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2.3. Italische Traditionen
ОглавлениеNeben ihrer Funktion als indirekte Übermittler griechischer Kultur hatten die Etrusker eine eigene kulturelle Tradition, mit der die Römer in Berührung kamen. Da es kaum schriftliche Quellen der Etrusker gibt, müssen Details anhand archäologischer Zeugnisse und Bemerkungen nicht-etruskischer Autoren erschlossen werden. Daher bleiben, auch wenn moderne Forscher von einem bedeutenden Einfluss der etruskischen Kultur auf das römische Drama ausgehen, Einzelheiten schwer zu bestimmen.
Nach den archäologischen Befunden waren die Etrusker seit dem achten Jahrhundert v. Chr. mit den Protagonisten griechischer Mythen vertraut. Jedenfalls finden sich bei ihnen bildliche Darstellungen griechischer Mythen, die sie offenkundig interessant fanden oder in denen sie Probleme behandelt sahen, die für ihr Zusammenleben relevant waren.
Außerdem scheinen die Etrusker wichtige Ereignisse ihrer Geschichte abgebildet zu haben. Bilder in der Tomba François in Vulci (ca. 330–310 v. Chr.) zeigen eine Kombination von Szenen aus dem griechischen Mythos, Repräsentationen des Etruskers, der das Grab bauen ließ, sowie Kämpfe zwischen Vertretern verschiedener etruskischer Städte. Solche Bilder weisen auf ein Bestreben hin, historischen Ereignissen einen künstlerischen Erinnerungsrahmen zu geben. In Rom sollte die künstlerische Repräsentation historischer Ereignisse für Bildkunst und Literatur charakteristisch werden. Die Repräsentation griechischer Mythen, die einen Bezug zu lebensweltlichen Problemen ermöglichen, einerseits und lokaler bedeutender Persönlichkeiten andererseits entspricht den beiden Formen des ernsten Dramas in Rom (Tragödien und Praetexten).
Etruskische Gemälde zeigen ferner, dass die Etrusker seit dem sechsten Jahrhundert v. Chr. eine ausgeprägte Festkultur hatten, mit feierlichen Prozessionen, sportlichen Wettkämpfen, Gladiatorenkämpfen, Zirkusspielen, von Musik begleiteten Tänzen und mimetischen Tänzen maskierter Schauspieler. Etruskische Feste waren offenbar mit dem politischen und religiösen Leben verbunden. Oft fanden sie als Spiele beim Begräbnis bedeutender Individuen statt. Nach einer Bemerkung bei Livius galt es in Etrurien als Frevel, die Riten der Spiele zu unterbrechen; ein König tat das jedoch einmal aus Verärgerung und entfernte die Künstler (die fast alle seine Sklaven waren) mitten in einer Aufführung (Liv. 5,1,3–5). Eine solche Aktion setzt eine institutionalisierte Festspielkultur voraus sowie Schauspieler von niedrigem sozialen Status. Die römische rituelle Prozession zum Platz der Aufführungen (pompa circensis), die zur Eröffnung von Festspielen stattfand, wobei in bestimmter Folge ausgewählte Mitglieder der römischen Gesellschaft, Akteure, Priester und Statuen von Göttern zum Veranstaltungsort gebracht wurden (Dion. Hal. ant. 2,71,3–4; 7,72), soll letztlich von den Etruskern kommen, auch wenn sie sich später weiterentwickelte und griechische Bräuche inkorporierte.
Da Livius berichtet, dass man in Rom 364 v. Chr. – angesichts einer langdauernden Pest – neben anderen Maßnahmen durch die Herbeiholung etruskischer Tänzer den Zorn der Götter zu besänftigen suchte (Liv. 7,2,3–4 [▶ T 1]), scheinen die Etrusker dieser Zeit aus römischer Sicht eine Aufführungskultur gehabt zu haben. Linguistische Belege zeigen, dass etruskischer Einfluss zur Formung des römischen Theaters beitrug (vgl. auch Liv. 7,2,6 [▶ T 1]): Wichtige Theaterwörter im Lateinischen (belegt seit Plautus) wie histrio (‚Schauspieler‘), ludius (‚Schauspieler‘), persona (‚Maske‘, ‚Rolle‘) und scaena (‚Bühne‘) kamen wahrscheinlich aus dem Etruskischen ins Lateinische.
