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1 Klima Omas Stelzenhaus

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Der Stadtteil SoHo in New York – der Bezirk Soho in London: Die Namen der beiden Viertel mögen verschiedene Ursprünge haben. Doch ähnlicher könnten sich zwei großstädtische Nachbarschaften auf zwei verschiedenen Kontinenten kaum sein. Hier wie dort finden sich zahlreiche Theater, Restaurants, Kopfsteinpflaster. Es sind die urbanen Spielplätze der Reichen und Schönen und jener, die es noch werden wollen. Egal ob Berlin, Barcelona oder Basel: Jede größere Stadt hat eine solche Spielwiese.

Bengaluru, die Zehn-Millionen-Stadt im Süden Indiens, hat sie, Bangkok in Thailand ebenso. In Bangkok findet man sie mitunter entlang der Sukhumvit-Straße. Dort schwebt eine effiziente Einschienenbahn über den Verkehr hinweg. Es gibt Cafés, Millionen-Dollar-Wohnungen, Theater und Restaurants – Stadtleben eben: global, urban, teuer. Bangkoker Jungfamilien sind dort inzwischen rar: Die Aufstiegsorientierten, die gute Jobs, genug Geld und damit auch die Wahl haben, zieht es mittlerweile in die unzähligen auf dem Reißbrett entworfenen Suburbs.

Und dann gibt es noch die ländlichen Gegenden Thailands. Dort zieht es kaum jemanden hin – außer vielleicht nach dem Erwerbsleben, in der Pension. Vier Stunden nordöstlich von Bangkok liegt Phimai. Manche Rucksacktouristen kommen hier vorbei, um die historischen Ruinen zu erkunden. Diese sind zwar nicht so bedeutend wie die Tempelanlage Angkor Wat im benachbarten Kambodscha, aber ein Wat, ein buddhistischer Tempel, sind sie allemal.

Fünf Gehminuten vom historischen Tempel entfernt wohnt meine Oma. Also die andere Oma, jene meiner Frau Siri. Wir nennen sie (Yai). Sie ist alt und der Ort klein genug, dass sie in der unmittelbaren Umgebung noch unter ihrem Mädchennamen bekannt ist: Yu Phimai – „die in Phimai Ansässige“. Vor achtzig Jahren war sie die lokale Schönheitskönigin; mittlerweile ist sie über hundert Jahre alt. Lesen und Schreiben lernte sie nie – Schule hätte nur von der Arbeit am Reisfeld abgelenkt. Das Foto von der Abschlusszeremonie ihrer Enkelin Siri an der Harvard University hängt in ihrem eigenen Great Room.

Omas Haus ist alt genug, dass es auf Stelzen steht – mit einem Kanu, das an den Stiegen angebunden auf seinen Einsatz wartet. Das darunterliegende Land wird seit jeher einmal jährlich überflutet. Die Oma kann nur herzlich über die Nachbarhäuser lachen, deren Erdgeschosse jährlich unter Wasser stehen: Warum sollte man sich so ein Haus bauen? Warum nicht mit der Natur, mit dem Klima leben?

Die Fluten sind in den letzten Jahren unberechenbarer, gefährlicher geworden. Und heißer ist es mittlerweile auch. Heiß war es in Thailand schon immer. Aber früher reichte meist die allabendliche Brise zur Abkühlung. Mittlerweile verfügt Omas Haus sowohl über einen Kühlschrank als auch über eine vom Arzt verordnete Klimaanlage.


Natur und Klima bedeuten in der Stadt etwas gänzlich anderes als am Land. Einerseits ist das Leben in der Stadt von den täglichen Launen der Natur deutlich stärker abgeschirmt: Zwei der Dachfenster unserer Wohnung in New York öffnen sich automatisch, wenn der CO2-Gehalt im Innenraum zu hoch steigt. Sie schließen sich automatisch, wenn es zu regnen beginnt. Bei hohem CO2-Gehalt drinnen und Regen draußen vibriert das Handy: „Fenster öffnen.“

Andererseits sind durch den Klimawandel ganze Städte in existenzieller Gefahr. Die jährliche Flut im ländlichen Phimai ist eine Sache – die Vororte der Millionenmetropole Bangkok befinden sich da schon in einer gänzlich anderen Lage. Dort hat zwar selbstverständlich jedes Haus eine Klimaanlage; eine Garage fürs Auto ohnehin. Auf Stelzen baut dort jedoch niemand. Eine Überflutung in Teilen Bangkoks legt wiederum die thailändische Wirtschaft und wichtige Teile der globalen Autozulieferkette und somit die Produktion von Benzinfressern am anderen Ende der Welt lahm. (Klimaschutzironie ist eine ganz eigene Kunstform.)

Rapide ansteigende Meeresspiegel bedeuten für viele Küstenstädte auf der ganzen Erde nichts Gutes. Ein paar einzelne Häuser umzusiedeln, ist schon schwer genug. Doch Städte wie Bangkok oder auch New York auf höherem Niveau wiederaufzubauen, wäre noch mal ein gänzlich anderes Vorhaben. Natürlich wäre New York – oder noch viel dringender etwa Bangkok, Manila oder Miami – nicht die erste Stadt, die die Menschheit aufgrund von Klimawandel aufgeben müsste. Uruk etwa, im heutigen Irak gelegen, hatte vor ungefähr 5000 Jahren über 40.000 Bewohner und war damit die größte Stadt der Welt. Heute ist sie eine archäologische Ausgrabungsstätte in der Wüste.9 Die Launen von Natur und Mensch sorgten dafür.

Ein großer Unterschied zur heutigen Situation ist freilich der Faktor Zeit: Der Fall von Uruk zog sich über 3000 Jahre hinweg. Viele Teile Bangkoks, Manilas oder Miamis haben hingegen keine hundert Jahre mehr.10 Der zweite große Unterschied: Eigentlich wissen wir all das schon jetzt. Ungewissheiten gibt es zwar genug, doch selbst die optimistischsten Prognosen sind schlimm genug.

Dabei geht es mittlerweile nicht mehr „nur“ um Prognosen. New York etwa gehört seit Kurzem nicht mehr zur Kontinentalklimazone, sondern zur humiden subtropischen. Das bedeutet: wärmere Winter, heißere Sommer – mit sintflutartigen nachmittäglichen Wolkenbrüchen.11 Sowohl Hitzetage als auch Tropennächte nehmen auch in Berlin von Jahr zu Jahr zu. Es ist abzusehen, dass das, was wir heute als „Mittelmeerklima“ bezeichnen, künftig in Norddeutschland Normalität sein wird. Dabei ist am Klimawandel eigentlich nichts „normal“.

Trotzdem wird mehr und mehr gebaut, überall – meist ohne Stelzen. Banken und Versicherungsgesellschaften beziehen Prognosen hinsichtlich der steigenden Meeresspiegel und immer stärkeren Überflutungen inzwischen zusehends in ihre Entscheidungen ein. Ein Baukredit mit dreißig Jahren Laufzeit bedeutet, dass der Bank noch bis Mitte des Jahrhunderts Teile des Hauses gehören werden. Banken und Versicherungen werden als eine der Ersten zu spüren bekommen, wenn die hundertjährige Überschwemmung alle paar Jahre auftritt. Versicherungsprämien schnellen entsprechend in die Höhe – oder die Versicherungspolice wird in gewissen Gegenden einfach gar nicht mehr angeboten.

Dennoch subventioniert staatliche Politik solche Bauten an gefährdeten Standorten oft immer noch. Das gilt für Überflutungszonen von Donau und Elbe ebenso wie für Küstenstädte von Bangkok bis Miami und New York.

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