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J. Roßwein Bader und Barbier

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Mit dem Zusatz noch: „Hier werden Haare geschnitten“; weiter nichts, und wer zu ihm in den „shop“ trat, den bediente er mit der größten Gewissenhaftigkeit selber und machte, da er mäßige Preise nahm, auch ganz gute Geschäfte. Grob nur wurde er, wenn jemand Patent-Medizinen, mit denen die Vereinigten Staaten ja überschwemmt sind, bei ihm suchte oder ihm gar sein Erstaunen aussprach, dass e r sie, „als Doktor“ nicht führe.35

„Wenn Sie angeschmiert sein wollen“, rief er dann häufig, „so gehen Sie hinüber in die Grocery zu dem Gewürzkrämer, d e r hat den Schund in Masse und verkauft Ihnen, was Sie in einer anständigen Apotheke für fünf Cents bekommen können, hübsch eingepackt, für ein oder zwei Dollars – aber m i c h lassen Sie ungeschoren.“

Übrigens war er aller Orten als ein braver, rechtschaffener Mann bekannt und hatte in Donnersville auch wirklich nur einen, und selbst den auf wunderbare Art erworbenen Feind, und zwar den einzigen „Adligen“ im ganzen Ort.

Freiherr von Passedow – wie er sich stets selber nannte – der, Gott weiß aus welchem Grunde, in dieses Städtchen gekommen war und auch gar keinen ersichtlichen Broterwerb hatte, lebte dort mit einer erwachsenen Tochter und einer halbblinden Wirtschafterin, und ließ sich von Jacob Roßwein jeden Tag rasieren, und das hatte ihn schon nicht wenig geärgert, dass der Barbier nicht zu ihm ins Haus kam, sondern er zu ihm hinübergehen musste. Allerdings wohnten sie einander gegenüber und es konnte für keinen eine Unbequemlichkeit genannt werden; Roßwein erklärte aber, wenn er einen seiner Kunden im Hause rasiere, so könne er es auch keinem anderen abschlagen und dann verliefe er sich mit der „lumpigen Kundschaft“ den halben Tag.

Das war der a n g e b l i c h e Grund des Barbiers, in der Tat aber ging er nur nicht zu ihm hinüber, weil er ihn als einen adelsstolzen Narren kannte. Irgendeinen anderen armen Teufel würde er mit Vergnügen aufgesucht haben, und tat es auch dann und wann unter der Hand, aber der „Freiherr“ durfte nichts vor Anderen voraus haben und musste deshalb, wenn er sich nicht selber rasieren wollte, zu ihm herüberkommen.

Roßwein hatte nun beim Rasieren eine außerordentlich leichte und sichere Hand, aber eines Tages – wie es gekommen, wusste er selber nicht – schnitt er den Freiherrn, worüber dieser so wütend wurde, dass er ihn einen E s e l nannte. Was war auch dabei; seinen Barbier in Deutschland hatte er fast jeden Morgen so genannt. Roßwein aber verstand die Sache falsch.

Er war gerade in diesem Moment mit der einen Gesichtshälfte des Barons fertig geworden, hörte aber kaum das Wort, als er sein Messer ruhig abwischte, dem Freiherrn, dann, der ihn erstaunt betrachtete, den Stuhl mit so plötzlicher Gewalt fortzog, dass sich dieser mitten in der Stube auf die Erde setzte, und dem empört Aufspringenden erklärte, er möge sich rasieren lassen, von wem er wolle, wenn er i h m aber noch einmal ins Haus käme, stecke er ihn zum Fenster wieder hinaus.

Das war für den Freiherrn von Passedow ein wenig zu viel. Fordern konnte er, seiner Meinung nach, seinen Barbier nicht, denn er hielt ihn nicht für satisfactionsfähig, aber mit halb rasiertem und halb eingeseiftem, außerdem blutendem Gesicht eilte er über die Straße seiner eigenen Wohnung zu, und von dem Augenblick an hatte er einen grimmigen Hass auf den „Bader“ geworfen, dem dieser aber mit der größten Gemütsruhe begegnete. Was lag i h m an dem Freiherrn von Passedow oder irgend einem anderen Freiherrn der ganzen Welt?

