Читать книгу In Amerika - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 4

ZWEITES KAPITEL

Оглавление

In Belleville.

Belleville war ein reizendes kleines Binnenstädtchen im Süden des Staates Georgia, und wenn man sich ihm aus der Ferne näherte, so hätte man es sogar, der Anzahl von Gebäuden nach, für eine größere Stadt halten können. Und doch bestand es nur aus sehr wenig Wohnungen w e i ß e r Insassen, um die sich dann aber freilich größere Komplexe von Negerhütten reihten, so dass es mit diesen, wie mit den Zuckerfabriken und Baumwollenmaschinen, mit Rathaus, Hotel, Apotheke und einigen Privathäusern, einen ziemlich bedeutenden Flächenraum einnahm.

Das Rat- oder sogenannte Courthouse bildete den Mittelpunkt – dicht daran schloss sich das Gefängnis, und ein breiter grüner, aber nicht gepflegter Rasenplatz dehnte sich davor aus und wurde von einzelnen Büschen der Wunderblume oder des Rizinusbusches9, der auch hier zu hohen Sträuchern emporwuchs, mehr überwuchert als geziert.

Das Hotel war ein sehr anständiges und natürlich nur von Weißen besuchtes und benutztes Gebäude; ja eigentlich diente es nur der Aristokratie des Landes zum Verkehr, denn die wenigen weißen Ansiedler hier, die teils aus dem Norden hergezogen waren, nahmen nur eine sehr untergeordnete Stellung neben den stolzen Pflanzern ein und wurden an solchen Stellen, wo diese ihre Zusammenkünfte hielten, nicht einmal gern gesehen und stets zurückgesetzt. Verachteten jene südlichen „Herren“ doch grundsätzlich die arbeitende Klasse, welcher Farbe sie auch angehörte, und kannten n u r den Unterschied zwischen schwarzen und weißen Sklaven, dass die ersteren als „Eigentum“ betrachtet wurden, die letzteren aber – leider – nicht.

Unmittelbar um Belleville her reihten sich drei sehr bedeutende Pflanzungen und umschlossen mir ihren Baumwoll- und Zuckerfeldern, in denen dann wieder zahlreiche Fabriken und Maschinen standen, die ganze Stadt, während die Wohngebäude oder vielmehr „Herrenhäuser“ derselben sämtlich so gebaut waren, dass sie nur noch durch ihren großen, prächtigen Garten von den Außengebäuden der Stadt selber getrennt blieben und dadurch förmlich im Grünen und mit der Aussicht auf ihre Negerhütten und Felder lagen.

Man errichtet diese Gebäude in den südlichen Teilen der Vereinigten Staaten fast alle nach einem einzigen, aber sehr freundlichen Muster und selten übermäßig groß, so dass sie nur der Familie selber vollgenügenden Raum bieten und noch ein paar Fremdenzimmer umfassen, denn Gastfreundschaft – aber selbstverständlich nur unter ihresgleichen – herrscht überall.

Ein Arbeiter, ja selbst ein Farmer, wenn auch ein Weißer, würde nie dort Aufnahme gefunden haben, so lange er selber die Hand an seinen Pflug legte. – Hielt er sich Sklaven, so war das schon etwas Anderes; aber eine gewisse Quantität Ballen Baumwolle für die Ernte gehörte immer dazu, um ihn als gleichberechtigt in die Gesellschaft einzuführen. Die Herren n a n n t e n sich allerdings Republikaner, aber es gibt deren doch nur sehr wenige in Wirklichkeit.

Das Haus Mr. Taylgroves – eines der reichsten Pflanzer in der ganzen Gegend – lag hier am Eingang des Orts, wenn man ihn von Nordosten kommend berührte. Zuerst führte eine breite Straße, die nur von den Umzäunungen der Zucker- und Baumwollenfelder eingefasst wurde und weit über eine englische Meile auch nicht den geringsten Schatten bot, direkt auf Belleville zu, und das erste Laub, was man traf, war eine mächtige Orangenhecke, die nach Norden zu das ganze Negerdorf einfasste. Dann kamen diese Hütten, kleine, von außen ziemlich wohnlich aussehende Gebäude, jedes mit einem Miniaturgarten daran, die aber gut gepflegt wurden und nicht allein Gemüse und Früchte, sondern auch Blumen trugen und – etwa zwanzig an der Zahl – in einem regelrechten Viereck gebaut und von drei ordentlichen Straßen durchschnitten wurden.

