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SECHSTES KAPITEL

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In Donnersville.

Da Wolf an diesem Abend seinen festen Entschluss ausgesprochen hatte, mit seiner jungen Frau wieder nach Amerika zurückzukehren, so sollte er, ehe er diese Gegend verließ, jedenfalls das kleine Städtchen Donnersville besuchen, um sich den Platz einmal anzusehen. Hatte er sich doch noch keineswegs über seinen künftigen Wohnsitz fest bestimmt, und man kam deshalb überein, dass Georg ihn begleiten wollte. Nach einer solchen Feierlichkeit, wie sie der gestrige Tag geboten, konnte man von den Leuten doch nicht viel Arbeit verlangen. Sie hielten gewissermaßen einen blauen Montag, um sich wieder zu neuer Tätigkeit zu stärken, und Georg Donner gestattete ihnen den auch gern.

Übrigens waren ihm frische Einwanderer angemeldet worden, die Abgeordnete nach Donnersville geschickt hatten, um sich die Gegend einmal anzusehen, und es lag ihm daran, sie selber zu sprechen und ihnen die Bedingungen mitzuteilen, unter denen sie hier in der Nachbarschaft das Land, das er zum größten Teil selber angekauft, bekommen könnten. Fielen sie Zwischenhändlern in die Hände, so wurden sie gewöhnlich um eine Menge Geld geprellt.

Die beiden jungen Leute trabten munter auf ein paar vortrefflichen Rappen in die Stadt hinein, stiegen vor der Mermaid ab und ließen ihre Pferde dort einstellen.

Ezra Ludkins, der Pennsylvanier, mit seiner wunderlichen, halb deutschen, halb englischen Sprache, stand mit den Händen in den Hosentaschen – seiner Lieblingsstellung – in der Tür.

„Hallo, Mr. Donner!“ rief er seinem alten Bekannten und Gönner schon von Weitem entgegen. „Nun, wie tut’s? Walk nur herein und nimm Deinen Bittern, denn der Morgen ist ein bisschen kalt.“

„Hallo, Ludkins!“, rief Georg, aus dem Sattel springend und ihm die Hand reichend. „Immer munter?“

„Nau well“, sagte der Pennsylvanier mit den Achseln zuckend, „viel Druvel43 in dem Nest jetzt. In Grahamstown hett’ ich easiere Zeit.“

„Das glaub’ ich“, lachte Georg, „da stand das Wirtshaus zuletzt allein und keine Wohnung weiter in fünf Miles davon.“

„Oho“, bemerkte Ludkins, „der Reverend Mr. Snodgraß...“

„Der zum Mäßigkeitsverein gehörte“, lachte Georg.

„Aber powerful viel Brandy zum E i n r e i b e n juhste“44, bemerkte Ezra mit einem drolligen Zug um den Mund, „er brauchte eine Kur.“

„Na, Ludkins“, lachte Georg, „solche Kurgäste haben wir hier in Donnersville auch, aber kommen Sie hinein, Wolf – und was ich sagen wollte, Ludkins, es sollen Einwanderer heute Morgen angekommen sein. Sind sie zu Hause?“

„Ein paar, yes“, nickte der Wirt, „die übrigen hat sich der Yankee schon gelangt und gibt sich viele Mühe, sie hinunter nach dem Süden zu schicken. Dort werden sie’s ihnen schon fixen, denn da sie keine Niggers mehr kiepen dürfen, brauchen sie Dutchmen, die ihnen die Felder worken.“

„Welcher Yankee, Ludkins?“, rief Georg, aufmerksam werdend.

„Well, der Mr. Sherard glaub’ ich, heißt er, der bei mir hier vierzehn Tage gelodgt und sich jetzt bei dem deutschen Schneider einquartiert hat und alle Menschen in die Süd-Staaten directen möchte. Ein Copperhead45, wie er nur je unsere Staates zertreten hat, und wenn es von dem dependete, so hätten wir morgen schon Niggerauktionen bis an die Lakes46 hinauf.“

„Und warum schicktet Ihr die Leute nicht zu mir hinaus?“

„Dass ich ein Narr wäre“, lachte der Wirt, „so lange jemand bei mir Durst hat und seine Drinks bezahlen kann, schicke ihn wahrhaftig nicht selber aus dem Haus. Übrigens sind die Leute ihre eigenen Herren und alt genug, um zu wissen, was ihnen gut ist.“

„Alt genug, ja“, sagte Georg, langsam dazu mit dem Kopf nickend, „da habt Ihr Recht, Ludkins, aber trotzdem noch in vielen Stücken kleine Kinder. Der deutsche Bauer hat überhaupt einen ganz eigentümlichen und merkwürdigen Charakter, und man muss wissen, wie er bei uns daheim erzogen ist und seine eigenen Kinder erziehen lässt, um ihn zu begreifen.“

„Es sind manchmal artliche Kerle“, nickte der Pennsylvanier, still vor sich hinlachend, „und dickschädlig wie ein Buffalo.“

„Das sind sie“, bestätigte Georg, „und außerdem misstrauisch gegen jeden, der einen besseren Rock trägt wie sie, oder es nicht versteht, ihnen nach dem Munde zu schwatzen, dass es einen manchmal zur Verzweiflung treiben könnte. Wer es aber versteht und einen bestimmten Zweck dabei verfolgt, der kann sie um den Finger wickeln und zu den größten Dummheiten verleiten. Mit welchen albernen Vorspiegelungen werden sie manchmal daheim schon zur Auswanderung getrieben, und trotz aller Warnungen von Leuten, die es wirklich gut mit ihnen meinen, lassen sie sich von dem dümmsten Länderschacherer betrügen und kaufen daheim in Deutschland noch für ihr gutes bares Geld Grundstücke und Äcker, die entweder gar nicht existieren oder im günstigen Fall an Stellen liegen, die ein vernünftiger Mensch nicht umsonst haben möchte, in keinem Falle aber selber beziehen könnte.“

„Aber wie kommt das“, sagte Ludkins, „dass sich gerade Deine Landsleute so schrecklich imposen lassen? Die Irischen sind viel dümmer und außerdem ein rohes, rauflustiges Volk, das nichts im Kopfe hat, als Fighting und Whiskey; aber anführen lassen sie sich nicht leicht, und selbst die Franzosen wollen immer erst sehen, w a s sie kaufen, ehe sie mit dem Tschenz47 herausrücken.“

„Woher das kommt?“, sagte Georg finster. „Nur allein aus Knauserei, denn der deutsche Bauer zahlt nur das, was er muss und wozu er von dem Amtmann oder Gerichtsdiener gezwungen werden kann. An allem anderen spart er, und wenn es das Wichtigste für ihn wäre, besonders aber an der Schule, die er nicht für das Notwendigste im ganzen Leben, sondern nur für ein notwendiges Ü b e l hält und sich so leicht wie möglich damit abfindet. Seine Schullehrer, die er hegen und pflegen sollte, weil sie allein im Stande wären, aus seinen Kindern einmal Menschen zu machen, lässt er halb verhungern und auf eine Art zwar, die man in Amerika für undenkbar halten würde – er zwingt sie sogar noch sehr häufig, selbst ein niederes Gewerbe dabei zu treiben, nur um das Notwendigste für sich und die Familie anzuschaffen, und wo er auf einer Kirmes zwanzig und dreißig Taler an einem Tag hinauswirft, ist es ihm zuviel, wenn er vier oder fünf Taler das ganze Jahr für den Unterricht seiner Kinder zahlen soll. Dass ein solcher armer Teufel von Schullehrer dann für eine Summe jährlich mit seiner Familie leben soll, die der einzelne Bauer vielleicht zu Taschengeld verbraucht, kann keinen Eifer f ü r die Kinder in ihm erwecken. Er behandelt den Unterricht als eine Last – er weiß doch, dass er, wenn er einmal alt wird und keine Dienste mehr leisten kann, der größten Not preisgegeben ist – und die Folge davon? Die Bauernbengel lernen ebenso wenig, wie ihre Väter gelernt haben, und treten nachher genau in deren Fußtapfen.“48

„Wunderliches Volk“, sagte Ezra Ludkins, mit dem Kopf schüttelnd, „Ihr Deutschen seid doch noch höllisch hinter uns zurück – aber was ich Dir gleich sagen wollte, Mr. Donner – gestern Abend spät ist noch ein Doktor bei mir angekommen, der die Aufforderung in der Zeitung gelesen hat und sich bei uns niederlassen will. Es ist ein fein aussehender Bursch und muss wohl was verstehen, denn er schwatzt eine Masse Zeug durcheinander, das wohl lateinisch ist; ich habe ein paar Mal gar nicht herausgekriegt, was er wollte.“

„Hm“, sagte Donner, dem die Empfehlung nicht besonders gefiel, „und wo ist er jetzt?“

„Er wird jetzt wohl noch schlafen“, meinte der Pennsylvanier, „ich wollte just abaut hinaufgehen und ihn wecken.“

„Und wie heißt er?“

„Ja, das weiß ich nicht – er hat mir seinen Namen genannt, aber er klang so artlich, dass ich in wieder vergessen habe. Aber nun trinkt auch einmal, Ihr Leute, und dann wollen wir sehen, ob wir den neuen Doktor herausschäken können.“

Wolf hatte sich in das Gespräch, das ihn nicht besonders interessierte, gar nicht gemischt, mit desto größerer Aufmerksamkeit aber dafür die im Zimmer hängenden „Gemälde“ betrachtet, mit denen er sich auf das Prächtigste unterhielt.

Es waren das sechs sogenannte Ö l g e m ä l d e, bei uns würde man sagen „in Essig und Öl“, mit vorherrschend roter und grüner Farbe, von denen die letztere schon ordentlich giftig aussah. Neben zwei Landschaften stellten die Bilder Szenen aus dem amerikanischen Leben auf dem Lande dar, oder es schien doch wenigstens diese Absicht dabei vorgeherrscht zu haben. Ein Bild sah sogar genau so aus wie ein Schenkstand mit einer Figur darin, die, sich ein Knie haltend, auf dem Schenktisch saß. War das vielleicht der Platz, an dem sie sich gerade befanden? Wolf konnte sich nicht halten, er musste den Namen dieses „Künstlers“ erfahren, und sich an Ludkins wendend, sagte er:

„A propos, Mister, wo haben Sie eigentlich die Bilder her?“

Georg Donner kannte sie schon und ein Lächeln spielte um seine Lippen. Eine merkwürdige Veränderung ging aber in Ludkins Zügen vor. So heiter und sorglos er vorher gewesen, so ernst und fast wehmütig schaute er jetzt die Gemälde an.

„Armer Junge“, seufzte er dabei, „wer weiß, wo er jetzt modert und ob er nur ein ehrliches Soldatengrab bekommen hat!“

„Ihr Sohn?“, nickte Georg rasch.