Desto lieber besuchte er aber das Donner’sche Haus, und niemand war lieber dort gesehen als er, denn die Kinder besonders jubelten jedes Mal, wenn er ihre Schwelle überschritt. Wenn es aber auch irgendjemand verstand, ihnen neue und überraschende Spielsachen zu bereiten, so war er es. Bald schnitt er ihnen aus Knotenpappe alle möglichen Gerätschaften: Schlitten, Wagen, Stühle, Tische und Figuren, aus, bald machte er den Mädchen Puppen aus Corncobs36 und Hülsen, mit aus Rüben geschnitzten Gesichtern, bald den Jungen Steckenpferde, Pfeile und Bogen und tausend andere derartige Dinge, und „Onkel Roßwein“ war die beliebteste Persönlichkeit auf Donners Farm.

Georg Donner hatte sich eine allerdings sehr bunt gemischte, aber doch nur passende Gesellschaft eingeladen, damit aber auch eine Harmonie in den verschiedenen Persönlichkeiten hergestellt, die die Gesellschaft zu einer allen Seiten genügenden machte.

Es ist recht schön und gut, wenn wir sagen: Jeder Mensch hat die nämlichen Anrechte – wir sind alle gleich vor Gott und dem Gesetz, und niemand darf sich besser dünken als sein Nebenmann. Im Prinzip wird jeder billig denkende und vernünftige Mann das anerkennen; damit ist aber nicht gesagt, dass wir mit jedem solchen auch einen innigeren und freundschaftlichen Verkehr halten sollen. Es ist im Leben so wenig eine Güter- wie Geistesgemeinschaft möglich; wir alle, vom Tagelöhner hinauf bis zum regierenden Fürsten, suchen uns die Gesellschaft, in der wir uns wohl fühlen. Wir brauchen die andere deshalb nicht zu verachten, aber wir befinden uns in derselben nicht behaglich, nicht in unserer Sphäre, und vermeiden sie deshalb oder suchen sie wenigstens nicht auf.

Der Bauer verkehrt am liebsten mit dem Bauer, schon weil sie gemeinschaftliche Interessen haben, über die sie sich miteinander aussprechen können; der mehr gebildete Mann will sich nicht den ganzen Abend über Düngmittel, Aussaat und Vieh unterhalten. Der Handwerker weiß nichts von den neuesten Erscheinungen der Literatur oder Kunst und interessiert sich nicht dafür; der Schauspieler lebt ausschließlich in seinem Beruf und teilt das Menschengeschlecht nur in Kollegen, Publikum und Rezensenten, – der Adel spricht am liebsten vom Theater und Ballet, von Pferden, Ordensverleihungen und Soiréen, wer da also nicht auf seine Ideen eingehen kann, ist ihm kein willkommener Gesellschafter, ohne dass er deshalb geringschätzig über ihn zu denken braucht. Ich mag einen Mann aus voller Seele achten, aber unsere Interessen laufen nebeneinander hin ohne sich zu berühren, und wir empfinden gegenseitig – wenigstens hier in unseren geregelten Verhältnissen; keinen ausreichenden Stoff zu längerer Mitteilung.

Scheinbar anders ist das in Amerika, aber auch nur scheinbar, denn in Wirklichkeit verhält es sich dort genauso wie hier bei uns. Dort kommen wohl alle Stände ohne Unterschied zu geselligem Verkehr zusammen; sehen wir uns aber die Leute an, durch welche sie vertreten werden, so finden wir doch immer wieder genau das Nämliche wie bei uns. Handwerker und Tagelöhner, Doktoren, Advokaten, Theologen finden sich allerdings oft an ein und demselben Tisch und plaudern gesellig durcheinander; aber die Leute, die hier oft die gröbsten Arbeiten verrichten, waren daheim nicht dafür erzogen. Mit der nötigen Bildung wohl versehen, aber sonst unpraktisch oder mittellos, konnten sie in Deutschland sich nicht so am Leben erhalten, wie sie es gewöhnt waren. Sie wanderten also aus und mussten sich eine neue Bahn suchen – aber ihren alten Gesellschaftskreis behielten sie trotzdem bei. „Arbeit schändet nicht“ – das ist das Zauberwort, was dort alle Kreise vereinigt, und wo sich ein Mann anständig und makellos betrug, da konnte er, und ob er am Tage die Straße fegte und nur mit seiner Erziehung in eine bessere Gesellschaft passte – Zutritt zu allen finden und war willkommen, wo er sich nur zeigte.