Südlich an die Negerhütten schloss sich dann wieder ein schmaler Streifen Garten an, der noch zum Herrenhaus gehörte und kleine Bosquets10 von niedrig gehaltenen Orangen, Granatbäumen und Pfirsichen enthielt – und jetzt kam die Wohnung selber, die fast unmittelbar an der Hauptstraße lag und von dieser eigentlich nur durch vier weitastige Chinabäume, die aber Raum genug zum Durchsehen gaben, getrennt wurde. Im Sommer trugen diese Bäume nun allerdings ein dichtes Laub und prachtvolle lila Blüten, die, einen wonnigen Duft verbreitend, in Trauben niederhingen. Jetzt hatte der Spätherbst die Blätter von den Bäumen geschüttelt, die Äste standen kahl, und nur dicke Bündel runder gelblicher Beeren hingen noch daran und erhöhten das wunderliche Aussehen der Wipfel, durch welche man jetzt auch deutlich die Form des Hauses selber erkennen konnte.

Es war, wie alle diese Häuser, ein einstöckiges hölzernes Gebäude, freundlich angemalt und durchweg mit grünen Jalousien versehen. Rechts und links befanden sich die beiden Schornsteine zu den Kaminen im Innern, und vorn hin lief vor dem unteren Geschoss eine Piazza oder Galerie, auf der dann die durch das vorspringende Dach des Hauses geschützte Veranda der oberen Räume lag.

Hier befanden sich die Wohnzimmer der Damen, und einen reizenderen Aufenthalt konnte man sich kaum denken.

Trotz der vorgerückten Jahreszeit brannte die Sonne in dieser südlichen Breite doch noch heiß genug auf die Erde nieder, aber dort oben bot eine förmliche Hecke der prachtvollsten Topfgewächse hinlänglichen Schatten, und buschige Lianen rankten noch außerdem an den Pfeilern hinauf. Dort oben waren zwei Hängematten geschlungen, und in der einen lag ein bildschönes junges Mädchen von vielleicht siebzehn Jahren, in der anderen ihre Mutter – eine Dame, die wirklich kaum viel älter als die Tochter aussah und auch in der Tat kaum dreiunddreißig Jahre zählte. Neben jeder aber stand ein junges Negermädchen, fast noch Kinder beide, mit einem breiten Pfauenfächer in der Hand, und fächelten den Damen Kühlung zu. Es war Herbst, ja, aber die Sonne brannte doch noch recht heiß auf den Boden nieder, und der Schwarm von Negern, der noch draußen in den Baumwollfeldern eine etwas verspätete Nachlese hielt, schaffte mit tropfender Stirne die schweren Körbe der Reinigungsmaschine zu.

Die Freiheit aller Sklaven war in Washington proklamiert worden, die Sklaverei aufgehoben; und das schöne Wort in der Constitution11: „Wir halten folgende Wahrheiten für klar und keines Beweises bedürfend, nämlich: dass alle Menschen gleich geboren, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt sind; dass zu diesen: Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit gehören usw.“, es war endlich zu einer wirklichen Wahrheit, auch den Gesetzen nach, geworden. Aber hier im Inneren der Rebellenstaaten, deren Territorium trotz dem schon dreiundeinhalb Jahr dauernden Krieg noch kein Unions-Soldat, außer als Gefangener, betreten hatte, verhöhnte man das im Norden gegebene Gesetz und trotzte noch immer auf die freilich schon arg bedrängte und ringsum abgeschlossene Armee der Südstaaten, die unter General Lee bald da, bald dort die immer enger gezogenen Bande zu durchbrechen suchte.

Unterliegen? Der Süden konnte nicht unterliegen, wie die Herren meinten; und wo sie schon so oft die nördlichen Armeen geschlagen und sogar die Hauptstadt der Union, Washington, ein paar Mal ernstlich bedroht hatten, hofften sie auch diesmal wieder auf einen Umschlag zu ihren Gunsten, der dann, weil so und so oft eingetreten, die Ausdauer des Feindes brechen und den Krieg dadurch beenden sollte: dass man ihre Rechte anerkannte und sie selber als souveräne Macht betrachtete12.