Nach Livius’ Bericht stellten bei den etruskischen Aufführungen, wie sie anfangs von den Römern übernommen wurden, die (zu Musikbegleitung vorgeführten) Tänze nicht unmittelbar eine zusammenhängende Handlung dar (Liv. 7,2,4 [▶ T 1]). Auch wenn Varro einen Volnius erwähnt, der ‚etruskische Tragödien‘ (tragoediae Tuscae) schrieb (Varro, ling. 5,55), ist es unsicher, ob die Etrusker ursprünglich szenische Darbietungen eigentlicher Dramen oder erzählender Dichtung hatten. Jedenfalls sind die Begriffe für dramatische Gattungen lateinisch oder abgeleitet aus dem Griechischen (z.B. fabula, comoedia, tragoedia), während die etruskischen Wörter praktische Aspekte betreffen, die für alle Arten von Theateraufführungen gelten. Der etruskische Einfluss scheint sich also eher auf die Einrichtung und die Organisation der Festspiele ausgewirkt zu haben. Etruskische Traditionen haben darüber hinaus wahrscheinlich zu der großen Rolle von Musik, Theatralität und Spektakel im römischen Drama beigetragen.
Die Etrusker müssen die griechische Theaterkultur schon vor den Römern zumindest gekannt oder sogar übernommen haben. Seit der hellenistischen Zeit lassen Darstellungen dramatischer Szenen auf etruskischen Kunstwerken Reflexe griechischer dramatischer Versionen und deren Themen erkennen. Die Häufigkeit nicht nur mythischer Szenen, sondern auch von Bühnenkonstellationen, verbunden mit einer Tendenz, Handlungen auf der Bühne zu zeigen, die im griechischen Drama erzählt werden, erlaubt die Schlussfolgerung, dass es in Etrurien eine eigene Theaterkultur gab.
Neben den griechischen und den etruskischen gab es vor dem Aufkommen des literarischen Dramas auf Latein eine Reihe anderer Aufführungstraditionen in Italien. Vor allem die dramatischen Traditionen im multikulturellen Süditalien (die ihrerseits in direktem oder indirektem Kontakt mit der griechischen Kultur standen) blieben nicht ohne Nachwirkung für die Entwicklung in Rom.
Der deutlichste Hinweis auf dramatische Aufführungen im Süditalien des vierten Jahrhunderts sind Vasenbilder, vor allem die sogenannten ‚Phlyakenvasen‘. Diese Vasen, die zumeist aus der Zeit von etwa 380 bis 340 v. Chr. stammen, wurden in Sizilien und Süditalien, vor allem Apulien, gefunden. Sie zeigen eine Vielfalt von Szenen, Charakteren und Masken, die sich auf (komische) Dramenaufführungen beziehen. Die Darsteller werden mit hässlichen Theatermasken, ausgestopften Zottelgewändern und einem umgeschnallten Phallos gezeigt. Die Benennung ‚Phlyaken‘ basiert auf einer angenommenen Verbindung mit den späteren literarischen Werken von Rhinthon, der als Verfasser von Phlyaken-Stücken, eines besonderen Typs des leichten Dramas, betrachtet wurde (s.u.).
Abb. 3
Phlyakenvase
Apulischer rotfiguriger Glockenkrater, 370–360 v. Chr., dem Cotugno-Maler zugeschrieben (The J. Paul Getty Museum, Inv.-Nr. 96.AE.113)
Darstellung einer Parodie von Zeus’ Liebesabenteuern, der sich (mit Krone und Zepter) lüstern einer hässlichen alten Frau nähert, während ein Sklave zuschaut. Die Szene spielt sich auf der einfachen Phlyakenbühne ab; die männlichen Figuren tragen das spezifische Phlyakenkostüm (Maske, ‚Strumpfhose‘, ausgestopftes Gewand, großer künstlicher Phallus).