Und wie das bei dem herrlichen und warmen Wetter in dem Garten lebte und webte, und Marie Donner, die immer noch sehr jugendliche Frau, dazwischen herumwirtschaftete, und eine ganze Kinderschar, zahlreich fast wie eine losgelassene Schule, da viele der Gäste ihre Kleinen ebenfalls mitgebracht hatten, auf dem besonders für ihre Spiele bestimmten Rasenplatz umherhetzten und vor lauter Lust und Übermut jauchzten und jubelten!

Das Essen war vorüber; im Garten tummelten sich die Gäste herum, aber auf der Veranda des Hauses stand eine Gruppe in Glück und Seligkeit und schaute auf das Treiben da unten mit lächelnden Blicken, aber doch tränenfeuchten Augen nieder.

Es war Georg Donner, den Vater an der Seite, der den Arm über seine Schulter legte, während er selbst die dicht an ihn geschmiegte Mutter fest und innig umschlungen hielt; und indes die Kinder da unten tollten und jubelten, hatte er die Mutter an sich gepresst und ihre Stirn küssend, flüsterte er ihr zu:

„Oh, wenn Du wüsstest, Mutter, wie glücklich ich jetzt bin!“

„Mein Georg – mein guter Georg“, sagte da der Vater, während sich die Mutter mit tränenüberströmten Antlitz an den Sohn schmiegte. „Gott sei gelobt und gedankt, dass er uns hier wieder zusammen geführt, um uns seiner Gaben und Güte zu freuen. Wenn auch nicht in der alten, liebgewonnenen Heimat, blüht doch hier ein neues Leben für uns auf in den Kindern.“

„Und wir sehen die alte Heimat wieder, Vater“, rief da Georg bewegt. „Noch haben wir Jahre des Schaffens und Wirkens vor uns und unsere Freude daran, denn nur in der Tätigkeit bewährt sich der Mann. Wenn wir aber erst einmal unser Ziel erreicht und einer sorgenfreien Zukunft entgegensehen können, dann kehren wir in die alte, liebe Heimat zurück und zehren in der Erinnerung an der früheren, eben durch ihre Entbehrungen und Sorgen liebgewonnenen Zeit.“

„Und die Kinder?“ sagte die Mutter zweifelnd. „Werden sie Amerika verlassen wollen? Ist es nicht ihnen in der Zeit das geworden, was uns Deutschland geblieben?“

„Sorg’ Dich nicht um das Mutter“, sagte Georg herzlich, „jetzt gehen wir noch frohen, fröhlichen Jahren entgegen, und für die Zukunft wird der liebe Gott sorgen. Uns ist ja doch nur der heutige Tag gegeben und nicht über eine Stunde weiter können wir bestimmen, ja kaum für den – den aber wollen wir genießen und nicht traurige und trübe Bilder im vollen, warmen Sonnenschein heraufbeschwören. Sieh, wie die Kinder sich da unten ihres Lebens freuen – sieh, wie sie lachen und jubeln; und wie wir hier, im reiferen Alter, das Bewusstsein eines erworbenen Besitzes haben, ebenso blüht auch ihnen in dem großen freien Land eine schöne und fröhliche Zukunft auf.“

Unten mit den Kindern, und sie gewissermaßen überwachend, spielte auch Katharina, Pastor Donners jüngstes Töchterchen, jetzt aber zu einer stattlichen Jungfrau herangewachsen und das – wenn man so sagen will; veredelte Bild ihres Bruders Georg; und ein reizenderes Bild hätte man sich nicht denken können, als das junge, wirklich bildschöne, lebensfrische Mädchen, wie es da mütterlich unter den Kindern waltete, die zu wilden einzügelte, die Kleinen vor Unfällen bewahrte und dabei von allen miteinander „Tante“ genannt wurde.

