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San Diego Pferdestraßenbahn von 1886 in einer Parade, 1911

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„Oh mein Gott! Oh mein Gott!“, rief das junge, unglückliche Mädchen, indem sie sich über die Leiche des alten Negers warf. „Onkel Pitt! Onkel Pitt, bis Du von mir gegangen? Haben sie Dich alten, braven Mann totgeschossen? Oh und meinetwegen nur, weil ich schwach wurde und nicht weiter konnte – oh, Onkel Pitt, Onkel Pitt, sei mir nicht böse – ich wäre ja selber lieber für Dich gestorben – was soll ich jetzt auf der Welt! Oh, nimm Deine Hebe mit Dir.“

Der junge Fremde hatte indessen den Geschossenen untersucht, aber es bedurfte keiner langen Forschung. Die Kugel musste ihm mitten durchs Herz gegangen sein, denn seine Pulse hatten lange aufgehört zu schlagen.

„Wo ist Ihre Wohnung, Miss?“

Das junge Mädchen hörte die Frage gar nicht, und sie musste zwei- oder dreimal wiederholt werden; endlich sagte sie leise und wehmütig:

„M e i n e Wohnung? Bei dem alten Mann war sie – jetzt habe ich keine Heimat mehr als das Grab.“

Der junge Fremde sah sich um – eine Droschke fuhr eben an dem dicht vorbeilaufenden Fahrweg hin, und er winkte dem Kutscher, zu halten.

„Ich habe einen Ermordeten hier und ein junges Mädchen, die ich nach Hause fahren will.“

„Eh, Sir?“, sagte der Mann. „Möchten aber wohl erst die Polizei dazu rufen – verlangen immer, das erste Wort darin zu sprechen.“

„Die Polizei wird sich wohl wenig um den Mann bekümmern“, sagte der Fremde, „es ist ein Neger.“

„Ein Nigger?“, rief der Droschkenkutscher und warf die Nase verächtlich in die Höhe. „Fahre weder tote noch lebendige Nigger, Sir“, und seinem Pferd die Peitsche gebend, trieb er es die Straße hinauf.

Der junge Fremde sah ihm mit einem verbissenen Fluch nach – aber was war zu tun? – Er hätte können fünf oder sechs Droschken anrufen und würde von allen die nämliche Antwort erhalten haben! N i g g e r! Der erbärmlichste, durch den Stoff bis tief unter das Vieh gesunkene Irländer würde sich zu gut gehalten haben, einen Neger auf seinem Karren nach Hause zu fahren, und seine einzige Hoffnung blieb jetzt, ein paar farbige Leute zu finden, die den Ermordeten von der Straße schafften.

Es hatte sich indessen eine große Menschenmenge um die Leiche versammelt, die man aber aus dem Gleis fortschaffen musste, da schon wieder ein Waggon derselben Bahn angerollt kam und die Verbindung nicht unterbrochen werden durfte. Die Leute standen scheu darum her und flüsterten miteinander, was das zu bedeuten habe, dass eine w e i ß e Lady um einen N i g g e r jammere. Es war nicht möglich, die bisherige Sklavin, wie sie da so gebeugt über den Ermordeten lag, als eine solche zu erkennen.

Indessen war aber doch die Polizei aufmerksam geworden, da eine Hauptstation gar nicht so weit davon entfernt lag. Ein paar Constabler kamen heran, wandten sich an den eben zurückgekehrten Fremden, der sich gerade Mühe gab, dem jungen Mädchen zuzureden, sich zu erheben und nicht noch mehr Aufsehen zu erregen.

„Wer hat den Neger erschlagen?“

„Ein Amerikaner, den ich nicht kenne; er entkam in die Street car, die dieser hier vorangegangen ist. Es waren drei Herren im Coupe und eine alte Dame.“

„Waren Sie Zeuge?“

„Ja – ich befand mich mit darin und sprang ab, um dem unglücklichen jungen Mädchen hier zu helfen, die in Begleitung des Toten da kam und einsteigen wollte.“

„Gehört sie zu ihm?“

„Allem Anschein nach ja, Sie sehen ihre Trauer.“

„Sie kennen sie nicht?“

„Nein.“

„Sie werden mit auf die Polizei müssen, um Ihre Aussage zu Protokoll zu geben.“

„Wenn Sie es verlangen, mit Vergnügen; aber was wird indessen aus der jungen Dame?“