„Yes“, nickte Ludkins, „der hat sie gemalt – es war ein talentvoller junger Mann, und ich hatte schon Lust, ihn auf die Akademie zu tun, da kam dieser unglückselige Krieg, der Hunderttausende von Menschenleben gekostet hat, und nun – ist alles vorbei.“

„Ist er geblieben?“, frug Georg teilnehmend.

Ezra Ludkins zuckte mit den Achseln. „Ich weiß es nicht“, seufzte er, „seit zwei Jahren habe ich keine Nachricht von ihm, und damals gerade wurden die furchtbaren Schlachten in Virginien geschlagen, und auf dem ,blutigen Grund’ werden sie ihn wohl mit Tausenden von anderen wackeren Burschen notdürftig eingescharrt haben, sonst hätte er ja doch schon lange nach Haus’ geschrieben.“

Wolf bedauerte schon im Herzen, die ja doch gar nicht bös gemeinte Frage getan zu haben, aber die Wehmut dauerte bei Ezra Ludkins nicht lange. Er hatte seinen Sohn gewiss herzlich lieb, aber ob er sich schämte, das zu zeigen, oder ob er es gewaltsam hinunterzwang, aber es dauerte keine zwei Minuten, während die beiden Freunde nicht wagten, das peinliche Schweigen zu brechen, so sagte er selber mit wieder ganz ruhiger Stimme:

„Aber wir haben noch keinen getrunken, Gentlemen, und deshalb sind wir doch eigentlich hereingekommen? Was nimmst Du, Mr. Donner, was nimmst du, Fremder?“

Das war eine erwünschte Gelegenheit, das Gespräch nach einer anderen Richtung hinzuleiten, und Georg benutzte die auch rasch. Sie standen eben an der Bar, um ihren Morgentrunk zu nehmen, als die Tür aufging und der „neue Doktor“, den Ludkins indessen hatte rufen lassen, auf der Schwelle, in dem vollen Glanz seiner Toilette erschien – und das gerade hatte Ezra Ludkins imponiert.

Er trug einen „kaiseraugenblauen“ Frack mit gelben, blanken Knöpfen, eine untadelhafte Filzröhre, grau und blau karierte Beinkleider, eine schneeweiße Weste; dabei sehr schwere Uhrberloques49, eine Tuchnadel mit einem sehr großen, mit kleinen Perlen eingefassten Amethyst, einen schweren Siegelring am rechten Zeigefinger und eine Anzahl kleinerer an den anderen, und außerdem Hemdknöpfchen, die einem Taubenei an Größe nicht viel nachgaben – übrigens s e h r saubere Wäsche und – wie sich später herausstellte – ein gesticktes Taschentuch.

„Ach!“, rief Ezra vergnügt aus. „Unser Doktor – komm her, Doktor; Du hast Dein Bitteres50 doch noch nicht gehabt, wie?“

„Nein, allerdings noch nicht“, erwiderte der Doktor, „aber Sie ließen mir sagen, dass der Herr – habe ich vielleicht das Vergnügen?“, wandte er sich zu gleicher Zeit an Wolf vom Berge.

„Bitte um Entschuldigung“, erwiderte dieser, „ich bin hier selber fremd. Ich glaube, dass d i e s e r Herr der sein wird, an den Sie sich zu wenden wünschen.“

Georg Donner hatte den fremden Doktor indessen schon mit etwas erstaunten Blicken betrachtet. Das Gesicht desselben kam ihm bekannt vor, und trotzdem k o n n t e er sich nicht besinnen, wo er die Gestalt schon gesehen. Der Anzug störte ihn jedenfalls wesentlich dabei. Der Fremde aber, an die richtige Quelle gewiesen, sagte mit einer sehr eleganten und ziemlich vornehmen Verbeugung gegen Georg:

„Sie werden entschuldigen, mein Herr, aber einer Aufforderung von der westlichen Post, der New Yorker Staatszeitung und dem Cincinnater Volksfreund nach entnehme ich, dass Sie hier in Donnersville einen tüchtigen deutschen Arzt suchen. Da ich nun überhaupt schon seit längeren Jahren die Absicht hatte, Milwaukee, wo ich allerdings eine sehr bedeutende Praxis besitze, zu verlassen – ich kann das sehr kalte Klima dort nicht vertragen – so hielt ich es für zweckmäßig, einmal hier anzufragen und die Verhältnisse erst selber persönlich kennen zu lernen.“

„Sehr angenehm, Herr Doktor“, sagte Georg, aber immer noch mit einer gewissen Verlegenheit, „wenn ich mich übrigens nicht s e h r irre, so sind wir schon ältere Bekannte und – haben sogar die erste Seereise miteinander gemacht. Ist Ihr Name nicht Hückler?“

„Hückler! Allerdings“, sagte der Fremde, den jungen Mann etwas erstaunt betrachtend, „Doktor Hückler, Milwaukee – aber – wie ist mir denn? Ich glaube fast selber – wir hatten am Bord, im Zwischendeck, einen jungen Mann mit Namen Donner – einen Studenten der Medizin, wenn ich nicht irre.“

Georg lächelte. „Ich hatte schon damals mein Doktorexamen gemacht“, sagte er.

„Ah“, rief Doktor Hückler vergnügt aus, „ist mir denn doch wirklich sehr angenehm, eine so alte liebe Bekanntschaft zu erneuern“, (er hatte an Bord, als Kajütspassagier, wohl selten oder nie ein Wort mit dem Zwischen-deckspassagier gewechselt), „wie ich sehe, geht es Ihnen gut hier, lieber Donner“, und er schüttelte ihm dabei sehr entschieden die Hand. „Donner – Donner – der Name fiel mir gleich auf, wie ich ihn in der Zeitung las, aber ich hatte natürlich keine Ahnung, dass ich den Betreffenden persönlich und so genau kannte.“

„Und Sie beabsichtigen also, sich hier als Arzt niederzulassen?“

„Wenn mir die Verhältnisse zusagen“, bemerkte Doktor Hückler etwas vornehm. „Es wurde ein kleines Wohnhaus zugesichert, das müsste ich vorher in Augenschein nehmen, denn meine Frau ist etwas verwöhnt.“

„Und glauben auch Sie alle die gestellten Bedingungen erfüllen zu können, verehrter Herr?“ bemerkte jetzt Georg, indem er den „Doktor“ scharf ansah. „Wir brauchen hier vorzüglich einen tüchtigen Arzt für innere Krankheiten, denn die zwei amerikanischen Pfuscher, die sich hierher gesetzt haben, genügen uns nicht, und besonders die deutschen Frauen können kein Vertrauen zu ihnen fassen.“

„Sie brauchen auch einen tüchtigen Wundarzt“, warf Hückler ein.

„Den weniger“, sagte Georg. „Wir haben in dem Fach einen s e h r tüchtigen Mann.“

„Wie heißt er? Wenn ich fragen darf.“

„Roßwein.“

„Roßwein?“, rief der Doktor rasch.

„Jacob Roßwein“, sagte Georg, „kennen Sie ihn?“

„Allerdings“, rief Hückler, „er hielt sich eine Weile in Milwaukee auf; aber das“, setzte er mit einem etwas wegwerfenden Lächeln hinzu, „ist nur ein gewöhnlicher Barbier, der in Milwaukee gar nicht praktizieren durfte. Ich glaube nicht einmal, dass er ein Rezept schreiben kann.“

„In der Tat?“, sagte Georg, indem er den Doktor scharf ansah. „Doch was ich gleich sagen wollte: Ihr Doktor-Diplom haben Sie doch, nicht wahr? – Sie wissen, dass in der Aufforderung die Bedingung gestellt wurde.“

„Gewiss – ich erinnere mich“, sagte der „Doktor“ rasch, nichtsdestoweniger schien es Wolf, der bis jetzt kein Auge von ihm verwandt hatte, als ob er dabei nicht mehr so zuversichtlich aussah als vorher, „es ist mir nur leider einer meiner Koffer bei meiner damaligen Reise nach Milwaukee gestohlen worden. Ich habe aber schon wieder nach Deutschland geschrieben, um mir ein Duplikat kommen zu lassen, und d e r Form kann ja doch immer später genügt werden, noch dazu, da Sie mich selber persönlich kennen und ich außerdem eine längere Reihe von Jahren eine sehr bedeutende Praxis in Milwaukee gehabt habe. Die Amerikaner sind überhaupt praktischer Natur – ein solches Papier gilt ihnen gar nichts und sie sehen nur darauf, was der Mann wirklich versteht. D a s gilt ihnen.51

„Sie haben Recht, lieber Herr Doktor“, erwiderte Georg ruhig, „wir Deutschen sind darin vielleicht manchmal ein wenig zu peinlich, aber die Bewohner von Donnersville haben sich damals in einer besonders dazu einberufenen Versammlung ganz bestimmt darüber ausgesprochen und werden nicht davon abgehen.“

„Es wäre merkwürdig“, sagte der „Doktor“ doch etwas gereizt, „wenn Sie hier in A m e r i k a wirklich an einer so kleinlichen Form hängen wollten, wo Ihnen doch gerade die K e n n t n i s des Betreffenden mehr gelten sollte. Ich habe ganz erstaunliche Kuren in Milwaukee gemacht und bin oft auch zwanzig Meilen weit in das Land hineingerufen worden, um Leute wieder herzustellen, die von anderen Ärzten schon aufgegeben waren, und ich kann Ihnen Zeugnisse von dort bringen, die...“

„Hallo, Doktor!“, rief da die laute Stimme eines Mannes, der eben in die Tür trat, die kleine Gruppe einen Moment betrachtete und, sowie er Hückler erkannte, diesen anrief. Es war Jacob Roßwein, der hiesige „Barbier“, wie er von den Bauern besonders bezeichnet wurde, denn gegen ein paar von ihnen, die ihn anfangs Doktor nannten, war er so grob geworden und hatten ihnen sogar gedroht, dass er ihnen das nächste Mal beim Rasieren in den Hals schneiden würde, dass sie das schon von da an aus Furcht sein ließen. Sie wussten auch eigentlich gar nicht, woran sie mit dem Mann waren, denn voll von trockenem Humor, hatte ihn noch niemand selber herzlich lachen gesehen. Er kannte auch gegen andere gar keine Schonung. Teilte nach rechts und links scharfe Hiebe aus und ließ dabei die Angegriffenen stets in Zweifel, ob er Spaß oder Ernst mit ihnen machte. Übrigens war er ein ganz ausgezeichneter Chirurg und ein braver Kerl dabei, der z.B. von wirklich Armen nie eine Bezahlung nahm, selbst wo er, wie bei den ziemlich teuren Blutegeln, oft selber bedeutende Auslagen hatte.