An der Gartenpforte stand eine schlanke, wettergebräunte Gestalt, ein noch jugendlicher Mann von höchstens dreißig bis zweiunddreißig Jahren, einen Panamahut auf und sonst wohl leicht, aber auch sehr elegant gekleidet, selbst mit Glacéhandschuhen, die man hier selten genug zu sehen bekam. Der junge Fremde hatte die Tür wohl geöffnet, aber den Garten noch nicht betreten, denn vor ihm hin tobte und jubelte die muntere Schar, und mit der Jungfrau dazwischen war es ein so entzückender Anblick, dass er sich scheute, die seiner noch gar nicht achtende Gruppe zu stören, und ihr lächelnd eine ganze Weile zuschaute. Da hetzten sich ein paar Knaben bis dicht an ihn heran, so dass der eine fast gegen ihn anrannte, ihn aber kaum erblickte, als er auch scheu davon lief und dadurch den Alarm gab, nach dem sich auch die Übrigen ihm zuwandten.

Katharina blickte erstaunt nach ihm hinüber, der Fremde aber, der nun doch wohl einsah, dass er kein stiller Zeuge der so lebensfrohen Gruppen mehr sein konnte, lüftete artig gegen die junge Dame den Hut und frug, auf sie zutretend, ob er sich hier auf der Farm eines Herrn Georg Donner befinde, mit dem er in früheren Zeiten einmal zusammen – wie er lächelnd hinzusetzte – „eine Reise gemacht habe.“

„Georg Donner ist mein Bruder“, sagte das junge Mädchen errötend, „er steht dort oben auf der Veranda – soll ich ihn rufen?“

Der Fremde warf einen Blick hinauf. „Das ist der Rechte“, nickte er vergnügt mit dem Kopf, „nein, bitte, mein Fräulein, lassen Sie sich nicht stören, ich werde ihn selber aufsuchen und sehen, ob er mich noch kennt.“ Und seinen Hut wieder aufsetzend, damit man von oben aus sein Gesicht nicht erkennen konnte, schritt er direkt dem Hause zu, in dem er gleich darauf verschwand.

Georg hatte ihn von oben aus bemerkt, aber nicht weiter auf ihn geachtet. Es kamen so viele Fremde, teils in Geschäften, teils mit Anfragen zu ihm, dass er sie unmöglich alle kennen konnte, er war aber fest entschlossen, heute, an diesem doppelten Feiertag, nichts Geschäftliches zu erledigen. Wer etwas von ihm wollte, konnte morgen wieder kommen, oder – es ganz bleiben lassen. Befremdet sah er aber auf, als der junge Fremde, der ganz ungeniert durch die Zimmer schritt, jetzt zu ihm, mit dem Hut noch auf dem Kopf, auf die Veranda heraustrat und mit untergeschlagenen Armen, aber lächelndem Blick vor ihm stehen blieb.

Georg sah ihn etwas überrascht und forschend an. Es lag etwas in dem Gesicht, das alte Erinnerungen in ihm weckte; er hatte diese Züge schon einmal gesehen, aber wo? Wann? Er verfiel nicht gleich darauf.

