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2.4. ‚Literarisches‘ Drama in Rom

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Die Römer haben sich selbst mit der Frage beschäftigt, wie es dazu kam, dass in ihrer Kultur das ‚römische literarische Drama‘ entstand. Die ausführlichsten, aber auch schwierigsten Quellen für das vorliterarische und frühe literarische Drama in Rom sind ein Kapitel bei dem Historiker Livius (Liv. 7,2 [▶ T 1]) und die parallele, jedoch leicht abweichende Darstellung bei Valerius Maximus (Val. Max. 2,4,4), die wahrscheinlich beide auf Werke des spätrepublikanischen Gelehrten Varro zurückgehen (vgl. auch z.B. Hor. epist. 2,1,139–167; Aug. civ. 2,8; Oros. 3,4,5; Tert. spect. 5,5; Plut. qu. R. 107 [289D]). Elemente des von Livius geschildeten Ablaufs stimmen überein mit Informationen in anderen literarischen Quellen oder mit dem, was generell für das Aufkommen dramatischer Aufführungen plausibel ist. Auch wenn Details des Szenarios auf Rekonstruktionen von Interpreten aus spätrepublikanischer und frühaugusteischer Zeit basieren, mag eine solche Darlegung einen Kern authentischer Information enthalten.

Livius beschreibt, wie zunächst als Reaktion auf eine Pestepidemie 364 v. Chr. in religiös motivierter Absicht etruskische Tänzer nach Rom geholt wurden, wo Schauspiele außerhalb des Circus vorher nicht bekannt waren, sich dann allmählich in Auseinandersetzung mit bestehenden Traditionen die verschiedenen Formen des republikanischen Dramas entwickelten und das Theater in Rom zu einer einflussreichen Einrichtung wurde.