Doktor Hückler hatte sich rasch nach dem Ausruf umgedreht, schien aber, als er Roßwein erkannte, nicht besonders erfreut über die Begegnung und sagte, nur mit einer kalthöflichen Bewegung des Kopfes die halbe Begrüßung erwidernd:

„Ach, Herr Roßwein, ich hatte schon gehört, dass Sie hier eine ,Stube’ etabliert haben.“

„Wirklich?“, bemerkte Roßwein trocken. „Aber wie kommen S i e hier an den Ohio – von Geschäften zurückgezogen, heh? – wollen sich wohl zur Ruhe setzen und die Menschen von jetzt ab leben lassen.“

Hückler antwortete ihm gar nicht mehr, sondern sich wieder an Georg wendend, wobei ihn jedoch die Gegenwart des „Barbiers“ augenscheinlich störte, sagte er:

„Ich hoffe, wir werden uns darüber einigen, Herr Donner, denn Sie selber müssen mir zugeben, dass es mit der Beobachtung einer solchen Form nicht drängt. Ich versichere Sie, wenn ich nur erst einmal festen Fuß hier gefasst habe und bekannt geworden bin, werden Sie einsehen, wie vollkommen ich meinen Platz ausfülle.“

„Alle Wetter“, sagte Roßwein. „Sie wollen wohl Ihr Gerippe im Glaskasten hier in Donnersville aufsetzen? Ist aber immer gefährlich. Wissen Sie wohl noch, wie die eine Frau in Milwaukee, die in Ihre Apotheke trat, beinah den Tod vor Schreck davon bekam und ohnmächtig fortgetragen werden musste?“

„Herr Roßwein“, sagte Hückler verächtlich, „helfen Sie nicht solche alberne Lügen verbreiten. Die Frau bekam einen Schlaganfall, wie sie nur in die Tür trat.“

„Ja, mein lieber Herr Doktor“, sagte Georg achselzuckend, „ich muss Sie allerdings bitten, vorher, ehe ich Sie wenigstens hier vorschlagen kann, Ihr Diplom zu bekommen, und kann Ihnen freilich, wenn das zu lange ausbliebe, nicht mehr dafür gutstehen, dass der Posten bis dahin besetzt ist. Für jetzt aber bitte ich Sie, mich zu entschuldigen, denn ich habe einen Freund hier, mit dem ich einige Geschäfte erledigen muss. – Guten Morgen, wir sehen uns wohl nachher noch, Roßwein? Sie sind doch zu Hause?“

„Gewiss – nur herüber gekommen, um hier ein Glas von Ludkins’ Brandy zu trinken, damit der Schund bald alle wird und wir besseren kriegen.“

Georg und Wolf hatten das Lokal schon verlassen und schritten zusammen die Straße hinab.

„Der Herr scheint wenig Aussicht zu haben, hier Arzt zu werden“, lachte Wolf.

„Ich kenne den Burschen zu genau“, erwiderte Georg, „Roßwein versteht mehr im kleinen Finger von schwierigen Krankheiten als er im ganzen Kopf. Übrigens wird er uns nicht lange lästig fallen, denn das Diplom kann er schon aus dem Grunde nicht schaffen, weil er gar keins hat. Er war selber in Deutschland Barbier und hat sich hier wie tausend andere in Amerika nur eigenhändig zu einem ,berühmten Arzt’ gemacht. Aber lassen wir den unangenehmen Menschen, Wolf. Wir wollen dafür lieber einmal die Auswanderer aufsuchen, die, wie ich gehört habe, in dem deutschen Wirtshaus da drüben sitzen.“

Herr „Doktor“ Hückler blieb bei Ezra Ludkins zurück und hatte sich, um nur etwas zu tun, schon das dritte Glas brandy cocktail geben lassen. Er war, durch die nicht gerade übermäßig aufmerksame Behandlung Donners, des früheren Zwischendeckpassagiers, in seinem Stolz und Eigendünkel gekränkt und beleidigt worden und – das Schlimmste dabei – er konnte sich nicht verhehlen, dass eben dieser Donner jetzt eine ganz andere Stellung im Leben einnahm, wie er, während er sich fest überzeugt fühlte, dass er ihm selber in geistiger Beziehung nicht das Wasser reichte. Und trotzdem s u c h t e er jetzt eine Stellung und dieser Donner hatte eine zu v e r g e b e n.

Wir finden das übrigens sehr häufig in Amerika, dass Kajüten- und Zwischendeckpassagiere an Land ihre Stellungen wechseln und die Letzteren nach einiger Zeit von den Ersteren, Hilfe erbittend, aufgesucht werden. An Bord hielten sie es unter ihrer Würde, mit irgendwem aus dem Zwischendeck zu verkehren, einmal aber erst mit vier Wochen in Amerika in allen Erwartungen getäuscht, in allen Hoffnungen betrogen, werden sie sehr rasch entsetzlich zahm und fallen dabei in den entgegengesetzten Fehler, in einen vollkommen ungerechtfertigten Kleinmut, in dem sie sich dann törichterweise für völlig verloren halten.

Das Letztere war nun allerdings mit Hückler nicht der Fall, denn er hatte eine zu gute Meinung von sich selber, und wusste auch etwa schon, wie man sich in Amerika durchbrachte; aber er fühlte sich gerade durch diese Abweisung eines D e u t s c h e n, denen allen er sich überlegen glaubte, in seinem Stolz, in seiner Eitelkeit gekränkt, und das besonders ärgerte ihn dabei, dass der B a r b i e r Zeuge gewesen. D e m musste er wenigstens beweisen, dass er sich nicht s o viel daraus mache und überall mit Kusshand aufgenommen würde. So wenig er sonst daran gedacht haben würde, sich mit ihm einzulassen, so suchte er jetzt selber ein Gespräch mit ihm.

„Nun, Roßwein“, sagte er, nachdem sie jeder e i n z e l n ihr Glas getrunken, was sonst in Amerika gar nicht Sitte ist, „Sie haben sich also ganz hier in Donnersville niedergelassen und leben hier Ihrer K u n s t ?“

Roßwein schmunzelte leise vor sich hin, sagte aber dann, mit einem Seufzer: „Ach, Herr D o k t o r, die K u n s t allein nährt hier in Amerika ihren Mann nicht, oder w e n n sie es tut, bringt sie ihn wenigstens nicht vorwärts. In Deutschland sagt man freilich:

Ein Kerl, der spekuliert,

ist wie ein Tier auf dürrer Heide

von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt.

Und rings umher liegt schöne grüne Weide.52

Das passt aber nicht für Amerika, und gerade die Kerle, die spekulieren, bringen es hier zu etwas und werden reiche, und damit angesehene Leute.“

„Das Spekulieren hat mich s e h r viel Geld gekostet, Roßwein.“

„Haben es dann nicht beim richtigen Zipfel angefasst“, bemerkte Roßwein trocken. „Ich selber beschäftige mich jetzt mit einer sehr bedeutenden Spekulation, an der Sie sich vielleicht beteiligen könnten.“

„Und die wäre?“, frug Hückler gespannt.

„Ich beabsichtige, oben am Erie-See eine Störzucht anzulegen.“

„Eine Störzucht?“, sagte Hückler verwundert. „Aber wo wollen Sie denn hier die Eier bekommen?“

„Ich nehme Kaviar“, sagte Roßwein und sah den Doktor dabei mit einem so gutmütigen Gesicht an, dass Hückler, in der Naturwissenschaft sehr vernachlässigt, ganz verwundert zu ihm aufschaute.

„Und geht das?“, fragte er.

„Und warum soll es nicht gehen? Ich sage Ihnen, lieber Herr Doktor, dass in der Natur noch Kräfte verborgen liegen, von denen wir gar keine Idee haben. Ahnungslos birgt dabei unser eigener Geist die größten Schätze, die wir selber nicht einmal kennen, und von denen wir nur in lichten Augenblicken überrascht werden. Sehen Sie z.B. nur einmal den Ochsen da drüben, der vor dem Wagen geschirrt steht – bemerken Sie, wie ihm die Zunge da vorn heraushängt? Das dumme Beest hat aber das ganze Jahr die delikateste Ochsenzunge im Maul und weiß nicht einmal, wie sie schmeckt.“

„Hm“, lächelte der Doktor doch etwas verlegen, „das ist eigentlich wahr – aber was ich Sie fragen wollte, Roßwein – eignet sich Donnersville in der Tat für einen Arzt?“

„Wenn sich der Arzt für Donnersville eignet, warum nicht?“

„Aber die Gegend scheint sehr gesund.“

„Was hilft einem deutschen Bauern eine gesunde Gegend“, meinte Roßwein. „Er lässt sich doch jedes Jahr ein paar Mal zur Ader, oder braucht Schröpfköpfe, bis er sich so herunterbringt, dass er einen Arzt nötig hat. Die Menschen w e r d e n nicht klug.“

„Und kann mir Herr Donner verwehren, mich hier niederzulassen? Ich bin amerikanischer Bürger und darf wohnen, wo es mir gefällt.“

„Wenn Sie mir m e i n e Kundschaft nehmen, vergifte ich Sie“, sagte Roßwein.

„Haben Sie keine Angst, mein guter Roßwein“, erwiderte der Doktor mit einem halb mitleidigen Lächeln, „ich rasiere mich nicht einmal selber, viel weniger andere.“

„Sie rasieren sich nicht s e l b e r ?“, fragte Roßwein.

„Ich – habe keine geschickte Hand dazu.“

„Na, so lüg’ Du und der Deubel“, brummte der Barbier, schob beide Hände in seine Hosentaschen und verließ das Haus.

Georg und Wolf hatten sich indes dem deutschen Wirtshaus zugewandt, wo in der Tat eine Anzahl von angekommenen Deutschen eingetroffen war, die hier großenteils Verwandte oder Freunde in Donnersville und die Absicht hatten, sich in der ihnen als gut geschilderten Gegend niederzulassen. Andere, die sie auf dem Schiff getroffen und mit denen sie darüber gesprochen, schlossen sich, wie das sehr häufig geht, ihnen an, und so waren es acht Familien geworden, die sich hier zusammenfanden.

Es ist eigentümlich, wie leicht der Mensch verwildert. Den Leuten hier waren von dem Wirt für den nächsten Tag – da er nicht über mehr Raum verfügte, vier große Zimmer angewiesen worden und sie hatten sich dort, so gut es eben ging, einrichten müssen. Fünf Familien blieben ja überhaupt nur eine einzige Nacht dort, da sie am nächsten Morgen jedenfalls von ihren Verwandten abgeholt wurden. Die ganze Masse war hier auch erst seit gestern eingetroffen, aber wie sah es, in der kurzen Zeit, schon in den Räumen aus, die sie jetzt bewohnten. An das Zwischendeck eines Segelschiffs gewöhnt, auf dem sie über sieben Wochen in Schmutz und Unordnung zugebracht, setzen sie natürlich hier das Leben fort, und mit der Masse schmutziger Wäsche und feuchter Kleidungsstücke, die sie mit an Land gebracht, herrschte ein Dunst und ein Wirrwarr in den Räumen, der einem den Magen umdrehen konnte, wenn man sie nur betrat.

