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2. Frühe römische Dramendichtung im Kontext 2.1. Kulturelle Entwicklungen

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Nach römischer Tradition soll die Stadt Rom 753 v. Chr. gegründet worden sein. Als das literarische Drama in Rom in der Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr. aufkam, waren die Römer jedenfalls bereits über mehrere Jahrhunderte in Kontakt mit anderen Völkern in Italien und anderswo im Mittelmeerraum und hatten deren jeweilige politische Organisationsform, Lebensweise und Kultur kennengelernt. Diese Situation führte zu einem regen Austausch, wie sich an Handelsbeziehungen und der Übernahme von Bräuchen und Kulturgut durch die Römer zeigt. Zu den Völkern, mit denen die Römer direkten Kontakt hatten, gehören Griechen, Karthager, Etrusker und Osker.

Abb. 1

apulische Vase

Rotfiguriger Volutenkrater, dem Darius-Maler zugeschrieben, aus Apulien, ca. 340–320 v. Chr. (London, British Museum, Inv.-Nr. 1856,1226.1)

Auf der abgebildeten Seite der Vase ist im oberen Register eine Götterversammlung dargestellt (mit Pan, Apollo, Athene, Aphrodite, Poseidon). Im unteren Register erschrecken eine Furie und ein Stier den von seinem Vater Theseus verfluchten Hippolytus auf dem Wagen; ein alter Diener eilt verstört hinterher. Die Abbildung dieser Szene lässt darauf schließen, dass griechische Mythen bereits vor Abfassung der ersten lateinischen literarischen Dramen in Italien bekannt waren (sie basiert vielleicht auf Euripides’ Hippolytus).

Griechen waren seit der Kolonisation der Küstengebiete im Süden des Festlands und der benachbarten Inseln (Magna Graecia) im achten bis sechsten Jahrhundert v. Chr. in Italien präsent. Importierte griechische Vasen vom sechsten Jahrhundert v. Chr. an sowie in Italien hergestellte (bes. in Apulien, Lukanien, Kampanien), vor allem seit Anfang des vierten Jahrhunderts v. Chr., zeigen aus dem griechischen Mythos bekannte griechische Helden und Heldinnen. Nachdem unter Führung Athens 444/443 v. Chr. die Kolonie Thurioi am Golf von Tarent von Griechen neu besiedelt worden war (und Tarent 433/432 v. Chr. die griechische Stadt Herakleia in Lukanien als Kolonie neu etabliert hatte), wurden die kulturellen Beziehungen zwischen Griechenland und dem italischen Festland enger. Bis zum Ende der Kriege gegen Pyrrhus (Schlacht bei Beneventum 275 v. Chr.) gelangten die meisten Städte in Magna Graecia unter römische Kontrolle. Auch der Erste Punische Krieg (264–241 v. Chr.), von dem ein großer Teil in Sizilien ausgetragen wurde, hatte den Nebeneffekt, dass viele Römer griechische Kultur näher kennenlernten.

Seit dem späten dritten Jahrhundert v. Chr. intensivierten sich die Verbindungen zwischen Griechen und Römern und veränderten sich zugleich. Das hing damit zusammen, dass sich nach den Eroberungszügen Alexanders des Großen die ‚Hellenistische Welt‘ herausbildete, in der die griechische Kultur weniger ‚griechisch‘ wurde und sich weit über Griechenland hinaus ausdehnte, sowie mit den damaligen politischen Entwicklungen, vor allem Roms Eroberung vieler Gebiete des Mittelmeerraums. In dieser Anfangsphase der verstärkten Kontakte mit Griechenland scheinen Bestandteile der griechischen Kultur in Rom übernommen worden zu sein, vermutlich vor allem weil Rom durch diese Übernahme von Kennzeichen der als höher angesehenen Zivilisation seine Position im Mittelmeerraum zu sichern bemüht war.