T 1 Livius 7,2

[1] et hoc et insequenti anno C. Sulpicio Petico C. Licinio Stolone consulibus pestilentia fuit. eo nihil dignum memoria actum, [2] nisi quod pacis deum exposcendae causa tertio tum post conditam urbem lectisternium fuit; [3] et cum vis morbi nec humanis consiliis nec ope divina levaretur, victis superstitione animis ludi quoque scenici – nova res bellicoso populo, nam circi modo spectaculum fuerat – inter alia caelestis irae placamina instituti dicuntur; [4] ceterum parva quoque, ut ferme principia omnia, et ea ipsa peregrina res fuit. sine carmine ullo, sine imitandorum carminum actu ludiones ex Etruria acciti, ad tibicinis modos saltantes, haud indecoros motus more Tusco dabant. [5] imitari deinde eos iuventus, simul inconditis inter se iocularia fundentes versibus, coepere; nec absoni a voce motus erant. [6] accepta itaque res saepiusque usurpando excitata. vernaculis artificibus, quia ister Tusco verbo ludio vocabatur, nomen histrionibus inditum; [7] qui non, sicut ante, Fescennino versu similem incompositum temere ac rudem alternis iaciebant, sed impletas modis saturas descripto iam ad tibicinem cantu motuque congruenti peragebant. [8] Livius post aliquot annis, qui ab saturis ausus est primus argumento fabulam serere, idem scilicet – id quod omnes tum erant – suorum carminum actor, [9] dicitur, cum saepius revocatus vocem obtudisset, venia petita puerum ad canendum ante tibicinem cum statuisset, canticum egisse aliquanto magis vigente motu quia nihil vocis usus impediebat. [10] inde † ad manum cantari histrionibus † coeptum diverbiaque tantum ipsorum voci relicta. [11] postquam lege hac fabularum ab risu ac soluto ioco res avocabatur et ludus in artem paulatim verterat, iuventus histrionibus fabellarum actu relicto ipsa inter se more antiquo ridicula intexta versibus iactitare coepit; unde exorta quae exodia postea appellata consertaque fabellis potissimum Atellanis sunt; [12] quod genus ludorum ab Oscis acceptum tenuit iuventus nec ab histrionibus pollui passa est; eo institutum manet, ut actores Atellanarum nec tribu moveantur et stipendia, tamquam expertes artis ludicrae, faciant. [13] inter aliarum parva principia rerum ludorum quoque prima origo ponenda visa est, ut appareret quam ab sano initio res in hanc vix opulentis regnis tolerabilem insaniam venerit. [1] Sowohl in diesem als auch im folgenden Jahr (unter dem Konsulat des C. Sulpicius Peticus und C. Licinius Stolo [364 v. Chr.]) grassierte eine Seuche. Daher geschah nichts der Erwähnung Wertes, [2] außer dass damals, um den Frieden der Götter zu erflehen, zum dritten Mal seit Gründung der Stadt eine ‚Göttermahlzeit‘ [lectisternium] stattfand. [3] Und als die Gewalt der Krankheit weder durch menschliche Ratschläge noch durch göttliche Hilfe gemildert wurde, sollen, da die Gemüter dem Aberglauben erlegen waren, auch Bühnenspiele – eine neue Sache für das kriegerische Volk, denn es hatte nur Spiele im Circus gegeben – neben anderen Mitteln zur Besänftigung des göttlichen Zorns eingeführt worden sein. [4] Im Übrigen war die Sache auch klein, wie fast alle Anfänge, und sie war auch noch ausländisch. Ohne jeglichen Dichtertext, ohne dass man solche Inhalte durch Gebärdenspiel dargestellt hätte, boten aus Etrurien geholte Tänzer, zu den Weisen des Flötenspielers tanzend, nicht unelegante Bewegungen nach etruskischer Art dar. [5] Dann begannen die jungen Leute sie nachzuahmen, indem sie gleichzeitig untereinander in kunstlosen Versen Scherze von sich gaben; und die Bewegungen waren nicht unpassend zu den Worten. [6] Und so wurde die Sache angenommen und durch häufigere Ausführung etabliert. Den einheimischen Künstlern wurde, weil der pantomimische Tänzer mit einem etruskischen Wort ister genannt wurde, die Bezeichnung histriones [‚Schauspieler‘] verliehen. [7] Diese warfen sich nicht, wie vorher, dem Fescenninischen Vers entsprechend, ungestaltete und rohe Verse aus dem Stegreif im Wechselgesang zu, sondern führten Potpourris [saturae] auf mit Melodien, wobei der Gesang bereits für den Flötenspieler aufgeschrieben war und die Tanzbewegung dazu passte. [8] Nach etlichen Jahren soll Livius [Andronicus], der als erster den Schritt wagte, über die Potpourris hinausgehend ein Drama mit einem Handlungszusammenhang zu konstruieren [240 v. Chr.] – er war, versteht sich, zugleich, was damals alle waren, Schauspieler seiner eigenen Dichtungen –, [9] als er, mehrmals wieder auf die Bühne gerufen, seine Stimme heiser gesungen und, nachdem er die Erlaubnis erbeten hatte, einen Jungen zum Singen vor den Flötenspieler gestellt hatte, die Dichtung mit erheblich lebendigerer Tanzbewegung dargestellt haben, weil der Gebrauch der Stimme ihn nicht hinderte. [10] Von da fing es an, dass andere zu den Darbietungen der Schauspieler sangen [Text unsicher] und lediglich die Dialoge für ihre eigene Stimme blieben. [11] Nachdem sich die Sache durch diese Art dramatischer Dichtung von Witz und losem Scherz entfernt und sich das Spiel allmählich in Kunst verwandelt hatte, begann die Jugend, nachdem die Aufführung von Dramen den Schauspielern überlassen war, selbst untereinander nach alter Sitte in Verse gefasste Scherze vorzutragen; daraus entstand, was später ‚Nachspiele‘ [exodia] genannt und besonders mit Atellanen verbunden wurde. [12] An diesem Genre von Spielen, von den Oskern übernommen, hielt die Jugend fest und ließ nicht zu, dass es von den [berufsmäßigen] Schauspielern verunreinigt würde. Daher besteht noch die Regelung, dass die Schauspieler der Atellanen nicht aus ihrer Tribus ausgestoßen werden und Kriegsdienst leisten, als ob sie nichts mit der Schauspielkunst zu tun hätten. [13] Unter die kleinen Anfänge anderer Dinge scheint auch der erste Ursprung der Spiele einzuordnen zu sein, damit klar wird, wie eine Sache von einem vernünftigen Anfang zu dem jetzigen kaum für reiche Königreiche zu ertragenden Wahnsinn gekommen ist.