„Wir werden sie bitten, mitzugehen.“

Der Polizeidiener schien in derartigen Dingen bewandert. Er hatte rasch ein paar Neger erspäht, die er wahrscheinlich kannte, und diesen den Auftrag gegeben, den Körper des Ermordeten auf die nächste Polizeistation zu schaffen; dann rief er eine Droschke herbei, und wenn es auch einige Mühe kostete, das junge Mädchen zu bewegen, sich von dem Toten zu trennen, so brachten das einige freundliche Worte des jungen Fremden, der sie darauf aufmerksam machte, wieviel Menschen sich schon sammelten, endlich dahin. Die Polizei verlangte es ohnedies, wie er ihr sagte, und der durfte sie sich ja doch nicht widersetzen.

Der zweite Polizeidiener hatte indessen schon eine andere Droschke genommen, um so rasch als möglich den bezeichneten Straßenwaggon zu verfolgen und den eigentlichen Mörder aufzufinden. Freilich war indessen schon viel Zeit vergangen und der Verbrecher hatte Zeit genug gehabt, an irgendwelcher Straße abzusteigen und in dem Gewirr der dort liegenden Landhäuser und Gärten zu verschwinden.

Auf der Polizei angekommen, wo bald darauf die beiden Träger mit dem Körper von ,Onkel Pitt’ eintrafen, musste Hebe, wie das junge, unglückliche Kind hieß – sie hatte ja keinen anderen Namen – ihre Aussage zu Protokoll geben – und dabei ihre Lebensgeschichte.

Es war ein einfaches, aber ergreifendes Bild jener Zustände, die der Fluch der Sklaverei geschaffen und an denen Tausende und tausend unglückliche Wesen zugrunde gingen oder, geistig wie körperlich zu Boden gehalten, in Knechtschaft ihr Leben verbrachten.

Hebe wusste gar nicht, wo sie geboren war, und erinnerte sich nur noch dunkel einer Frau, die sie gepflegt, und die wahrscheinlich ihre Mutter gewesen – dann war diese auf einmal nicht mehr zu ihr gekommen, und eine alte Negerin übernahm ihre Pflege. Auch diese starb, aber sie selber war indes so herangewachsen, dass sie leichte Hausdienste übernehmen konnte. Das war im Hause eines reichen Pflanzers am See Pontchartrain, dem sie auch gehörte – dem Herrn Owen Karr. Als sie aber heranwuchs – und das arme Kind stand dabei wie mit Blut übergossen – wurde ihr der Aufenthalt in dem Haus zur Qual, bis plötzlich die Nachricht kam, das a l l e Sklaven frei wären und von ihren Herren nicht zurückgehalten werden dürften. Da floh sie das Haus, und ein alter, freier Neger, den sie kannte, eben jener Unglückliche, ,Onkel Pitt’, nahm sie in sein Haus auf. Er wohnte noch eine kurze Strecke hier hinauf in einer Seitenstraße. Heute nun war sie mit ihm in der Stadt gewesen, um sich, dem neuen Gesetz nach, unter einem bestimmten Namen eintragen zu lassen, unterwegs aber von der Hitze matt und halb ohnmächtig geworden, sie hatten die Pferdeeisenbahn benutzen wollen und da – sei das Entsetzliche geschehen und der alte, gute Mann, der sie wie ein Kind aufgenommen, bei dem allein sie ihre Zuflucht gesucht und Schutz gefunden – ermordet worden.

„Kannten Sie den Menschen, der das verübt?“

„Nein – er hatte nur nicht dulden wollen, dass ein Neger den Straßenwaggon bestiege.“

„Würden Sie ihn wiedererkennen?“

Sie wüsste es nicht, er hätte ihr den Rücken zugedreht gehabt.