Die Leute hatten in den engen Räumen und bei schlechtem Wetter vollkommen verlernt, sich reinlich zu halten, und der schauderhafte Tabakgeruch dabei, mit einem warmen Fuselgestank außerdem, erhielt bei der fast drückenden Wärme eine wahrhaft qualvolle Atmosphäre.

Die Männer saßen zum großen Teil unten an der Bar, im sogenannten Schenkstand, und als die beiden jungen Leute den Raum betraten, war ein Amerikaner zwischen ihnen gerade eifrig beschäftigt, irgendein Schriftstück, wahrscheinlich einen Contrakt, aufzusetzen, nach welchem er sie später irgendwohin dirigieren konnte. Er hatte einen Deutschen zum Dolmetscher.

Georg ließ sich mit den Leuten in ein Gespräch ein, er stellte sich ihnen dabei als den Eigentümer des benachbarten Grund und Bodens vor und sagte ihnen einfach, welches die Bedingungen wären, unter denen sie einen größeren oder kleineren Stück Landes erwarten könnten – die Ärmeren sogar auf günstige Kreditbedingungen.


Auswanderer vor einem Boardinghouse


„Entschuldigen Sie, Mr. Donner“, fiel ihm da der Yankee, ein alter Bekannter von uns, jener nämliche Mr. Sherard, dem der Platz da unten wohl zu warm geworden, ins Wort, „wenn ich mir erlaube, hier etwas einzureden. Ich bin des Deutschen allerdings nicht mächtig, habe aber doch so viel verstanden, um mir klar zu machen, was Sie wollen: nämlich Ihre Landsleute hier oben in dem ausgesogenen Norden zu halten, während der Süden mit seinem fabelhaft fruchtbaren Boden und den augenblicklich gedrückten Verhältnissen ihnen Vorteile bietet, von denen sie, nach ihren heimischen Anschauungen, keine Ahnung haben können. Ein sehr bedeutender Pflanzer in Georgien, der Sohn eines von den zur Empörung getriebenen Negern ermordeten Gentleman, der sich selber, als Amerikaner, nicht mehr getraut, unter diesen plötzlich frei gewordenen Niggern zu leben, will seine Plantage mit allen kostbaren Einrichtungen und Maschinen verkaufen. Im Ganzen ist das nun unter den jetzigen unglückseligen Verhältnissen natürlich nicht möglich, daher hat er sich entschlossen, das Land selber zu parzellieren – er besitzt ausgedehnte Länderstrecken und ist bereit, entweder eine bestimmte Summe Geldes für die einzelnen kleinen Grundstücke zu nehmen, oder auch, wenn die Einwanderer nicht über bares Geld verfügen, mit ihnen gemeinschaftlich auf Gewinnanteile abzuschließen. Außerdem haben sich, wie ein Brief besagt, den ich heute erst erhalten, auch noch mehrere andere Pflanzer dort zu einem solchen Verfahren entschlossen, da sie beabsichtigen, die Vereinigten Staaten zu verlassen und nach Yucatan auszuwandern. Sie wollen in Georgien eine vollkommen deutsche Kolonie gründen, aus der entschieden alle Irländer ferngehalten werden, und die Spekulation ist insofern eine ganz richtige, als sie wissen, wie rasch die Deutschen ein Land vorwärts bringen. Sie behalten sich natürlich einen Teil ihrer Grundstücke zurück und dürfen dann für spätere Jahre fest darauf rechnen, den Wert derselben auf das Zehnfache erhöht zu bekommen. Den Leuten hier ist das auch durch meinen Dolmetscher, einen sehr tüchtigen und mit den amerikanischen Verhältnissen genau bekannten Deutschen, schon vollständig klar gemacht, und ich hoffe, dass sie ihren Vorteil einsehen und danach handeln werden.“

Der Dolmetscher, auf welchen sich der Yankee berief, mochte alles das sein, was dieser von ihm sagte, aber sein Äußeres bot dafür wenig Empfehlenswertes. Es war eine kleine, gedrungene , etwas aufgeschwemmte Gestalt mit einem aufgedunsenem, roten Gesicht, was vielleicht daher rührte, dass er sich seine Krawatte fester als nötig zugeschnürt. Die großen blauen, aber ausdruckslosen Augen standen ihm stier aus dem Kopf und die ehedem braunen Haare fingen schon an, ganz ernstlich grau zu werden, obgleich er noch eigentlich gar nicht so alt sein konnte. Es war im Ganzen ein gemeines, glattes Gesicht, zu dem der unechte Schmuck, den er reichlich trug, vollkommen gut passte. Er nickte auch jetzt Einzelnen der Auswanderer, mit denen er früher schon verhandelt, heimlich verstohlen, aber mit einem gewissen Blinzeln zu, das etwa ausdrücken sollte: Der hat’s ihnen aber jetzt gesagt, d i e werden den Mund nicht wieder auftun.

Georg hatte den Yankee ruhig ausreden lassen, dann wandte er sich an die Auswanderer und sagte freundlich:

„Ihr Leute, es werden Euch da verlockende Vorspiegelungen der südlichen Länder gemacht. Ich will gar nicht etwa abstreiten, dass es dort außerordentlich fruchtbaren Boden, ein warmes Klima und für den Augenblick auch wohl günstige Bedingungen für den Einwanderer gibt – günstigere vielleicht in manchen Fällen, als sie ihm hier jetzt geboten werden können, denn viele der Pflanzer sind durch die Freisprechung der Neger vollständig ruiniert und m ü s s e n verkaufen. Andere dagegen, die sich vielleicht zu tief in die Rebellion eingelassen haben, fühlen sich unter der Herrschaft des Nordens, unter den jetzigen Verhältnissen und zwischen den f r e i e n Negern nicht wohl und gedenken deshalb eine große Kolonie in dem südlichen Mexiko zu gründen. Aber Ihr kennt den eigentümlichen Charakter der Leute nicht, die doch noch zurückbleiben und zwischen denen Ihr leben müsstet. Es ist dort nicht so wie im Norden, wo die Arbeit e h r t. Der südliche Pflanzer verachtet jeden weißen Mann, der selber die Hand an den Pflug legt, und wird Euch immer über die Schulter ansehen – aber das nicht allein – das könnte man als unbedeutend betrachten; das Schlimmste bleibt, dass noch viele, viele Jahre vergehen müssen, ehe die für den Augenblick niedergeworfenen ,Herren’ den Hass und Ingrimm vergessen werden, den sie dem Norden und besonders auch uns Deutschen geschworen haben, weil wir so treu zur Union gestanden und uns so wacker für sie geschlagen haben. Ihr würdet wenig frohe Stunden dort unten im Süden erleben und sogar mancher Gefahr ausgesetzt sein. Ich selber k a n n kein Interesse dabei haben, ob Ihr im Norden bleibt oder nach dem Süden geht; wenn Ihr aber m e i n e m Rate folgen wollt, so besinnt Ihr Euch zweimal, ehe Ihr den Ohio kreuzt. Wer etwas Näheres darüber von mir hören will, der mag mich aufsuchen und ich will ihm gern Rede stehen. Ich heiße Donner und wohne auf dem Platz, der hier den Namen Lobensteins Farm hat – und so Gott befohlen. Kommen Sie, Wolf, wir wollen unseren Spaziergang fortsetzen.“

„Warten Sie noch einen Augenblick“, sagte Wolf, der indessen den Dolmetscher des Yankees aufmerksam betrachtet hatte und jetzt auf ihn zuging.

„Um Verzeihung, Mister“, sagte er dabei, „wie ist doch gleich Ihr Name?“

„Mein Name?“, sagte der Angeredete, augenscheinlich etwas in Verlegenheit gebracht. „Sie wünschen meinen Namen zu wissen?“

„Ich bat Sie darum“, lächelte Wolf, „Ihr Gesicht kommt mir so bekannt vor, aber wenn Ihnen das unangenehm ist, so...“

„Bitte“, sagte der Dolmetsch, wurde aber doch dabei bis hinter die Ohren rot, „wie kann mir das unangenehm sein? Mein Name ist Weigel – F. G. Weigel, Esquire.“

„Hatten Sie nicht früher einmal eine Auswanderer-Agentur in Deutschland?“

„Allerdings, aber schon vor längeren Jahren.“

„Und hielten sich nachher einige Jahre in New York auf?“

„Drei Jahre, ja – aber mit wem habe ich das Vergnügen?“

„Mein Name ist vom Berge“, sagte Wolf gleichgültig. „Sie werden mich wohl kaum kennen, aber ich glaube, wir sind uns dort begegnet“, und leise den Kopf gegen ihn neigend, wandte er sich um, nahm Georgs Arm und verließ mit diesem den Platz.

„Kannten Sie den Burschen?“, frug Georg, als sie wieder hinüber zu den Pferden gingen.

„Allerdings“, sagte Wolf, mit dem Kopf nickend, „und meiner Meinung nach ist es einer der größten Schurken, die jemals den Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt und Tausende von Menschen um ihr Geld betrogen haben. Er hatte in New York ein Landverkaufscomptoir errichtet, aber sie kamen ihm auf die Sprünge, und ich war einst Zeuge, wie ihn zwei handfeste junge Burschen aus seiner Bude holten und dermaßen auf der Straße durchprügelten, dass er vier Wochen das Bett hüten musste. Nachher wurde ihm der Platz wahrscheinlich zu warm, und er machte, dass er fortkam. Niemand erfuhr auch, wohin er sich gewandt, und es scheint jetzt, dass er hier im Westen sein Asyl aufgeschlagen. Er muss aber doch heruntergekommen sein, dass er nicht mehr auf eigene Hand, sondern für andere arbeitet. Gnade aber Gott den armen Teufeln, die sich durch ihn bewegen lassen, eine Heimat zu gründen, denn Gewissen soll der Schuft so wenig haben wie eine Klapperschlange.“

„Der Yankee hat ebenfalls ein polizeiwidriges Gesicht“, lachte Georg still vor sich hin, „aber derartiges Gesindel, menschliche Blutegel, die besonders auf Deutsche fahnden, gibt es überall in den Staaten, und sie lassen sich ebenso wenig ausrotten, wie unsere biederen Landsleute davon abbringen, sich ihnen anzuvertrauen. Wer ihnen nach dem Munde spricht, das ist ihr Mann, sie klammern sich an ihn als l e t z t e Hoffnung, und es bleibt stets das undankbarste Geschäft, ihnen die Wahrheit zu sagen.“