Moderne Forscher haben kritisiert, dass Livius die Entwicklung des römischen Dramas so darstelle, als ob es ursprünglich von den Etruskern importiert und dann einheimisch ausgeformt worden sei, wobei er griechischen Einfluss nicht erwähne. Livius richtet jedoch seinen Blick auf Form und Stil der Aufführungen und berücksichtigt nicht die Inhalte oder Handlungszusammenhänge der Stücke: Er konzentriert sich vor allem auf die Darlegung einer kohärenten Entwicklung von einfachen und vielversprechenden Anfängen zu etwas Pompösem und Degeneriertem. Die ausdrückliche Würdigung eines griechischen Elements im Verlauf dieses Prozesses hätte das evolutionäre Modell beeinträchtigt. Dennoch blendet Livius den griechischen Einfluss auf das römische Drama nicht völlig aus. Dass der von Livius Andronicus erzielte Fortschritt heruntergespielt wird, zeigt sich daran, dass die von ihm inaugurierte Veränderung in einem Relativsatz berichtet wird, während die Haupterzählung seine Bedeutung für den Stil der Aufführungen hervorhebt. Livius’ Betonung des etruskischen Einflusses mag einseitig sein, ist aber nicht falsch: Die Nachwirkung etruskischer Theaterkultur in römischen Aufführungen wird beispielsweise durch linguistische Belege bestätigt (▶ Kap. 2.3).

Details der von Livius beschriebenen Entwicklung müssen unsicher bleiben und lassen sich nicht verifizieren. Dennoch kann das Jahr 364 v. Chr. als ein signifikantes Stadium in der Geschichte der Spiele in Rom gelten. Denn für die Erfindung dieses Datums durch Livius oder seine Quellen gibt es kein erkennbares Motiv: Ereignisse wie eine Pest und eine darauf folgende Hinwendung an Etrurien dürften in den offiziellen Aufzeichnungen, die den damaligen römischen Historikern zugänglich waren, eingetragen gewesen sein. Ein konkretes Datum oder einen Grund für den nächsten großen Schritt, Livius Andronicus’ Innovation, nennt Livius nicht. Das traditionelle Datum (240 v. Chr.), unmittelbar nach dem Ende des Ersten Punischen Kriegs, ist aus anderen Quellen zu erschließen (Cic. Brut. 72; Gell. 17,21,42; Cassiod. chron., p. 128 MGH AA 11,2 [zu 239 v. Chr.]). Auch Livius erklärt die ersten Dramenaufführungen in Rom also als Ergebnis einer politischen Entscheidung in einer kritischen Situation der Gemeinschaft; nur ist sein Anfangspunkt 364 und nicht 240 v. Chr., wobei grundlegende Veränderungen im Jahr 240 v. Chr. für ihn lediglich einen Schritt in einer fortlaufenden Entwicklung markieren.

Da in der Notiz bei Gellius das Datum 240 v. Chr. nicht nur durch die Konsuln dieses Jahres identifiziert ist (wie bei Cicero), sondern auch durch den Abstand zum Tod von Sophokles, Euripides und Menander (Gell. 17,21,42), soll damit vermutlich eine Beziehung zwischen den Theaterstücken des Livius Andronicus und denen der griechischen Dichter markiert werden und ist es plausibel, dass Livius Andronicus’ Innovation auf Tragödien wie auf Komödien bezogen ist. Erhaltene Fragmente zeigen, dass Livius Andronicus sowohl Tragödien als auch Komödien griechischen Stils geschrieben hat; es ist lediglich unsicher, ob beide Typen bei der ersten Gelegenheit 240 v. Chr. aufgeführt wurden, da die Quellen zwischen Singular (Cicero: fabula) und Plural (Gellius: fabulae; Cassiodor: tragoedia et comoedia) variieren. Auf jeden Fall belegen die Fragmente, dass Livius Andronicus Dramen mit Handlungsablauf (argumentum) geschrieben hat, im Gegensatz zu früheren improvisierten Darstellungen.