„D i e s e r Herr sei es nicht gewesen?“

„Oh nein, wahrlich nicht; dieser Herr hatte ihr nur geholfen, den Wagen zu verlassen, nachdem der Schuss schon gefallen, während ein anderer sie hatte zurückhalten wollen.“

„Hatte der Tote Familie?“

„Ja – seine Frau lebte noch, und selbst deren alte Mutter hatte er bei sich.“ Die alte Frau war auch frei gewesen, denn wie sie zu alt wurde, um noch etwas zu arbeiten, hatte sich ,Onkel Pitt’ erboten, sie zu sich zu nehmen und für sie zu sorgen, wenn ihr ihr vormaliger Herr einen Freibrief schreiben wollte, was dieser denn auch gern getan. Er brauchte von nun an ja nicht mehr für sie zu sorgen, und das war alles, was er ihr für die treuen Dienste eines Lebensalters gab.

Die Gerichte in den südlichen Staaten hatten damals einen schweren Stand, denn der Umschlag von Sklaverei zur Freiheit in der farbigen Rasse war zu schnell gekommen, um diese mit ihren Rechten sowohl als ihren Pflichten vertraut zu machen. Aber auch die bisherigen Herren konnten oder wollten noch nicht begreifen, dass sie Privilegien, die sie von ihren Vätern ererbt, entsagen und sich in die neuen Gesetze finden müssten. Es war, mit einem Wort, noch alles zu neu – noch nichts geregelt, und schwer, da immer zur rechten Zeit und in der rechten Weise einzugreifen. Außerdem aber hatten selbst viele der nördlichen Beamten noch immer Sympathien mit dem Süden, da man sie von Jugend auf, selbst in den nordischen Staaten, gelehrt, dass die Neger oder N i g g e r, wie man sie allgemein verächtlich nannte, eine vollkommen untergeordnete Menschenrasse, ja sogar näher dem Tier als den Menschen wären. Nicht allein die südlichen Pflanzer, die ihr Eigennutz dazu trieb, nein auch selbst einige dickköpfige deutsche „Gelehrte“ sprachen ihnen sogar menschliches Gefühl ab, und die südlichen Geistlichen bewiesen dabei aus der Bibel, aus der sich, wie bekannt, a l l e s beweisen lässt, dass Gott selber die Sklaverei eingesetzt und gebilligt habe.

In diesem Fall war also, der Meinung der Herren nach, nichts zu tun, noch dazu, da der Schuldige später nicht einmal aufgefunden werden konnte. Die drei jungen Leute hatten, um unangenehmen Erörterungen zu entgehen, die Straßeneisenbahn unterwegs verlassen, und wie wäre es möglich gewesen, sie später in der ungeheuren Stadt, noch dazu ohne einen bestimmten Ankläger, wieder aufzufinden. Ein Neger war in der Straße totgeschossen – die Tatsache stand fest; der Coroner, wie die Leichenbeschauer in den Vereinigten Staaten genannt werden, bestätigte, dass der „Negroe“ durch einen Schuss in die Brust vom Leben zum Tode gebracht sei – das war alles – der „Negroe“ wurde dann hinausgefahren und begraben – nicht seinet-, sondern der Kommune wegen – der Mörder konnte nicht aufgefunden werden, und die Sache war abgemacht.

Und Hebe? – Das Gericht hatte alles von ihr erfahren, was sie wusste – sie konnte gehen; aber als sie hinausschwankte, folgte ihr der junge Fremde, nahm ohne weiteres ihren Arm, obgleich sie sich anfangs scheu von ihm zurückziehen wollte, und sagte herzlich:

„Fürchten Sie sich nicht, Miss, ich bin kein Südländer, nicht einmal ein Amerikaner, sondern komme weit über das Meer herüber, wo wir den Fluch der Sklaverei lange verdammt und hier auch wacker mitgeholfen haben, ihn von dem schönen und sonst freien Land zu nehmen – vertrauen Sie sich mir ruhig an, dass ich Sie in Ihre Wohnung begleite.“

„Ich bin ein Nigger, Sir“, sagte das arme Wesen, mit schwerer Bitterkeit im Ton, „lassen Sie mich, ich m u s s meinen Weg ja doch fortan allein finden.“

„Ob Sie sich selber Nigger nennen oder nicht“, lachte aber der Fremde gutmütig, „Sie machen dadurch auf mich keinen Eindruck, und ich werde Sie jetzt nicht verlassen, bis ich Sie sicher in Ihrer Heimat weiß – wo ist sie?“

„M e i n e Heimat?“, sagte das arme Kind wehmütig. „Als Onkel Pitt noch lebte, hatte ich sie bei ihm, aber seine Frau ist arm und alt - e r konnte verdienen, aber sie kann es nicht mehr, und ich muss sehen, wo ich jetzt eine Zufluchtsstätte finde – am liebsten auf Pottersfield66 draußen, neben Onkel Pitt“, setzte sie leise und scheu hinzu.