„Aber es schadet ihnen auch nichts, wenn sie einmal angeführt werden“, lachte Rolf. „Es ist eines der wahrsten Sprichwörter im ganzen Land, dass niemand einen Dollar in Amerika verdient, bis er nicht den letzten, mit von der alten Heimat herübergebrachten Cent verzehrt hat. Die Leute wollen und m ü s s e n erst durch Schaden – wenn auch nicht klug werden, denn dazu gehört noch mehr – aber doch wenigstens zu der Überzeugung kommen, dass sie bis dahin furchtbar dumm gewesen, und das bleibt immer der Anfang zum Besseren. Also wollen wir hier das Volk nur auch seinem Schicksal überlassen. Sie haben Ihre Pflicht getan und sie gewarnt, und wenn sie jetzt mit beiden Füßen in einen heißen Brei hineinspringen, nun, so mögen sie auch selber zusehen, wie sie wieder hinauskommen. Lassen Sie uns jetzt den Platz besehen, Georg, denn ich muss Ihnen gestehen, dass mir Donnersville – besonders mit Ihrer Familie hier in der Nachbarschaft, ausnehmend gefällt. In die steifen, geregelten und unnatürlichen Formen Deutschlands passe ich doch nicht mehr hinein. Ich würde den Leuten ins Gesicht lachen, wenn sie mich ,gnädiger Herr Graf’ nennen, und – da wir hier die Sklaverei abgeschafft haben, widersteht es mir, da drüben wieder Menschen in Livree, also weiße Sklaven, zu sehen und Zeuge all des Jammers zu sein, der dort noch unter der arbeitenden Bevölkerung, besonders der weiblichen, herrscht. Ich weiß, dass ich schon im ersten Jahre mein Vermögen aus dem Fenster werfen würde, nur um den Jammer zu lindern, und das wäre denn doch nichts anderes, als einen Fingerhut voll Wasser aus der See schöpfen. Kommen Sie – der Teufel hole die Grillen.“ Und in den Sattel springend, trabten die beiden jungen Leute die Straße hinab.

SIEBTES KAPITEL

Eine Negerversammlung.

Die kleine, betriebsame Stadt Covington liegt der Königin des Westens, dem großen Cincinnati, genau gegenüber im Staat Kentucky, und die schönste und l ä n g s t e Brücke der Welt, was wenigstens die Spannung des Hauptbogens betrifft53, verbindet jetzt die beiden Orte miteinander.

Kentucky ist einer der nördlichsten Sklavenstaaten54, der Ohiostrom, der aber im Sommer so seicht wird, dass man ihn an manchen Stellen durchwarten kann, trennte hier die freien von den Sklavenstaaten, und nur das Auslieferungsgesetz flüchtiger Neger55, das der Norden bis zum Kriege aufrecht erhielt, schützte den Süden. Das war jetzt vorüber. So sehr gerade Kentucky gegen die sogenannten Abolitionisten – das heißt solche, welche die Sklaverei systematisch bekämpften – geeifert und mehrmals sogar, gerade von Covington aus, seine Banden nach Cincinnati in Ohio hinübergesandt hatte und dort die Druckerei zerstören ließ, die in freisinniger Weise für die Menschenrechte auch der Neger aufzutreten wagte, so fühlten sich die Neger dieses Staates doch am ersten sicher, dass sie nicht wieder in Fesseln geschlagen werden konnten. Über den Ohio war es nur ein Schritt, und Unionstruppen standen überdies noch in ihrem Land und schützten sie gegen offene Gewalt.


Johann August Röbling


Covington-Brücke über den Ohio

Hier wurden denn auch zuerst größere Vereine gegründet und die Mittel besprochen, wie sich die „farbigen Leute“ am Besten und Leichtesten in dies neue Leben fänden. Dem Charakter des Negers nach hielt man diese aber ganz genau in der nämlichen Art und Weise ab, wie man es früher der bevorzugten Rasse abgesehen.

Es wurde ein alter, würdiger Neger mit schneeweißer Wolle zum Präsidenten gewählt; er war selber früher gewissermaßen Haushofmeister im Hause des Gouverneurs von Lexington gewesen und jetzt nach seinem Geburtsort zurückgekehrt. Als Schriftführer hatte sich ein von Cincinnati herüber gekommener freier Mulatte, der dort eine Barbierstube hielt, angeboten, und die zahlreich besuchte Versammlung, die in einem der größten Tanzlokale des Ortes abgehalten wurde, bot insofern ein nicht unbedeutendes Interesse, als sich auch die „Ladies“ dabei beteiligten und der ganze Raum von bunten und lichten Kleidern wimmelte.

Es ist eine eigentümliche Tatsache, dass alte Negerinnen, die stets viel Fett ansetzen, eine auffallend tiefe Bassstimme bekommen und auch durchschnittlich mit einem klangvollen Organ begabt sind. Sie genossen dabei nicht allein in den kleinen Städten, oder in größeren in ihrer Straße, nein selbst in den einzelnen Pflanzungen eine gewisse Autorität und es gab kaum etwas Würdevolleres, als solch eine alte, dicke Dame, die nach Feierabend, ihre kurze Tonpfeife rauchend, beide Hände auf die ausgespreizten Knie gestemmt, im stärksten Bass ihre Orakelsprüche aufgab – denn ich hätte keinem der „f a r b i g e n L e u t e“ raten wollen, ihr darin zu widersprechen. In einem solchen Fall ließen sie auch niemanden ihrer Rasse vorübergehen, ohne ihn anzureden, und gnade ihm Gott, wenn er sich in einer Antwort die geringste Blöße gab. Das ordentlich wiehernde Gelächter der alten Dame wie der Zuhörer würde ihn in voller Flucht die Straße hinabgejagt haben.

Dass sich d i e s e Damen nicht aus einer Versammlung halten ließen, in die sie mit Farbe und Geist gehörten, verstand sich von selbst, und selbst das junge Volk, wenn es sich auch noch nicht in den Saal selber gewagt, hielt doch Fenster und Türen besetzt, um wenigstens zu hören und zu sehen, was da drinnen vorging.

Merkwürdiger-, und doch leicht erklärlicher Weise haben sämtliche Schwarze, wenn auch in Amerika geboren, einen ganz besonderen Negerdialekt, der sich aber nur meist in Verstümmlung der Worte kund gibt. Statt des englischen ‚th’ sagen sie gewöhnlich ,d’ – statt „this child“ „dis child“ usw. – das oft gebrauchte Wort Master sprechen sie wie Massa – Mistress wie Missus – statt nothing noffin, statt of ob und tausend andere dem ähnliche Worte. Es wäre unerklärlich, wie alle ohne Ausnahme mitten zwischen einer gut und rein sprechenden Bevölkerung an solchem Dialekt festhalten könnten, und nicht endlich einmal, besonders die Kinder, zu einer besseren Aussprache gelangten, aber wo kamen sie je mit dieser bevorzugten Rasse in längere Unterhaltung? Sie erhielten Befehle, die sie ausführen mussten – weiter nichts; nur auf ihre eigene Rasse blieben sie angewiesen, und in der konnten sie ihren verstümmelten Dialekt nicht verbessern, und werden es auch noch nicht für eine lange Reihe kommender Jahre.

So niedrig und für den Sklaven vollkommen passend den Weißen aber auch diese Ausdrucksweise erscheinen mochte, so würdevoll wurde sie von den Versammelten behandelt, und als der Präsident nach einer etwas unruhigen Einleitung, in welcher jeder, besonders der anwesende Damenflor, das Wort haben wollte – mit energischer Handhabung der großen Glocke die Sitzung eröffnete und donnernder Stimme ordentlich hinausschrie: „Ladies and Gemmen!“ (das Negerwort für Gentlemen), da lagerte sich feierliche Stimme im ganzen Saal, und der würdige Präsident hätte jetzt seine Rede beginnen können, wenn ihm in dem Augenblick etwas eingefallen wäre.

Durch die Mühe aber, die er sich geben musste, um den Tumult zu beschwichtigen, schien er die Einleitung, wie er sie sich vorher überdacht, gründlich vergessen zu haben und zwei bis drei Mal stotterte er wieder sein Ladies and Gemmen, bis die jungen Dinger da draußen am Fenster schon zu kichern anfingen und das Publikum unruhig wurde.

„Ladies und Gemmen“, begann er da endlich, ärgerlich gemacht, noch einmal, „ich bin kein Redner, und kein Mensch kann es von mir verlangen, denn ich habe es nicht gelernt, aber ich wollte nur mitteilen, dass diese Versammlung zusammenberufen ist, um einige wichtige Sachen zu beraten.“

Er war jetzt in Schuss gekommen, und das Ganze ging ihm von nun an fließend genug, wenn auch in seinem schauerlichen Negerenglisch, von den dicken Lippen.

„Geehrte Gemmen besonders“, fuhr er fort, „Sie wissen, dass unsere bisherigen Massas, die jetzt Gottlob nichts mehr über uns zu bestimmen haben, uns, wie es ihnen einfiel, Namen gaben. Mich nannten sie Scipio oder Sip – da sitzt Bob, dort Pluto, dort Othello, da drüben Missus Lydia, Missus Euphrosine, Missus Coeleste und wie sie alle heißen, aber Ladies und Gemmen, das genügt nicht mehr, denn wir treten jetzt als Staatsbürger in andere Rechte. Wir werden zum Beispiel das Recht und die Pflicht bekommen, unsere Stimme nicht allein für die Gesetzgebung abzugeben, nein, wir können auch selbst hineingewählt werden...“

„Oh Loord à Massy!“ (Lord have mercy) schrie eine dicke Negerin in lauter Erstaunen auf.

„Und wie würde das klingen“, fuhr der Redner unbeirrt fort, „wenn wir bei der Wahl oder als Erwählte keinen anderen Namen anzugeben wüssten, als Sip, Bob, Dick, Othello oder sonst wie. Ja, die Behörden der Weißen haben sogar bestimmt....“

„Ich möchte den geehrten Redner darauf aufmerksam machen“, sagte plötzlich, während alles lachte und den Kopf dahin drehte, eine feine Stimme, „dass wir nicht mehr ,Behörden der Weißen’ sagen dürfen, indem diese Behörden jetzt ebenso gut für das farbige als das weiße Volk da sind.“

„Bravo – bravo!“, schrie es von verschiedenen Seiten. „U n s e r e Behörden.“

„Gemmen“, sagte der alte Neger demütig, „ich nehme den Verweis hin, ich gestehe ein, dass ich Unrecht habe; es heißt u n s e r e Behörden.“

„Bravo, Sip! Bravo, bravo!“, tobte der ganze Chor ringsumher. „Unsere Behörden!“

„Unsere Behörden also, Gemmen...“

„Bravo, bravo“, schrieen die Leute wieder, die sich augenscheinlich daran erfreuten, auch ein Wort in die Verhandlung mit einreden zu dürfen.