Nachdem Livius Andronicus ein Stück oder Stücke an den Spielen von 240 v. Chr. zur Aufführung gebracht hatte, etablierten sich in der Folgezeit Dramen griechischen Stils in Rom. Reste dramatischer Texte aus der Zeit vor Livius Andronicus sind nicht erhalten. Wenn Livius Andronicus nicht der Erfinder dieser Art von Drama war, muss er Dramen jedenfalls in eindrucksvollerer Weise oder zu einem günstigeren Zeitpunkt präsentiert haben als etwaige Vorläufer, da er später als Roms erster Dramatiker galt. Auch wenn Livius Andronicus’ Datierung in spätrepublikanischer Zeit diskutiert wurde, zeigen Ciceros Argumente gegen alternative Scenarios, dass die Tradition von Livius Andronicus als ‚dem ersten‘ bereits in der späten Republik bestand (Cic. Brut. 72–73). Das entscheidende Faktum, dass Livius Andronicus’ Dramen von griechischen Modellen adaptiert sind, nennt keine der antiken Quellen, aber Bezugnahmen auf fabula, tragoedia oder comoedia und auf Stücke mit Handlungslinien implizieren es. Seit dieser Zeit gab es in Rom neben verschiedenen Typen einheimischer Vorführungen öffentliche Vorstellungen vollständiger von griechischen Vorbildern adaptierter Stücke.

Livius Andronicus’ Dramen griechischen Stils und darauf aufbauende spätere Stücke bilden, was man das ‚römische literarische Drama‘ oder ‚Roms dramatische Literatur‘ nennt. Diese Bezeichnungen sind eindeutig, wenn damit Dramenaufführungen auf der Basis schriftlich fixierter Texte von nicht-schriftlichen, oft improvisierten Aufführungen unterschieden werden sollen (wobei ‚literarisch‘ nicht eine Abgrenzung vom ‚Bühnendrama‘ impliziert). Über diese Definition hinaus wirft der Begriff ‚literarisches Drama‘ jedoch die Fragen auf, ob es andere Charakteristika gibt, die diese Art von Drama distinktiv und literarisch machen, ob die Anwendung dieser Bezeichnung einen Bruch mit vorausgehenden Traditionen impliziert und warum diese Art von Drama gerade in der Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr. in Rom übernommen wurde.

Für eine Antwort auf die letzte Frage ist zu berücksichtigen, dass das römische ‚literarische‘ Drama zu einem Zeitpunkt mit einer einzigarten Kombination von Faktoren aufkam: eine Bereitschaft der Römer, griechische Kultur zu übernehmen (nach langem und intensivem Kontakt mit Griechen), ein ausreichend hoher Stand der Entwicklung einheimischer Traditionen, sodass versierte Schauspieler zur Verfügung standen, ein intensiver Austausch mit anderen Völkern Italiens, die geopolitische Situation nach dem Ende des Ersten Punischen Kriegs, ein Drang zu römischer Selbstdarstellung gegenüber den griechischen Städten Italiens und der hellenistischen Welt insgesamt, ein Bestreben in Rom, den Stand von Kultur und Theater in den eroberten Gebieten zu erreichen, das besonders von der römischen Nobilität getragen wurde, das Vorhandensein eines Dichters, der sich mit griechischer Literatur und Kultur auskannte, aber in der Lage war, auf Latein zu schreiben und griechische literarische Werke so zu adaptieren, dass sie für ein römisches Publikum verständlich und interessant waren.

In dieser Zeit des beginnenden Hellenismus verlangten kulturelle Veränderungen, dass ambitionierte expandierende Städte, wenn sie eine internationale Stellung behaupten wollten, an der damals dominierenden griechischen Kultur teilnahmen. Mit diesem Bestreben ist wahrscheinlich zu erklären, dass sich in dieser Situation römische Magistrate entschieden, Drama griechischen Stils in Rom auf einer institutionalisierten Basis einzuführen. Dass eine solche Aufführung nicht ein einmaliges Ereignis blieb, muss durch die Politik der Nobilität gefördert und durch den Erfolg des Stücks (oder der Stücke) beim Publikum unterstützt worden sein. Eine Institutionalisierung hin zu öffentlicher Präsentation von Geschichten und für das Publikum interessanter Handlungsabläufe und Themen stimmt überein mit einer Blüte von Kommunikation und Darstellung im späten dritten Jahrhundert v. Chr., wie sie sich an Entwicklungen in anderen literarischen Gattungen und in der Architektur zeigt.