In der oberen Piazza des Hauses, im Schatten duftender Blütenbüsche, schaukelten die Damen in ihrer Hängematte, und drunten in dem Baumwollfelde, auf das die Sonne ihre sengenden Strahlen niedersandte, keuchten eben so zarte Wesen wie sie, nur mit schwarzer oder gelber Haut, von Reihe zu Reihe, und die Peitsche des Negeraufsehers oder Negertreibers, wie er ganz richtig genannt wurde, zog breite Striemen über ihre Schultern, wenn sie einen Moment ermattet in ihrer endlosen Arbeit einhielten.

Da hob sich eine Staubwolke in der Allee, die zwischen den Feldern, an dem Haus vorüber, in die Stadt führte, und lautes Lachen und Pferdegestampfe wurde von dort her gehört. Scheu aber blickten die Sklaven von ihrer Arbeit auf, denn sie wussten nur zu gut, was der Lärm bedeute; sie wussten, weshalb die „Herren“ heute Morgen ausgeritten waren und den bösen Buckra13 mit seinen schrecklichen Hunden zu ihrer Begleitung genommen hatten. Der „Farbige“ (denn die Neger nennen sich untereinander nur coloured people oder farbige Menschen), der am letzten Sonntag zu ihnen gepredigt und ihnen nur „gute Worte“ gesagt hatte, war von irgendeinem Verräter unter ihnen bei den Weißen verklagt worden und dann nur durch rasche Flucht jener Verhaftung entgangen. Was aber half dem Unglücklichen Flucht, wo sie die furchtbaren Hunde auf seine Fährte hetzen konnten. Menschliche Kräfte reichten da nicht aus, um den flüchtigen Verfolgern zu entgehen, und schon das Lachen, das aus der Staubwolke tönte, verkündete nur zu deutlich den gelungenen Fang.

Aber bald sollten sie sich auch mit eigenen Augen von der entsetzlichen Tatsache überzeugen, denn selbst der „Negertreiber“ war neugierig geworden und nach der Fenz14 zu geeilt, während die Sklaven sämtlich ihre Arbeiten einstellten und nach der nicht fernen Straße hinüberstarrten. Und dort kam der kleine Zug, voran ihr eigener Herr, Mr. Taylgrove, mit seinem Nachbar, dem wegen seiner Grausamkeit gegen seine Sklaven berüchtigten Urguard; neben diesem aber lief mit bloßen Kopf und triefender Stirn, die Arme auf den Rücken geschnürt, die Kleider nur in Fetzen an seinem Leib hängend, der unglückliche Gefangene – dann kamen die übrigen „Herren“, die sich der Jagd wie einem Vergnügen angeschlossen, unter ihnen auch der Doktor von Belleville, eine lange, hagere Gestalt mit einem bösen Gesicht und zum Überfluss auch einem schielenden Auge. Hinter diesen erst und ein Stück zurück kam der Yankee Sherard mit seinen beiden Bluthunden, diese aber fest an der Leine, so dass sie nicht selbst jetzt noch über die ihnen entzogene Beute herfielen. Sie hatten ihre Schuldigkeit getan, ihrem Herrn an dem Morgen etwa fünfunddreißig Dollar Silber, wie vorher ausbedungen, verdient, und ein Menschenleben war jetzt der Willkür dieser übermütigen Baumwoll-Barone verfallen.


Eine typische Fenz aus roh behauenen Stangen

Taylgrove sah allerdings, dass seine Neger feierten, und zu jeder anderen Zeit würde er es streng gerügt haben; unter diesen Umständen aber war es ihm vollkommen recht, denn sie gerade sollten sehen, wie die Weißen in allem, was ihr „Eigentum“ betraf, keinen Spaß verstanden und irgendeinem auch nur gemachten Versuch, sie in dessen Besitz zu stören, die Strafe auf dem Fuße folgen ließen.

Jetzt näherte sich der Zug dem Hause, auf dessen Balkon die Damen schon aufmerksam geworden. Sie waren aufgestanden und an die Rampe des Balkons getreten, und es gab kaum einen lieblicheren Anblick als diese drei reizenden Frauengestalten, wie sie dort, von Blütenbüschen und geschwungenen Ranken umgeben, herausschauten.

„Habt Ihr ihn?“, rief Mrs. Taylgrove ihrem Manne entgegen, wie sie ihn nur in Hörweite wusste.