„Unsere Behörden also“, fuhr der Redner mit unzerstörbarer Geduld fort, „haben sogar angeordnet, dass wir uns jetzt – farbige Gemmen und Ladies – vorausgesetzt natürlich familienweise – N a m e n zulegen sollen – Vor- und Zunamen, wie wir wollen. Um Ihnen das – Ladies und Gemmen, durch ein Beispiel klar zu machen, heiße ich nicht mehr Scipio, wie ich bisher gerufen wurde, sondern Alfred Henderson, Esquire, denn wir haben das nämliche Recht, das Esquire hinter unseren Namen zu setzen, wie die Buckras56, meine Frau heißt Aurora Henderson und meine beiden Kinder Gustav und Hulda Henderson. Ich bitte deshalb die verehrte Versammlung, sich ebenfalls für irgendeinen Namen zu entscheiden und denselben hier gleich unserem verehrten Schriftführer Gentleman James Jefferson, Esquire, zu Protokoll....“

„Ich bitte ums Wort!“, unterbrach ihn eine Stimme aus der Menge.

„Entschuldigen Sie, ich bin noch nicht fertig“, sagte Alfred Henderson, indem er sich etwas beleidigt emporrichtete, „zu Protokoll zu geben. Dann, Ladies und Gemmen, erlaube ich mir, Ihnen noch anzuzeigen, dass in allen südlichen Staaten Büros errichtet werden sollen, die den Namen freed man’s Bureaus erhalten, wohin wir uns wenden können, wenn wir irgendein Anliegen haben. Viele von uns sind leider in die Lage gekommen, so lange die Sklaverei dauerte, einzelne Familienmitglieder durch Verkauf zu verlieren. Die weißen Gemmen wollen sich Mühe geben, darin Nachforschungen zu halten, und wer von einem der Seinigen keine Nachricht hat, der kann sich dort melden, um die nähere Beschreibung der Vermissten zu geben.“

„Oh Lord – oh Loord“, kreischte eine Anzahl von Frauenstimmen auf, „oh bless my soul – meine Livia, mein Nero – meine Lucy, mein Bob – oh, wo sind sie hin, Gentleman Sip – können wir es erfahren?“

Der alte Neger zuckte die Achseln. „Ich weiß es nicht, Ladies“, sagte er, „aber das freed man’s Bureau wird sich Mühe geben, es herauszubekommen, wenn Sie nur wenigstens mit einiger Bestimmtheit angeben können, wohin sie geschafft sind.“

„Aber woher sollen wir das wissen!“, rief eine dicke Negerin. „Massa hat meine beiden Töchter an einen Yankee verkauft, und dieser sie auf ein Dampfboot geschafft und den Strom hinabgeführt.“

Ein wilder Sturm entstand im Saal:

„Es gibt keinen Massa mehr! Niemand darf das Wort mehr gebrauchen! Ladies sollten vorsichtiger mit ihren Ausdrücken sein! ...“

„Nein! Kein Massa!“, schrieen andere. „Wir sind jetzt Massa selber, Massa soll der Teufel holen.“

„Oh Gemmen“, bat die Frau erschreckt, „es fuhr mir nur so heraus, wir haben es ja von Kind auf so gesagt und es klingt wie ein Name.“

„Aber wir wollen keine Massas mehr haben!“, schrie eine kleine, hagere Negerin, indem sie mit der dünnen, geballten Faust vor sich auf den Tisch schlug. „Und wer noch einmal das Wort gebraucht, soll die ganze Gesellschaft traktieren oder den Saal verlassen.“

„Hurra! Das ist recht“, schrieen andere wieder. „Wir wollen keine Massas!“

„Ladies“, bemerkte Mr. Alfred Henderson, wie er sich eben selber getauft hatte, „das schöne Geschlecht hat nur einen Sitz, aber keine Stimme.“

„Oho, Gentleman57 Sip!“, schrie eine alte Negerin. „Ob wir Stimmen haben. Sie rede ich noch in Grund und Boden hinein und behalte genug über, um drei andere tot zu machen.“

„Ich habe ums Wort gebeten!“, rief die feine Stimme wieder, und ein breitschultriger, baumstarker Neger erhob sich, um durch seine Erscheinung seinen Worten Nachdruck zu geben.

„Und was wünschen Sie, Gentleman Colibri?“, Welchen Namen er von seinem früheren Herrn bekommen.

„Ich mache den Vorschlag“, sagte der Breitschultrige, „dass wir hier erst morgen wieder zusammenkommen, um unsere neuen Namen anzugeben. Wir müssen uns doch erst mit den Unseren bereden, wie wir von jetzt an heißen wollen, und so auf dem Fleck fällt einem das ja doch nicht ein. Es muss auch ordentlich eingeschrieben werden, damit man den Namen, wenn man ihn wieder vergisst, erfragen kann.“

„Ja – das ist wahr – das ist wahr!“, rief es von einer Seite, während von der anderen der Vorwurf gemacht wurde, dass man seinen eigenen Namen doch nicht vergessen könne. Die Mehrzahl mochte sich aber doch wohl in der Hinsicht nicht ganz sicher fühlen, kurz, es wurde darüber abgestimmt und die Majorität entscheid sich in der Tat dahin, dass sie den morgenden Tag erst für die Abgabe des künftigen Namens ansetzen wollten. Die Damen waren überhaupt noch lange nicht mit sich einig, welchen sie etwa wählen könnten, denn recht hübsch musste er klingen, und die freie Wahl hatten sie ja dazu.

Das Ganze war allerdings für die farbige Rasse von nicht geringer Wichtigkeit, und es unterliegt wohl kaum einem Zweifel, dass sie nach Jahrhunderten von diesem Jahr ab ihren „Stammbaum“ rechnen werden.

Während die farbige Gesellschaft abstimmte, hatten zwei weiße Herren den Saal betreten und waren Anfangs misstrauisch von jenen betrachtet worden. Bald erkannten die hier in Covington Ansässigen aber den Friedensrichter unter ihnen, der überall als ein braver, tüchtiger Mann und ein Freund der Neger galt, und die Leute grüßten ihn und ließen ihn ruhig gewähren.

Nun hatte „Alfred Henderson“ allerdings geglaubt, dass der ganze Nachmittag mit dem Aufschreiben der Namen hingehen würde, nach dem gestellten Antrag aber, die Sache auf morgen zu verschieben, um eben Zeit zum Überlegen zu haben, war ihm der Stoff hier kurz abgeschnitten und er kam dadurch einigermaßen in Verlegenheit. Die Versammlung hätte aufgelöst werden müssen, und als letzten, eigentlich verzweifelten Versuch, wandte er sich noch einmal an die Anwesenden und sagte:

„Gemmen, es liegt für heute allerdings kein wichtiger Gegenstand mehr vor.“ Die parlamentarischen Phrasen hatte er sich doch bei früheren Gelegenheiten abgemerkt. „Hätte aber jemand von Ihnen noch einen Antrag zu stellen, der sich auf unsere gegenwärtige bürgerliche Stellung bezieht, so würden wir ihm sehr dankbar sein, wenn er jetzt damit herauskäme.“

Alles schwieg. Die farbigen Gentlemen sahen sich etwas verdutzt um. Sie waren nur hierher gekommen, Anträge zu hören und nicht selber welche zu stellen, und es entstand dadurch eine etwas lange und eigentlich beängstigende Pause. Die benutzte aber der Schriftführer, jener Mulatte Barbier, um aufzustehen und den Saal zu verlassen, während Alfred Henderson noch einmal seine Frage wiederholte, um dann, wenn keine Antwort erfolgte, die Sitzung für heute zu schließen. Alfred Henderson, weiland Sip, hatte außerordentlich viel parlamentarischen Takt; aber er kam trotzdem fast aus seiner parlamentarischen Fassung, als sich plötzlich, dicht hinter ihm, die schrillen Töne einer Violine hören ließen, die unmittelbar darauf auch schon in eine lebendige ‚Jig’58 übergingen.

Rasch drehte er den Kopf danach und fühlte sich aufs Tiefste empört, als er niemand Geringeren als seinen eigenen Schriftführer entdeckte, der da mit fertiger Hand, und ohne sich weiter um die ganze Versammlung zu bekümmern, seinen Bogen strich und auf die Versammelten jedenfalls einen wahren Zauber ausübte.

„Aber Gentleman Jefferson“, rief der Präsident in voller Aufregung, kam jedoch nicht weiter. Die junge farbige Bevölkerung, die draußen vor den Fenstern des Lokals stand und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit dieser ganz neuen Erscheinung – einer Debatte von farbigen Leuten gelauscht – und die verschiedenen Gruppen beobachtet hatte, hörte kaum die – hier allerdings nicht erwarteten, aber deshalb gerade um so mehr berauschenden – Töne, als sie im Nu jede Schranke niederwarf. Bei dem, was jetzt in dem Saal vorging, konnten sie ebenfalls ein Wort mit einsprechen, und im Nu war die Tür aufgestoßen, und die Masse drängte in vollen Schwärmen herein.

„Ladies und Gemmen!“ rief Alfred Henderson in blanker Verzweiflung aus, denn dabei ging seine Autorität allerdings zu Grunde. „Das kann ich nicht dulden! Das ist gegen das Gesetz! Wir haben hier eine politische Versammlung und das Geschäft ist zu ernst, um...“

Es half ihm nichts, denn nach drängte es in hellen Haufen, und mit Lachen und Kichern und Jauchzen sprangen die Paare schon dem Präsidenten gerade entgegen, den Saal entlang. Einhalt war da gar nicht mehr zu tun. Alfred Henderson donnerte allerdings dem leichtsinnigen Barbier einige Zornesworte zu, aber Mr. Jefferson war viel zu sehr in seine Melodie vertieft, da er noch dazu als Prompter59 dienen musste, um auch nur im Geringsten darauf zu hören, und im nächsten Augenblick schon war auch die ganze Versammlung dermaßen aufgelöst, dass an eine weitere Verhandlung nicht mehr gedacht werden konnte. Das sprang und jauchzte nur so durcheinander, und die schrillen Töne der Violine übertäubten jede weitere Ermahnung.

Die beiden Weißen, die Zeugen dieser Szene gewesen, hatten lächelnd dem wunderlichen Schluss der Versammlung zugeschaut. Erst aber als der Tanz in vollem Gange war und überall frische Paare antraten und den Boden dabei stampften, dass das ganze Haus erzitterte, verließen sie den Saal. Durch die starke Bewegung entwickelte sich außerdem eine Atmosphäre, die ihren Geruchsnerven widerstrebte, und es drängte sie hinaus an die frische Luft zu kommen.