Auch wenn die Tatsache, dass ein qualifizierter Dichter wie Livius Andronicus zur Verfügung stand, vermutlich für die Einführung des griechischen Dramas in Rom förderlich war, war die Übertragung in erster Linie das Resultat einer Entscheidung der Magistrate und nicht ein organischer Prozess, der von Schauspielern und Dichtern getragen wurde, die neue Betätigungsfelder suchten. Daher sind die frühen Phasen des römischen ‚literarischen‘ Dramas nicht eine rein literarische Fortsetzung des damals zeitgenössischen griechischen Dramas; stattdessen führte eine politische Entscheidung zu einer neuen Situation für die Dichter, die dann auf der Basis von mittlerweile als klassisch geltenden Vorbildern Konventionen für das römische Drama entwickelten.

Die punktuelle Implantation der griechischen Dramentradition in die Literaturgeschichte Roms markiert einen klar zu benennenden Einschnitt in der Kulturpolitik und Literaturgeschichte Roms. Jedoch bedeutet die zusätzliche dauerhafte Etablierung von Dramenaufführungen im griechischen Stil keine völlige Veränderung oder Abwendung von vorausgehenden italischen Traditionen. Sie wirkten indirekt auf das sich allmählich ausdifferenzierende ‚römische literarische Drama‘ ein, da die römischen Dichter daraus Elemente, die für ein römisches Publikum möglicherweise interessant oder attraktiv waren, in Dramen griechischen Stils übernehmen konnten.

Als um 240 v. Chr. römische dramatische Aufführungen in ein ‚literarisches‘ Stadium eintraten, mögen sich die ersten Dramatiker bewusst gewesen sein, dass sie etwas Neues taten; doch können sie kaum die Dimension ihrer innovativen Leistung und deren Weiterwirken vorhergesehen haben. Diese Bedeutung wurde erst in spätrepublikanischer und frühaugusteischer Zeit allmählich deutlicher wahrgenommen. Die Anerkennung der Werke der frühen Dichter als Literatur beruht daher nicht auf einer Einschätzung im dritten und zweiten Jahrhundert v. Chr., als die Dramentexte verfasst wurden, sondern auf einer historischen Betrachtungsweise, wie sie im zweiten Jahrhundert v. Chr. einsetzte und von spätrepublikanischen und frühaugusteischen Wissenschaftlern systematischer verfolgt wurde. Man begann, die ersten Dramatiker als Teil der eigenen Kultur zu betrachten und chronologische und biographische Fragen in Bezug auf diese Texte zu erforschen. Dadurch erhielten die Dramentexte den Status von ‚Literatur‘.

Autoren der späten Republik und der frühen augusteischen Zeit wie Cicero, Varro und Horaz waren selbstverständlich ebenso vertraut mit der Geschichte der griechischen Literatur, und diese galt ihnen als Paradigma. Einige Autoren, die sich bei ihren Überlegungen zum Theater auf literarische Dramen in griechischem Stil konzentrierten, sahen daher das römische Theater als importiert an und hoben das griechische und/oder etruskische Element hervor. Entsprechend schlossen sie, dass in Rom Literatur eher spät aufgekommen sei, wobei Formen des vorliterarischen Dramas und einheimische Traditionen ignoriert wurden. Oder es wurde angenommen, dass es eine Weile gedauert habe, bis das schriftliche Drama einen akzeptablen Status erreicht hatte.

So gab es neben der verbreiteten Chronologie, wonach das römische Drama mit Livius Andronicus 240 v. Chr. anfing, die Auffassung, dass ‚die Muse‘ in Rom während des Zweiten Punischen Kriegs (218–201 v. Chr.) ‚ankam‘ (Porcius Licinus, ap. Gell. 17,21,45), und eine andere, wonach sich die Römer erst nach dem Zweiten Punischen Krieg der Tragödie zuwandten und in der Lage waren, ausgefeilte Dichtung zu produzieren (Hor. epist. 2,1,156–167 [▶ T 2]).

