zu berechnen, wäre absurd. Wir kennen ihn bereits: unendlich.

Dieselbe Logik deutet auch auf den entscheidenden Unterschied zwischen dem ersten Schritt in eine gewisse Richtung und dem durchschnittlichen Schritt hin: Wenn der allerletzte Baum unendlich viel wert ist, dann ist es streng genommen der durchschnittliche ebenso. Denn unendlich dividiert durch jede noch so große Zahl ist immer noch: unendlich. Die wichtigste Frage lautet daher: Wie viel ist der nächste Baum wert; der erste, der gefällt wird?

Von dieser Schlussfolgerung erzählte mir Professor Jorgenson im September 1998 in seinem Büro freilich nichts. Er verwies mich nur auf die Nature-Studie – und ließ mich Kritik und Logik alleine herausfinden. Ein guter Lehrer eben. Die gleichen Einsichten, die ich damals machen durfte, sind auch für uns hier unumgänglich.

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