„Kennen Sie mich nicht mehr, Donner?“, lächelte der Fremde. „Es ist allerdings schon eine Reihe von Jahren, dass wir uns nicht gesehen, aber sollten Sie die Backwoods Queen und unser ‚Geschäft’ an Bord vergessen haben?“

„Wolf! Bei allem, was lebt!“, rief Georg auf ihn zuspringend, und seine Hand ergreifend und herzlich schüttelnd. „Wolf! Wo kommen Sie jetzt her und was treiben Sie, aber vor allem tausend und tausend Mal willkommen in meinem Haus.“

„Mein lieber Donner“, sagte der junge Fremde mit fast bewegter Stimme, „ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich mich freue, Sie hier gefunden zu haben; weckt doch Ihr Bild, Ihre Stimme wieder eine ganze Fülle von Erinnerungen und mitsammen verlebte Szenen in meinem Herzen. Sie scheinen sich übrigens“, setzte er lächelnd hinzu, als er sich dabei in den wohnlichen Räumen umschaute, „in Ihren Verhältnissen, seit wir uns zum letzten Mal gesehen, wesentlich verbessert zu haben, wie? Sie benutzen wohl jetzt mehr die Feder als die Schürstange?“

„Wahrhaftig ja, Wolf“, rief Georg, „aber alle Wetter“, unterbrach er sich rasch selber, „ich nenne Sie noch immer, wie damals vor den glühenden Kesseln der Backwoods Queen, Wolf, seien Sie mir nicht böse, Herr Graf.“

„Halt!“, rief ihm aber der junge Mann rasch entgegen. „Kein Wort weiter; wer so wacker, wie wir beiden, unter demselben Kessel gefeuert und die Glut geschürt hat, bis wir das alte Ding in die Luft bliesen, der darf den anderen nicht mit Titeln ärgern. Ich weiß, dass Sie Arzt sind, aber das Wort ‚Doktor’ brächte ich deshalb doch nicht über die Lippen, denn das klänge mir zu fremd – Wolf und Georg haben wir uns damals genannt, und dabei bleibt’s, so lange wir uns im Leben treffen und uns schreiben.“

Die beiden jungen Männer schüttelten sich die Hände, und Georg stellte jetzt seinen alten Freund, aber unter seinem alten Titel, „den Grafen Wolf vom Berge“, vor, mit dem er vor langen Jahren als Feuermann auf einem Dampfer, dessen Kessel nachher geplatzt seien, gearbeitet habe, und Wolf war, mit seinem offenen, heiteren Wesen, bald und rasch mit allen befreundet, selbst mit den Kindern, die jetzt unter Katharinens Leitung heraufkamen, um ihren Kaffee zu trinken. Es dauerte auch nicht lange, so schien es allen, als ob sie ihn seit Jahren schon gekannt und ihn nicht vor kaum erst einer Stunde zum ersten Mal gesehen hätten.

Erst gegen Abend kam er dazu, mit Georg eine halbe Stunde ungestört zu plaudern. Georg nahm selber seinen Arm, und ihn hinunter in den Garten führend, schritten die beiden Männer jetzt Arm in Arm durch die lauschigen, mit frischem, duftendem Grün bedeckten Gänge, und Georg musste dann vor allen Dingen erzählen, wie es ihm gegangen. Er tat das mit lebendigen Worten; seine erste schwere Zeit hatte ja Wolf selber mit durchgekostet, dann begünstigte ihn das Glück, er heiratete sein jetziges liebes Weib, seine Verhältnisse besserten sich und schritten vorwärts, bis der Krieg ausbrach. Er selber ging da im zweiten Jahr bei einem Indiana-Regiment als Arzt mit, wurde aber vor acht Monaten verwundet und kehrte nach Hause zurück.37 Sein linkes Bein behielt indes eine Schwäche, dass er keinen längeren Marsch mehr aushalten konnte, und er musste, sehr zur Zufriedenheit seiner Frau, zu Hause bleiben. Nun war der Krieg glücklich und siegreich beendet, und sie durften einer frohen und glücklichen Zukunft entgegensehen.