Beide waren ein paar schlanke, hochgewachsene Männer, in ihrer Tracht, dem amerikanischen Schnitt, fast gleich und sehr anständig gekleidet, und doch hätte man lange suchen können, ehe man zwei Menschen gefunden, die in dem Ausdruck ihrer Züge eben wieder so verschieden gewesen wären, als diese gerade und der Unterschied lag nicht etwa in dem großen und starken Bart, den der eine von ihnen trug. Dieser war ein Deutscher, Fortmann mit Namen, stark und breitschultrig gebaut, mit einem guten, ehrlichen Ausdruck in den Zügen und einem Paar klarer, blauer Augen, die jedem, mit dem er sprach, fest und treuherzig begegneten.

Ganz verschieden von ihm war sein Begleiter, ein Amerikaner, dessen vollkommen glattrasiertes, aber scharf markiertes Gesicht ihn deutlich genug als ein Kind der nordöstlichen oder Neu-England-Staaten verriet. An Gestalt und kräftig gebautem Körper wie in seiner Kleidung hielt er sich mehr ungeniert, ja man hätte fast nachlässig sagen können. Die Kleider hingen ihm nur so auf dem Körper, der Hut saß ihm weit zurück im Nacken, die beiden Daumen trug er in den Armlöchern der Weste, und beide Ballen seiner noch ganz neuen Stiefel hatte er mit einem scharfen Federmesser aufgeschnitten, weil sie ihn wahrscheinlich etwas gedrückt.

Er hielt auch etwas auf Schmuck. Während sein Begleiter, der Deutsche, nicht einmal einen Goldreif an einem Finger zeigte, trug der Amerikaner eine große Tuchnadel, emaillierte Hemdknöpfchen, eine schwere Uhrenkette aus Stücken kalifornischen Goldes, und fünf, sechs Ringe mit bunten Steinen an seinen Händen; aber schwerlich aus Prunksucht, oder aus Prunksucht allein, denn der Mann sah nicht so aus, als ob er irgendetwas ohne einen bestimmten Zweck getan hätte. Er war Arzt in Cincinnati, trieb einen einträglichen Handel mit Patentmedizinen und hatte stets ein paar außerordentliche Kuren an der Hand, gegen die er unfehlbare Mittel wusste. Ob sie unfehlbar waren, blieb allerdings die Frage, aber Bill Taylor schien nicht der Mann, dadurch in Verlegenheit zu geraten. Sein scharfes graues Auge schweifte fortwährend, nicht etwa scheu, doch stets spekulierend umher; er sah alles, was um ihn her vorging; er studierte jeden Menschen, mit dem er in Berührung kam, und war dieser zu irgendetwas für ihn zu verwenden, so ließ er auch nicht nach, bis er es aus ihm heraus hatte.

Nur zu Fortmann hielt er sich nicht in dieser Absicht. Er hatte ihn bald durchschaut – und nichts war leichter – dass er ein braver, ehrlicher Kerl sei und kein Falsch in sich trage, und da er auch oft mit den Gerichten zu tun bekam, so schloss er sich ihm bald in freundschaftlicher Weise an. Fortmann dagegen amüsierte der spekulative, nie ruhende Geist des Mannes, und da der Doktor oft nach Covington kam, oder er auch häufig drüben in Cincinnati zu tun hatte, so trafen sie so jede Woche ein paar Mal zusammen.

Nur in Politik waren sie nicht einerlei Meinung, aber das schadete nichts und würzte eher die Unterhaltung. Fortmann war auch viel zu gutmütig, um es je zu einem wirklichen Streit kommen zu lassen.

„Well, Fortmann“, sagte der Yankee-Doktor, als sie die Straße betraten, „Gott sei Dank, dass wir wieder im Freien sind, denn dieser äthiopische Geruch fing mir an, den Atem zu versetzen. Wie gefällt Ihnen übrigens die Art und Weise, in welcher die Nigger einen Verein beschließen? Heh? Parlamentarisch, nicht wahr? Aber jedenfalls praktisch, denn sie verbinden das Nützliche mit dem Angenehmen, hehehe! – Und die Bande soll in den Kongress wählen dürfen.“

„Und finden Sie in dem Betragen dieser armen Teufel etwas Außerordentliches?“, fragte ihn Fortmann. „Es ist von Natur ein sorgloses, leichtfertiges Volk, sonst hätte es auch nicht die langen Jahre hindurch die drückende, ja zermalmende Last der Sklaverei ertragen. Jetzt aber sind ihm kaum die Fesseln abgenommen, und es springt in so übermütiger Freude in das neu begonnene Leben hinein, als ob es von jetzt ab für sie nur eine ununterbrochene Reihe von Feiertagen gäbe. Und doch sollen diese Menschen von dem heutigen Tage an etwas tun, was sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gekannt: nämlich für sich selber und ihre Familien sorgen und nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft werden. Eben deshalb aber liegt etwas tief Ergreifendes in der eben gesehenen Szene.“

„Etwas Ergreifendes?“, lachte der Doktor. „Vielleicht der Tanz?“

„Selbst der Tanz gehört dazu“, erwiderte Fortmann, mit dem Kopfe nickend. „Nehmen Sie aber den Zweck ihrer Zusammenkunft, den ersten Antrag, durch den die Neger bewogen werden sollen, sich und ihren Familien nur erst einmal einen N a m e n zu geben. Sie beginnen damit im wahren Sinne des Worts erst ihre bürgerliche Existenz, denn die altgriechischen oder römischen Namen, die ihnen früher von ihren Herren beigelegt und aufgezwungen wurden, waren nicht viel mehr als Nummern oder Bezeichnungen, wie man sie auch Hunden oder Pferden gibt. Familiennamen existierten gar nicht und deshalb treten sie auch erst mit diesem Schritt in wirkliche Familienbande ein, die kein Mensch mit einer lichteren Hautfarbe mehr das Recht hat zu trennen.“

„Mein lieber Fortmann“, sagte der Doktor, „Sie sind ein Schwärmer, und wenn ich aufrichtig sein soll, so glaube ich, dass sich die Schwarzen früher in ihrer Sklaverei viel wohler befunden haben, als sie sich fortan befinden werden. Jedenfalls haben sich die Staaten mit ihnen eine furchtbare Rute für die Zukunft aufgebunden.“

„Das Letztere mag sein“, nickte ihm Fortmann zu, „es ist das aber nur ,der Fluch der bösen Tat’ – die Strafe für den früher begangenen Menschenraub, der jetzt dies schöne Land mit einer nicht dahin gehörenden und, wie ich selber gern zugestehen will, im Ganzen auch unangenehmen Menschenrasse überschwemmt. Ich begreife nur nicht, wie Sie, als entschiedener Nordländer, noch der Sklaverei das Wort reden können.“

„Das begreifen Sie nicht?“, sagte Taylor. „Und doch leben noch Tausende und Tausende im Norden, die genau so wie ich denken.“

„Die aber der Krieg hoffentlich bekehrt hat.“

„Weit gefehlt, sondern die sehr bedauern, dass so viel wertvolles Blut einer so wertlosen Sache wegen geflossen ist.“

„Wertlosen Sache wegen!“, sagte Fortmann ungeduldig. „Taylor, es ist mit Ihnen wirklich nicht darüber zu streiten, aber der zweite Gegenstand der Besprechung schlägt alle Ihre Einwürfe gründlich zu Boden.“

„Und der war?“

„Diese freed man’s Bureaus, die den unglücklichen Eltern Gelegenheit geben sollen, zu erfragen, wo ihre weggeführten Kinder – den Kindern, wo ihre Eltern und Geschwister geblieben sind, welche nichtswürdige Händler fortgeschleppt, um zwanzig oder fünfzig Dollar an ihnen zu verdienen, während sie den einzelnen Familienmitgliedern kaltblütig und lachend die Herzen brachen.“

„Sind Sie Dichter, Fortmann?“, frug ihn der Freund und sah ihn dabei lächelnd von der Seite an.

„Ich? Nein“, sagte dieser, ziemlich ernst mit dem Kopf schüttelnd, „in dieser Sache braucht man aber wahrlich keine Poesie, um ihr einen höchst tragischen Ausdruck zu geben. Jedes unglückliche, verkaufte Negerkind ist ein Schmähgedicht auf die Bildung und Zivilisation der Weißen, und gerade dieser nichtswürdige Handel hat den Süden bis in den Grund und Boden hinein demoralisiert.“

„Sie übertreiben, Freund.“

„Wenn Sie wie ich“, rief Fortmann im Eifer, „Zeuge gewesen wären, wie junge, gebildete Damen in New Orleans und aus den besten Familien in meiner Gegenwart selber über die ,Zucht der Sklaven’ sprachen und ohne Scheu und Scham von einer jungen Mulattin offen erklärten, dass sie nichts wert wäre, da sie ,would not breed well’60, dann würden auch Sie mir Recht geben. Pfui Teufel über diese Southerner gentlemen and ladies, und besonders die Letzteren. Ich habe eine wahre Wut auf sie bekommen.“

„Sie müssen bedenken“, sagte Taylor, „dass der Süden den Neger nie als vollberechtigten Menschen anerkannt hat, sondern ihn eher als einen Übergang vom Tier zum Menschen betrachtet, wobei er diese Übergangsperiode benutzt, um denselben sich dienstbar zu machen.“

„Und finden Sie das nicht nichtswürdig?“

Taylor zuckte mit den Achseln. „Solch ein Glauben“, sagte er, „kommt bei verschiedenen Volksstämmen vor, und sogar selbst unter Ihren Landsleuten. So habe ich da drüben in meinem Haus einen etwas schmächtigen Landsmann von Ihnen, aber noch in den besten Jahren, der vollkommen davon überzeugt ist, dass sämtliche Menschen von dem Geschlecht der Vögel abstammen. Ja, er versicherte mir sogar eines Tages, als er sich nicht ganz wohl fühlte, dass er selber in der ,Mauser sei’.“

„Das ist ja eine Vogelkrankheit“, lachte Fortmann.

„Ja, jetzt weiß ich das auch“, erwiderte der Doktor, „denn ich habe mich später danach bei anderen Deutschen erkundigt, da mir das Wort noch nicht vorgekommen war. Anfang begriff ich ihn aber gar nicht, und es brauchte lange Zeit, bis wir uns miteinander verständigten. Erst als ich hinter seine tollen Schrullen kam, gelang es mir auch, indem ich darauf einging, ihn zu heilen – er ist rein verrückt.“

„Ein Deutscher ist es, sagen Sie?“ frug Fortmann.