„Ei gewiss!“, lautete der fröhliche Ruf zurück. „Die Hunde waren vortrefflich!“

„Bravo, bravo!“, riefen die beiden jungen Damen und klatschten vor Freuden in die Hände. „Und was geschieht mit ihm, Mama?“

„Was mit ihm geschieht?“, sagte die Dame verwundert, als ob darüber auch gar kein Zweifel mehr obwalten könne. „Nun, versteht sich, wird er gehangen. In jetziger Zeit müssen abschreckende Beispiele gegeben werden oder die Herren Nigger wachsen uns über den Kopf.“

„Ach, wenn wir das nur auch mit ansehen könnten“, rief Lucie, die Älteste der Töchter, „darf ich mir mein Pferd satteln lassen, Mama?“

„Dann gehe ich mit!“, rief Jenny, die Jüngste.

„Wir wissen ja noch gar nicht, wann und wo das geschieht, Kinder“, sagte aber die Mutter, „jedenfalls stecken sie den Menschen jetzt erst ins Gefängnis, sie hätten ihn sonst gar nicht mit herein gebracht und bis dahin kommt dann auch der Vater nach Hause. Hören wir nachher etwas Bestimmtes, so lasse ich anspannen und wir fahren alle zusammen.“

Die Damen folgten dem Zug mit den Augen, so lange sie den unglücklichen Mulatten in Sicht behalten konnten.

Indessen hatte der herbeigerufene Vice-Sheriff von Belleville, ein heruntergekommener Franzose, der früher ebenfalls Sklaven gehalten, dann aber Bankrott machte und durch den Trunk so tief sank, dass er zuletzt froh war, diesen Posten als quasi Gefängniswärter zu bekommen, den gebundenen Gefangenen übernommen und in seine Zelle abgeführt, und die Reiter zügelten natürlich vor dem Hotel ihre Pferde an, um dort einmal einen frischen Trunk – Claret mit Eis15 – zu tun und dabei nachher das Schicksal des Unglücklichen, oder doch wenigstens die Form, zu beraten; denn was mit ihm überhaupt geschehen müsse, darüber herrschte nicht die geringste Meinungsverschiedenheit unter ihnen. Es verstand sich von selbst, dass er gehangen wurde, aber es war trotzdem nötig, ein gewisses Verfahren dabei zu beachten, dass sich die Betreffenden nicht später den Vorwurf verübten Mordes zuzogen. Lag doch eigentlich noch nicht einmal eine Anklage gegen den Gefangenen, sondern nur eine Denunziation, noch dazu eines Negers, vor, und gerade deshalb war es nötig, die weiße Bevölkerung des Ortes zu dem Urteil heranzuziehen.

Einer Unregelmäßigkeit gegen die Gesetze machte man sich bei alle dem schuldig, denn das eigentliche Gericht saß jetzt nicht, und dem regelmäßigen Gang der Geschäfte nach hätte der Gefangene für die gesetzlichen Assisen16 aufgehoben werden müssen, aber wer kümmerte sich um die genaue Befolgung solcher Vorschriften im Krieg. Jetzt herrschte ein Ausnahmezustand, und dass sich die Pflanzer, überdies gereizt und erbittert, eine solche Gelegenheit nicht entgehen ließen, verstand sich doch von selbst.

Das Hotel de Belleville hatte früher das Sternenbanner im Schild gehabt und sich lange Jahre wohl darunter befunden. Gleich aber nach Ausbruch der Revolution, und nachdem die Rebellen bei der Einnahme von Fort Sumter17 die „Sterne und Streifen“ in den Staub geworfen und ihre eigene Flagge gehisst hatten, fand es der Wirt für unumgänglich nötig, auch sein Schild zu wechseln und vertauschte es natürlich mit der neugewählten Flagge der Sezessionisten.

Es war überhaupt das Verkehrteste gewesen, was die Rebellen hätten tun können, dass sie nämlich das Sternenbanner, für das ihre Vorfahren eben so gut gekämpft als der Norden, da selbst Georgien zu den ersten dreizehn Staaten gehörte, welche England den Krieg erklärten18 – dass sie also das Sternenbanner fallen ließen und zu einer neuen und den Staaten fremden Flagge schwuren. Tausende wären unsicher geblieben, auf welcher Seite sie kämpfen sollten, wenn beide das nämliche Banner beibehalten hätten; die alten Sterne und Streifen übten aber doch die größte Anziehungskraft, und von dem Moment an blieb auch schon das Schicksal der Rebellion – ob es sich auch noch Jahre hinaus zögerte – entschieden.


In Amerika

Подняться наверх