Wolfs Schilderung seines bisherigen Lebens klang etwas romantischer. „Sie wissen, Georg“, sagte er, „dass ich damals, als wir Abschied voneinander nahmen, schon den Plan gefasst hatte, die schwere Arbeit aufzugeben und mich auf irgendeine Spekulation zu werfen. Es ist das wenigstens das Einzige, womit man es hier in Amerika rasch zu etwas bringen kann, und viel Geduld habe ich nie gehabt. Als leidenschaftlicher Jäger warf ich mich, als mir das am meisten zusagende Geschäft, auf den Pelzhandel, denn mit der Jagd selber ist verwünscht wenig zu verdienen. Wo es viel Wild gibt, hat es keinen Wert, wo es selten ist, lohnt es der Mühe nicht, ihm nachzulaufen. Vortreffliche Geschäfte machte ich aber im Nordwesten, im oberen Teil von Missouri, Kansas und Arkansas. Ich kaufte die Felle und Pelze von den Indianern zu mäßigen Preisen, schaffte sie dann nach St. Louis, und dehnte meine Tätigkeit sogar bis in die Felsengebirge aus, von woher ich zwei wertvolle Ladungen an Biberfellen brachte. Aber ich ließ mich von da ab nicht mehr darauf ein, sie hier zu verkaufen, sondern schickte sie hinüber nach Deutschland. Hier hatte ich einmal Unglück; ein Geschäftshaus, mit dem ich mich ein wenig stark eingelassen, machte Bankrott. Dem Geschäft selber schadete das allerdings nicht, denn die Schufte wurden reich dabei, aber ich bekam fünf Prozent herausgezahlt und wurde dadurch natürlich so viele Jahre länger hier zurückgehalten.“

„Sagten Sie mir nicht damals – und es sind lange Jahre darüber verflossen – dass Sie eine Braut in Deutschland hätten und nur deshalb so hart arbeiteten, um sich selbständig und nicht von Ihrem Vater abhängig einen Hausstand zu gründen?“

„Sie haben ein gutes Gedächtnis, Georg“, nickte ihm Wolf lächelnd zu, „es war und ist so, und schon vor Jahren hätte ich vielleicht das langersehnte Glück gewinnen können; als aber der Krieg ausbrach, wollte ich den Staaten, die ich mir zu meiner künftigen Heimat auserwählt, nicht meinen Arm entziehen. Das Volk arbeitete daran, seine Unabhängigkeit zu sichern und den Fluch der Sklaverei wegzufegen und da durfte ich nicht fehlen.“

„Sie haben den Krieg mitgemacht?“

„Zwei und ein halb Jahr. Im Anfang hatte ich gar nichts davon gehört, denn ich stak bei einem Stamm der Blackfeet weit oben in den Felsengebirgen.“38

„Und jetzt wollen Sie heimwärts?“

„Direkt, Georg!“ rief Wolf mit leuchtenden Augen. „So rasch mich der Dampfer, der von New Orleans am Zehnten nächsten Monats hinüber nach Europa geht, dorthin bringen kann.“

„Und wie haben Sie mich hier aufgefunden?“

„Auf die zufälligste Weise von der Welt. Ich war in Cincinnati, um einige Geschäfte zu regeln, und saß beim Table d’hote dort zwei Tage lang neben einem Deutschen, einem ganz prächtigen Mann, mit dem ich ins Gespräch kam und bekannt wurde. Am zweiten Tage trifft mich da zufällig der damalige zweite Buchhalter der alten Backwoods Queen, ebenfalls ein Deutscher, erinnern Sie sich noch des kleinen, buckligen Menschen, der uns immer Vorschuss gab, wenn wir etwas brauchten?“

„Gewiss!“, rief Georg schnell. „Er hieß, wenn ich nicht irre, Lorenz.“

„Ganz recht – derselbe. Er setzte sich zu mir, und selbstverständlich lenkte ich unser Gespräch sofort auf unser früheres Beisammenleben an Bord. Wir gedachten des armen Berger39, der damals verunglückte, und natürlich auch Ihrer, und ich äußerte, dass ich viel darum geben würde, Ihnen noch einmal im Leben zu begegnen. Da frug mein Nachbar, der Ihren Namen gehört, ob Sie eines Pastors Sohn und schon längere Zeit in Amerika wären, was ich ihm beides bestätigen konnte. Dann bin ich im Stande, Ihnen den Aufenthaltsort des Herrn zu nennen, sagte er freundlich, und zwar finden Sie ihn auf Ihrem Weg nach New Orleans, gar nicht so weit von hier entfernt und ziemlich dicht am Ohio. Ich habe sogar erst heute einen Brief an seine Frau, als Einlage, von Deutschland bekommen.“

„Einen Brief an meine Frau?“, rief Georg erstaunt.