Entsprechend wurden diese Vasen früher als Beleg für die Existenz populärer Farce in Süditalien angesehen. Jedoch haben jüngere Arbeiten nachgewiesen, dass sie eher als Repräsentanten der attischen (Mittleren oder Alten) Komödie des vierten Jahrhunderts betrachtet werden sollten, vor allem da Inschriften auf ihnen im attischen (und nicht im lokalen dorischen) Dialekt abgefasst sind, Masken und Kostüme denen ähneln, die in Athen üblich waren, und einige Darstellungen als Szenen in erhaltenen griechischen Komödien identifiziert werden können. Außerdem scheinen Vasen, die komische Szenen oder Masken zeigen, vor allem in Tarent hergestellt worden zu sein, wo sich ein spezifischer tarentinischer Stil entwickelte. Daher muss in Tarent ein besonderes Interesse am Theater bestanden haben (bereits in der Antike sprichwörtlich), aber nicht anderswo, was der Annahme einer weitverbreiteten Präsenz und Popularität einer lokalen ländlichen Komödie widerspricht.
Auch wenn diese Vasen damit nicht mehr Belege für einheimische komödienhafte Aufführungen in Italien sind, können sie weiterhin als Zeugen für die Beliebtheit von Theater und die Aufführungspraxis in Süditalien gelten: Sie lassen erkennen, dass es wandernde Schauspieler gab, die einfache Bühnen und Requisiten mit sich führten, und zeigen eine verbreitete Kultur mimetischer Repräsentation im vierten Jahrhundert v. Chr., die sich wahrscheinlich über die griechischen Städte Süditaliens nach Latium und Etrurien erstreckte. Weitere süditalische Vasenbilder, die essenzielle Elemente bestimmter griechischer Mythen oder identifizierbarer Szenen aus griechischen Tragödien abbilden, deuten auf die weitverbreitete Bekanntheit und Popularität der griechischen Tragödie hin. Solche Illustrationen mögen auch auf eine Einstellung zum Theater hinweisen, die sich von der im klassischen Athen unterscheidet, wo Vasenbilder in der Regel nicht bestimmte Theateraufführungen darstellten. In Süditalien hingegen wurden Dramenaufführungen als eine etablierte Kunst übernommen und nicht als Element des bürgerlichen und politischen Lebens entwickelt wie in Athen. Dramenaufführungen hatten daher eher den Status von vergnüglicher Unterhaltung, die auch als Dekoration von Vasen fungieren konnte.
Die lokale dorische griechische Komödie in Italien erhielt literarische Form im fünften Jahrhundert v. Chr. durch Epicharmus (Epicharmus, T 1, 18 Kassel/Austin). Er scheint hauptsächlich komische Stücke über mythische Helden verfasst zu haben.
Wenn man auch nicht mehr glaubt, dass die sogenannten Phlyakenvasen mit den Phlyaken-Stücken, den Vorläufern der literarischen fabula Rhinthonica, in Beziehung stehen, gab es, unabhängig davon, eine solche Form der rustikalen Komödie, die Burlesken, Travestien von Mythen, Parodien von Tragödien und alltägliche komische Szenen vorführte, wie sich aus erhaltenen Fragmenten erschließen lässt. Diese Dramenform wurde wahrscheinlich von dorischen Siedlern nach Italien gebracht und hat einige Merkmale mit der griechischen Mittleren Komödie gemeinsam. Eine literarische Form erhielt diese Art von Drama durch Rhinthon, der aus Syrakus kam und um 300 v. Chr. in Tarent tätig war. Seine Stücke waren offenbar Tragödienparodien, genannt tragikoi phlyakes, hilarotragoediae oder (später) fabulae Rhinthonicae (Rhinthon, T 1–3, 5 Kassel/Austin). Spätantike Wissenschaftler definieren fabulae Rhinthonicae als eine Form des komischen und/oder lateinischen Dramas (Don. com. 6,1; zu Ter. Ad. 7; Euanth. fab. 4,1; Lyd. mag. 1,40; [Caes. Bass.], GL VI, p. 312,7–9 [= Rhinthon, T 5 Kassel/Austin]). Diese Lokalisierung basiert wahrscheinlich auf der Beobachtung, dass Dramen dieser Art in Italien aufgeführt wurden. Es gibt jedoch keine eindeutigen Belege für die Präsenz der fabula Rhinthonica in Rom.