T 2 Horaz, epist. 2,1,156–167

Graecia capta ferum victorem cepit et artis Das eroberte Griechenland eroberte den ungeschlachten Sieger und
intulit agresti Latio. sic horridus ille brachte die Künste in das ländliche Latium. So verlor sich jenes ungepflegte
defluxit numerus Saturnius et grave virus saturnische Versmaß, und Reinlichkeit
munditiae pepulere; sed in longum tamen aevum vertrieb den üblen Geruch; aber dennoch blieben für eine lange Zeit
[160] manserunt hodieque manent vestigia ruris. [160] und bestehen heute noch Spuren des Bäurischen.
serus enim Graecis admovit acumina chartis Denn spät wandte er [der Römer] seinen scharfsinnigen Verstand griechischen Schriften zu,
et post Punica bella quietus quaerere coepit und [erst] in der Ruhe nach den Punischen Kriegen begann er zu fragen,
quid Sophocles et Thespis et Aeschylus utile ferrent. was Nützliches Sophokles, Thespis und Aischylos brächten.
temptavit quoque rem, si digne vertere posset, Er versuchte sich auch daran, ob er den Stoff angemessen übertragen könne,
[165] et placuit sibi, natura sublimis et acer; [165] und es gefiel ihm, der von Natur aus erhaben und leidenschaftlich ist;
nam spirat tragicum satis et feliciter audet, denn er atmet ausreichend tragischen Geist und geht mit glücklicher Hand ein Wagnis ein,
sed turpem putat inscite metuitque lituram. aber in seiner Unwissenheit hält er verbesserndes Überarbeiten für schändlich und scheut es.

Solche Aussagen scheinen den Anfang der Literatur in Rom auf Naevius oder sogar Ennius (geb. 239 v. Chr.) zu datieren. Sie sind jedoch nicht notwendigerweise ein Widerspruch zu der früheren Datierung: Solche Bemerkungen mögen eher darauf hinweisen, dass die Werke der Archegeten nicht als eigentliche Literatur und daher Ennius (der selbstbewusst seine Stellung propagierte) als der eigentliche Gründer der römischen Literatur angesehen wurde. Horaz beispielsweise lässt die römische Literatur in der Zeit von Livius Andronicus beginnen und scheint sich daher der verbreiteten Auffassung anzuschließen; gleichzeitig nennt er Livius Andronicus scriptor (‚Schreiber‘, ‚Verfasser‘) im Gegensatz zu poetae (‚Dichter‘), die ihm später in der republikanischen Zeit folgten (Hor. epist. 2,1,61–62). Dass er Livius Andronicus’ Dichtung nicht als ausreichend kultiviert betrachtet, kann die andere Perspektive in einem anderen Kontext erklären. Auch Cicero scheint nicht viel von Livius Andronicus’ Werken gehalten zu haben (Cic. Brut. 71).

In Verbindung mit einem schlechten Erhaltungszustand der Stücke vieler republikanischer Dramatiker (wofür diese frühen Beurteilungen ein Grund sein können) haben solche Werturteile die Auffassung über die frühe römische dramatische Literatur bis in die moderne Zeit beeinflusst. Auch wenn die antiken Äußerungen eine Fülle von Informationen über die Anfänge des römischen Dramas überliefern, sind die Darstellungen häufig bestimmt durch die Einschätzungen der jeweiligen Verfasser. Beispielsweise stellten die antiken Autoren Kanons der besten Dichter zusammen und etablierten ein evolutionäres Modell, nach dem die Archegeten hinsichtlich ihrer literarischen Raffinesse im Vergleich zu ihren Nachfolgern beurteilt werden anstatt in Bezug auf die Relevanz ihrer innovativen Leistungen. Dennoch empfand man offenbar, dass diese Männer für Roms Literatur wichtig und ihre Werke relevant waren. Diese Ansicht konnte sich dann zu der Überzeugung entwickeln, dass ‚Fehler‘ in den Werken früherer Dichter eher ihrer Zeit als den Dichtern selbst geschuldet seien (Quint. inst. 10,1,97).

Römisches Theater

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