„Und jetzt hätte ich ihn heilig vergessen, abzugeben, wenn wir nicht zufällig darauf gekommen wären!“, rief Wolf, indem er hastig in seine Brusttasche griff und das zierlich gefaltete Schreiben herausholte. „Wie ich aber nur hörte, dass Sie so ganz in der Nähe wohnten, erklärte ich bestimmt, Sie direkt am nächsten Tage aufzusuchen, und er bat mich dann, den Brief hier an Sie zu bestellen.“

„Und von wem ist der Brief?“

„Von Frau von Hopfgarten.“

„Ja, wahrhaftig, das ist ihre Handschrift“, rief Georg rasch, „und wie hieß der Herr, kenne ich ihn oder kennt er mich?“

„Das weiß ich nicht“, sagte Wolf, „aber vermutlich doch. Grüße hat er mir allerdings nicht aufgetragen. Sein Name ist Fortmann.“

„Fortmann? Fortmann?“, wiederholte Georg, ein paar Mal nachdenkend. „Ich selber kenne keinen Fortmann, so viel ich mich erinnern kann, und doch ist es mir so, als ob ich den Namen schon öfter gehört hätte. Fortmann – wie einem manchmal so etwas im Gedächtnis liegt, ohne dass man im Stande ist, einen festen Halt davon zu bekommen. Man sieht es, wie durch den halbdichten Wipfel eines Baumes, in unbestimmten Umrissen und kann trotzdem dem Dinge keine Gestalt und Form geben.“

„Es ist dasselbe“, meinte Wolf, „wenn man sich manchmal auf einen ganz bekannten Namen besinnt und kann ihn nicht finden. In unserem Hirn hat sich irgendeine Schicht über diese Erinnerung gerade geschoben, und zufällig kommen wir dann vielleicht erst später darauf – übrigens ist dieser Fortmann, wie er mir im Gespräche erzählte, Friedensrichter in Covington, einer kleinen Stadt, die Cincinnati gerade gegenüber auf dem Kentucky-Ufer liegt, und ich bin ihm unendlich dankbar dafür, mich auf Ihre Spur geführt zu haben. Ich weiß gar nicht, wie es mich geschmerzt haben würde, wenn ich später vielleicht einmal erfahren hätte, dass wir so nahe beieinander gewesen und uns doch nicht gefunden.“

„Aber dann bleiben Sie jetzt auch wenigstens so lange bei uns, als es irgend Ihre Zeit erlaubt.“

„Die wird knapp gemessen sein“, sagte Wolf achselzuckend. „Sie wissen so gut wie ich, was alles an Bord eines Dampfers und mit einem solchen unterwegs geschehen kann, aber es fährt sich bequemer als auf der Bahn, nur d e r Gefahr darf ich mich nicht aussetzen, meinen Anschluss zu versäumen.“

„Also Ihre Braut weiß, dass Sie kommen?“

„Ich hoffe es“, sagte Wolf, und ein leiser Schatten flog über seine sonst so offenen Züge. „Aber seit Jahren schon habe ich keinen Brief von daheim, obgleich ich selber immer fleißig geschrieben.“

„Keinen Brief?“, sagte Georg erstaunt.

„Nein“, erwiderte Wolf kopfschüttelnd. „Doch Du lieber Gott, wie habe ich mich auch in der Zeit umhergetrieben. Ich konnte ihnen ja gar keine bestimmte Adresse angeben und hatte nur noch gehofft, in Cincinnati poste restante40 Briefe anzutreffen – umsonst. Ob sie verloren gegangen sind? – Es sollen zwei Dampfer in dem Jahre gescheitert sein – ob sie von der Blockade41 nicht durchgelassen wurden, ich weiß es nicht, will mir aber jetzt meine Antwort selber holen, und das ist jedenfalls das Sicherste. Georg, mir will das Herz vor Freude in der Brust zerspringen, wenn ich mir den Moment ausmale, wo ich wieder zum ersten Mal zu ihr in die Stube trete.“

„Es sind lange Jahre darüber hingegangen, Wolf“, sagte Georg, bedenklich mit dem Kopf schüttelnd.