Ein anderer Typ unterhaltender Bühnenpräsentation, der Mimus, wurde in Italien durch Griechen im Süden und in Sizilien eingeführt: Mimen gab es in Griechenland seit der archaischen Zeit, und sie deckten ein weites Spektrum von Aufführungen ab, im Wesentlichen basierend auf Improvisation und Virtuosität. Griechische Mimen benutzten eine einfache dorische Sprache; sie beinhalteten Gesang, Tanz, Imitation alltäglicher Situationen und pantomimische Repräsentationen mythischer Szenen (z.B. Xen. symp. 9,1–7). Die Themen waren in der Regel erotisch, burlesk oder fantastisch; die Handlung spielte oft in der schlichten Umgebung durchschnittlicher Familien und Handwerker. Der Mimus wurde durch den Sizilier Sophron im fünften Jahrhundert v. Chr. literarisch, während vorliterarische improvisierte Mimen vermutlich weiterbestanden. Auch wenn der Mimus nie den Status und die weite Verbreitung der athenischen Tragöde und Komödie erreichte, wurde er als ein unabhängiges dramatisches Genre geschätzt und überlebte lokal. Vom dritten Jahrhundert v. Chr. an wurde der Mimus über die dorischen Siedlungen in Süditalien und Sizilien in ganz Italien bekannt (▶ Kap. 4.6).
Bei den Oskern gab es ebenfalls eine Version des populären leichten Dramas, fabula Atellana, benannt nach der oskischen Stadt Atella in Kampanien, wo diese Gattung nach den Angaben späterer römischer Autoren herkam (Liv. 7,2,11–12 [▶ T 1]; Val. Max. 2,4,4; Diom. ars 3, GL I, pp. 489,14–490,7; Euanth. fab. 4,1). Die oskische Atellane scheint ursprünglich eine burleske Farce gewesen zu sein, die merkwürdige Erlebnisse stereotyper komischer Figuren zeigt (Tac. ann. 4,14,3). Schon die Typen verweisen auf einen derben Charakter und einen auf Lächerlichkeit abzielenden Inhalt. Ursprung und Details der Einführung der Atellane in Rom sind unsicher: Sie mag sich unter dem Einfluss von Formen des griechischen leichten Dramas entwickelt haben, und es ist vermutet worden, dass oskische Handwerker, vor allem Walker, die Atellane im Verlauf des dritten Jahrhunderts v. Chr. nach Rom gebracht haben (▶ Kap. 4.5).
Im frühen Rom gab es die sogenannten Fescenninischen Verse, wahrscheinlich benannt nach der faliskischen Stadt Fescennia. Dabei handelt es sich um improvisierte und responsive Wechselgesänge in Versen mit Spott und Scherz. Sie wurden als rustikal betrachtet und besonders bei Hochzeiten oder Erntefesten aufgeführt; ursprünglich scheinen sie apotropäische Funktion gehabt zu haben (Liv. 7,2,7 [▶ T 1]; Hor. epist. 2,1,145–149; Porph. zu Hor. epist. 2,1,145; Fest., p. 76 L.; Macr. Sat. 2,4,21; Serv. zu Verg. Aen. 7,695; Diom. ars 3, GL I, p. 479,13).
Als erstmals Dramen in Rom aufgeführt wurden, die nach einer griechischen Vorlage gestaltet waren, werden die Römer also bereits sowohl eine eigene Bühnentradition gehabt haben als auch mit anderen italischen Traditionen in Berührung gekommen sein. Dabei handelt es sich eher um burleske, komische, improvisierte Aufführungen, mit einer bedeutsamen Rolle von Musik und Tanz, drastischen und einfachen Kostümen und einer schlichten Bühne, aber ohne eine lineare narrative Handlung. Das (im Vergleich zum griechischen Drama) verstärkte musikalische Element in der literarischen Komödie in Rom und die Vorliebe für Szenen mit Situationskomik werden häufig als Reflexionen des populären italischen Dramas angesehen.