„Und wäre es Ihnen recht, eine Stelle in einer f r e m d e n Familie anzunehmen; bei Leuten“, setzte er rasch hinzu, als er sah, wie sie den Blick scheu und fast erschreckt zu ihm aufschlug, „welche die hiesigen Vorurteile nicht kennen und Sie freundlich behandeln und gut mit Ihnen sein werden?“

Hebe wandte sich langsam ab; es war, als ob sie sich den gemachten Vorschlag überlege, aber mit scheuer, leiser Stimmte sagte sie endlich:

„Wer wird m i c h haben wollen, aber – ich helfe mir schon durch. Wenn ich auch keine schwere Arbeit gewohnt bin, kann ich sie doch verrichten, und Arbeit finde ich schon in der Stadt – ich will nichts geschenkt, nichts umsonst haben.“

„Das sollen Sie auch nicht“, sagte der junge Fremde. „Aber haben Sie gar kein Eigentum? Gar keine Kleider oder Wäsche?“

„Eigentum!“, seufzte das Mädchen bitter. „Noch vor wenigen Wochen fast war ich selber Eigentum und durfte nichts mein nennen. Was hätte ich mitnehmen dürfen, als ich das Haus meines bisherigen Herrn verließ – was ich bisher brauchte, borgte mir Onkel Pitt von der armen Frau.“

„Armes Kind“, sagte der junge Mann, „also förmlich hinausgestoßen in die Welt in so jungen Jahren! Aber ich will doch sehen, ob sich nicht gute Menschen Ihrer annehmen. Lassen Sie mich jetzt mit zu Ihrem Hause gehen, zum Hause des alten, unglücklichen Mannes. Es liegt Ihnen dort ja doch noch die schwere Pflicht ob, der armen Frau die traurige Kunde mitzuteilen und sie zu trösten.“

Das Mädchen sah immer noch scheu zu ihm auf.

„Sie sind kein Amerikaner?“, sagte sie endlich. „Ihre Sprache klingt anders.“

„Nein, ich bin ein Deutscher.“

„Onkel Pitt hat mir immer gesagt, die Deutschen wären viel besser mit den Negern als die Amerikaner. Ach, wenn Sie sich nicht vor den Negern scheuen und mit zu der alten, armen Frau kommen wollten. Ich fürchte mich so sehr, allein zu ihr zu gehen und ihr das Schreckliche zu erzählen.“

„Ich gehe mit Ihnen, liebes Kind.“

„Und Onkel Pitt? Oh, was wird aus dem armen, alten Mann?“

„Sie kannten ihn auf der Polizei und werden dort das Nötige verfügen. Ich verspreche Ihnen, dass er ein anständiges Begräbnis haben soll. Wohnte der Ermordete weit von hier?“

„Nein, nicht weit – aber geschieht dem Mörder so gar nichts? Darf er so ungestraft um ein Menschenleben entkommen?“

Der junge Deutsche zuckte mit den Achseln. „Ich fürchte fast, die Polizei wird sich keine übergroße Mühe geben, ihn herauszufinden“, sagte er, „es sind noch ungeregelte Zustände hier, mein armes Kind; aber eine bessere Zeit bricht für Euch an. Wie der Norden jetzt Eure Freiheit erkämpft und gesichert hat, so müsst Ihr nun selber daran fortbauen. Die Kinder Eurer Rasse dürfen jetzt Schulen besuchen und sich zu tüchtigen Leuten heranbilden. Der Fluch Eures Stammes wird mit der Zeit schwinden und ein neues Leben für Euch beginnen.“

„Wenn wir im Grabe liegen...“, sagte das junge Mädchen düster. „Aber hier sind wir an des armen Onkel Pitt Haus. Ach, dass die nächste Stunde erst vorüber wäre!“

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