„Bah, was tun die Jahre“, lachte Wolf, „wir waren damals beide überdies zu jung, sie noch nicht einmal sechszehn, ich zweiundzwanzig; das tut selten gut. Nun haben wir beide unsere Prüfungszeit bestanden, und ich bin meines Glückes sicher.“

Ihr Gespräch wurde hier gestört, denn die Familie wollte ebenso wenig Georg wie den jungen Fremden so lange entbehren. Dass er außerdem bei ihnen übernachtete, verstand sich ja doch von selbst.

Georg arbeitete indes, wie uns da ja sehr häufig so geht, der gehörte Name im Kopf herum. Während Marie, glücklich über den Brief, für kurze Zeit hinunter in ihr Zimmer eilte, um ihn rasch zu lesen – denn uneröffnet hätte sie ihn kaum zehn Minuten in der Tasche mit herumtragen können – schritt er nachdenkend mit untergeschlagenen Armen hinten im Saal auf und ab.

„Na, Georg, was gibt’s?“, frug ihn Kellmann, der jetzt zu ihm hinantrat. „Was haben Sie? Ist etwas vorgefallen?“

„Bewahre! – Aber ein Name geht mir im Kopf herum. Kennen Sie einen gewissen Fortmann?“

„Ich kenne ihn nicht“, meinte Kellmann, „aber Hopfgarten gab mir damals, als ich nach Amerika ging, einen Brief an einen Herrn dieses Namens mit nach New Orleans.“

„Das ist recht!“, rief Georg ordentlich erfreut. „Und über den haben wir auch gesprochen, und Sie konnten den Herrn damals, wenn ich nicht irre, nirgends antreffen.“

„Aus dem Grund, weil er New Orleans verlassen und keinem Menschen gesagt hatte, wohin er sich wenden würde.“

„So kann ich Sie jetzt auf die Spur bringen“, sagte Georg. „Wolf vom Berge hat ihn in Cincinnati gesprochen, und er soll Friedensrichter in Covington, Cincinnati gegenüber, sein.“

„Dann suche ich ihn auch nächstens dort auf, denn in einigen Tagen muss ich ja doch nach Cincinnati, um von dort verschiedene Maschinenstücke zu holen und andere zu bestellen. Aber da haben wir Musik – wahrhaftig, Ihr Freund und unser Käthchen. Alle Wetter, der Herr hat eine prachtvolle Stimme, hören sie nur:

,Von der Straße her ein Posthorn klingt,

Was hat es, dass es so hoch aufspringt, mein Herz?’“42

Wolf sang das Lied so seelenvoll und doch dabei mit solchem Feuer und einer so herrlichen Tenorstimme, dass er bald alle um sich her versammelte und Katharine ihn immer leiser und leiser begleitete, damit sie nur ja nicht die Stimme übertönte, und lauter Jubel brach aus, als er geendet. Er konnte aber nicht bewogen werden, für heute noch ein zweites zu singen. Er war angegriffen von der Reise, sagte er, und dann hatte das Lied auch so alte, teure Erinnerungen in ihm wachgerufen, dass er diese nicht gern durch eine andere Melodie stören mochte. Aber das junge Volk hatte auch kaum die ersten Töne gehört, als sie schon spekulierten, ob sich die einmal begonnene Musik nicht auch zum Tanz verwerten ließe, und kaum war der Wunsch laut geworden, als sie förmlich Sturm liefen, um ihn erfüllt zu sehen. Das junge Volk setzt auch bei solchen Gelegenheiten alles durch, und es dauerte nicht lange, so drehten sich die Paare, alte und junge gemischt, im fröhlichen Kreis.

In Amerika

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