„Allerdings“, erwiderte der Doktor, „und Sie kennen ihn gewiss; er macht ein bedeutendes Geschäft mit fremden Vögeln, europäischen, besonders aber auch Papageien und anderen gefiederten Bewohnern der Tropen, und hat dafür eine Menge von Leuten angestellt, die ihm nordamerikanische Vögel, besonders aus Louisiana die Mockingbirds oder Spottvögel, kleine Perroquets61, Kardinäle, blaue Häher und eine Masse von anderen einfangen, die er dann wieder seinerseits nach Deutschland schickt. Ich weiß, dass er schon ganz bedeutende Summen für besondere Vögel bekommen hat.“

„Sie meinen meinen Landsmann, Herrn Schultze“, lächelte Fortmann, „ich kenne ihn; aber wenn es so ist, wie Sie sagen, so scheint er doch nicht ganz verrückt zu sein und wenigstens seinen Vorteil im Auge zu haben.“

„Gewiss hat er das, sobald man nicht auf seinen wunden Punkt trifft“, bestätigte der Doktor, „und für sein eigenes Interesse zeigt er ein ganz warmes Gefühl, tut aber auch viel Gutes, und hat schon Leute auf der Straße aufgegriffen, mit nach Hause genommen, fotografiert und dann gespeist und beschenkt wieder entlassen.“

„Also ist er auch Fotograf?“

„Gewiss, und einer der besten, die wir in Cincinnati haben, kann aber nur sehr selten bewogen werden, Porträts anders als im Profil zu liefern, und wer ihm so nicht sitzen will, den fotografiert er gar nicht.“

Die Straße herunter und ihnen entgegen kam ein ältlicher, ganz anständig gekleideter Herr, der an ihnen vorbei ging und sie mit seinen kleinen, grauen Augen musterte. Beide Freunde schwiegen, bis er vorüber war, dann sagte Fortmann:

„Wenn ich je in meinem Leben ein konfisziertes Gesicht gesehen habe, so trägt es der Gentleman – wenn er das wirklich ist – sehr zu seinem Schaden in der Welt herum.“

„Ich wollte eben die nämliche Bemerkung machen“, meinte der Doktor, „der Bursche wohnt übrigens seit einiger Zeit drüben in Cincinnati; ich bin ihm dort wenigstens schon mehrmals begegnet und habe auch keine Idee, wovon er lebt, und woher er stammt. Er geht aber immer ganz anständig gekleidet und verkehrt, so weit ich bis jetzt wenigstens bemerkt habe, mit niemandem. Er hat wirklich ein grundgemeines, böses Gesicht und so ordinäre Züge, die vielleicht noch schärfer hervortreten, weil sie zu der ganzen übrigen Erscheinung nicht passen.“

„Mir fiel er besonders dadurch auf“, sagte Fortmann, „dass unmittelbar hinter ihm ein Mulatte ging, der gegen ihn wie ein Adonis aussah und dabei so offene und ehrliche Augen hatte. Wenn ich einem von den beiden fünf Taler borgen sollte, bekäme sie der ,Gentleman’ wahrhaftig nicht.“

„So weit nämlich ein Mulatte wie ein Adonis aussehen kann“, lachte der Doktor.

„Lachen Sie nicht“, sagte Fortmann, „ich habe in der Tat Schönheiten im strengsten Sinn des Worts unter den Männern wie Frauen der farbigen Rasse gefunden, und besonders um ihren Wuchs könnte sie mancher unserer Elegants62 und manche unserer Schönen beneiden. Sehen Sie das Mädchen an, das uns da entgegenkommt. Ihre Haut ist allerdings dunkelbraun, aber was für ein liebes Gesicht hat sie.“

„Und wie geschmackvoll ist sie gekleidet“, spottete der Doktor.

„Dagegen lässt sich nichts einwenden“, erwiderte achselzuckend Fortmann, „Geschmack haben die farbigen Damen nicht, und bunte Ausstattung ist nun einmal ihre Leidenschaft; aber war das auch nicht die einzige Freiheit, die ihnen gegönnt wurde? Lassen Sie mir die Neger zufrieden, Doktor – wie ruhig und friedlich wurde heute alles in der Versammlung behandelt, wie harmlos trat das arme, bisher so schwer gedrückte Volk zum Tanz an, wie ruhig und friedlich werden sie wieder auseinandergehen. Wären das Irländer gewesen – und es gibt keine größere Bande als die irländischen Arbeiter – so lägen schon Drei oder Vier mit blutigen oder gar zerschlagenen Schädeln auf der Seite. Stellen Sie selbst einen dieser irischen Säufer neben einen Neger und sagen Sie dann, wer das anständigere Gesicht von den beiden hat, und doch gehört der Ire zu der bevorzugten Rasse der Weißen.“

Die Straße herab kam ein schwarzer Stutzer, die wahre Karikatur eines Menschen, nach unseren Begriffen wenigstens. Er war wie ein Gentleman gekleidet, in schwarzem Frack und weißen Hosen, eine sehr bunte Weste, ein blauseidenes Halstuch mit hohen Vatermördern, riesig frisierter Wolle und einem Zylinder, der das Ganze krönte. Eine Unmasse falschen Schmuck trug er dabei an sich, eine Lorgnette hing ihm am Hals und ein feines Spazierstöckchen mit elfenbeinernem Griff hielt er an die wulstigen Lippen.

Als er vorüber ging, grüßte er sehr graziös, fast herablassend den Friedensrichter, den er kannte, und schwebte dann in einem halb tanzenden Gange vorüber.

Die beiden Freunde blieben stehen und sahen ihm lächelnd nach; nur wenige Schritte von ihnen entfernt saß eine alte, dicke Negerin, die Hände in ihrem Schoß gefaltet, die kurze Pfeife im Mund, vor der Tür ihrer Wohnung. Es war eine sogenannte Freie, die sich vor einigen Jahren losgekauft und eine Wäscherei eingerichtet hatte, bei der sie viel Geld verdiente.

„Ah, Missus Caroline“, rief der schwarze Stutzer, indem er ehrfurchtsvoll den Hut abzog und eine tiefe, zierliche Verbeugung gegen die Dame machte, „sehr erfreut, Sie wohl und munter zu finden.“

„Gentleman Jupiter!“, rief aber die alte Dame, indem sie die Hände auseinander nahm und beide vor lauter Erstaunen auf ihre breiten Knie schlug. „Nein, wie sehen Sie denn aus? Ich hatte Sie ja gar nicht gleich erkannt. Aber das tut kranken Augen wohl! Nein, das ist ja eine helle Pracht. Ich glaubte erst, es wäre unser junger Massa, der die Straße herunterkäme, so vornehm und prächtig.“

Gentleman lächelte. „Missus Caroline“, sagte er, indem er selbstgefällig mit seiner Lorgnette spielte – und er hatte dabei Augen wie ein Falke, „wir müssen den white folks doch auch zeigen, dass wir zu leben wissen – Kleider machen Leute, und Kleider waren doch das Einzige, was sie bis jetzt vor uns voraus hatten.“

„Kennen Sie den Burschen?“, frug Fortmann den Doktor.

„Ich habe nicht das Vergnügen“, erwiderte dieser.

„Er war einer der fleißigsten Neger, die wir hier im Ort hatten, und er verdiente sich in seiner Freizeit so viel, dass er schon fast das Geld zurückgelegt, was er brauchte, um sich selber freizukaufen. Ich weiß das so genau, weil er es mir selber indessen anvertraute. Jetzt ist er frei geworden, ohne es zu brauchen, und hat nun nichts Eiligeres zu tun, als es durchzubringen, wobei er natürlich nichts mehr arbeitet.“

„Und wenn er damit fertig ist?“

„Ich fürchte, dann wird er fortbummeln und das fortbleiben, was er jetzt augenblicklich ist – ein liederlicher Lump.“

„Schöne Aussichten.“

„Was wollen Sie?“, sagte Fortmann. „Sie können nicht verlangen, dass die plötzlich freigelassenen Sklaven auch ebenso plötzlich freie und vernünftige Menschen werden. Wir müssen ihnen ein Übergangsstadium gönnen, in dem sie Zeit haben, sich zu entwickeln und – durch Schaden klug zu werden. Der Neger hat etwas Affenartiges in seinem Nachahmungstrieb, und dass er sich dazu vorerst das Dümmste wählt, dürfen wir ihm nicht so übel nehmen, denn wir haben ihm ja nicht einmal Schulen gestattet und sogar selbst durch die Gesetze das Lernen verboten, selbst das Schreiben und Lesen.“

Ein junger, weißer Gentleman, wahrscheinlich der Sohn eines Pflanzers aus der Nachbarschaft, ging an ihnen vorüber. Er sah wüst und übernächtigt aus und schien sogar ein wenig angetrunken. Vor ihm, mitten auf dem Trottoir, stand Gentleman Jupiter, der alten Dame noch die größten Artigkeiten sagend und gar nicht auf den Weißen achtend. Dieser hätte auch wohl noch an ihm vorübergekonnt, Jupiter aber, um graziös mit der Lorgnette zu spielen, mochte in Gedanken seinen Spazierstock unter den Arm genommen haben, so dass dieser den Durchgang etwas verengte. Der Weiße aber fühlte sich nicht in der Stimmung, einem Nigger auszuweichen. Wie er nur an ihn herankam, riss er ihm den Stock unter dem Arm weg und schleuderte ihn auf den Fahrweg, während er den Neger ebenfalls beim Kragen fasste und den nichts Ahnenden gegen das Haus an und fast über Missus Caroline wegwarf.

„Oh Golly! Golly!“, schrie der Schwarze erschreckt auf.

„Kannst Du Nigger nicht beiseite treten!“, knirschte der Weiße zwischen den Zähnen durch, als er wütend vorüber schritt.

Gentleman Jupiter hätte die ausgemergelte Gestalt des jungen Mannes zwischen seinen Fäusten zerdrücken können, sowie er ihn nur angepackt, aber die alt eingewurzelte Scheu vor der bevorzugten Rasse lag ihm noch zu sehr in den Gliedern. Sein Hut war ihm abgefallen, den hob er zuerst auf, danach holte er seinen Stock von der Straße und bog dann beschämt und gedemütigt in eine Nebengasse ein.

„Da haben Sie den f r e i e n Neger“, lachte der Doktor, „glauben Sie, dass sich d i e s e Rasse je mit der weißen gleichstellen kann oder auf eine Stufe schwingen wird?“

Fortmann zuckte die Achseln.

„Es ist immer ein gefährliches Spiel, was diese Baumwollbarone mit den jetzt freigelassenen Sklaven spielen.“

„Aber ein ganz natürliches“, erwiderte Taylor, „sie hassen und verachten den Nigger und werden ihn nie als gleichberechtigt anerkennen.“

„Dann sehen wir hier im Süden noch einer schweren Zeit entgegen“, seufzte Fortmann, reichte dem Doktor die Hand und bog dann links ein, um seine eigene Wohnung zu erreichen.

In Amerika

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