Die Beziehungen zwischen Griechen und Römern lassen sich am ehesten als ein dynamischer Prozess in einer Kontaktzone beschreiben. Dass die Wirkungen in der römischen Kultur deutlicher wahrzunehmen sind, ist wahrscheinlich die Folge davon, dass in kultureller Hinsicht die Römer sich gegenüber den ‚etablierten‘ Städten in Griechenland in der Position der Nehmenden befanden, verbunden mit einer erstaunlichen Offenheit und Flexibilität der Römer gegenüber Einrichtungen anderer Völker (Pol. 6,25,11; vgl. auch Cic. Tusc. 1,1–6; 4,1–7; Sall. Catil. 51,37–38). Die Römer waren daher das erste Volk in Europa, das seine eigene Kultur auf der Basis einer anderen vollentwickelten europäischen Kultur formte.

Das Ende des Dritten Makedonischen Kriegs (171–168 v. Chr.) brachte in einer neuen Welle griechische Kunst- und Literaturwerke sowie viele gebildete Griechen nach Rom, die Zugang zu politisch und intellektuell führenden Kreisen bekamen. Von nachhaltiger Wirkung waren die Vorträge des pergamenischen Grammatikers und (stoischen) Philosophen Krates von Mallos, als er als Gesandter des Königs Attalos II. 168/167 v. Chr. in Rom war. Er war einer der Lehrer des stoischen Philosophen Panaitios von Rhodos (ca. 185–109 v. Chr.), der lange Zeit in Rom lebte und mit P. Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (ca. 185–129 v. Chr.) und dessen Freunden Kontakt hatte. Ähnliches gilt für den griechischen Historiker Polybios (ca. 200–120 v. Chr.), der als eine von 1000 griechischen Geiseln nach dem Dritten Makedonischen Krieg nach Rom kam und ebenfalls mit Scipio Africanus in freundschaftlichem Verhältnis stand. Ein weiteres entscheidendes Ereignis für den griechisch-römischen Kulturaustausch war 155 v. Chr. eine athenische ‚Gesandtschaft‘ von drei Philosophen nach Rom, die aus dem Akademiker Karneades, dem Stoiker Diogenes von Babylon und dem Peripatetiker Kritolaos bestand.

Diese kulturellen Transfers führten dazu, dass Rom als neues intellektuelles Zentrum des Mittelmeerraums in Erscheinung trat, zusätzlich zu politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen. In dieser Periode, der dynamischsten der kulturellen Adaption, kam ein Bewusstsein des Unterschieds zwischen der griechischen und der römischen Lebensweise auf. Im ersten Jahrhundert v. Chr. begannen römische Intellektuelle dann, Roms kulturelle Leistungen im Vergleich mit denen der Griechen zu messen und über ihre eigenen Traditionen zu reflektieren.

Die ersten Aufführungen literarischer Dramen in Rom in der Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr. fallen in eine größere hellenisierende Phase, und die ersten Dramatiker in Rom waren Griechen oder ‚Halb-Griechen‘ (Suet. gramm. 1,2), das heißt, sie kamen aus Gebieten außerhalb Roms, die unter griechischem Einfluss standen (vor allem über die griechischen Siedlungen in Magna Graecia). Zwar sind auch italische Darstellungstraditionen in die dramatische Dichtung der Römer eingegangen, vor allem aus der etruskischen und der oskischen Kultur (▶ Kap. 2.3), aber die Etrusker und die Osker fungierten zugleich als indirekte Übermittler der griechischen Kultur. Süditalien kann als ein Schmelztiegel einer kulturellen Mischung bezeichnet werden, die ein signifikanter Faktor bei der Herausbildung der letztlichen Form des römischen literarischen Dramas war.

Während diese kulturellen Erfahrungen die ersten Dramatiker in Rom beeinflusst haben werden, gibt es kaum Spuren ihrer lokalen Sprachen in den erhaltenen Texten, obwohl Latein erst zu einer Literatursprache ausgestaltet werden musste, als das römische Drama aufkam. Hingegen übernahmen andere Völker des Mittelmeerraums mit Elementen der griechischen Literatur auch die griechische Sprache. Stattdessen entschieden sich die Römer bei der Einführung literarischer Dramen für deren Umsetzung ins Lateinische. Dadurch entfaltete sich die Sprache der Römer zu einem literarischen Idiom; auf dieser Basis konnten eine Nationalliteratur auf Latein und eine römische literarische Tradition entstehen.

Römisches Theater

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